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Literatur


04.3



Adine Gemberg


Morphium - Novellen
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Morphium - Seite 9

«Alles ist verraten, ich bin verloren, mein Mann hat Verdacht geschöpft, Professor Schrödter war eben bei uns. Mein Morphium mein ganzer Vorrath» — —

Sie konnte nicht weiter sprechen, die Stimme brach ihr.

«Man hat Ihre Morphiumvoräthe gefunden und confisciert?» fragte er.

«Ja, ja — es ist entsetzlich, ich kann nicht leben ohne Morphium. Erbarmen Sie sich, helfen Sie mir, ich habe ja nur Sie, alle Anderen verfolgen mich, hassen und quälen mich, man treibt mich in den Tod. O Gott, stehen Sie doch nicht so mitleidslos da — erbarmen Sie sich.»

«Das würde wenig helfen. Wenn ich Ihnen heute wieder Morphium gebe, wird es morgen wieder gefunden.»

«Nein, geben Sie mir eine tödliche Dosis, ich verspreche Ihnen, man wird den Rest Ihrer Gabe nur bei meiner Leiche finden.»

«Ich bedaure, gnädige Frau, einen derartigen Wunsch, in einem Augenblicke der höchsten nervösen Aufregung ausgesprochen, erfülle ich nicht.»

«Ich werfe mich vor die Eisenbahn.»

«Wenn Sie mir das vorher sagen, ist es meine Pflicht die Ausführung dieser Absicht zu verhindern.»

«So — sind Sie etwa mein Vormund?»

«Nein — ich bin Irrenarzt.»

Ein kurzer Schrei, dann ein krampfartiges zorniges Weinen, folgte auf diese Ablehnung. Ruhig stand Turnau ihr gegenüber. Er war empört und angeekelt von dieser Scene.

Wenn sie wirklich sterben wollte, so hatte sie keinen Grund, erst hierherzukommen und ihm ein Vertrauen aufzudrängen, nach dem er durchaus nicht verlangte. Er war aber überzeugt, daß sie gar nicht ernstlich daran dachte zu sterben. Wenn sie so ungeschickt war, ihr Geheimnis entdecken zu lassen, so fühlte er sich in keiner Weise berufen, ihr beizustehen. Ungeduldig wartete er darauf, daß sie sich so weit beruhigte, um auf gute Manier dahin gebracht zu werden, ihn zu verlassen.

Sie faßte sich mühsam. «Wissen Sie, was mein Mann und der Professor beschlossen haben?»

«Ich kann es mir denken. Sie sollen in eine Anstalt, um eine Entziehungscur durchzumachen.«

«Ja« — sie lächelte. «Ich werde auch ganz fügsam sein und gehen.»

«Das freut mich.»

«Sie verstehen, was ich meine?»

«Nein.»

«Schicken Sie mir postlagernd jede Woche, was ich brauche, Sie wissen es ja.»

«Das geht nicht, in solchen Anstalten ist die Controlle zu streng, man würde jeden Stich an Ihrem Körper entdecken. Ich würde damit riskieren, daß mir die ärztliche Concession entzogen wird.»

»So rathen Sie mir, helfen Sie mir!»

«Ich kann Ihnen nicht helfen.»

«Geben Sie mir Morphium, ich will abreisen, ich werde mich irgendwo verstecken, wo mich kein Mensch findet.»

«Sind Sie denn mit Allem, was zu einer solchen Flucht gehören würde, versehen?»

«Im Augenblicke nicht, aber bis zum Abende kann ich mir Geld und alles, was ich sonst noch brauche, erschaffen.»

«Bis zum Abend wird Ihr Herr Gemahl im Verein mit den Ärzten die nöthigen Schritte gethan haben, um eine derartige Flucht zu verhindern.»

«So bin ich verloren.»

«Ich weiß es nicht.»

Er zuckte gleichgültig die Achseln und trat ans Fenster.

Zitternd erhob sie sich und ging ihm nach. Sie griff mit beiden Händen in die Fenstervorhänge, um sich zu halten. Die Sonne schien ihr ins Gesicht. Er sah, daß ihre Haut stellenweise welk war. Ihre Augen waren glasig und starr, plötzlich bildete er sich ein, ihre Vorderzähne wären falsch. Das war eine abscheuliche Ernüchterung, wenn er sie etwa bewundert hätte, aber das hatte er ja doch eigentlich niemals gethan.

