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Literatur


04.3



Adine Gemberg


Morphium - Novellen
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Morphium - Seite 4

II.

Die Gewohnheit des Morphiumgebrauchs hatte allmählich dahin geführt, daß Lydia Bremer mit freiem Kopfe, ohne irgend welche Nachwirkungen des Genusses erwachte, auch wenn sie am Tage vorher etwas mehr als die gewöhnliche Dosis ihres Mittels gebraucht hatte. Die Lösung aber, die ihr Turnau gegeben hatte, mußte doch wohl weit über das Maaß hinausgehen, an das sie gewöhnt war.

Sie hatte die Absicht gehabt, an Mariä Himmelfahrt das Hochamt zu besuchen, das um 9 Uhr früh statt fand. Das Stubenmädchen brachte ihr deshalb den Kaffee zu einer etwas früheren Stunde als sonst in ihr Schlafzimmer. Sie richtete sich im Bette auf, um nach dem Servierbrett zu greifen; aber als sie den Kopf vom Kissen erhob, sank sie sofort, von heftigem Schwindel erfaßt, wieder zurück. Sie empfand dabei keinen Schmerz, nur eine drückende Benommenheit des Kopfes. In rasendem Wirbel schien sich alles um sie zu drehen, Kälteschauer und Unbehaglichkeit erfaßten ihren ganzen Körper.

Sie schloß die Augen, um sich von diesem Zustande zu befreien; es war vergeblich. Vorsichtig, ohne sich aufzurichten, griff sie nun nach einer kleinen Tasche, die zwischen ihren Matratzen lag. Kaum vermochten die unsicher tastenden Hände das Morphiumglas zu entkorken. Nach dem Gebrauche des Mittels aber wurden ihre Bewegungen etwas fester, sie konnte sich aufrichten, der Schwindel ließ nach, aber so wie sonst war es doch immer noch nicht. Kurz entschlossen griff sie zum zweiten Male zum Morphium.

Nun strömte ein unendliches Wohlbehagen durch ihre Nerven. Sie streckte sich lächelnd aus, genoß mit Bewußtsein die nun eintretende eigenthümliche Leichtigkeit ihrer Glieder und richtete sich dann frisch und elastisch auf. Sie ließ das Fräulein mit den Kindern hereinkommen, erfreute sich an dem Jubel der Kleinen bei den munteren Spielen, die das junge Mädchen anzuregen verstand und schickte endlich die fröhliche Gesellschaft in den Garten, um ihre Toilette beenden zu können.

Zur gegebenen Zeit rief sie ihren Mann ab zum Kirchgang. Sie trug ein hellgraues Kleid, das zu ihrem Teint eigentlich nicht paßte. Die Taille war aber so geschickt mit weiß arrangiert, ebenso der Hut, eine Nadel von funkelnden Rubinen schloß den Spitzenkragen, so daß die Toilette doch tadellos und sogar vortheilhaft war.

«Du bist recht hübsch angezogen, Kind,» bemerkte der Geheimrath wohlgefällig, als Lydia bei ihm eintrat, «indessen finde ich, daß Du blaß und angegriffen aussiehst. Ich habe auch in letzter Zeit tüchtig gearbeitet und denke, die Erholung in Heringsdorf wird uns Allen recht gut thun. Wie würde Dir diese Wohnung gefallen?»

Er reichte seiner Frau die Photographie und den Grundriß einer kleinen Villa. «Die Wohnung ist bis zum Ende der Saison frei.»

«Es mag ganz hübsch dort sein, ich wußte aber nicht, daß Du so bald reisen kannst.»

«Die Saison ist schon halb zu Ende, Lydia, bist Du etwa mit Deiner Toilette noch nicht ganz reisefertig?»

Sie schien zu überlegen. «Für die Kinder wäre noch einiges anzuschaffen, für mich weniger, ich möchte auch dem Fräulein etwas Garderobengeld für die Reise geben.» —

«Brauchst Du vielleicht Geld?»

«Nicht viel, fünfhundert Mark werden für den Augenblick genügen.»

