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04.3
Geschichten
Marceline
Desbordes-Valmore
Das
Lebensbild einer Dichterin
Erster
Teil: Bildnis ihres
Schicksals

Hingang
und Unsterblichkeit
»Moi
je pars, moi je passe
Comme
à travers les champs un filet
d'eau s'en va;
Comme
un oiscau s'enfuit, je m'en vais
dans l'espace
Chercher
l'immense amour, où mon cœur
s'abreuva.«
Sie
ist nun eine alte Frau,
allein in der Welt. Armut und Trauer umschnüren ihr enges Schicksal mit
schwarzem Rand. Das Feld ihres Lebens ist nach sechzig Jahren Mühe
brach
geblieben. Umsonst hat die Pflugschar des Leidens ihr Leben
durchpflügt, Sturm
hat alle Saaten verweht. Eine letzte Freundin hat sie noch, und der
schreibt
sie in diesem Jahr das Geheimnis ihrer Entrücktheit: »Höre mich an, ich
bin
heute in die Kirche gegangen und habe dort acht Kerzen angezündet, acht
Kerzen,
arm wie ich selbst. Sie waren für acht Seelen, für meine Seele, für
Vater,
Mutter, Bruder, Schwestern und Kinder. Ich habe sie brennen gesehen und
verbrennen und glaubte sterben zu müssen. Ich sage es nur Dir allein:
es war
ein Besuch bei Gott.« Aber bald hat sie niemand mehr für vertrautes
Wort, auch
diese, die Letzte, Pauline Duchambge, geht ihr voraus. Nur zu Ihm, der
nicht
antwortet und doch alles hört, geht jetzt ihre Klage. Alle Verse, die
Marceline
Desbordes-Valmore noch schreibt, die letzten begnadetsten Gedichte sind
Zwiesprache mit Gott. Sie hebt ihr tränenüberströmtes Antlitz zum
Himmel empor,
um die Erde nicht mehr zu sehn, die alles Leben von ihr getrunken hat.
Sie hat
längst Abschied genommen:
»Tous
mes étonnements sont
finis sur la terre,
Tous
mes adieux sont faits, l'âme est
prête à jaillir.«
Jeder
Tag ist ihr zur Last,
und die sechzig Jahre stillen Leidens drängen sie nun ungestüm weg aus
dieser
vereinsamten Welt. Niemandem ist nun ihre Liebe, die unendliche, zu
Dienst, und
so fühlt sie sich ohne Sinn. Aus der Resignation wird Ungeduld, jede
Stunde
zwischen Menschen und Häusern Qual:
»De
chaque jour tombé mon épaule est
plus légère.«
Abgekehrt
ist ihr Blick von
dieser Welt und nur einzig in die Ferne gerichtet, in Zukunft und
Vergangenheit.
So
sieht sie Michelet »ivre
d'amour et de mort«, trunken von Liebe und von Tod. Und aus dieser
Trunkenheit
entstehen ihre letzten Gedichte, die schon ganz entirdischt und von
Gottesgefühl magisch durchleuchtet sind wie das Dunkel einer Kirche von
farbig
gebrochenem Sonnenlicht. Alles hat ihr das Leben entwenden können, nur
nicht
die Glut des Gefühls. Aber nicht wie eine Fackel flattert sie mehr in
Leidenschaft, sondern brennt fromm und windstill wie ein ewiges Licht.
»Mon âme
n'est pas éteinte, elle est montée plus haut.« Durch die immer dünnere
Hülle
ihrer Körperlichkeit glüht heißer die Seele durch, kaum ist sie selbst
es noch,
die spricht. Immer ist sie in diesen Versen die schon Aufsteigende, die
schon
Befreite, immer schon nahe bei Gott und nahe seinem Herzen. Schauernd
reicht
sie ihm die »Couronne effeuillée« ihres Geschicks zurück:
»J'irai,
j'irai porter ma
couronne effeuillée
Au
jardin de mon père où revit toute
fleur;
J'y
répandrai longtemps mon âme
agenouillée:
Mon
père a des secrets pour vaincre la
douleur.
