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Literatur


04.3


Geschichten
Marceline Desbordes-Valmore

Das Lebensbild einer Dichterin
Vierter Teil: Briefe






Briefe 3


Andere Empfänger
 
Die folgenden Briefe schildern (für mein Gefühl in herrlichster Unmittelbarkeit) die Gefühle Marcelinens, als sie, seit sieben Jahren verlassen von ihrem Geliebten und ein Jahr nach dem Verlust ihres unehelichen Kindes, längst jedes Glück in ihrem Leben für eine Unmöglichkeit hielt und plötzlich die Werbung des bedeutend Jügeren, des „schönen Valmore“, empfing (so nannte man, und das Bildnis billigt das Beiwort, im Brüsseler Theater ihren Partner). Sie war ihm als einem Kinde zu Beginn ihrer Schauspielerlaufbahn in Bordeaux begegnet und fand ihn nach zwanzig Jahren auf der gleichen Bühne als Neuling und jugendlichen Liebhaber. Von ihrer Sanftmut und Schwermut angezogen, versuchte er sich ihr zu nähern und schrieb ihr einen Werbungsbrief, den sie – erschreckt beinahe – mit dem erstern der hier nachfolgenden Schreiben erwiderte, um dann doch nach kurzem und liebendem Widerstand am 4. September 1817 seine Gattin zu werden.




An Valmore
Brüssel, 1817
 
Nein, mein Herr, ich habe nicht geantwortet. Ich wollte auf das, was ich für ein Spiel hielt, ganz und gar nicht eingehen. Der Gedanke daran ,ließ mich vor Angst erstarren.
 
Welch einen Brief schreiben Sie mir heute! Wie hat er mich verwirrt! Treiben Sie keinen Mißbrauch mit leidenschaftlichen Worten, treiben Sie nur niemals Mißbrauch damit. Mein Herz ist wahrhaftig und aufrichtig. Ich kann es nicht wieder vergeben, ohne daß mein Leben daran hängt, und in Ihren jungen Jahren, von tausend Versuchungen umgeben, verspricht man nicht eine grenzenlose Liebe, eine Liebe bis zum Grab! . . . Darum versuchen Sie nicht, mir das einzureden, - ich habe so viel gelitten!
 
Ja, Sie werden gut tun, mich zu meiden. Das ist das einzig Vernünftige in Ihren, im übrigen unbegreiflichen Vorschlägen. Auch ich werde Ihnen aus dem  Wege gehen – ich habe mir das schon zur traurigen Gewohnheit gemacht. Was täte ich nicht um meines inneren Friedens willen! Würden Sie es nicht bedauern, mich inniger ans Leben zu fesseln, um mir dann eines Tages einen anderen, tieferen Schmerz zu bereiten? Oh, lassen Sie nach, ich bitte Sie; ich bin traurig und nicht geschaffen, um zu lieben, auch nicht um geliebt zu werden. Ich glaube nicht an das Glück!
 
Warum sagen Sie, Ihre Schwermut entfremde Ihnen mein Herz? Meinen Sie das wirklich? Schreiben Sie das in aufrichtigem Glauben?
 
Sie machen unserm unglücklichen Stand den Vorwurf, uns zusammengeführt zu haben. Sie drücken sich da sehr hart aus. Wenn Sie sich darüber beklagen – welches Recht hätte erst ich, ihn zu hassen? Immerhin, verzeihen Sie es ihm, unser Beruf kann ja alles wieder gutmachen, indem er uns bald trennt. Um diese Trennung zur Tatsache werden zu lassen, bleibt mir nur zu wissen, daß Sie es wünschen.
 
Nein, nicht Ihre Zuneigung kann Ihnen den Rat gegeben haben, mir zu schreiben, - ebensowenig kann ihre vortreffliche Mutter Sie bestimmt haben, mir meinen Seelenfrieden zu nehmen; ich meinerseits möchte nicht um die Welt Ihrer Seele wehe getan haben, verstehen Sie mich? Was werfen Sie mir denn vor? Welchen anderen Beweis kann ich Ihnen gegenwärtig von meiner Hochachtung geben, deren ich Sie hiermit nochmals für alle Zeiten versichere.
 
M. Desbordes

 

Brüssel, 1817
 
Mein Herr, Sie sagen, ich hätte Ihre Scheu und Zurückhaltung für Stolz gehalten. Sie haben meine Traurigkeit für Mißachtung angesehen. Wir haben uns alle beide getäuscht. Wie könnte man jemanden mißachten, den man seit langem tief schätzen gelernt hat? Aber wozu Entschuldigungen mir gegenüber? Habe ich irgendeinen Vorwurf gemacht? Hätte ich einen Grund, ein Recht dazu gehabt? Sie haben die Güte, meiner Meinung einen gewissen Wert beizumessen, und Sie möchten diese hören: Ich glaube, daß Sie alle Vorzüge eines rechtschaffenen Mannes besitzen, verbunden mit den Neigungen Ihrer Jugend.
 