Er gab ihr das Geld und sie sagte, daß sie gleich nach der Kirche noch einige Besorgungen machen wolle.

«Aber überanstrenge Dich nicht, ziehe das Fräulein zu Deiner Hülfe heran,» bat er.

Während des Gottesdienstes ruhten die Blicke des fürsorglich liebenden Mannes oft auf dem zarten Gesichte der jungen Frau. Er wußte, daß ihr der Hausarzt wegen häufiger Migräne-Anfälle ab und zu den Gebrauch der Morphiumspritze gewährt hatte. Dabei war er aber fest überzeugt, daß dieses Mittel nur durch die Hand des Arztes und mit dessen Einverständniß gebraucht würde. Daran, daß seine Frau das Morphium selbst und heimlich gebrauchen könne, dachte er nicht.

Der alte Medicinalrath, der seinem Hause ein lieber Freund war hatte ihm gesagt, daß eng zusammengezogene Pupillen und breite glanzlose Iris der Augen ein untrügliches Zeichen des Morphinismus seien. An die Complication mit Atropin hatte der gute alte Herr selbst nicht gedacht und so wurde auch er durch die dunkel leuchtenden Augen der Kranken getäuscht.

Bremer war fest überzeugt, daß seine Frau krank sei. Das schlaffe, gleichgültige Sich gehen lassen, welches er seit einiger Zeit an ihr bemerkte, widersprach ihrem sonstigen Wesen durchaus. Ehe er aber einen Specialarzt für Nervenleiden zu Rathe zog, beschloß er noch einmal eingehend mit dem Medicinalrath zu sprechen.

Nach der Kirche trennte sich der Geheimrath von seiner Frau. Er hatte einige Besuche zu machen, und Lydia ging, um Einkäufe zu besorgen nach der belebtesten Straße, wo sich die größten Läden befanden.

Ohne einen Blick auf die Auslagen in den Fenstern zu werfen, eilte sie vorwärts. Bald bog sie in einen weniger belebten Seitenweg ein, durchschritt eine öffentliche Promenade und betrat einen Stadttheil, in dem ihre elegante Erscheinung überall auffiel. Sie befand sich zwischen langen Reihen hoher unschöner Häuser, die alle viele Fenster hatten und von vielen Menschen bewohnt wurden. Zuletzt trat sie in den Thorweg einer Bierbrauerei, ging durch das Vorderhaus über den Hof, zwischen Fässern und Rollwagen hindurch nach dem Quergebäude.

Sie drückte den Elfenbeingriff ihres weißen Spitzenschirmes fest an die Brust, schob den Schleier vom Gesicht zurück und stieg mit fliegendem Athem und zitternden Knieen in nervöser Hast die schmale halbdunkle steile Treppe hinauf.

Bei jedem Stockwerk wurden die Entreethüren niedriger, beengter, schmutziger. Nach drei Treppen hörten die abgeschlossenen Wohnungen überhaupt auf. Eine Menge Thüren mündeten in einen engen, langen Gang. Es war unerträglich schwül in diesem Treppenhause, aus jeder der zahlreichen Wohnungen drangen Küchendämpfe und Lärm heraus. Es roch nach Kaffee, nach angebranntem Fett, nach trocknender Wäsche, nach Seife – vor allen Dingen aber nach Menschen, nach zusammengedrängten, armen, schmutzigen Menschen. An vielen Thüren befanden sich Visitenkarten mit dem Namen des Zimmerbewohners.

«Friedrich Rast,» stand auf einer dieser Karten zu lesen. Lydia klopfte mit ihrem Schirm an die Thür. Ein junger Mann öffnete ihr und ließ sie ein.

Das Zimmer war ganz nett und freundlich möbliert: Ein Sopha mit braunem Ripsüberzuge, zwei Schränke von hellem Holz, ein Spiegel zwischen den Fenstern, ein kleiner Teppich, auf einer Kommode eine Uhr und zwei Leuchter. Das Stübchen schien für den Empfang eines Besuches aufgeräumt worden zu sein, denn es lag nichts von den Sachen des Bewohners umher. Eine halb offene Thür ließ ein ebenfalls gut eingerichtetes Schlafzimmer sehen. An den Fenstern waren saubere Gardinen und einige blühende Pflanzen. Die Aussicht über ein freies Feld und eine Reihe Bäume entschädigte für die Häßlichkeit, die der Eingang bei der Wohnung bot. Der Inhaber dieser Stuben, ein junger Mensch von etwa zwanzig Jahren, war sorgfältig, wenn auch nicht elegant gekleidet.