«Es gäbe eine Auskunft, eine einzige Rettung,» flüsterte sie, nahe, ganz nahe an seinem Ohr.»

Er antwortete nicht.

«Fliehen Sie mit mir, Wilhelm.»

«Als was — als Ihr Arzt?»

Da glitt sie an ihm nieder und umfaßte seine Kniee.» Nehmen Sie meine Liebe, aber geben Sie mir Morphium.»

Sie bot sich ihm an — sie war dahin gekommen, sich zu verkaufen.

Er machte sich los. «Das würde ehrlos von mir sein. Ich kaufe keine Liebe, gnädige Frau.»

«Sie brauchen auch meine Liebe nicht zu kaufen, seit Sie mir Erbarmen gezeigt haben, liebe ich Sie.»

«Ich will Ihnen noch einmal Morphium geben, Frau Bremer, aber dann bitte, bitte, verlassen Sie mich, werden Sie ruhiger, überlegen Sie, was Sie thun wollen. Wenn man Sie hier fände, wären Sie und ich compromittiert.»

Das war seine Antwort auf das Geständnis ihrer Liebe. Die Scham überwältigte sie; sie fühlte, daß sie etwas darbot, was er gar nicht zu besitzen wünschte. Sie hätte fliehen mögen und sich vor seinen, vor aller Menschen Blicken verbergen, aber sie rührte sich nicht. Wie gebannt blieb sie stehen und wartete — wartete auf das Almosen, das er ihr geben wollte, um sich von ihr zu befreien. — Sie fühlte die furchtbare Erniedrigung ihrer Lage — aber für Morphium hatte sie sich vor Friedrich Rast erniedrigt, sie konnte nicht anders, sie mußte warten. —

Turnau ging in sein Schlafzimmer, das keine verschließbare Thür vom Salon trennt. Die Thür vom Schlafzimmer nach dem Corridor war verschlossen. Mit einem scheuen Blick sah er sich um. Diese Frau, die ihm ihre Liebe aufdrängen wollte, folgte ihm also wenigstens nicht! Er sehnte sich nicht mehr nach Liebe. Wie war es nur möglich, daß sie das nicht begriff? Jede körperliche Lebensthätigkeit war ja längst bei ihm erloschen; er hatte geglaubt, das Weib müßte es fühlen, daß ihr in ihm überhaupt kein Mann gegenüberstand — ein Gespenst, ein dem Grabe entgegeneilender Schatten. — —

Und an diesen Schatten wollte sie sich anklammern, sich in ihrer Verzweiflung an ihm halten. Wie gleichgültig sie ihm war! Er hätte über sie gelacht, wenn er sich nicht so todtkrank gefühlt hätte.

Vorhin, ihr gegenüber, war es ihm möglich gewesen, sich bis zu sittlicher Entrüstung aufzuschwingen, er hatte ihr gesagt, daß es für ihn eine Gemeinheit sein würde, ihre Liebe zu kaufen.

Vor sich selbst kam er nicht so weit — nicht bis zum sittlichen Widerstreben, nur bis zum Ekel, zum allgemeinen Lebensüberdruß, zu einer unsagbaren Stumpfheit.

In der tötlichen Erschöpfung seines Körpers und Geistes suchte er jede Erregung zu vermeiden, jeder Störung auszuweichen. Die Störungen aber verfolgten ihn gradezu.

Wenn ihn nur jemand von dieser Frau befreit hätte, deren Ansprüche er sich durch sein Entgegekommen selbst aufgeladen hatte! Sie wartete da auf ihn, aber er war nicht im Stande zu ihr zurückzukehren. Ruhe verlangten seine Nerven, nichts als Ruhe sein kranker Körper.

Er trat an ein kleines Wandschränkchen und nahm daraus einen Kasten, in dem sich verschiedene kleine Flaschen befanden. Diese Flaschen enthielten alles, was ihm in der letzten Zeit noch Genußfähigkeit, noch eine scheinbare äußere Kraft zu geben vermochte. Öfter und immer öfter aber war jetzt die Wirkung, auch der stärksten Mittel, ausgblieben. Die zerrütteten Nerven waren tot — es war nicht mehr möglich sie anzuregen. Er konnte nicht mehr genießen.

