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Literatur


04.3



Adine Gemberg


Morphium  - Novellen
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Morphium - Seite 2

Erleichtert athmete Lydia auf. Es that ihr unsagbar wohl, verstanden zu werden. Nur Verurtheilung Ihrer Leidenschaft, im günstigsten Falle Mitleid mit einem krankhaften Zustande hatte sie überall angetroffen, wo sie es je gewagt hatte, leise Andeutungen über die Erbitterung zu machen, die sie oft empfand, wenn es ihr fast unmöglich erschien, sich Morphium zu verschaffen. Die Aufregung dieser Erbitterung brachte sie dann zuweilen zum Sprechen.

«Sie finden also meine Schwäche nicht unbedingt unmoralisch, Herr Doctor?» fragte die junge Frau.

«Im Gegenteil,» antwortete er lebhaft.» Alle Religionsstifter der Welt empfehlen den Menschen, ihre Leidenschaften zu bekämpfen. Die natürliche Beschaffenheit unserer Nerven setzt diesen Bestrebungen unüberwindliche Hindernisse entgegen. Das Morphium allein besiegt die Leidenschaften in jeder Brust. Wenn ein neuer Prophet seinen Anhängern zur Bekämpfung ihrer natürlichen, menschlichen Triebe Morphium zur freien Verfügung stellte, so würde er bald eine Gemeinde um sich sehen, der jedes Laster fremd wäre.»

«Ich habe augenblicklich nicht genug Morphium genossen, um dem kühnen Fluge einer prophetischen Phantasie bis zu dieser Höhe folgen zu können,» bemerkte Lydia lächelnd, erstaunt den leidenschaftlich erregten Mann ansehend.

«Soll ich Ihnen geben, was etwa noch fehlt?» fragte er eifrig.

Sie nickte glückselig und sah erwartungsvoll zu ihm auf.

«Wie viel Procent gebrauchen Sie, gnädige Frau?»

«Sechs,» gestand sie mit ängstlichem Zögern.

«Da steht Ihnen also noch manche herrliche Steigerung bevor,» sagte er seufzend und zog aus seiner Brusttasche ein kleines Glas. Wie wenig er ihr gab, das war ja fast nichts — ah diese Enttäuschung — ! War das ein Scherz oder — — —

Da ging es wie ein Ruck durch all ihre Nerven — wie ein Schlag traf die unbekannte starke Lösung ihr Gehirn. Sie griff nach der Stirn und dann nach der Brust. Es rieselte ihr unter der Haut wie Sand, ein angstvolles Unbehagen erfaßte sie.

Er sah, wie kalte Schweißtropfen auf ihre Stirn traten und wie ihr Gesicht sich entfärbte. «Habe ich Ihnen zu viel gegeben, gnädige Frau?» fragte er.

«Nein,» stammelte sie halb bewußtlos, «bitte beobachten Sie mich nicht, es wird mir schon wieder wohl — sehr wohl.» —

Ihre Hände zitterten, wie sie das sagte, wie aus weiter, weiter Ferne hörte sie ihre eigene Stimme — die Steigerung des Genußes! —

«Ich schreibe ein Buch über den Mißbrauch der verschiedenen Narkotica und mache zu dem Zwecke meine Beobachtungen, bitte entschuldigen Sie daher den indiscreten ärztlichen Blick,» sagte er höflich.

«Ein Buch?» Sie nahm alle Willenskraft zusammen, um zu sprechen, als sei nichts geschehen. Er sollte nicht denken, die Dosis sei zu stark für sie gewesen; sie wußte nicht, daß sie den Ehrgeiz recht viel vertragen zu können, mit all ihren Leidensgenossen theilte.

«Ein Buch,» — wiederholte sie noch einmal langsam und mit schwerer Zunge. Es war ihr, als hätte sie Sand im Munde, sie konnte kaum sprechen, aber sie sprach nun doch. «Wollten Sie Ihrer ärztlichen Thätigkeit nicht entsagen, sagten Sie das nicht kürzlich?»

«Nein,» entgegnete er, vorläufig muß ich noch als Assistenzarzt in der Nervenheilanstalt thätig sein. Ich habe keine Privatpraxis, und der Chef läßt mir so viel freie Zeit wie möglich. Er interessiert sich selbst für meine Arbeit, zu der mir meine Erfahrungen in seiner Anstalt den Stoff bieten. Nach Fertigstellung meiner Broschüre werde ich allerdings meine jetzige Stellung verlassen.»

«Der Professor sagte neulich, Sie wollten Universitätslehrer werden?» O wie mühsam brachte sie die Worte über die Lippen!

