lifedays-seite

moment in time

 

Meine Lizenz
 
Literatur


04.3


Adine Gemberg


Morphium - Novellen
____________________

Morphium - Seite 10

Mit leidenschaftlichem Entzücken fühlte sie in ihrer Tasche die kleinen Gläser. Auf Jahre hinaus würden diese concentrierten Lösungen genügen, um daraus das verhältnismäßig schwache Mittel herzustellen, dessen sie bedurfte. O, wie wollte sie diesen Schatz hüten, wie sorglich und vorsichtig wollte sie alles verstecken, man sollte sie nicht zum zweiten Mal überlisten. Nun aber nach Hause und vor allen Dingen Alles in Sicherheit bringen.

Die Freude, die sie erfüllte, ließ sie die entsetzliche Demüthigung vergessen, die sie erlitten hatte. Sie empfand auch keinen Schmerz über das jähe Ende des Mannes, den sie noch vor einer Stunde zu lieben geglaubt hatte. Sie liebte nichts mehr auf der Welt außer dem Genusse, und genießen konnte sie jetzt — maßlos, unbeschränkt, heimlich.

Geräuschlos verließ sie das Zimmer des Verstorbenen und eilte die Treppe hinab. Das Herz schlug ihr bis zum Halse hinauf — fort, nur fort.

«Entschuldigen Sie, gnädige Frau, ich möchte mir gestatten, Sie zu begleiten,» Professor Schrödter stand plötzlich neben ihr, kalt und mißtrauisch sah er sie an.

O, wie sie ihn haßte — sie hätte ihn ins Gesicht schlagen, ihn von sich stoßen mögen, sie war fassungslos.

«Lassen Sie mich — der Schreck, die Aufregung — ich möchte allein sein.»

«Ich halte es für meine ärztliche Pflicht, Sie zu begleiten, auch wenn Ihnen das direct unangenehm sein sollte.»

«Es ist mir so unangenehm, daß es eine Zudringlichkeit wäre, wenn Sie darauf beständen.»

Das war eine Beleidigung, nun mußte er sie doch lassen. Aber er wich nicht von ihrer Seite.

«Ich werde diese Zudringlichkeit vor Ihrem Herrn Gemahl zu rechtfertigen wissen.»

Mit diesen Worten hob er sie in den Wagen, stieg zu ihr ein und fuhr an ihrer Seite ihrer Wohnung zu. Es sah fast so aus, als ob er heimlich lächelte über ihren ohnmächtigen Zorn. Sie wurde immer bleicher, und in ihren Augen brannten verhaltene Thränen.

Der Geheimrath erschrak, als er an den Wagenschlag trat und ihr verzerrtes, entstelltes Gesicht ihm entgegensah. Sie sah alt und fast häßlich aus in dieser wahnsinnigen Aufregung mit ihrem nachlässigen Anzuge.

«Um Gottes Willen, was ist denn mit meiner Frau geschehen? Lydia, wie siehst Du aus! Herr Professor erklären Sie doch — — — »

«Deshalb bin ich gekommen», antwortete Schrödter mit überlegener Ruhe. «Unsere Kranke hat sich wieder Morphium zu verschaffen gewußt, es wird Ihre Aufgabe sein, Herr Geheimrath, alle Kleider der Patientin sorgfältig durchsuchen und prüfen zu lassen, damit nichts eingeschmuggelt werden kann, was wir nicht wissen.»

«Lydia! »

Sie hörte den entsetzten Ausruf ihres Mannes nicht mehr, denn sie war ohnmächtig zusammengebrochen bei den rücksichtslosen Worten des Arztes.

Der Geheimrath rief das Kinderfräulein an den Wagen. Das junge Mädchen nahm rasch entschlossen die zarte Gestalt ihrer Herrin in ihre Arme und trug sie, ohne die Unterstützung der Herren in Anspruch zu nehmen, ins Haus.

Das Stubenmädchen kam der Bonne zu Hülfe. Behutsam wurde die Ohnmächtige niedergelegt. Fräulein Wagner knöpfte ihr den Schlafrock auf, um sie, wie es der Arzt gewünscht hatte, zu entkleiden.

Lydia kam dabei zur Besinnung.