J'irai,
j'irai lui dire, au moins avec
mes larmes:
»Regardez,
j'ai souffert ...« Il me
regardera,
Et
sous mes jours changés, sous mes
pâleurs sans charmes,
Parce
qu'il est mon père il me
reconnaîtra.
Il
dira: »C'est donc vous, chère âme désolée!
La
terre manque-t-elle à vos pas égarés?
Chère
âme, je suis Dieu: ne soyez plus
troublée;
Voici
votre maison, voici mon cœur,
entrez!«
O
clémence! ô douceur! ô saint refuge! ô
Père!
Votre
enfant qui pleurait vous l'avez
entendu!
Je
vous obtiens déjà
puisque je vous espère
Et
que vous possédez tout ce que j'ai
perdu.
Vous
ne rejetez pas la fleur qui n'est
plus belle;
Ce
crime de la terre au ciel est
pardonné.
Vous
ne maudirez pas votre enfant
infidèle,
Non
d'avoir rien vendu, mais d'avoir tout
donné.«
Ein
Jahr noch weilt, sie,
nur mit den Sinnen, auf der Welt, der sich ihr Gefühl längst entwand.
Und
endlich, am 23. Juli 1859, nimmt sie der Tod zu sich. Auf dem hohen
Friedhof
von Montmartre wird sie begraben, nahe bei Heinrich Heines Ruhestatt,
und in
Douai, dort in dem kleinen grauen Kirchlein, in dem sie die Taufe
empfangen und
als Mädchen gespielt, spricht der Priester für ihre Seele das letzte
Gebet.
Aber in der dunklen und erhabenen Kathedrale des Ruhms lesen alle
großen
Dichter Frankreichs ihr die Totenmesse. Baudelaire, Samain, Victor
Hugo,
Anatole France, jeder sagt seine Litanei der Liebe als Dank für die
ihre, jeder
spricht ihrer großen Seele dichterisches Gebet, und das schönste
vielleicht
Verlaine:
»Telle
autre gloire est, j'ose dire,
plus fameuse,
Dont
l'éclat éblouit mieux encore qu'il
ne luit:
La
sienne fait plus de musique que de
bruit,
Bien
que de pleurs brûlants écumeuse et
fumeuse.
Mais
la bonté du cœur, mais l'âme haute
et pure
Tempèrent
ce torrent de douleur et
d'amour
Et,
se mêlant à la douceur de la nature,
A
sa
souffrance aussi, de nuit comme de
jour
Promènent
sous le ciel tout pluie et
tout soleil
A
chaque instant, avec à peine des
nuances,
Un
large fleuve harmonieux de confiances
Vives
et de désespoirs lents, et, non
pareil.
Il
chante, l'ample fleuve au capricieux
cours,
L'hymne
infini de toute la tendresse
humaine
Où
la
fille et l'amante et la mère ont
leurs tours,
Où
le
poète aussi, dans l'horreur qui
nous mène,
Vient
mêler son sanglot qui finit en prière
Universelle,
et la beauté même d'un art
Issu
du sang lui-même et de la vie
entière,
Rires,
larmes, désirs et tout, comme au
hasard.«
Jeder
hat seine Flamme des
Gedichts entzündet an der ihren, und so reicht eine leuchtende Kette
von Versen
von ihrer Welt herüber bis zu unserer Zeit. Allmählich erst blinkt Ruhm
auf
ihrem vergessenen Namen. Ihre Briefe entdecken die heroische Tragödie,
die ihr
unscheinbares, geknechtetes Leben selbst den Nächsten verschwieg, und
weisen
eine beispiellose Harmonie der Dichtung und des Lebens, einen Zwieklang
voll
Schmerzenssüße, wie ihn kaum eine Dichterin schöner aus ihrem Schicksal
löste.
Und wir erst, die Späteren, erkennen ehrfurchtsvoll das höchste
Geheimnis ihres
Lebens und ihrer Kunst, die edelste Formel des Dichters: das Leiden
müde zu
machen durch unendliche Liebe und die Klage tönend durch ewige Musik.
oben


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