Nun kennen Sie meine Auffassung. Lassen Sie sich also nicht mehr verletzen durch eine dem leidvollen Menschen ganz selbstverständliche Zurückhaltung. Halten Sie diese niemals für Verachtung – wenn es wahr ist, daß Sie so gedacht haben -, und seien Sie versichert, daß es mir zeit meines Lebens  Freude machen wird, Ihnen – mehr als es mein Frohsinn könnte – zu beweisen, welche Hochachtung ich ihrer Familie und Ihnen, mein Herr, entgegenbringe. Ist das nicht alles, was Sie zu wissen wünschen?
 
Sie dürfen nun überzeugt sein, daß niemand aufrichtiger ist als Ihre ergebene Dienerin
 
M. Desbordes




Brüssel, 1817
 
Glauben Sie, mein Freund, ich könnte schildern, was in mir vorgeht? Glauben Sie das? Überwältigt von Glück und Überraschung, fürchte ich . . . vergeben Sie mir, fürchte ich die auf mich einstürmenden Empfindungen; ja, diese Trunkenheit der Seele ist fast Schmerz. – Oh, schonen Sie mein Leben! Es ist noch gebrechlich und unsicher. Seit es Ihnen gehört, fürchte ich alles, was ihm Gefahr bringt, und die Aussicht auf ein ungeahntes, unsagbares Glück scheint meine Kraft zu übersteigen.
 
Und sagen Sie, mein Geliebter, wissen Sie auch den vertraulichen Beziehungen des Lebens diesen Reiz, diese rührende Zartheit zu geben, die mich so zu Ihnen hinzieht? Welch ein Glück ist es dann, Sie zu lieben, ganz und einzig von Ihnen geliebt zu sein! So würde nichts den Zauber brechen, der uns bei unseren ersten Blicken umfing? Ich dürfte nun wagen, ihn festzuhalten, drin meine Bestimmung zu lesen, ein zärtliches Geschick, die innige und feierliche Verheißung der Bande, die uns ewig aneinander fesseln sollen?
 
O Gott! wenn ich furchtsam bin, so müssen Sie das mir verzeihen! Es ist die Liebe, die vor der Liebe zittert. Ist sie auch scheu in ihren Geständnissen, ihren Hoffnungen, so wissen Sie, daß sie darum nicht weniger stark und getreu ist. Ein jeder meiner Tage wird in unserer Zukunft Zeungnis dafür ablegen, mein Herzgeliebter! Ja, heut abend werden wir uns sehen. – Welch süßer Gedanke! Meine ganze Schwermut schwindet. – Gott, der uns wohlwill, sucht dieser köstlichen Vereinigung jedes Wölkchen zu nehmen. Ihre Mutter wird also die meine sein! Ihr Vater wird den meinen ersetzen, den ich noch immer beweine! . . . Können Sie ermessen, wie lieb ich ihn haben werde? . . . Sagen Sie, daß Sie es wissen. Doch wird man auch mich lieb haben? – Oh, bitten Sie darum. –





An Valmore zur Zeit des Verlöbnisse

Brüssel, 1817
 
Weißt Du, Prosper, was ich in Deinem Briefe gefunden habe? – Eine Seele, die die meine erwartet hatte! . . . Gestern . . . all die Tage, die für die andern verflossen scheinen, für mich sind sie es nicht; sie umgeben mich – die Zeit hält stille, um mir Muße zu lassen, frei zu atmen – ich stürbe, wenn sie zu rasch entschwänden – Tomy, mein angebeteter Tomy! wenn mein Herz erregt ist – sieh, wie doch meine Hand bebt!
 
Ich bin glücklich. – Wie meine Seele sich bei diesem vergessenen, seit jener Zeit . . . für immer – erloschenen – Worte öffnet! Du hast es für mich in den Himmel, in diese Welt, überall . . . eingegraben. Ich werde es in Deinen Augen lesen! Wie! ist also doch das Leben das Glück? . . . Möge Dich Gott mit jener Glückseligkeit überhäufen, in der ich mich befinde: Ich weiß nicht, wo ich bin: sag es mir, mein Lieb! Ach ja, Tomy, gib acht auf mein Leben, man kann vor Freude sterben.
 
Hast Du gestern, hast Du meine Zärtlichkeit gesehen? im Schmerz, im Rausch, der ihr folgte? Oh, warum einige Stunden so heftiger Qual bereuen! Von welchem Entzücken waren sie aufgewogen. Was für eine Seele hast Du mir gegeben! Oh, ich kann wahrhaftig nicht mehr schreiben. Lebewohl, Prosper, mein Gemahl!
 
