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"Verzweiflung",
Ludwig Meidner
(Ausschnitt), 1914, "Ludwig
Meidner Archiv, Jüdisches Museum
der Stadt Frankfurt a. M.
04.3
Aus den Tagebüchern
Georg Heym
Drittes
Tagebuch
Drittes Tagebuch
17.
Juni.
1910.
Ich
eröffne ein drittes Tagebuch unter vielleicht
günstigeren Auspizien. Ich beabsichtigte eigentlich, keines mehr zu
beginnen –
tue es aber doch, grundlos, wie ich das meiste tue.
Im
allgemeinen Sinne bin ich jetzt glücklicher, ruhiger,
wie in den früheren Jahren. Ich lebe mich auf den robusten Stil ein,
der mich
wie eine Festung umschanzt. – Teils bin ich es ja auch –. (. . .)
Mein
Unglück ruht vielmehr zur Zeit in der ganzen
Ereignißlosigkeit des Lebens. Warum tut man nicht einmal etwas
ungewöhnliches,
auch nur, daß jemand dem Ballonhändler die Schnur durchschnitte. Ich
würde ihn
gern schimpfen sehen. Warum ermordet man nicht den Kaiser oder den
Zaren? Man
läßt sie ruhig weiter schädlich sein.
Warum
macht man keine Revolution? Der Hunger nach einer
Tat ist der Inhalt der Phase, die ich jetzt durchwandere.
26.
6.1910
Ohne
Zweifel ist die Idee eines morallosen Schicksals
tiefer als die eines moralischen – moralisch zu sein gezwungenen –
Gottes.
Welch
eine Wendung durch Gottes Fügung? Warum, wieso
durch Gottes Fügung? Hatte Napoleon nicht dasselbe Anrecht auf diese
Fügung.
Ich
führe den Beweis, daß kein Gott existiert, wenigstens
kein guter Gott. Einer Witwe sterben alle Kinder nach und nach fort.
Sie bittet
jede Nacht, ihr das letzte zu erhalten. Es stirbt. Warum? Was ist hier
die
moralische Idee? Man wendet das jämmerliche Wort ein: Gottes Gedanken
sind
höher als die Gedanken
der Menschen. Was hätte jeder höhere Gedanke hier für einen Sinn, wenn
er nicht
einmal diese einfache schlichte Forderung erfüllt.
Wäre
ein guter Gott, sein Herz hätte ihm zittern müssen
bei soviel Leid; er hätte nicht nur den Sohn im Leben behalten, er
hätte alle
toten Söhne aus den Knochenhäusern kommen heißen. Der gute Gott sitzt
oben
hinter den Wolken und rührt sich nicht. Da ist alles Stein, taub hohl
und leer.
Viel
eher ist die Idee eines bösen Gottes oder eines
bösen Schicksals möglich. Denn, alles was geschieht, ist und wird böse.
Das
Glück ragt kaum aus dem Staube hervor, nicht mehr wie ein Goldstäubchen
in
einer Sandwüste. Warum hält sich die Macht immer versteckt, warum zeigt
Er sich
nie, he? Weil er liebelos ist, kalt und stumm wie die Wolkenbilder, die
ewig
die der Erde abgewandten Köpfe vor sich her tragen, als wüßten sie um
ein
schreckliches Geheimniß und müßten es durch alle Zeiten mit sich tragen
zu
einem dunklen unbekannten und weiten Ziel.
29.6.1910
Man
sollte nichts tun, als immer den Wolken zuzuschauen,
den weiten geheimnisvollen Wolken. Dem Schönsten, das die unendliche
Traurigkeit
4.7.10.
Was
ich vor Nietzsche, Kleist, Grabbe, Hölderlin...
voraus habe? Daß ich viel, viel vitaler bin. Im guten und im schlechten
Sinn.
6.7.
1910
Ach,
es ist furchtbar. Schlimmer kann es auch 1820 nicht
gewesen sein. Es ist immer das gleiche, so langweilig, langweilig,
langweilig.
Es geschieht nichts, nichts, nichts. Wenn doch einmal etwas geschehen
wollte,
was nicht diesen faden Geschmack von Alltäglichkeit hinterläßt. Wenn
ich mich
frage, warum ich bis jetzt gelebt habe. Ich wüßte keine Antwort. Nichts
wie
Quälerei, Leid und Misere aller Art. Sie meinen, Herr Wolfssohn, Ihnen
wäre
noch nie jemand so ungebrochen vorgekommen, wie ich. Ach nein, lieber
Herr, ich bin von dem
grauen Elend zerfressen, als wäre ich ein Tropfstein, in den die Bienen
ihre
Nester bauen. Ich bin zerblasen wie ein taubes Ei, ich bin wie alter
Lumpen,
den die Maden und die Motten fressen. Was Sie sehen, ist nur die Maske,
die ich
mit soviel Geschick trage. Ich bin schlecht aus Unlust, feige aus
Mangel an
Gefahr. Könnte ich nur einmal den Strick abschneiden, der an meinen
Füßen
hängt.