Ein kurzer Befehl ließ das Stubenmädchen zurücktreten, das Fräulein aber wußte, um was es sich handelte. Gewissenhaft wie sie war, ließ sie sich nicht abweisen und versuchte der Kranken das Kleid von den Schultern zu ziehen. Da nahm die verzweifelte Frau alle Kraft zusammen, mit beiden Händen stieß sie das junge Mädchen, das sich über sie gebeugt hatte, vor die Brust und sprang auf.

«Ich bin nicht Ihre Gefangene, rühren Sie mich nicht an, gegen Gewalt wehre ich mich mit Gewalt » Sie zitterte am ganzen Körper, ihre Zähne schlugen wie im Fieberfrost zusammen, ihre Augen waren weit aufgerissen, man sah das Weiße um die Pupille herum.

Das junge Mädchen war tödtlich erschrocken, sie glaubte einer Wahnsinnigen gegenüberzustehen. Bleich und eingeschüchtert lehnte sie sich an die Wand.

«Gehen Sie», herrschte die Geheimräthin das Dienstmädchen an.

«Rufen Sie den Herrn», rief das Fräulein ihr nach.

Einen Augenblick schien es, als wollte sich die Kranke in wildem Zorn auf das Fräulein losstürzen, aber es war nur eine rasche Bewegung. Geräuschlos bog sie sich an der Bonne vorbei, erreichte die Thür und stürzte in ein anderes Zimmer, das sie sofort hinter sich abschloß.

Das Dienstmädchen hatte inzwischen dem Hausherrn gemeldet, wie weit seine Frau sich gegen Fräulein Wagner vergessen hatte. Professor Schrödter rieth nun selbst keine Gewalt anzuwenden, sondern das im Hause versteckte Morphium ohne Wissen der Erregten später zu suchen.

Der Professor gab der treuen, zuverlässigen Bonne noch einige Verhaltungsmaßregeln, ehe er ging. Bremer war wie gebrochen über das Unglück, das über ihn hereinbrach. Den Morphinismus hielt er für ein Laster, und einem Laster zu fröhnen war in seinen Augen eine Schande für sein Haus und für seinen Namen. Dazu kam das heimliche Einverständniß seiner Frau mit Turnau. Vom sittlichen Standpunkte aus sah er darin einen Makel, den auch der Tod des Schuldigen von seiner Ehre nicht zu tilgen vermochte. Wie Lydia als Weib zu Turnau gestanden hatte, wußte er nicht, er glaubte darin den Versicherungen des Professors nicht ganz. So krank, so todtkrank wie Schrödter ihn schilderte, war Turnau nach Bremer’s Ansicht niemals gewesen.

Es war doch nicht anzunehmen, daß dieser junge Mann eine Dame in seiner Wohnung empfing, nur um ihr selbstlos und in allen Ehren ein Mittel in die Hand zu geben, von dem sie abhing mit Leib und Seele.

Diese Frage marterte den ruhigen, klaren, selbstbewußten Mann furchtbar. Er beschloß, unter allen Umständen ruhig und eingehend mit seiner Frau zu sprechen. Er wollte die Wahrheit wissen um jeden Preis; wie er sich nachher mit den Thatsachen abfinden würde, war ihm jetzt noch nicht klar.

Vorläufig mußte er warten, bis der wilde, leidenschaftliche Sturm der Verzweiflung vorbei war. Er suchte seine Frau nicht auf, Fräulein Wagner hielt ihr auch die Kinder fern. Gegen Abend machte Professor Schrödter eine kurze, ärztliche Visite bei der Geheimräthin; er gab ihr für die Nacht so viel Morphium, wie sie gewohnt zu sein angab. Von den versteckten Vorräthen sprach er kein Wort.

Lydia hatte die Empfindung, daß sie in ihrem eigenen Hause von Spionen umgeben sei, sie warf einen wahrhaft leidenschaftlichen Haß deswegen auf Fräulein Wagner. Aber sie hatte doch einen Trost. Turnaus Gläser gehörten jetzt ihr, wenn sie auch jetzt noch nicht wagen konnte, deren Inhalt zu prüfen und kennen zu lernen. Trotz der furchtbaren Erregungen, die ihr der Tag gebracht hatte, schlief sie in der Nacht wie todt und machte am Morgen sorgfältigere Toilette als an dem Unglückstage vorher.