Dein Vater liebt mich sehr. In dem Maße als ich Dich – ein wenig – liebe, bin ich voll Aufmerksamkeit für ihn. Und bin ich denn nicht recht artig? Ihr werdet dann gleich meine graziöse Verbeugung sehen. Oh, laß mich doch wieder einen teuren Brief lesen, der mir das Herz verbrennt!
 
 
 
Von der fünfunddreißigjährigen und erst durch den Tot gelösten Ehe mit Prosper Valmore geben die folgenden Briefe ein Bild. Nie ist ihr Beisammenleben wirklich erschüttert gewesen, es erschien nur flüchtig bedroht durch der  beiden gegensätzliches Verhältnis zu ihrer Kunst. Prosper Valmore war (und nicht mit Unrecht) eifersüchtig auf Marcelinens Gedichte, die mit der bei ihr unbedingten Ehrlichkeit des  Gefühls immer nur ihre Liebe zu –dem ersten Geliebten, zu dem Verführer schildern, dem ihre Sinne, ihre Seele trotz aller Erniedrigungen unwandelbar treu blieben. Im geheimen hatte Prosper gehofft, nun werde er der Gegenstand ihrer Dichtung sein, und sah den Nebenbuhler, der sie schmählich verlassen, lebendig in ihrem  innern Leben, ja, die Qual war ihm auferlegt, die Verse an jenen andern und Unvergeßbaren korrigieren zu müssen. Diese Eifersucht gegen den Abwesenden und aus ihrem Herzen doch Unverjagbaren hat geradezu einen Haß gegen Marcelinens Dichtung in ihm erweckt, so daß die Gütige oft ganz der Poesie entsagen wollte. Und sie hätte es getan, wäre nicht der Zwang zur Aussage elementar in ihr gewesen.
 
Ihr wiederum bereitet Prospers Kunst schwere Stunden oder vielmehr seine Nichtkunst. Denn er ist ein schlechter Musikant, Valmore, nirgends gefällt der Pathetische auf der Bühne, ja, er wird sogar ausgepfiffen, und sie hat die anstrengende Aufgabe, gegen ein inneres Wissen, das falsche Selbstbewußtsein des armseligen Provinzkomödianten zu stützen. Erst als er von der Kunst (wie weit war er von ihr!) endlich Abschied nimmt und ein kleiner Staatsbeamter wird, schwindet die Unruhe. Dann bindet das gemeinsam verlebte Elend, das gemeinsam erlittene Unglück sie immer enger zusammen, und die Ehe verdämmert in bescheidenem Glück, obzwar ihre letzten Bekenntnisse immer über ihn hinweg an die Freundin ihrer Seele gehen und das letzte Geheimnis, die Liebe zu Olivier, nie vollkommen in ihrer Seele verlischt.




An Valmore
St. Rémi, den 22. März 1820
 
Nie mehr, mein Liebes, niemehr will ich mich von Dir trennen; das hieße, sich freiwillig das Herz ausreißen. Du kannst aber unbesorgt sein: meine Reise ist gut verlaufen. Ich bin um sechs Uhr angekommen. Vor dem Hause, das Deinen Sohn beherbergt, erwarteten mich die Amme, die Mutter, der Vater und Drapier. Ich bin nur so gerannt, sage ich Dir, ohne zu spüren, daß ich eine Nacht im Wagen zugebracht hatte. Ich habe den kleinen Liebling eine Stunde lang um mich gehabt. Er ist lebendig wie ein Fisch, alle seine Bewegungen sind so lebhaft, daß man die eifrigen und hübschen kleinen Züge kaum mit Muße betrachten kann. Sein Gesicht ist ein wahres Kaleidoskop, immer anders und immer anmutig. Seine Haut ist blendend weiß, seine Augen sind prachtvoll blau, - aber nicht so groß wie die Deinen. Der Mund steht nur im Schlafe still, aber ich habe den Kleinen nicht schlafen gesehen, und so ist mir der Mund bald groß, bald klein erschienen und von immer anderer Form. – Er hält sich ganz gerade, und wenn man ihn niederlegt, richtet er sich stolz auf seinen kleinen Händen auf, um alle Welt zu betrachten. Er nimmt seine Nahrung mit Hingabe und leert die Brust seiner Amme bis auf den letzten Tropfen. Seine Haare sind viel blonder als bei der Geburt. Er ist entzückt, wenn man ihm den Kopf streichelt; es ist ein wonniges kleines Lämmchen. Ich habe zweimal seiner Toilette beigewohnt; er erscheint mir erstaunlich groß, und er ist von tadelloser Gestalt. Ich könnte Dir stundenlang von ihm erzählen, und es würde uns noch zu wenig sein. Alles um ihn her, das ganze Häuschen, ist von herzerfreuender Sauberkeit.
 
