lifedays-seite

moment in time

 

Meine Lizenz
 
Literatur


04.3


Adine Gemberg


Morphium - Novellen
____________________


Morphium - Seite 8

Er ging, und sie that ihre Pflicht so still und gelassen an dem Kranken, wie an alle ihren anderen Pflegebefohlenen. Ihr war die einzelne Persönlichkeit wirklich gleichgültig, sie sah in jedem Armen und Elenden nur den ihr von Gott gesendeten Bruder, in dessen Person sie dem Herrn diente. Turnau dagegen war krankhaft erregt und nervös angegriffen durch den Anblick der entsetzlichen Wunden, durch den Geruch des Blutes und die ganze ungewohnte chirurgische Thätigkeit, die an ihn herangetreten war.

Abgespannt und erschöpft, dabei in hohem Grade überreizt, kam er in seinem Zimmer wieder an. Er begab sich zur Ruhe; aber die Nacht, die er darauf zubrachte, war so, daß er sich selbst sagte, mehrere solche Nächte würden ihn dem Tode schnell entgegenführen. Die Überzeugung, daß Arbeit, Aufregung und gewaltsame Selbstüberwindung ihn ruinieren mußten, erregte ihn so, daß er der Verzweiflung nahe war. Wenn seine körperlichen Leiden jetzt rascher, als er geglaubt hatte, seine Auflösung herbeiführten, so hatte er das der Rücksichtslosigkeit seines Vorgesetzten zu danken.

Der ganze Egoismus seines Characters empörte sich bei dieser Erkenntniß. Er gerieth in eine fieberhafte Erregung. Wie oft hatte er mit dem Gedanken an das Ende gespielt, wie oft hatte er geglaubt, Sehnsucht nach dem Tode zu empfinden. Nun hatte er dem Tode ins Auge gesehen, er fühlte die Nähe der Ewigkeit, und es erfaßte ihn eine namenlose grauenhafte Angst.

«Der Tod ist der Sünde Sold.»

Immer wieder mußte er an die Nonne denken, die so ruhig und fest auf dieses kalte Wort hingewiesen hatte. Er zerbrach sich den Kopf darüber, wie der Spruch, den sie ihm zugerufen hatte, weiter hieß. Nach langem Grübeln fiel es ihm ein. —

Er, der elegante vornehme Mann, dem die Frauen stets entgegengekommen waren, hätte sich ohne Zweifel in denselben Todesqualen zu den Füßen der Schwester Clarissa winden können, wie jener Elende, der sich jetzt in ihrer Pflege befand — sie würde nichts bei seinen Leiden empfinden, sie würde nichts thun, um ihm das abzunehmen, was ihm nach ihrer Ansicht bestimmt war zu leiden. Er würde ihr gleichgültig sein, gleichgültig wie jeder Andere.

Als er ihr zuflüsterte, daß das Fortleben für den Verstümmelten wohl kaum wünschenswerth sei, hatte sie ihn angesehen, und diesen Blick konnte er nicht mehr vergessen. Die ganze Verachtung des irdischen Leides und des menschlichen Willens, gegenüber einem höhern Willen hatte in diesem Blicke gelegen. Und dabei war sie schon — statuenhaft schön — schade um solch ein Weib!

Ob wohl das blühende freundliche Mädchen, das er gestern bei Bremers bewundert hatte, im Stande wäre Mitleid, wahres menschliches Mitleid zu fühlen? Vielleicht wurde es für seine übersättigten Sinne einen ganz neuen eigenen Reiz haben, die Liebe dieses frischen Mädchens zu gewinnen. Er war ja jetzt ein stets willkommener Gast bei Bremers, da konnte er sich dem interessanten Studium dieser reinen jungfräulichen Seele ab und zu widmen. Dieser Gedanke beruhigte ihn etwas, die Spannung der Nerven löste sich, die körperliche Erschöpfung bewältigte die furchtbare Aufregung. Als der Morgen dämmerte, trat ein leichtes wohltuendes Ausruhen an die Stelle der nervösen Überreiztheit. Er dachte jetzt auch über den verhängnisvollen Schritt nach, den er gethan hatte, als er der Frau des von ihm hochgeachteten Geheimrathes heimlich Morphium gab. Würde diese Frau sich nicht wieder und wieder mit der Bitte um Morphium an ihn wenden? Es konnten ihm Unannehmlichkeiten daraus entstehen, er bereute diese Verpflichtung übernommen zu haben.