Sie war fast ruhig, als ihr Schrödter seinen Besuch machte, und versprach sogar, sich einigen seiner Anordnungen fügen zu wollen.

Gegen Mittag hielt es der Geheimrath für möglich, sich mit seiner Frau auszusprechen. Er konnte es nicht länger aushalten. Tiefernst, fast finster stand er vor ihr und forderte Rechenschaft über die Ehre seines Hauses, die er in ihre Hände gelegt hatte, als er ihr seinen Namen gab. Die sonst wenig erregbare, oberflächlich heitere Frau befand sich in einer krankhaft gesteigerten Reizbarkeit. Bremer aber besaß zu wenig Verständniß für Krankheit und krankhafte psychologische Vorgänge, um damit zu rechnen.

«Es ist nichts vorgefallen, was gestern und vorgestern, vor Wochen und vor Jahren nicht auch schon gewesen wäre,» beharrte sie. «Turnau war selbst Morphinist, er verstand meinen Kummer über die Unmöglichkeit, mir das zu verschaffen, was ich brauchte, um froh und um glücklich zu sein. Hättest Du mir nicht diesen ordinären Professor Schrödter, den ich verabscheue und von dem ich mich niemals behandeln lassen werde, aufgedrängt, so wäre heute noch Alles wie es war. Ich wäre ruhig und glücklich, und Dir wäre Aufregung und Ärger erspart geblieben.»

«Du hättest weiter gesündigt und Dich durch ein Laster erniedrigt, daß Dich in der Achtung Deines Mannes, Deiner Ärzte und sogar Deiner Dienstboten tief herab setzt.»

«Wenn Du mit den Dienstboten vielleicht Fräulein Wagner meinst, so will ich Dir doch nebenbei bemerken, daß ich diese arrogante Person zu entlassen gedenke.»

«Die pflichttreue Pflegerin ist meinen Kindern unentbehrlich, so lange diese keine Mutter haben.»

«Du stellst diese Person über Deine Frau!»

Ihre Augen flackerten, ihre Wangen brannten, er sah es, aber er begriff nicht, daß diese Anzeichen Schonung und Ruhe für ihre kranken Nerven forderten; er sah nur ihre Leidenschaft, ihren ungerechtfertigten Zorn gegen ein unschuldiges, reines Wesen, das in seinem Hause unter seinem Schutze stand.

«Ja,» sagte er ruhig «ein unbescholtenes jungfräuliches Mädchen steht sittlich viel höher, als eine pflichtvergessene Mutter, die sich ihren Kindern entzieht, um mit sinnlicher Gier in verbotenen Genüssen zu schwelgen. Seit Du morphiumsüchtig bist, habe ich kein Weib mehr, meine Kinder haben keine Mutter, und die Ehre meines Namens lag bis heute in den Händen eines charakterlosen Schwächlings, der in seiner Erbärmlichkeit nicht anders enden konnte, wie er geendet hat, als Selbstmörder.»

Lydia sah ihn starr an. Es lag etwas Unheimliches in ihren Augen, etwas wie verborgener Wahnsinn. «Deine Ehre in Turnaus Händen?» sie lachte. «Von seinem Mitleid habe ich gelebt, von dem Almosen, das er mir hinwarf. Ein willkürliches Gesetz gab ihm in die Hände, was Anderen unerreich bar ist. Großmüthig gab er mir von seinem Reichthum, weiter nichts. O Gott, Arnold — muß ich Dir denn schwören, daß Deine Ehre rein geblieben ist, daß mich Turnau körperlich niemals berührt hat?»

«Wenn das der Fall ist, so lag es wohl nicht an dir; du hättest dich vor die Hunde geworfen, um deiner Leidenschaft fröhnen zu können. Es ist nicht das Verdienst einer Dirne, wenn ihre Reize keinen Käufer finden.»

Er erschrak selbst, als er die furchtbare Beleidigung ausgesprochen hatte. Die Verachtung hatte ihn überwältigt, maßlos wie seine Verzweiflung war der Vorwurf, den er erhob.

