«Aber
ich bin ein anspruchsvoller Genußmensch, ich interessiere mich für
Kunst und Wissenschaft, huldige dem Schönen unter allen Umständen,
und bin außerdem dem Morphinismus ergeben, und zwar mit Leib Und
Seele, wie Sie ja wissen.»
«Ich
auch,» sagte sie bestimmt, beinahe trotzig.
«Viele
Morphinisten gehen zu Grunde.»
«Das
weiß ich.»
«Manche
werden auch schwachsinnig, oft sogar wirklich gemüthskrank.»
«Das
weiß ich auch.»
«Und
Sie bleiben dennoch dabei?»
«Ja,
ich kann nicht davon lassen, ich will es auch nicht.»
«Nun,
Sie sind erwachsen und gebildet genug, um zu wissen was Sie thun.
Weil ich Medicin studiert habe, halte ich mich nicht für den Vormund
anderer Menschen; ebenso wenig würde ich das thun, wenn ich zufällig
Theologe wäre. Wenn Sie Ihre Lebenszeit abkürzen wollen, so sehen
Sie zu, wie Sie sich mit Ihrer Lebensphilosophie darüber abfinden.»
«Ich
habe mich mit meiner Moral darüber abgefunden, wie —, das geht
niemanden etwas an.»
«Gewiß
nicht, es giebt ja andere Gelegenheiten genug, um das Leben des
Individuums zu verlängern. Wir können als Mediciner die
Infectionskrankheiten bekämpfen, wir haben die herrlichen
Fortschritte der Chirurgie, wer leben will, dem können wir mit den
Mitteln der Wissenschaft helfen, seine Tage zu vermehren. Wer sollte
wohl darauf kommen, uns für das vom nationalöconomischen
Standpunkte geringfügige Unglück verantwortlich zu machen, daß
eine beschränkte Anzahl von Menschen mit klarem Willen und vollem
Bewußtsein die Lebenszeit abkürzt, die ihnen an sich zugemessen
ist!»
«Jeder
Apothekerlehrling hält sich für verantwortlich wegen dieses
Unglückes,« sagte sie bitter. »Wenn man da die äußerste
Consequenz ziehen wollte, müßte man jeden Schankwirth bestrafen, in
dessen Local sich allnächtlich eineAnzahl Leute mit Branntwein
vergiften.«
«Ah
— das souveräne Volk — dem muß man die Freiheit schon lassen.»
«Man
wird sie auch einst dem Gebildeten lassen, der den verfeinerten Genuß
sucht, unseren Genuß, nicht wahr, Frau Bremer?»
«Vorläufig
scheint mir dazu sehr wenig Hoffnung vorhanden zu sein,» sagte sie
traurig.
«Ich
habe heute eine entsetzliche Enttäuschung erlebt, eine Erniedrigung,
einen Schmerz, der mich fast verzweifelt zu Ihnen getrieben hat, in
der Hoffnung Verständniß und Hülfe bei Ihnen zu finden.»
Auf
seinen fragenden Blick erzählte sie ihm nun von ihren Beziehungen zu
Friedrich Rast und von der unbestechlichen Tugend Ferdinand Preyers.
«Und
von den Ansichten eines solchen halbgebildeten Jungen hängt das Wohl
und Wehe einer sensitiven vornehmen Natur ab. Eine Dame,wie Sie, muß
die Vorstadtwohnung eines bestechlichen Commis aufsuchen, um eine
Gesetzesvorschrift zu umgehen, die in ihrem Widersinn schon viel
entsetzlichere Folgen gehabt hat als diese Demüthigung, unter der
Sie heute gelitten haben.»
«Noch
schlimmere Folgen?»
«Allerdings;
bitte, wollen Sie dem Freunde, dem Arzte, dem Psychologen verzeihen,
wenn ich Sie frage, würden Sie sich nicht schließlich verkaufen,
wenn Sie keine, keine andere Möglichkeit sähen, sich Morphium zu
verschaffen?»
Sie
wurde todte bleich. «Ich würde sterben, aber ich würde nicht
fallen.»
«Dann
sind Sie eben noch nicht in dem Stadium, in dem man fällt. Andere
sind aber in dieses Stadium gekommen. Das Morphiumgesetz hat schon
manche Frauenehre gekostet.»
Lydia
erhob sich. Sie fühlte das Nahen einer furchtbaren Gefahr. Der Mann,
mit dem sie allein war, konnte ihre Wünsche erfüllen, er konnte
aber auch ihre Ehre fordern. Sie hätte sich ihm nicht versagt, er
verstand sie und sie fühlte, daß sie ihn liebte.
Einen
Augenblick lang kämpfte er mit der Versuchung, das willenlose
liebliche Weib an sich zureißen und ihre Liebe zu nehmen. Ah — wie
sie wohl zu lieben verstand!
Er
sah sie an und ein müdes Lächeln erschien auf seinem Gesichte, die
leichte Erregung der Sinne war schon wieder vorüber. «Bitte, meine
gnädige Frau, verstehen Sie mich nicht falsch,» sagte er kühl.
Dann
trat er an seinen Schreibtisch und nahm eine kleine Schachtel heraus,
die er ihr gab.
«Hier
sind zehn Gramm Morphium, Ihre Mischung wissen Sie sich ja
zurechtzumachen.
Beruhigen
Sie sich jetzt, solche furchtbaren Aufregungen sind Gift für die
überempfindlichen Nerven des Morphinisten.»
«O,
Gott, wie edel Sie sind — ich danke Ihnen.»
«Nein,
danken Sie mir nicht, ich werde Ihnen ein anderes Mal ein Recept
geben, Ihre Lösung können Sie dann überall bekommen. Jetzt will
ich Ihnen noch einmal das geben, was Sie gestern bekommen haben,
damit Sie sich ganz beruhigen.»
Mit
einem Seufzer der Erleichterung und Wonne empfand sie die Wohlthat,
die er ihr zu theil werden ließ. Sie fand keine Worte, um ihm zu
danken. Schweigend ließ sie sich von ihm die Treppe herunterführen,
schweigend stieg sie in den Wagen, der sie erwartete, dann ein
Händedruck, und ein Blick, der dem erfahrenen Manne zeigte, was ihr
Herz in diesem Augenblicke empfand.
Sie
kehrte zurück zu Mann und Kindern, zurück in das Haus, dessen
Herrin sie war. Wie gleichgültig war ihr das alles, wie wenig dachte
sie daran, daß sie nahe daran gewesen war, als eine Unwürdige über
diese Schwelle zu schreiten. Eine Fremde war sie in diesen kurzen
Stunden ihrem Heim dennoch geworden. Sie hatte nun Morphium, was ihr
weder ihr Mann noch sonst jemand von ihren Angehörigen gönnte. Sie
brauchte nicht mehr um den Erwerb des köstlichen Mittels zu zittern.
Die tiefe Befriedigung und die wohlthätige Ruhe, die sie im
Gegensatze zu dem bisherigen Leben der Aufregung und Angst jetzt
empfand, dankte sie ihm, dem selbstlosen Freunde. Langsam nahm die
Erinnerung an ihn, die Dankbarkeit, die Freundschaft und Hingabe, die
sie ihm widmete, ihr ganzes Denken und Fühlen in Anspruch. Sie war
nun zufrieden, sie war ruhig und still, er hatte sie glücklich
gemacht. —