Wie tief stand doch dieses genußsüchtige Weib unter der sanften selbstlosen Nonne, unter der fröhlichen treuen Gefährtin ihrer eigenen Kinder! Und diese Frau war seine Gesinnungsgenossin, seine Freundin. Er wußte, daß er nur die Hand nach ihrem Besitze auszustrecken brauchte; deshalb erschien sie ihm verächtlich und erbärmlich. Sie war schön, aber niemals würde er sie deshalb lieben, es war seine feste Überzeugung, das, er überhaupt niemanden lieben könne.

Der Gedanke aber, die Hingabe eines Weibes zu besitzen, erregte ihm einen Überdruß, der an Ekel streifte. Lydia Bremer begehrte nichts als Genuß — Genuß in der Liebe, Genuß im Morphium; Pflichten kannte sie nicht. Sie hatte Mann und Kinder, aber als sie von ihm Morphium empfing, als ihre Blicke ihn zum Danke dafür Liebe ahnen ließen, konnte sie das vergessen.

Er aber, der im Interesse der leidenden Menschheit für eine gute Sache kämpfte, er hatte sich dazu hergegeben, diesem begehrlichen glühenden Weibe Genuß zu gewähren! Immerhin hatte er nur mit dieser Handlungsweise die Consequenzen seiner Gesinnung gezogen. Wenn ihm nur weiter keine Verpflichtung daraus erwuchs, wenn sie nur nicht etwa eine persönliche Verbindung zwischen sich und ihm darin sah! Ihn graute davor. — Und dann, dann mußte er lächeln. Wie sonderbar, daß er in einer schlaflosen Nacht über das Wesen von drei ihm gleichgültigen Frauen grübelte!

Seit wann schätzte er überhaupt die Weiber nach ihrer Pflichttreue, nach ihrer Moral? Was gingen ihn die Tugenden und Fehler der Geheimräthin Bremer, der Schwester Clarissa und des anmuthigen Kinderfräuleins an! Ja, dieses Fräulein, es war doch ein Genuß an sie zu denken, sie zu sehen — —

Es war fünf Uhr morgens. Turnau glaubte anfangs an eine nervöse Sinnestäuschung, bald aber überzeugte er sich, daß das Klopfen, welches er hörte, Wirklichkeit war — Professor Schrödter hatte die Rücksichtslosigkeit, einen seiner Assistenten morgens um fünf Uhr wecken zu lassen! Ein derartiger Fall war dem jungen Arzte in den drei Jahren seiner klinischen Thätigkeit nur sehr selten vorgekommen. Er war außer sich darüber und beschloß, noch im Laufe desselben Tages um jeden Preis von dieser persönlichen Abhängigkeit frei zu werden.

Er hatte kaum seine Toilette beendet, als schon der Professor unangemeldet bei ihm eintrat. Er hatte das bei Turnau noch niemals gethan, weil ihm das steife förmliche Wesen seines reichen Assistenten innerlich durchaus zuwider war. Aus sehr einfachen Verhältnissen hatte er sich durch eigene Kraft zu wissenschaftlicher Bedeutung emporgerungen, ohne sich zugleich äußerlich den Vorschriften feinerer geselliger Formen zu fügen.

«Störe ich Sie noch? — Es ist fast halb sechs, sehr viele Menschen haben bereits ausgeschlafen,» begann er mit rücksichtsloser Ironie. Er wußte genau, daß Turnau sonst frühestens zur Poliklinik um zehn Uhr früh aufstand. Der junge Mann stand seinem Vorgesetzten in tadelloser Haltung gegenüber. «Selbstverständlich stehe ich Ihnen zur Verfügung, Herr Professor.»

«Der Kranke, den Sie gestern Abend amputiert haben, ist gestorben. Wenn Sie in der Nacht einmal nachgesehen hätten, brauchte ich nicht hierherzukommen, um Ihnen das zu sagen.»

Absichtlich überhörte Turnau den Vorwurf.

«Habe ich bei der Amputation einen Fehler gemacht?»

«Ja, den größten, den Sie machen konnten. Von zwei abgequetschten Stümpfen haben Sie den Einen amputiert und den Anderen ruhig liegen lassen. Als ich gestern Abend nachsah, war es bereits zu spät. Nicht einmal alle Knochensplitter des Schädelbruches waren ordnungsmäßig entfernt.»