«Gott sei Dank, daß Sie da sind Herr Rast,» sagte Lydia und sank erschöpft auf das kleine weiche Sopha nieder.

«Der Dienstmann hat alles richtig an mich telefoniert, gnädige Frau,» antwortete Friedrich Rast lächelnd. «Mein durchreisender Vater wünscht mich zu sprechen, der Provisor hat mich daraufhin beurlaubt, hier bin ich, und auf meinem bescheidenen Sopha sitzt ja nun auch mein ehrwürdiger Alter.»

«Lassen Sie die Scherze, Herr Rast, ich bin sehr aufgeregt und habe es eilig. Mein Mann hat unsere Abreise früher angesetzt, und mein Vorrath reicht höchstens noch drei oder vier Tage. Ich brauche mindestens zwölf Gramm für die Saison in Heringsdorf. Rechnen Sie doch – sechs Gramm geben ein Fläschchen für hundert Einspritzungen, eigentlich bekommt man aber nur etwa achtzig heraus, durchschnittlich brauche ich vier am Tage, also in drei Wochen ein Fläschchen, das macht zwölf Gramm in sechs Wochen.»

«Zwei Gramm jede Woche, das ist zu viel, gnädige Frau.»

«Was geht Sie denn das an? Hier sind Einhundertundzwanzig Mark, das Gramm zu zehn Mark gerechnet; bei unserer Medicinaltaxe von sechzig Pfennigen für das Gramm können Sie doch mit dem Geschäfte zufrieden sein.»

Der junge Apotheker schob fünf von den Goldstücken mit verlegener Miene zurück. «Ich habe nur zwei Gramm. — —»

«Aber Herr Rast! » Lydia wurde todtenbleich und sah den jungen Mann so entsetzt an, daß er einiges Mitleid empfand.

«Ich habe wahrhaftig nicht die Absicht, Ihnen Schwierigkeiten zu machen, Frau Geheimräthin,» aber heute war es nicht möglich. Es fehlt eine Menge von hundert bis hundundfünfzig Gramm in der Apotheke. Der Chef hat gerast und getobt und uns Alle Morphiomanen genannt. Einer von uns muß es ja am Ende auch sein, denn ich habe noch nie mehr als zehn Gramm auf einmal genommen. Es giebt gewiß unter uns Apothekern ebenso viele Morphiumsüchtige wie unter den Ärzten. Vielleicht aber bin ich auch nicht der Einzige, der das Mittel heimlich verkauft, — die Versuchung ist ja so groß. »

Ein Zug, wie von körperlicher Qual trat auf Lydias Gesicht. «Herr Rast, denken Sie noch an den Abend, wo Sie auf der Brücke hinter dem Theater standen?» fragte sie mühsam.

«Ja, ich denke daran, so oft sich mein Gewissen regt über das, was ich für Sie thue, gnädige Frau. Meine Schulden betrugen damals nur etwa hundert Mark, aber ich habe acht Geschwister, ich hätte doch diese Schulden nicht machen dürfen. Das kleine Kolonialwarengeschäft meines Vaters ernährt kaum die Familie. Anstatt von meinem ersten Gehalt nach Hause abzugeben, was ich dank Ihrer Güte jetzt kann, mußte ich von meinem armen Vater hundert Mark fordern, die er mir natürlich nicht geben konnte. Es war hart— eine furchtbare Strafe für meinen Leichtsinn.» ——

«Ich habe Sie damals vor einem Schritte der Verzweiflung bewahrt, wollen Sie mich dafür jetzt verzweifeln lassen, Herr Rast?»

«Aber Frau Geheimräthin, verzweifeln Sie denn, wenn Ihre Morphiumquelle einmal versagt?»