Er schob den Kasten von sich. Im Nebenzimmer, von welchem er nur durch eine Portière getrennt war, hörte er ein Geräusch. — Richtig —man wartet da auf ihn. Zitternd und verlangend verzehrte sich ein Weib nach seiner Liebe. —

Er konnte nicht mehr lieben. Er konnte ja seit Wochen nicht mehr genießen, — nicht mehr schlafen. So müde, so todt müde und doch keine Ruhe. —

Nicht mehr genießen und nicht mehr leben!

Hatte er das nicht immer gedacht, ausgesprochen sogar vor ihr — und nun?

Ja, nun war das Ende da, — nicht mehr genießen! Es war unmöglich; weder die Morphiumspritze, noch die Liebe, noch sonst irgend etwas im Leben bot ihm noch irgend einen Genuß.

Die kleine Freundin war da, so scharf so spitz, so vertraut. Vielleicht konnte sie ihm doch noch eine — noch eine letzte Freude gewähren!

Da war ein kleines Glas — das hatte er sich reserviert für das Ende; das Ende — ja das war doch nun da.

Er entkorkte das Fläschchen. Ein scharfer Alkoholdunst schlug ihm entgegen. Man kann Morphium höchstens bis zu zwölf Procent in Wasser auslösen, stärkere Lösungen erfordern Alkohol. Es ist ein Schmerz, als ob man ein Glied in glühende Kohlen legte, wenn man sich Alkohol unter die Haut spritzt. Aber jetzt — du lieber Gott, war es denn nicht das Ende?

Er biß die Zähne zusammen. Der Arm wurde dunkelroth, es war wie ein Brand. Aber es wirkte. Das Gefühl, als ob die Knochen des Kopfes auseinanderfallen wollten, ließ nach. Er vermochte beinah wieder zu denken.

Noch einmal also! Er zog die Spritze zurück, sie rollte zur Erde.

Ja richtig, um sie wieder zu erlangen, muß man sich bücken. Mit blöden Blicken stierte er darauf hin — wozu, wozu — wenn es doch nun einmal das Ende sein mußte?

Wenn sich das Weib nebenan doch nur ruhig gehalten hätte! Herrgott, die Sache konnte doch nun nicht mehr lange dauern!

Ohne hinzusehen, griff er in ein kleines Fach seines Schrankes. Er hielt nun einen Revolver in der Hand. Müde setzte er sich auf den Rand seines Bettes. Mit irrem Lächeln sah er die Waffe an. «Der Tod ist der Sünde Sold» — es ging aber noch weiter, der Spruch war damit nicht aus. Wie doch?, wie doch?

Richtig im Notizbuche, da mußte es stehn. —

Aber das Notizbuch? Aufstehen und es holen, oder sich bücken und die Spritze aufheben? Wozu? Wozu?

Ein wahnsinniges Geräusch erfüllte plötzlich sein Hirn, wie mit eisernen Schrauben fühlte er seine Schläfen gepreßt. Die Alkohollösung war eine tötliche. Aber für ihn doch wohl nicht. — — Das Ende, das Ende! —

Er fühlte nichts mehr, er dachte nichts mehr, seine Blicke verdunkelten sich. Langsam hob er den kurzen blanken Lauf des Revolvers in die Höhe, setzte ihn fest an seine Schläfe und drückte ab. Dumpf krachte der Schuß in dem kleinen von Teppichen und schweren Stoffen verhängten Raum. —

Eine Secunde nur stand Lydia Bremer wie erstarrt, dann stürzte sie vorwärts.

Ein Blick zeigte ihr, was geschehen war. Vielleicht lebte der Mann noch, der ihr den Schimpf angethan hatte, ihre Liebe zu verschmähen — es war ihr gleichgültig; keine Minute ihrer Zeit widmete sie ihm. Sie sah das Kästchen mit seinem Inhalte von kleinen Flaschen. Geräuschlos glitt sie darauf zu und mit einem einzigen gierigen Griff ließ sie die sämmtlichen Gläser in ihrer Tasche verschwinden.

Hastig durchwühlte sie noch den Auszug eines Tisches, aber sie fand nichts mehr. Kaum eine Minute blieb ihr Zeit; man hatte den Schuß im Hause gehört; das Zimmer füllte sich mit Menschen.

Professor Schrödter stellte den Tod seines Assistenten fest. Er nahm an, daß Turnau in einem Augenblicke geistiger Umnachtung gehandelt habe.