«Um alles auszuführen, was dieser Fall erforderte, wäre eine sehr lange Narkose nöthig gewesen. Das war aber nicht opportun wegen einer Herzschwäche des Patienten, die auch im Krankenbericht constatiert ist. »

Glauben Sie denn, daß ich das nicht weiß?» schrie der Professor grob. „Sie hätten sich aber Assistenz holen können, damit in kurzer Zeit so viel wie möglich geschehen konnte.»

«Diese Anordnung zu treffen, wäre Ihre Sache gewesen, Herr Professor. Sie haben den Verunglückten vor mir gesehen. So gut wie ich mit einem Auftrage in dieser Hinsicht beehrt wurde, konnte mir auch einer der Herren Collegen zur Seite gestellt werden.»

«Ach was, die Geschichte fiel auf Ihrer Station vor. Sie hätten sich selbst die nöthige Hülfe verschaffen müssen. Wir sind doch keine Soldaten, bei denen jeder nur auf einen Befehl von oben wartet, ehe er handelt. Sie aber haben überhaupt keinen der anderen Herren benachrichtigen lassen. Hielten Sie den Fall von vornherein für hoffnungslos? »

«Jedenfalls für so compliciert, daß ich nicht wagte, nach eigenem Ermessen irgend eine Änderung der von Ihnen getroffenen Dispositionen vorzunehmen.» Turnau sprach noch immer tadellos höflich und mit vollster Selbstbeherrschung, während der Professor bei jedem Worte mehr seine Ruhe verlor.

«So — Sie bleiben also bei Ihrer Ansicht, daß ich allein Schuld bin?» fragte er wüthend.

«Warum muß denn da überhaupt jemand schuld sein? Es war eben ein Unglücksfall mit tödtlichem Ausgange. Es wäre ja geradezu entsetzlich gewesen, wenn wir den Verstümmelten durchgebracht hätten. »

«Wirklich? Nun das muß ich sagen, Herr Doctor, für einen Arzt ist das ja eine sehr eigentümliche Anschauungsweise. Kann es denn überhaupt einen Fall geben, in dem der Arzt nicht verpflichtet ist, alle Hülfsmittel der Wissenschaft anzuwenden, um das bedrohte Menschenleben zu verlängern und zu erhalten?»

«Ich weiß es nicht. Das ist eine philosophische, wenn Sie wollen eine religiöse, aber keine medicinische Frage. » — — —

«Und Sie erlauben sich daher diese Frage zurückzuweisen, mein Herr College, nicht wahr?» höhnte der auf äußerste gereizte Mann. „In unserm Falle liegt die Frage aber durchaus auf dem Gebiete der Medicin, die Frage ist rein sachlich, und die Antwort darauf ist es ebenfalls. Diese Antwort aber lautet dahin, daß Sie Herr Doctor Turnau eben durchaus nicht alles gethan haben, was Sie thun konnten, um ein entfliehendes Menschenleben zurückzuhalten. Sie sagen, daß ich als Chef hätte genauere Anordnungen treffen können. Das hätte ich vielleicht gethan, wenn ich gewußt hätte, daß einer meiner Assistenten sich einbildet, man könnte kein guter Psychatriker sein, ohne zugleich als Chirurg die verhängnisvollsten Fehlgriffe zu begehen.»

Mit Turnaus Ruhe war es nun auch zu Ende. Eine grobe Antwort auf den groben Angriff vermochte er nicht zu geben. Das war seiner feinen sensitiven Natur zu sehr entgegen. Er wurde todtenbleich, lehnte sich an einen Schrank, neben dem er stand und schwieg.

Der Professor, der trotz seines polternden Tones nicht die Absicht gehabt hatte, den jungen Mann zu beleidigen, erschrak, als er die Wirkung seiner Worte sah. Turnaus scheinbare Ruhe hatte ihn gereizt, und er hatte im Ärger mehr gesagt, als er hatte sagen wollen.

Ich habe Sie erschreckt, Turnau,« lenkte er gutmüthig ein. »Es liegt mir ja fern, Ihnen die Schuld an dem Tode eines Menschen aufbürden zu wollen. Aber Sie können sich wohl denken, daß es mir nicht einerlei ist, wenn so etwas in meiner Anstalt passiert. Es ist doch immerhin ein Privatunternehmen und keine königliche Klinik. Ich vertrete der Welt gegenüber alles, was hier unter meiner Leitung geschieht. — Wir wollen nachher die Obduction vornehmen, dann können wir den Fall noch eingehender und ruhiger besprechen, als es jetzt möglich ist.«

Turnau verbeugte sich schweigend und tief vor seinem Vorgesetzten.

