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Literatur


04.3



Adine Gemberg


Morphium  - Novellen
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Morphium - Seite 3

Die Bonne schwieg, sie wußte nur zu wohl, daß die Kinder sich jedesmal weigerten, wenn sie ihre Spiele verlassen sollten, um auf einen Augenblick der Mutter zugeführt zu werden.

Mit nervöser Hast streichelte Lydia die rosigen Gesichter und die feuchten Blondhaare der Kleinen. «Wie sie erhitzt sind, ist es hier denn so heiß?» wandte sie sich wieder an Fräulein Wagner.

«Wir haben Federball gespielt, gnädige Frau, wir waren so sehr vergnügt dabei und haben uns so oft gebückt, davon sind wir so roth.»

Dabei strahlten die Augen des jungen Mädchens und der Mund schien ein schelmisches Lächeln kaum unterdrücken zu können.

«Es ist gut Fräulein, beschäftigen Sie die Kinder aber jetzt ruhiger,» entschied die todtenblasse Frau. Dann wandte sie sich mit ihrem Begleiter von der heiteren Gruppe der an das Mädchen geschmiegten Kinder ab.

«Wollen sie meinen Mann nicht noch begrüßen?» fragte sie dann den Doktor, der Hausthür zugehend.

«Es ist mir unmöglich, gnädige Frau, ich bin nicht wohl genug dazu.»

«So danke ich Ihnen um so herzlicher für Ihre Begleitung.»

«O bitte, das ist kein Umweg für mich, außerdem will ich Ihnen auch im Vertrauen gestehen, gnädige Frau, daß der kurze Aufenthalt in Ihrem Garten für mich ein Genuß war.»

«Ein Genuß? Ah — da wäre ich doch begierig.»

«Ja, auf die Gefahr hin, daß Sie mich auslachen. Es war ein Genuß für mich, Ihr neues Kinderfräulein zu sehen.»

Ein sehr erstaunter Blick der Geheimräthin suchte das junge Mädchen. «Fräulein Wagner ist vorzüglich gewachsen, sonst aber doch beinahe häßlich zu nennen,» meinte sie dann.

Doctor Turnau folgte mit einem unsagbar müden, schwermüthigen Blicke der blühenden Mädchengestalt. «Sehen Sie einmal das glatte, glänzende, natürliche Haar an, gnädige Frau.»

Lydia lachte auf. «Aber bester Doctor, dieses schlichte, glatt zusammengedrehte braune Haar ist doch etwas außerordentlich Gewöhnliches, was finden Sie denn daran so schön?»

«Die körperliche Gesundheit, die diesen Haarwuchs bedingt,» antwortete er nachdrücklich. «Ich behaupte durchaus nicht, daß diese junge Person schön sei; ich weiß auch, was schön ist, aber sie ist gesund, durch und durch gesund. Ein Hauch von Jugendfrische und Kraft umgiebt sie und macht sie reizend.»

«Wäre das etwa Ihr Geschmack?» Sie zweifelte noch immer an dem Ernst seiner Worte.

«Ich bin schon seit mehreren Jahren Kliniker,» antwortete er. «Alles, was mich umgiebt, ist krank und hinfällig. Auch unsere Pflegerinnen sind zum größten Theil überarbeitet und nervös, die meisten Collegen sind noch nicht in den gewissermaßen behaglichen Ruhestand der Privatpraxis eingetreten, sie arbeiten mit Feuereifer, keiner schont sich. Die entsetzliche Luft des Laboratoriums vergiftet uns alle. Viele von uns bedürfen auch in dieser Zeit übermäßiger, geistiger Anstrengung künstlicher Anregungsmittel. Es vergehen oft Tage, an denen ich factisch keinen einzigen normalen, gesunden Menschen sehe, — ist es da nicht erklärlich, daß ein solches Bild blühender jungfräulicher Frische und Kraft für mich etwas sehr Anziehendes hat? Bitte, sehen sie nur die rothen ausgearbeiteten Hände des Fräuleins, die leidet nicht an Blutarmuth — ah, die ist schön!»

«Ich gönne Ihnen den Anblick dieser Päonie von Herzen, lieber Freund. Möchten Sie sich dadurch veranlaßt fühlen, die Villa Bremer nicht mehr so zu vernachlässigen, wie es bisher geschah.»

«Ich werde von Ihrer gütigen Erlaubniß demnächst Gebrauch machen, gnädige Frau.»

Er berührte mit seinen Lippen einen Augenblick die wachsbleiche Hand der Morphinistin, verbeugte sich von weitem gegen Fräulein Wagner und verließ darauf den Garten.

