Die
Bonne schwieg, sie wußte nur zu wohl, daß die Kinder sich jedesmal
weigerten, wenn sie ihre Spiele verlassen sollten, um auf einen
Augenblick der Mutter zugeführt zu werden.
Mit
nervöser Hast streichelte Lydia die rosigen Gesichter und die
feuchten Blondhaare der Kleinen. «Wie sie erhitzt sind, ist es hier
denn so heiß?» wandte sie sich wieder an Fräulein Wagner.
«Wir
haben Federball gespielt, gnädige Frau, wir waren so sehr vergnügt
dabei und haben uns so oft gebückt, davon sind wir so roth.»
Dabei
strahlten die Augen des jungen Mädchens und der Mund schien ein
schelmisches Lächeln kaum unterdrücken zu können.
«Es
ist gut Fräulein, beschäftigen Sie die Kinder aber jetzt ruhiger,»
entschied die todtenblasse Frau. Dann wandte sie sich mit ihrem
Begleiter von der heiteren Gruppe der an das Mädchen geschmiegten
Kinder ab.
«Wollen
sie meinen Mann nicht noch begrüßen?» fragte sie dann den Doktor,
der Hausthür zugehend.
«Es
ist mir unmöglich, gnädige Frau, ich bin nicht wohl genug dazu.»
«So
danke ich Ihnen um so herzlicher für Ihre Begleitung.»
«O
bitte, das ist kein Umweg für mich, außerdem will ich Ihnen auch im
Vertrauen gestehen, gnädige Frau, daß der kurze Aufenthalt in Ihrem
Garten für mich ein Genuß war.»
«Ein
Genuß? Ah — da wäre ich doch begierig.»
«Ja,
auf die Gefahr hin, daß Sie mich auslachen. Es war ein Genuß für
mich, Ihr neues Kinderfräulein zu sehen.»
Ein
sehr erstaunter Blick der Geheimräthin suchte das junge Mädchen.
«Fräulein Wagner ist vorzüglich gewachsen, sonst aber doch beinahe
häßlich zu nennen,» meinte sie dann.
Doctor
Turnau folgte mit einem unsagbar müden, schwermüthigen Blicke der
blühenden Mädchengestalt. «Sehen Sie einmal das glatte, glänzende,
natürliche Haar an, gnädige Frau.»
Lydia
lachte auf. «Aber bester Doctor, dieses schlichte, glatt
zusammengedrehte braune Haar ist doch etwas außerordentlich
Gewöhnliches, was finden Sie denn daran so schön?»
«Die
körperliche Gesundheit, die diesen Haarwuchs bedingt,» antwortete
er nachdrücklich. «Ich behaupte durchaus nicht, daß diese junge
Person schön sei; ich weiß auch, was schön ist, aber sie ist
gesund, durch und durch gesund. Ein Hauch von Jugendfrische und Kraft
umgiebt sie und macht sie reizend.»
«Wäre
das etwa Ihr Geschmack?» Sie zweifelte noch immer an dem Ernst
seiner Worte.
«Ich
bin schon seit mehreren Jahren Kliniker,» antwortete er. «Alles,
was mich umgiebt, ist krank und hinfällig. Auch unsere Pflegerinnen
sind zum größten Theil überarbeitet und nervös, die meisten
Collegen sind noch nicht in den gewissermaßen behaglichen Ruhestand
der Privatpraxis eingetreten, sie arbeiten mit Feuereifer, keiner
schont sich. Die entsetzliche Luft des Laboratoriums vergiftet uns
alle. Viele von uns bedürfen auch in dieser Zeit übermäßiger,
geistiger Anstrengung künstlicher Anregungsmittel. Es vergehen oft
Tage, an denen ich factisch keinen einzigen normalen, gesunden
Menschen sehe, — ist es da nicht erklärlich, daß ein solches Bild
blühender jungfräulicher Frische und Kraft für mich etwas sehr
Anziehendes hat? Bitte, sehen sie nur die rothen ausgearbeiteten
Hände des Fräuleins, die leidet nicht an Blutarmuth — ah, die ist
schön!»
«Ich
gönne Ihnen den Anblick dieser Päonie von Herzen, lieber Freund.
Möchten Sie sich dadurch veranlaßt fühlen, die Villa Bremer nicht
mehr so zu vernachlässigen, wie es bisher geschah.»
«Ich
werde von Ihrer gütigen Erlaubniß demnächst Gebrauch machen,
gnädige Frau.»
Er
berührte mit seinen Lippen einen Augenblick die wachsbleiche Hand
der Morphinistin, verbeugte sich von weitem gegen Fräulein Wagner
und verließ darauf den Garten.