«Du begreifst, daß diese Äußerung unsere Ehe nun auch äußerlich scheidet. Innerlich getrennt sind wir, seit Du heute früh Deine ‚Dienstboten‘ aufgehetzt hast, mir den einzigen Genuß zu stehlen, den das Leben an Deiner Seite für mich überhaupt hat.»

Sie wunderte sich selbst, daß sie so ruhig sprechen konnte. Wie aus weiter Ferne hörte sie ihre eigene Stimme. Es war in ihr wie ein Morphiumrausch ohne Morphium. Leise griff die Krankheit des Körpers vom Nervensystem aus hinüber nach der Seele. Die Grenze, die das körperliche und das Gemüthsleiden trennt, verschob sich unmerklich, die Leidenschaft, der Zorn und die Qual der Verzweiflung wurden zur Krankheit. Sie konnte nicht mehr kämpfen, nur noch leiden, nur noch dulden, nur noch schwach und vergehend sich wehren, wenn man ihr allzu wehe that.

«Ehescheidung?» Er fuhr in furchtbarer Heftigkeit auf. «Glaubst Du, daß ich an meinen Kindern das Verbrechen begehen werde, meine Ehe scheiden zu lassen? Der Schwur, den ich am Altar geleistet habe, ist mir heilig. Ich bin und ich bleibe Dein Gatte, nur der Tod kann uns scheiden.»

«Wenn das Deine Ansicht ist, so giebt es allerdings für uns Beide nur einen Ausweg — tödte mich — es wird mit meinem Einverständnis geschehen.»

«Nein, ich will kein Verbrechen begehen, wie Du. Dank dem krankhaften Zustande Turnaus bist Du äußerlich wenigstens nicht entehrt, wenn du es auch innerlich bist durch den Willen zur Sünde. Kehre um, bereue, bessere Dich und beginne ein neues Leben.»

«Was giebt Dir das Recht, eine solche beleidigende Forderung an mich zu stellen? Ich war nicht Turnaus Geliebte, ich war nur Morphinistin, das ist eine Krankheit, eine Schuld ist es nicht.»

«Als eine Krankheit fasse ich es auf und wie ein Unglück, wie eine Krankheit will ich es bekämpfen.»

«Glaubst Du, daß Zwang und Gewalt, die mich zur Verzweiflung treiben, die mich sogar zur körperlichen Gegenwehr zwingen, der richtige Weg sind, um eine Krankheit zu heilen? »

«Bedenke mein Entsetzen, Lydia, meine schmerzliche Überraschung. Deine Tugend, Deine
Vornehmheit. Deine frauenhafte Lieblichkeit waren mein Heiligthum und mein Glück. Mir ist, als ob sich ein Abgrund aufgethan hätte, der das Alles in seine Tiefe gerissen hat; mir ist, als ob ich selbst vor einem Verhängniß stünde, das mich zu Grunde richten muß.»

«Dein ganzer Kummer ist nichts als Einbildung,» rief sie außer sich. «Laß morgen durch die Gnade der Heiligen eine Erleuchtung in die Welt kommen, die einen entsetzlichen Zwang aufhebt, laß den Morphiumverkauf frei werden, und ich stehe gerechtfertigt, ehrenhaft, glücklich und frei da, wie zuvor. Nur der Zwang, ein Gesetz umgehen zu müssen, hat mich unglücklich gemacht. Mit dem Fall dieses Gesetzes würde ich und Tausende mit mir wieder ehrlich und froh sein.»

Arnold Bremer stampfte mit dem Fuße auf und griff in maßloser Wuth mit beiden Händen in sein graues Haar. Seine Stimme klang beinah wie Schluchzen.

«Lydia — wenn morgen die Strafe für Mörder aufgehoben würde, würde dann der Mörder aufhören ein Verbrecher zu sein?»

Sie zuckte die Achseln. «Der Mörder schadet Anderen an Leib und Leben; der Morphinist schadet niemand, er genießt nur ein süßes Behagen, das ein neidischer Zwang ihm verwehrt.»

«Und schadet niemand?»

«Nein.» Sie sah ihn fragend an.


oben

weiter

____________________________



  lifedays-seite - moment in time