«Bitte, liebes Fräulein, besorgen Sie mir etwas Himbeerwasser,» sagte Lydia zur Bonne, dann setzte sie sich auf einem bequemen Gartenstuhl und nahm ihr zweijähriges Töchterchen auf den Schoß.

«Der dumme Onkel» sagte der kleine Knabe, sich jetzt auch der Mutter nähernd mit einem zornigen Blick nach der Thür, hinter der soeben Doctor Turnau verschwand.

«So etwas sagen artige Kinder nicht,» tadelte die junge Frau.

Jetzt erschien die Bonne wieder mit der gewünschten Erfrischung im Garten. Hinter ihr ging der Geheimrath Bremer, ein schlanker, eleganter Mann mit schon leicht ergrauendem, dunklen Haar.

«Wie kam denn dieser blasierte Turnau dazu, Dich zu begleiten?» fragte er, neben seiner Gattin Platz nehmend. «Er hält es doch sonst für tief unter seiner Würde, ein weibliches Wesen mit seiner interessanten Unterhaltung zu beglücken.»

«Ich traf ihn zufällig auf dem Kirchhof, und wir unterhielten uns so angenehm, daß mir seine Begleitung natürlich erschien.»

«Wie kann dieser unnatürliche, gezierte Mensch eine vernünftige Frau angenehm unterhalten», sagte Bremer beinahe ärgerlich. «Unter Männern ist seine Unterhaltung gar nicht geschätzt, das kann ich Dir sagen. Jung und sorgenfrei wie er ist, sucht er etwas darin einen Pessimismus zur Schau zu tragen, der eines Greises würdig wäre, dem alles im Leben gescheitert ist. Er leugnet jeden Genuß, jeden Glauben, er leugnet die Liebe, er widerspricht der Natur — — —»

«Mit einem Worte, er ist Dir unsympathisch,» unterbrach Lydia ihren Mann.

«Gewiß, das ist er mir und vielen anderen Leuten. Gefällt Dir zum Beispiel dieses Andeuten einer geheimnißvollen Krankheit, dieses Spielen mit dem Gedanken an Tod und Grab — — —»

«Vielleicht fühlt er die Annäherung eines Gemüthsleidens.»

«Ach was, Gemüthsleiden. Davon hat er Dich wohl unterhalten? Er hat nichts zu thun, da steckt die Wurzel des Übels. Wenn er wie andere junge Ärzte des Morgens in seiner Sprechstunde sitzen und auf Patienten warten müßte, um seinen Lebensunterhalt zu gewinnen, so würde er wohl frei bleiben von seinen interessanten Ahnungen. An ihm siehst Du, daß es unter Umständen sogar ein Unglück sein kann, wenn Eltern ihrem Sohne ein Vermögen hinterlassen.»

Die kleine Lotte wurde unruhig, als sie sah, daß Fräulein Wagner mit dem größeren etwa vierjährigen Bruder fortgehen wollte, ohne sie mitzunehmen.

«Bitte, Fräulein, nehmen Sie Lottchen mit», sagte Lydia.

Die kräftigen warmen Hände des jungen Mädchens hoben die Kleine hoch empor, jauchzend legte das Kind sein Gesichtchen an ihre weiche volle Wange dann entfernten sich die Kinder mit ihrer Bonne.

«Eine allerliebste, frische Person», bemerkte der Geheimrath, «ich glaube, wir haben da einen glücklichen Griff gethan.»

«Auch Turnau fand sie reizend», sagte Lydia lachend. «Was für ein Geschmack — dieses Vollmondsgesicht!»

«So! – Turnau auch? Solch einen unverdorbenen Geschmack hätte ich diesem Wüstling nicht zugetraut», meinte Bremer nachdenklich. «Nun, er wird keine Gelegenheit haben, ihr etwas in den Kopf zu setzen; sonst wäre das Mädchen am Ende dumm genug, ihr Herz an diesen abgelebten Egoisten zu verlieren.»

«Was für eine Idee!»

Lydia fand den Gedankengang ihres Mannes unbegreiflich trivial. Warum sollte es denn nicht möglich sein, daß ein junges Mädchen einem Manne gefiel, ohne daß das Herz dabei gleich in Frage kam.

Sie schwieg und trank ihr ganzes Glas Limonade leer, denn die Nachwirkung des Morphiums ist Durst.

Ein Diener brachte dem Geheimrath Zeitungen und Briefe. Bald war der Hausherr in seine Lectüre vertieft, während die junge Frau sich leise erhob, um ihr Zimmer aufzusuchen. Dort vertauschte sie ihre Straßentoilette mit einem bequemen Hauskleide und legte sich nieder, einer bleiernen Müdigkeit, die in ihren Gliedern lag, nachgebend.


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