«Ich will gar nichts werden,» antwortete er dumpf. «Mein Buch,» — er lachte in sich hinein, es war ein so eigenes Lachen, daß Lydia selbst in dem Taumel ihrer Sinne davon erschreckt den Kopf hob.

«Nun was ist denn mit ihrem Buche, weshalb lachen Sie?»

«Ach, Verzeihung, es kann ja niemand wissen, wie komisch ich mir das denke, wenn einmal, natürlich nach meinem Tode, der kluge Professor, der den Morphinismus mit allen Waffen der Wissenschaft bekämpft, das Werk seines ehemaligen Assistenten lesen wird.»

«Aber weshalb schreiben Sie denn das Buch, wenn Sie den Standpunkt der anderen Nervenärzte nicht zu theilen vermögen?» fragte Lydia, sichtlich unangenehm berührt von dem sonderbaren Benehmen ihres Gefährten.

«Mein Buch wird ein wissenschaftlicher Protest gegen das Verbot des freien Verkaufes der narkotischen Mittel,» sagte er nun beinahe feierlich. «Persönlich leide ich nicht unter diesem Verbote, denn ich bin Arzt, aber ich kenne die Verzweiflung und den Jammer des Morphinisten, der sich der Unmöglichkeit gegenüber sieht, sich Morphium zu verschaffen. Anständige, hochachtbare Leute greifen in ihrer Verzweiflung zu den ehrlosesten Mitteln, und von diesem Jammer will ich sie zu erlösen versuchen. Ich habe ein Material gesammelt, welches entsetzliche Schlaglichter auf diese Zustände wirft. Gegen das Versprechen ihnen zu helfen, für ein einziges Rezept haben zahlreiche Unglückliche mir gebeichtet. Ach — ich weiß, wie tief sich einige, sonst reine, unnahbare Naturen gedemüthigt haben, um durch Bestechung, durch Betrug, einerlei wie, zu dem zu gelangen, was sie bedürfen, wie der Hungrige Brot bedarf, um sich zu erhalten.»

Sie erhob sich halb und sah mit gefalteten Händen zu ihm herab. «Sie wollen helfen, Sie könnten helfen — o Gott Herr Doctor, nein, nein, Sie können auch den Wall von Härte und Verständnißlosigkeit nicht niederreißen, an dem Tausende rütteln und an dem Alle, Alle ohnmächtig abprallen.»

«Ob ich es kann, weiß ich allerdings nicht, aber ich will es wenigstens versuchen», sagte er, etwas zur Seite rückend, so daß sie wieder Platz nehmen konnte.

«Ich will wenigstens vor der Welt die dunklen Wege erhellen, auf die man mit erbarmungsloser Härte eine Menge kranker Menschen gedrängt hat. Ich will es zeigen, wohin ein Gesetz führt, das nur dazu da ist, umgangen zu werden, weil es nicht befolgt werden kann. Die ganze Kraft meiner geistigen Fähigkeiten stelle ich in den Dienst dieser Aufgabe, dieses Strebens, das mir edel und würdig erscheint, weil es dem willkürlich Unterdrückten, der nichts verbrach, zu Hülfe kommen will. Die Menschheit soll darüber aufgeklärt werden, wie weit die Bevormundung der Polizei geht, und auch Nicht-Morphinisten hoffe ich für die Frage zu interessiren, die ihnen jetzt gleichgültig ist.»

«Und dann?»

«Und dann?» Träumerisch wiederholte er die bange Frage, die sie leise aussprach. «Ja dann, gnädige Frau – zu Ende führen werde ich den Kampf nicht. Ich kann nur noch so lange leben, wie ich zu genießen vermag. Nennen Sie es Egoismus, Krankheit, Schwäche, wie Sie wollen, aber wenn einmal die Stunde kommt, in der meine Nerven aufhören zu reagieren, die Stunde, in der auch die letzte Steigerung und Komplication nicht mehr zum Genusse führt, dann lege ich die Feder aus der Hand. Mit dem Leben hört auch die Verpflichtung auf, weiter zu kämpfen.»

«Mit dem Leben?»

«Natürlich, liegt denn nicht das Ende des Lebens ebenso in unserer Hand, wie der Genuß, dem wir uns ergeben?»