«Ja,» antwortete sie dumpf. «Ohne Morphium muß ich verzweifeln. O, mein Gott, man giebt doch den Ärmsten Almosen, warum versagt man dem Kranken das, was ihm Lebensbedürfniß, was ihm nöthiger ist als das tägliche Brot!»

«Es liegt eine große Härte in dem Verbot des Verkaufs,» sagte der junge Mann mitleidig. «Es ist auch eine ganz unnütze Härte, denn sie dient nur dazu, die Verkäufer in Versuchung zu führen und die Kranken zu Lug und Trug zu veranlassen. Ist es nicht eine Schmach, daß eine Dame wie Sie, gnädige Frau, in dieses Haus kommen muß, um so einen armen Teufel wie mich für eine Handlung zu bezahlen, die meine Existenz kosten kann?»

«Ja, es ist eine Erniedrigung, eine Schande für uns Beide, für Hunderte außer uns, aber wir können die Ungerechtigkeit nicht aus der Welt schaffen, die dem Einen ruhig das anvertraut, wonach sich die Sehnsucht des Anderen vergeblich verzehrt. Wenn nur der Morphiumhunger nicht immer stärler und stärker wiederkehrte bei dem, der einmal an das Reizmittel gewöhnt ist. Ich kann nicht leben wenn ich kein Morphium habe, sagen Sie mir, wie machen es Andere, die dasselbe Bedürfnis empfinden?»

«Andere fälschen Recepte!»

«Und das geht?»

«Ja, es geht oft. Die meisten Kranken greifen zu diesem Mittel, denn Wartepersonal oder Droguisten sind doch schließlich nur selten bestechlich. Noch seltener aber sind gefällige Ärzte, die das Mittel aus der Hand geben. Außerdem erhält man es auf ein gefälschtes Recept hin auch zum landesüblichen Preise, was ebenfalls die meisten Menschen berücksichtigen müssen. Natürlich werden aber in allen Apotheken die Recepte über Chloroform, Äther, Cocain, Chloral, Morphium und ähnliche Mittel genauer angesehen als andere Vorschriften.»

«Und wenn man eine Fälschung entdeckt?»

«Dann schickt in der Regel der Profisor das Recept demjenigen Arzte zu, auf dessen Namen es gefälscht wurde.»

Lydia schlug die Hände in furchtbarer Aufregung vor das Gesicht und schluchzte krampfhaft. «Ich vermöchte eine solche Schmach nicht zu überleben.»

«O, das passiert aber so oft,» meinte er gleichmüthig.

Sie starrte fassungslos vor sich hin. «Herr Rast, wie ist das, wie wird es gemacht — —Recepte zu fälschen?»

Er legte zwei abgestempelte Recepte vor sie hin. «Da sehen Sie, das sind zwei echte Recepte von zweien unserer ersten Chirurgen. Das eine lautet auf eine fünf — das andere auf eine vierprocentige Lösung. Stärkere Vorschriften sind gewöhnlich unecht. Hier haben Sie Papier und Feder, gehen sie an die Fensterscheibe und pausen Sie die beiden Recepte durch, zur Vorsicht machen Sie sich zwei Exemplare von jeder Vorschrift. Dann können Sie durch Dienstmänner oder Kinder, die Sie dafür bezahlen, die Recepte beide machen lassen. Ich kann Ihnen leicht durch Abdampfen in einem Filtrierapparat die dünnen Lösungen etwas verstärken. Aber entschließen Sie sich rasch, damit ich die Recepte in das Buch zurücklegen kann, ehe sie vermißt werden.»

Widerstrebend griff Lydia nach dem Schreibmaterial, das ihr der junge Mann anbot. Sie kam sich maßlos erniedrigt vor durch die gesetzwidrige Handlung, die sie vor diesem Zeugen zu begehen im Begriff stand.

Was mußte dieser, gesellschaftlich tief unter ihr stehende leichtsinnige junge Mensch von ihr denken — von ihr, die von dem eigenen Gatten, von allen Menschen, die sie kannte, mit Auszeichnung behandelt wurde!


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