Lieber Prosper, komm in den Ostertagen, und sieh ihn Dir an.

 


Paris, den 5. April 1827

Heut gönne ich mir einen ganzen Ruhetag, und ein großer Teil davon soll Dir gehören, mein Lieb. Ich habe Dir so viel zu sagen, so viel Liebe Dir zu geben! Deinen letzten, so wundervollen Brief habe ich gestern bei meinem Onkel in Empfang genommen; welch ein Trost ist er mir gewesen! Du mußt nicht denken, daß alles glatt geht auf dieser Reise; vor allem – ohne Dich fühle ich immer eine Leere, die ich nicht lange ertragen kann, ohne daran krank zu werden. Doch die Gewißheit, sehr bald wieder bei Dir zu sein, läßt mich diese Abweichung von meinen lieben Gewohnheiten leichter erdulden. Du weißt also nicht, wie sehr Du mein Ich bist, wie ich jetzt nur durch Dich allein lebe, nur lebe im Verlangen, bei Dir zu sein, Deine Hände, Deine Blicke zu fühlen, Deine Liebe, Deine edle und getreue Seele, Beistern meines Lebens, das ohne Dich mir unerträglich wäre! Ja, was Du mir auch gibst, ich habe genug, um es zu erwidern, und wenn Du das Glück hast, Deine Frau zu lieben, so ist es mein Glück, Dich einem ganzen Weltall vorzuziehen! Ich will nur Dich, ich liebe nur Dich. Ich bitte Dich, sprich mir nicht von Ruhmeskränzen, von Talent; sprich mir von nichts. Die Eitelkeit hat keinen Platz in meinem Herzen, das so sehr erfüllt ist von Innigkeit und Tränen, denn Du weißt, daß ich oft weine, heimlich, und nicht immer aus Kummer.

 

Grenoble, den 18. November 1832

Hoffnung und Grenoble! Und beides heute früh um sieben Uhr, mein guter Prosper; ich habe Herrn Froussard gesehen! O teile meine Freude darüber, daß er alle unsere Erwartungen übertrifft. Hippolyte wird das glücklichste von allen den Kindern sein, die fern vom Elternhause leben müssen . . . Wie undankbar bin ich, andere als Freudentränen zu vergießen . . . Doch was nützt der Vorsatz? Nein, ich fühle keine Freude. Die Sache ist viel bitterer, als ich mir je geträumt hatte . . . Mir bleibt nichts, als mich zu fügen, wie jene, die den Kopf unters Beil legen . . .
 
Dein Brief, den ich kurz vor der Abreise von Lyon erhielt, Dein letzter aus Paris – dieser Brief, mein Freund, hat mich viel weinen gemacht. Er hat mich in Zeiten von Qual und Elend zurückversetzt, die man nicht heraufbeschwören sollte, da es mir möglich war, sie zu überstehen. – Wie! Ich sollte Dich täuschen? Ich, damals so erdrückt von dem Bewußtsein, Dir Verachtung einzuflößen, bin ich es, von der Du sprichst? Sieh, ich sage es ja, man lebt wie blind dahin, an der Seite des andern, man versteht sich nicht. Sind meine Gedanken denn so undurchsichtig, mein Freund? An mir, die ich so aufrichtig, ich wage zu sagen, so naiv zu allen andern bin, an mir hast Du gezweifelt! Gezweifelt, während mein Herz gemartert war von Deiner Kälte und Deinem Überdruß an mir. Das glaube ich wenigstens! Warum sagst Du, ich liebte nicht die Einmischung Dritter in unsere Beziehungen? Kannst Du auch nur das geringste Mittel zur Annäherung zweier Wesen, die eins werden, die einander lieben und glücklich machen wollen, darin erblicken, daß man sie gegeneinander aufzubringen sucht, daß eine Mutter, erbittert, ihren kleinlichen Anspruch auf Autorität bedroht zu sehen, in ihrer Eifersucht die beiden gegeneinander hetzt? Ach, Prosper, wie traurig stimmt es, Ursachen nachzugehen, aus denen so viele unserer Tränen geflossen sind. Glaube mir, lieber Freund, es ist die Quelle, aus der Du, ohne Dein Wissen, tausend unklare Vorurteile gegen mich geschöpft hast, Du hast oft genug das recht getrübte Urteil Deiner Mutter über mich auch zu dem Deinigen gemacht. Ich ache die wirklichen Werte, die sie gehabt hat, aber sie ist, gewiß ohne böse Absicht, recht grausam zu uns gewesen. Sei Du selbst! Sieh mich, wie ich bin: Deine Dir ganz ergebene, Dir innig vertraute und, ich wage es zu sagen, Deine gute Marceline! Und Deine einzige wahre Freundin!







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