Kopfschüttelnd blätterte er in dem Notizbuche, das der Todte bei sich trug, während er geglaubt hatte, es läge im Nebenzimmer. Der Professor hoffte eine Aufklärung über die Beweggründe zu der traurigen That darin zu finden.

Endlich fand er eine Notiz, die das Datum der vergangenen Nacht trug. «Der Tod ist der Sünde Sold, aber die Gnade Gottes ist das ewige Leben in Christo Jesu unserem Herrn.» Daneben stand, daß er wünsche diesen Spruch auf seinen Grabstein setzen zu lassen.

Der Professor reichte Lydia das kleine Buch. Sie las den Spruch und schlug wie verzweifelt die Hände vor ihr Gesicht.

«Sie waren dabei, Frau Geheimräthin, sollten Sie den Zusammenhang nicht ahnen, wissen Sie nichts — gar nichts? »

Er sah sie durchdringend an. Sie fühlte, daß Alles für sie auf dem Spiele stand — — ihre Ehre — — von allen Seiten ruhten neugierige Blicke auf ihr.

«Morphium» stammelte sie, verzweifelt, außer sich —

«Ah — also weiter brauchen wir nach Ihrer Morphiumquelle nun nicht mehr zu suchen, Turnau war der Schuldige, er gab Ihnen das Gift, er selbst ging zu Grunde daran, o ich verstehe, ich verstehe.»

Über das breite Gesicht einer Wärterin glitt ein höhnisches Lächeln. Lydia sah es, das Blut stieg ihr ins Gesicht, sie empfand eine leidenschaftliche Wuth, die ihrem Wesen bis dahin fremd gewesen war.

«Herr Professor, was müssen Ihre Leute von mir denken, wenn Sie mich so fragen!»

Sie bemühte sich, so kalt und so ruhig zu erscheinen wie sonst — es war ihr nicht möglich. Der Professor empfand, daß er sich in irgendeiner Weise nicht ganz correct benommen hatte. Sein Ton klang weniger rücksichtslos schroff, als er sie fragte, wie sie dazu gekommen sei, Turnau aufzusuchen, anstatt den jungen Arzt zu sich zu bitten.

«Sie haben mir selbst heute den letzten Tropfen Morphium weggenommen, den ich besaß,» erklärte sie rasch «nur durch ein heimliches Zusammentreffen mit Turnau konnte ich hoffen, das Verlorene wieder zu erlangen.»

Es wäre aber doch eine Gemeinheit von ihm gewesen,» polterte Schrödter nun doch wieder los, «Sie sind meine Patientin, mein Assistent mußte darauf Rücksichten nehmen.»

Lydias Blicke trübten sich, sie empfand mit bitterem Schmerze ihre Ohnmacht gegenüber der ihr aufgezwungenen Behandlung des Nervenarztes.

«Doctor Turnau war heute sehr unzugänglich, mein Besuch war vergeblich,» sagte sie kurz.

«Ein Sterbender — das will ich glauben, — ich habe heute zum ersten Male bemerkt, wie krank er war — werfen wir keinen Stein auf den Todten.

«Wie meinen Sie das, Herr Professor?»

In athemloser Spannung hingen die Augen aller Anwesenden an den Lippen des Arztes. Schrödter sah ein, daß es in diesem Augenblicke in seiner Hand lag, eine Berechtigung, einen Makel von dem Namen der Geheimräthin fern zu halten — er dachte an den Gatten der jungen Frau. Was für ein Heiligthum war diese Frauenehre für diesen Mann. Gewissermaßen erklärend wandte er sich an das Personal seiner Anstalt, das ihn jetzt fast vollzählig umstand.

«Herr Doctor Turnau ist schon längere Zeit leidend gewesen, heute früh fand ich ihn unzurechnungsfähig, er wird in der Aufregung, die seiner That voranging, kaum erkannt haben, wer bei ihm war, vielleicht hat er Sie überhaupt nicht bemerkt, gnädige Frau.»

Lydia begriff. «Doch, er hat mich erkannt, aber er ließ mich im Salon warten, während er die entsetzliche That im Schlafzimmer vorbereitete; erst nach dem Geräusch des Schusses wagte ich es, ihm zu folgen. »

Nach dieser Erklärung athmete sie auf, man achtete nicht mehr so auf sie. Die Leute beschäftigten sich mit der Leiche, die Ärzte zogen sich zurück.

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