Sie schauderte doch bei dieser letzten Consequenz, zu der er so leicht und ruhig gelangte. Sie befand sich ja auf demselben Wege wie er. «Das Andenken der Gerechten bleibt im Segen». — Wie Feuer tanzten die Buchstaben der Inschrift vor ihren Augen. Genuß, Genuß des Lebens, und dann das Ende. Das Leben fortwerfen, das nicht mehr bietet, tönte es neben ihr. Sie glaubte, alles drehe sich im Kreise um sie her, nur der schwarze Grabstein vor ihr stand fest in dem Wirbel, aber er glühte und flammte von der untergehenden Sonne beleuchtet, es that ihr weh, darauf niederzusehen.

Vorher hatte sie sich so leicht, so frei gefühlt, und nun dieser Schwindel und dieser Druck um die Stirn, wie von einem eisernen Bande. Das war also die Steigerung ihrer Genüsse.

«Ist das ein Lebenszweck, Genuß, nur Genuß, der sich steigert, bis er aufhört, weil der Körper versagt?» fragte sie leise.

«Gewiß, Frau Bremer, der Genuß ist ebenso gut ein Lebenszweck, wie die Arbeit,» sagte er, «es kommt nur darauf an, daß man seine moralischen Grundsätze damit in Einklang zu bringen versteht. Indirect dient so mancher ausschließlich dem Genusse des Lebens. Der Künstler schafft seinen Nebenmenschen und sich selbst geistige Genüsse, Andere wieder begnügen sich damit, sich in den Dienst des materiellen Behagens zu stellen. Es giebt aber noch ein Drittes im Menschen, das außer den groben Organen des Körpers, außer dem Geiste, fähig ist zu genießen, das sind die Nerven. Warum soll ich nicht meinen Lebenszweck darin suchen, Anderen zugänglich zu machen, was mir eine so große Befriedigung der Nerven bringt? Es haben schon Leute sich mit geringeren Aufgaben für ihr Dasein begnügt, und ich habe nicht umsonst gelebt, wenn ich auch nur einen Stoß führe, der das Gesetz in’s Schwanken bringt, das ich bekämpfe.»

«Ich wollte, ich könnte an Ihren praktischen Erfolg glauben, Sie kämpfen ja gegen eine empörende Ungerechtigkeit.»

«Der Droguest, der Arzt, selbst Krankenwärterinnen vermögen sich stets Morphium zu verschaffen. So lange es unter einigen dieser Leute Armuth und Bestechlichkeit giebt, wird das süße Gift auch käuflich bleiben, indirect käuflich, — allerdings nur um sehr hohen Preis.»

«Ich glaube auch, daß es dem Unbemittelten sehr häufig positiv unmöglich gemacht wird, die Hindernisse zu besiegen, die das Geld überwindet. Ist das nicht auch eine soziale Seite unserer Frage?» meinte Turnau.

«Der Arme hat den Alkohol,» wandte sie ein.

«Den Alkohol? Ja,» er wurde bitter, fast leidenschaftlich in seinem Ton. «Die Genußsucht des Volkes ist eben eine brutale Macht, der man nicht mit einem einfachen Verbot des Verkaufs begegnen kann. Feinere Nerven brauchen raffiniertere Genüsse. Der Alkohol verhält sich zum Morphium wie ein bluttriefender Schauerroman zu einer geistvollen psychologischen Studie. Das Leben ist so öde und traurig; die Mittel, die es erträglich machen können, sollte man nicht beschränken.»

Sie sah müde zu ihm auf. «Öde und traurig,» wiederholte sie sinnend. «Nein, ich kann das eigentlich von meinem Leben nicht behaupten; mein Mann ist sehr rücksichtsvoll und die Kinder — aber Sie, wieso finden Sie Ihr Dasein nicht nach Ihren Wünschen?»

Er antwortete nicht, und sie empfand es unbehaglich, daß sie den jungen Mann beinah zu einem persönlichen Vertrauen aufgefordert hatte, das er ihr nicht in der freundschaftlichen Weise entgegenbrachte, in welcher er sich bisher gegen sie ausgesprochen hatte.

«Befinden Sie sich jetzt wohler, gnädige Frau?» fragte er nach einigen Minuten des Schweigens.

«O vollkommen wohl», versicherte sie rasch aufstehend.

Er bot ihr den Arm, und sie nahm ihn unbefangen an. Er bemerkte in diesem Augenblicke, daß sie elegant gekleidet war. Ihre Anmuth und Grazie berührten ihn sympatisch, aber es lag ihm fern, sich in das schöne Weib eines Anderen zu verlieben. Nicht sein sittliches Bewußtsein schützte ihn davor; es hatte Zeiten gegeben, wo er den Vortheil seiner Lage erkannt und benutzt haben würde, aber diese Zeiten waren vorüber. Wie eine Lähmung lag der gewaltige Einfluß des Morphiums und des Äthers auf seinen Nerven und Sinnen.