Um Gottes Willen, seien Sie doch nicht so versteinert, ich muß doch schelten, wenn nicht in meinem Sinne operiert wird. Das passiert den jüngeren Herrn überall, Sie müssen das nicht so schwer nehmen,« begann der Professor noch einmal.

Das Schweigen des hochmütigen jungen Menschen war ihm furchtbar peinlich. Er hatte das Gefühl, sich in seinem äußeren Benehmen wieder etwas vergeben zu haben. Grade Turnau gegenüber passierte ihm das öfter, deshalb war ihm auch der in tadellos vornehmen Formen erzogene Assistent so sehr unangenehm.

«O bitte, Herr Professor, wenn ich einen Tadel verdient habe, so muß ich ihn hinnehmen.» Turnau sagte das so ruhig und gleichgültig, als ob er sich durchaus nicht beleidigt fühle.

Der Vorgesetzte verlor dadurch den letzten Rest seiner Sicherheit.»Bei der Obduction können Sie den Vortrag halten,» sagte er beinah verlegen, wie um auf etwas anderes zu kommen.

«Ich bitte mich von der Obduction gütigst dispensieren zu wollen. Ich hatte schon seit einiger Zeit die Absicht, mich krank zu melden und bitte um die Erlaubnis, für den Rest des Quartals einen Collegen zu meiner Vertretung engagieren zu dürfen.»

Er war also doch empfindlich! «Na meinetwegen bleiben Sie von der Section weg. Wegen der Vertretung suchen Sie mich wohl in meiner Wohnung auf.»

«Wie Sie wünschen, Herr Professor.»

«Auf Wiedersehen denn.»

«Auf Wiedersehen, Herr Professor.»

Noch eine durchaus salonmäßige Bezeugung, die der Professor ziemlich ungeschickt erwiederte. Er war es gewöhnt, seine Assistenten durch einen Händedruck oder ein oberflächliches Kopfnicken zu grüßen. Bei Turnau ging das natürlich nicht. Fataler Mensch, hätte Offizier oder Diplomat werden sollen, blos nicht Arzt, dachte der Professor, als die schwere weiche Portière von Turnaus Zimmer sich hinter ihm schloß. Na, vielleicht wird er mal Modearzt bei nervösen Damen — Specialität Migräne; — er war im Grunde seines Herzens froh, daß er ihn los wurde.

Turnau aber fühlte sich nach diesem erneuerten Angriff auf seine künstlich überreizten Nerven ernstlich und körperlich krank. In tiefster Erschöpfung streckte er sich auf seinem weichen Schlafsopha aus, um körperlich wenigstens auszuruhen. Die nöthigen Schritte zu seiner Ablösung von dem Posten, den er nicht mehr auszufüllen vermochte, beschloß er zu einer späteren Tagesstunde zu thun.

Er lag zeitweise in einer Art von Halbschlaf oder Betäubung; er wußte nicht wie lange er gelegen hatte, aber die Sonne schien ziemlich heiß durch die schweren herabgelassenen Vorhänge, als ein ungewöhnliches Geräusch ihn aufschreckte.

Die Thür zu seinem Zimmer wurde hastig aufgerissen und mit maßlosem Staunen sah er Lydia Bremer unangemeldet eintreten. —

Turnau verlangte von einer Dame in allererster Linie elegante sorgfältige Toilette, nachlässig gekleidete Frauen waren ihm gradezu abstoßend. Bisher war ihm der Verkehr mit Frau Bremer angenehm gewesen, weil sie in ihrer Erscheinung und in ihrem Benehmen eine elegante vornehme Frau war; mit Entsetzen bemerkte er jetzt bei ihrem ungestümen Eintritt, wie unvortheilhaft und verändert sie aussah. Das sonst sorgfältig frisierte Haar war nicht gebrannt, man sah einzelne dünne Stellen, die die Haut kaum bedeckten. Die Gesichtszüge waren durch eine maßlose Aufregung verzerrt, von Thränenspuren entstellt, die notwendigsten Kunstgriffe der Toilette waren versäumt. Ein loser Abendmantel bedeckte einen Schlafrock, dessen zerdrückte Spitzen die deutlichen Spuren des Liegens in Sophakissen oder gar auf dem Bette aufwiesen.

Peinlich unangenehm berührt, erhob sich der Arzt. Seine kühle Begrüßung durch eine ganz kurze Verbeugung schien die erregte, vielleicht verzweifelte Frau nicht zu sehen.


oben

weiter

____________________________



  lifedays-seite - moment in time