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Literatur


04.3



Adine Gemberg


Morphium - Novellen
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Morphium - Seite 6

«Aber ich bin ein anspruchsvoller Genußmensch, ich interessiere mich für Kunst und Wissenschaft, huldige dem Schönen unter allen Umständen, und bin außerdem dem Morphinismus ergeben, und zwar mit Leib Und Seele, wie Sie ja wissen.»

«Ich auch,» sagte sie bestimmt, beinahe trotzig.

«Viele Morphinisten gehen zu Grunde.»

«Das weiß ich.»

«Manche werden auch schwachsinnig, oft sogar wirklich gemüthskrank.»

«Das weiß ich auch.»

«Und Sie bleiben dennoch dabei?»

«Ja, ich kann nicht davon lassen, ich will es auch nicht.»

«Nun, Sie sind erwachsen und gebildet genug, um zu wissen was Sie thun. Weil ich Medicin studiert habe, halte ich mich nicht für den Vormund anderer Menschen; ebenso wenig würde ich das thun, wenn ich zufällig Theologe wäre. Wenn Sie Ihre Lebenszeit abkürzen wollen, so sehen Sie zu, wie Sie sich mit Ihrer Lebensphilosophie darüber abfinden.»

«Ich habe mich mit meiner Moral darüber abgefunden, wie —, das geht niemanden etwas an.»

«Gewiß nicht, es giebt ja andere Gelegenheiten genug, um das Leben des Individuums zu verlängern. Wir können als Mediciner die Infectionskrankheiten bekämpfen, wir haben die herrlichen Fortschritte der Chirurgie, wer leben will, dem können wir mit den Mitteln der Wissenschaft helfen, seine Tage zu vermehren. Wer sollte wohl darauf kommen, uns für das vom nationalöconomischen Standpunkte geringfügige Unglück verantwortlich zu machen, daß eine beschränkte Anzahl von Menschen mit klarem Willen und vollem Bewußtsein die Lebenszeit abkürzt, die ihnen an sich zugemessen ist!»

«Jeder Apothekerlehrling hält sich für verantwortlich wegen dieses Unglückes,« sagte sie bitter. »Wenn man da die äußerste Consequenz ziehen wollte, müßte man jeden Schankwirth bestrafen, in dessen Local sich allnächtlich eineAnzahl Leute mit Branntwein vergiften.«

«Ah — das souveräne Volk — dem muß man die Freiheit schon lassen.»

«Man wird sie auch einst dem Gebildeten lassen, der den verfeinerten Genuß sucht, unseren Genuß, nicht wahr, Frau Bremer?»

«Vorläufig scheint mir dazu sehr wenig Hoffnung vorhanden zu sein,» sagte sie traurig.

«Ich habe heute eine entsetzliche Enttäuschung erlebt, eine Erniedrigung, einen Schmerz, der mich fast verzweifelt zu Ihnen getrieben hat, in der Hoffnung Verständniß und Hülfe bei Ihnen zu finden.»

Auf seinen fragenden Blick erzählte sie ihm nun von ihren Beziehungen zu Friedrich Rast und von der unbestechlichen Tugend Ferdinand Preyers.

«Und von den Ansichten eines solchen halbgebildeten Jungen hängt das Wohl und Wehe einer sensitiven vornehmen Natur ab. Eine Dame,wie Sie, muß die Vorstadtwohnung eines bestechlichen Commis aufsuchen, um eine Gesetzesvorschrift zu umgehen, die in ihrem Widersinn schon viel entsetzlichere Folgen gehabt hat als diese Demüthigung, unter der Sie heute gelitten haben.»

«Noch schlimmere Folgen?»

«Allerdings; bitte, wollen Sie dem Freunde, dem Arzte, dem Psychologen verzeihen, wenn ich Sie frage, würden Sie sich nicht schließlich verkaufen, wenn Sie keine, keine andere Möglichkeit sähen, sich Morphium zu verschaffen?»

Sie wurde todte bleich. «Ich würde sterben, aber ich würde nicht fallen.»

«Dann sind Sie eben noch nicht in dem Stadium, in dem man fällt. Andere sind aber in dieses Stadium gekommen. Das Morphiumgesetz hat schon manche Frauenehre gekostet.»

Lydia erhob sich. Sie fühlte das Nahen einer furchtbaren Gefahr. Der Mann, mit dem sie allein war, konnte ihre Wünsche erfüllen, er konnte aber auch ihre Ehre fordern. Sie hätte sich ihm nicht versagt, er verstand sie und sie fühlte, daß sie ihn liebte.

Einen Augenblick lang kämpfte er mit der Versuchung, das willenlose liebliche Weib an sich zureißen und ihre Liebe zu nehmen. Ah — wie sie wohl zu lieben verstand!

Er sah sie an und ein müdes Lächeln erschien auf seinem Gesichte, die leichte Erregung der Sinne war schon wieder vorüber. «Bitte, meine gnädige Frau, verstehen Sie mich nicht falsch,» sagte er kühl.

Dann trat er an seinen Schreibtisch und nahm eine kleine Schachtel heraus, die er ihr gab.

«Hier sind zehn Gramm Morphium, Ihre Mischung wissen Sie sich ja zurechtzumachen.
Beruhigen Sie sich jetzt, solche furchtbaren Aufregungen sind Gift für die überempfindlichen Nerven des Morphinisten.»

«O, Gott, wie edel Sie sind — ich danke Ihnen.»

«Nein, danken Sie mir nicht, ich werde Ihnen ein anderes Mal ein Recept geben, Ihre Lösung können Sie dann überall bekommen. Jetzt will ich Ihnen noch einmal das geben, was Sie gestern bekommen haben, damit Sie sich ganz beruhigen.»

Mit einem Seufzer der Erleichterung und Wonne empfand sie die Wohlthat, die er ihr zu theil werden ließ. Sie fand keine Worte, um ihm zu danken. Schweigend ließ sie sich von ihm die Treppe herunterführen, schweigend stieg sie in den Wagen, der sie erwartete, dann ein Händedruck, und ein Blick, der dem erfahrenen Manne zeigte, was ihr Herz in diesem Augenblicke empfand.

Sie kehrte zurück zu Mann und Kindern, zurück in das Haus, dessen Herrin sie war. Wie gleichgültig war ihr das alles, wie wenig dachte sie daran, daß sie nahe daran gewesen war, als eine Unwürdige über diese Schwelle zu schreiten. Eine Fremde war sie in diesen kurzen Stunden ihrem Heim dennoch geworden. Sie hatte nun Morphium, was ihr weder ihr Mann noch sonst jemand von ihren Angehörigen gönnte. Sie brauchte nicht mehr um den Erwerb des köstlichen Mittels zu zittern. Die tiefe Befriedigung und die wohlthätige Ruhe, die sie im Gegensatze zu dem bisherigen Leben der Aufregung und Angst jetzt empfand, dankte sie ihm, dem selbstlosen Freunde. Langsam nahm die Erinnerung an ihn, die Dankbarkeit, die Freundschaft und Hingabe, die sie ihm widmete, ihr ganzes Denken und Fühlen in Anspruch. Sie war nun zufrieden, sie war ruhig und still, er hatte sie glücklich gemacht. —


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