Möglich
Wie es draußen stürmt und
wettert,
Mariechen. Wie die Wolken über den See kommen. Das wilde Heer der
Märznacht.
Welche Traurigkeit liegt in den Wolken. Als Kind wollte ich immer mit
ihnen
spielen, sie fangen. Aber sie kamen nie zu mir, sie blieben immer fern,
meine
Mutter tröstete mich mit meinem Lämmchen, nun tröstet mich niemand mehr
über
ihre Traurigkeit. Ich habe einen Hirten gekannt, der ist nun schon
lange tot.
Wenn er auf der Bergweide lag und auf seiner Flöte spielte, dann kamen
alle
Wolken am Himmel herbei, sie setzten sich auf die kahlen Bergkegel in
der Runde
und hörten seinem Liede zu.
Die
kleinen weißen
Wolkenkinder flogen immer um seinen Kopf. In seiner
Flöte wohnten alle Toten, die der Blitz auf der Heide erschlug und die
im See
in der Herbstnacht ertrunken waren. Ach es war ein trauriges Lied. Und
wenn es
aufhörte, dann fingen alle Wolken an zu weinen und es regnete Tag und
Nacht.
Sind sie nicht schön, wenn der Sturm sie über den See führt und sie
tief in die
Wogen hängen. Gleichen sie nicht den Segeln der spanischen Flotte, da
Columbus
nach dem unbekannten Land fuhr? Sind sie nicht die Freiheit? Wenn ich
ein König
wäre, ich wollte einmal hoch oben in den Bergen eine große Harfe mit
silbernen
Saiten spannen lassen, daß die Wolken und die Winde mit ihr spielten,
und man
nicht wüßte, woher das Lied käme, das große Lied von der Freiheit. O
Thekla,
wie dich meine Seele liebt.
Mariechen
Thekla?
Welche Thekla. Also es ist doch wahr, daß du mit des Gumperts
Thekla gegangen bist.
Möglich
Sei
ruhig, Mariechen. Ich parodiere den Max Piccolomini, das ist eine
Rolle, die mir auf den Hals geschrieben ist.
Ich
übe mich im Posieren, denn wenn ich bei der Revolution nichts
ernte, werde ich Schauspieler.
Wir
wollen sehen, welches Geschäft mehr einbringt.
Du
kommst die Nacht wieder zu mir?
Mariechen
Nein!
Wo denkst du hin? Mein guter Ruf. Es ist schon so viel herum.
Vor meiner Tür haben sie Heckerling gestreut. Und das läßt sich ein
anständiges
Mädchen nicht bieten. Mein guter Ruf, du bedenkst meinen guten Ruf
nicht.
Möglich
Deine
Beine sind eine reizende Schere. Wie es meinen Lenden guttut,
wenn deine Schenkel sie zwicken.
Deine
amüsanten Waden sind viel mehr wert, als dein langweiliger guter
Ruf. Hole der Teufel den guten Ruf. Behüte mich Gott vor meinem guten
Ruf.
Wollte ich mich immer nach meinem guten Ruf umsehen, ich müßte immer
mit
verdrehtem Kopf laufen, ich wäre immer im Schatten und käme nie in die
Sonne.
Der
gute Ruf verträgt sich nicht mit der Freiheit. Ein Spießbürger,
der sich jeden Morgen seinen guten Ruf besieht, ob er nicht
fadenscheinig
geworden ist und gewendet werden muß.
(Schritte.)
Mariechen
Der
Vater kommt.
Möglich
Um
Mitternacht sehe ich dich.
Mariechen
Ich
weiß es noch nicht. (Ab.)
Möglich
Sie
weiß es noch nicht. Dabei brennt sie vor Begierde. Sie kann nicht
schlafen, bis es Mitternacht ist. Ach du, ich möchte von dir los, und
ich muß
immer wieder zu dir. Ich bin nicht dazu gemacht, allein zu schlafen.
Es
gab einmal einen Frühlingsabend, einen Abend im Mai mit Mondschein
und den Nachtigallen im Tal. Am Rande des Bergwaldes stand eine alte
Buche, an
ihrem Stamm saßen zwei Menschen, zwei Kinder und waren glücklich. Welch
ein
Rausch war das, Johanna, wo magst du sein, Johanna. Götter, ihr habt
einen
Fehler begangen. Was wäre aus mir geworden, hättet ihr mich nicht
zerstört.
Struve
Ein
Landpastor, ein Dorfschulmeister. Achtzig Jahre gelebt und in die
Grube gefahren. Ein Leichenstein, hier ruht in Gott Thomas Möglich,
geboren,
gelebt, gestorben und von den Würmern gefressen, der steht dreißig
Jahre, dann
wirft ihn der Wind um.
Möglich
Struve,
ich sollte es dir
heimzahlen, daß du mich belauscht hast. Es ist schändlich von dir, den
Horcher
zu spielen. Aber ich will mir keine Mühe darum geben. Fahre fort,
Schamgefühl,
du bist der letzte unreine Geist, der noch in mir steckt, du bist das
einzige
Gewicht, das mich aus den olympischen Höhen der Vernunft noch auf diese
gemeine
Erde hinunterzieht. Satan, so sollst du mich auch ganz haben. Ich will
wahrhaftig
nicht lau sein, denn die Lauen wird der Herr ausspein aus seinem Munde.
Was
soll man
tun, Struve, wenn man
rührselig wird. Hast du keine Medizin gegen die
Rührseligkeit. Sie muß in der Jahreszeit liegen, im Frühling werde ich
immer
schwermütig.
Struve
Es ist eine
Modekrankheit.
Die
ästhetischen Damencafés haben sie ins Land gebracht. Komm her, ich
will dich unter Quarantäne stellen, ich will dich desinfizieren. Ich
will dir
Teil geben an meinem Feuergeist.
Möglich
Ich habe diesen Morgen
geschworen, ich trinke keinen Branntwein mehr,
ich entsage dem Rum, ich habe es bei meiner Seele geschworen, ich sehe
kein
Glas Branntwein mehr an. Ich werde also mit geschlossenen Augen trinken.