Auch Lydia, die Gattin eines älteren, pedantischen, trockenen Mannes, dachte nicht daran, daß in ihrem vertraulichen Verkehr mit dem jungen Arzte irgend etwas Unerlaubtes sein könne. Aber auch sie handelte nicht in vollem Bewußtsein tugendhafter Ehrbarkeit, sondern ebenfalls unter dem Einflusse einer krankhaften Abstumpfung ihrer natürlichen Gefühle und Triebe.

«Das Andenken der Gerechten bleibt im Segen,» sagte sie leise mit einem Abschiedsblicke nach ihres Vaters Grab.

«Wenn ich mein Vermögen der Stadt hinterlasse, bekomme ich am Ende auch einmal eine so schöne Grabschrift,» scherzte Turnau. Es war wieder das, was Lydia kokettieren mit Weltschmerz und Todesahnungen nannte. Andere urtheilten noch härter über diesen eigenthümlichen Characterzug des jungen, wohlhabenden Mannes. Man hielt ihn im allgemeinen auch nicht für so krank wie er war, und sah in dem aus seinem Wesen sprechenden Lebensüberdrusse nur die Folgen einer übermäßigen Blasiertheit, der nichts mehr genügte, was sich an Genüssen des täglichen Lebens ihm bot.

«Soll ich dafür sorgen, daß man auch Sie nach Ihrem Tode zu den Gerechten erhebt?» fragte Lydia, lächelnd auf seinen Ton eingehend.

«Es wäre unbescheiden, gnädige Frau; für einen armen Morphinisten wird sich schon noch ein demütigeres Verslein finden.» «Wohl der Menschheit, wenn jeder seine Grabschrift verdient hätte,» antwortete sie, mit einem Blick über alle die Kreuze und Steine hinschweifend, die in steinernen Lettern so viel von Liebe und Tugend zu erzählen wußten, wie man im Leben wohl selten beisammen finden wird.

Dann trat sie auf das Weihwasserbecken zu, bekreuzte sich mit dem Wasser, verließ an Turnaus Arm den Kirchhof und fuhr mit ihm zusammen in ihrem Wagen, der auf sie gewartet hatte, nach Hause.

Vor der Bremerschen Villa dehnte sich ein von Rosenbeeten unterbrochener Rasen aus, dessen Mitte ein zierlicher Springbrunnen bildete. Eine Allee von Kastanienbäumen führte zu dem etwas von der Straße zurückliegenden Gebäude und an demselben vorbei nach dem dahinter liegenden Garten.

Auf dem Kieswege unter den schattigen Bäumen spielten zwei hübsche Kinder unter der Aufsicht einer Bonne. Als sie ihre Mutter aus dem Wagen steigen sahen, wollte das junge Mädchen sie zu der Ankommenden führen, um diese zu begrüßen. Die Kinder aber hingen sich an ihre Pflegerin und steckten die Köpfe in die Falten des einfachen schwarzen Wollkleides, welches das Fräulein trug.

Die Bonne versuchte, sich von ihnen los zu machen und zeigte bei diesen lebhaften Bewegungen, in dem eng anschließenden, schlichten Kostüm eine vollendete Grazie. Sie war tadellos gewachsen, jede Bewegung war schön, so daß Turnau, der sonst wenig Sinn für weibliche Reize hatte, davon ganz betroffen war.
 
“Wer ist die junge Dame?” fragte er leise.
 
“Fräulein Wagner, eine Fröbel'sche Kindergärtnerin; dann begrüßte sie die Kinder, die endlich widerstrebend, mit scheuen Blicken auf den Begleiter ihrer Mutter, herbeikamen.
 
Auch das Fräulein begrüßte jetzt die Herrin. Das Gesicht des jungen Mädchens war breit und gewöhnlich. Die Züge waren grob, selbst die freundlich blickenden grauen Augen zu klein und zu tief liegend, um dem Gesichte irgend welchen Reiz geben zu können. Trotz der schönen Gestalt war das Mächchen nicht hübsch, nur die Lippen waren blühend und roth, die Zähne glänzend weiß, und ein Ausdruck von Jugendlust, Frohsinn und Güte verklärte die ganze Erscheinung.
 
“Mein Gott, Fräulein, wie albern sich die Kinder noch immer benehmen, wenn Gäste da sind, gewöhnen Sie ihnen das doch ab,” tadelte die junge Frau.


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