«Bitte,
liebes Fräulein, besorgen Sie mir etwas Himbeerwasser,» sagte Lydia
zur Bonne, dann setzte sie sich auf einem bequemen Gartenstuhl und
nahm ihr zweijähriges Töchterchen auf den Schoß.
«Der
dumme Onkel» sagte der kleine Knabe, sich jetzt auch der Mutter
nähernd mit einem zornigen Blick nach der Thür, hinter der soeben
Doctor Turnau verschwand.
«So
etwas sagen artige Kinder nicht,» tadelte die junge Frau.
Jetzt
erschien die Bonne wieder mit der gewünschten Erfrischung im Garten.
Hinter ihr ging der Geheimrath Bremer, ein schlanker, eleganter Mann
mit schon leicht ergrauendem, dunklen Haar.
«Wie
kam denn dieser blasierte Turnau dazu, Dich zu begleiten?» fragte
er, neben seiner Gattin Platz nehmend. «Er hält es doch sonst für
tief unter seiner Würde, ein weibliches Wesen mit seiner
interessanten Unterhaltung zu beglücken.»
«Ich
traf ihn zufällig auf dem Kirchhof, und wir unterhielten uns so
angenehm, daß mir seine Begleitung natürlich erschien.»
«Wie
kann dieser unnatürliche, gezierte Mensch eine vernünftige Frau
angenehm unterhalten», sagte Bremer beinahe ärgerlich. «Unter
Männern ist seine Unterhaltung gar nicht geschätzt, das kann ich
Dir sagen. Jung und sorgenfrei wie er ist, sucht er etwas darin einen
Pessimismus zur Schau zu tragen, der eines Greises würdig wäre, dem
alles im Leben gescheitert ist. Er leugnet jeden Genuß, jeden
Glauben, er leugnet die Liebe, er widerspricht der Natur — — —»
«Mit
einem Worte, er ist Dir unsympathisch,» unterbrach Lydia ihren Mann.
«Gewiß,
das ist er mir und vielen anderen Leuten. Gefällt Dir zum Beispiel
dieses Andeuten einer geheimnißvollen Krankheit, dieses Spielen mit
dem Gedanken an Tod und Grab — — —»
«Vielleicht
fühlt er die Annäherung eines Gemüthsleidens.»
«Ach
was, Gemüthsleiden. Davon hat er Dich wohl unterhalten? Er hat
nichts zu thun, da steckt die Wurzel des Übels. Wenn er wie andere
junge Ärzte des Morgens in seiner Sprechstunde sitzen und auf
Patienten warten müßte, um seinen Lebensunterhalt zu gewinnen, so
würde er wohl frei bleiben von seinen interessanten Ahnungen. An ihm
siehst Du, daß es unter Umständen sogar ein Unglück sein kann,
wenn Eltern ihrem Sohne ein Vermögen hinterlassen.»
Die
kleine Lotte wurde unruhig, als sie sah, daß Fräulein Wagner mit
dem größeren etwa vierjährigen Bruder fortgehen wollte, ohne sie
mitzunehmen.
«Bitte,
Fräulein, nehmen Sie Lottchen mit», sagte Lydia.
Die
kräftigen warmen Hände des jungen Mädchens hoben die Kleine hoch
empor, jauchzend legte das Kind sein Gesichtchen an ihre weiche volle
Wange dann entfernten sich die Kinder mit ihrer Bonne.
«Eine
allerliebste, frische Person», bemerkte der Geheimrath, «ich
glaube, wir haben da einen glücklichen Griff gethan.»
«Auch
Turnau fand sie reizend», sagte Lydia lachend. «Was für ein
Geschmack — dieses Vollmondsgesicht!»
«So!
– Turnau auch? Solch einen unverdorbenen Geschmack hätte ich
diesem Wüstling nicht zugetraut», meinte Bremer nachdenklich. «Nun,
er wird keine Gelegenheit haben, ihr etwas in den Kopf zu setzen;
sonst wäre das Mädchen am Ende dumm genug, ihr Herz an diesen
abgelebten Egoisten zu verlieren.»
«Was
für eine Idee!»
Lydia
fand den Gedankengang ihres Mannes unbegreiflich trivial. Warum
sollte es denn nicht möglich sein, daß ein junges Mädchen einem
Manne gefiel, ohne daß das Herz dabei gleich in Frage kam.
Sie
schwieg und trank ihr ganzes Glas Limonade leer, denn die Nachwirkung
des Morphiums ist Durst.
Ein
Diener brachte dem Geheimrath Zeitungen und Briefe. Bald war der
Hausherr in seine Lectüre vertieft, während die junge Frau sich
leise erhob, um ihr Zimmer aufzusuchen. Dort vertauschte sie ihre
Straßentoilette mit einem bequemen Hauskleide und legte sich nieder,
einer bleiernen Müdigkeit, die in ihren Gliedern lag, nachgebend.