Geschähe
doch einmal etwas. Würden einmal wieder
Barrikaden gebaut. Ich wäre der erste, der sich darauf stellte, ich
wollte noch
mit der Kugel im Herzen den Rausch der Begeisterung spüren. Oder sei es
auch
nur, daß man einen Krieg begänne, er kann ungerecht sein. Dieser
Frieden ist so
faul ölig und schmierig wie eine Leimpolitur auf alten Möbeln.
Was
haben wir auch für eine jammervolle Regierung, einen
Kaiser, der sich in jedem Zirkus als Harlekin sehen lassen könnte.
Staatsmänner, die besser als Spucknapfhalter ihren Zweck erfüllten,
denn als
Männer, die das Vertrauen des Volkes tragen sollen.
7.7.1910
Ich
las gestern in dem Neo-Pathetischen Cabaret einige
Gedichte vor, die sehr beklatscht wurden. Aber wenn das der Ruhm ist. –
Ich
weiß, plötzlich schien es mir als sähen mich aus dem Dunkel des Saals
lauter
Tiere an und die Ochsen saßen ganz vorn und blökten mich an. Ich
dachte, sie
sind zu gut für Euch, viel zu gut. Wenigstens ging es ohne Sprachfehler
ab,
wovor ich die größte Sorge hatte.
8.7.1910
Der
Preßbravo des Berliner Tageblatts reißt mich runter.
Ael, Du armselige Kellerassel der Litteratur. Ich konnte vor Wut fast
nicht
schlafen. Der Lokal Anzeiger sagt wenigstens: Wesentlich mehr Begabung
verrieten die Gedichte von Georg Heym. Das war das Heftpflaster. Am
meisten
ärgert es mich, daß der Preßhengst des Berliner Tageblatts, dieser
armselige
Botokude, der aus seinen Zeitungshöhlen herausgekrochen ist, um sein
blödes
Gesicht in alle 4 Winde zu hängen, damit sie es abschleifen, daß
dieser Hohlkopf mich einen Schüler Georges nennt, wer mich kennt, weiß
was ich
von diesem tölpelhaften Hierophanten, verstiegenen Erfinder der kleinen
Schrift
und Lorbeerträger ipso iure halte.
21.Juli
1910.
Ich
glaube, daß meine Größe darin liegt, daß ich erkannt
habe, es gibt wenig Nacheinander. Das meiste liegt in einer Ebene. Es
ist alles
ein Nebeneinander.
1.August.
1910.
Die
verfluchten Fürsten, diese Giftgeschwüre am Leibe eines
Volkes. Welch ein trauriges Schicksal hatte die Prinzessin Hilde von
Baiern.
Daß
geniale Veranlagung irgendwo und irgendwie mit
Krankheit concurriert, beweist mir meine Familie. Ich selbst, der ich
an
Krampfadern, Sprachfehlern und, wer weiß was noch an nervösen Hemmungen
kranke.
Meine Schwester, die Epileptikerin ist, mein Vater, der an einer Art
religiösem
Wahnsinn und Versündigungswahn leidet.
Schließlich
ist Genie wohl doch eine Art Degeneration.
Denn warum sterben die Genialen Stämme sofort ab, nachdem sie ein Genie
gezeugt
haben.
17.
8.1910
(. . .)
Wahrhaftig,
gäbe es einen Gott, man müßte ihn an seinem
Schlafrock auf das Schaffott zerren für seine endlose Grausamkeit.
1.9.
1910
(. . .)
Verstehen
werden mich einmal ganz: Guttmann. Wolfsohn.
Hoddis.
Nicht: Schulz.
Nicht: Ernst,
denn wir kennen uns schon zu lange
amavisti. – mori
potes.
Ich
möchte einmal ein Jahr lang von Liebe und Ruhm so
berauscht sein, daß ich mich dann irgendwo verkriechen könnte.
4.9.1910
Es
wird leichter sein, mit einem Maler o. Musiker
Freundschaft zu halten, wie mit einem Dichter.
Übrigens
ist vielleicht der Haß zwischen zwei Menschen
ein noch stärkeres Band als die
Freundschaft.
20.
9.1910
(. . .)
Wolken:
eine ungeheure schwarze Fläche, wie ein riesiges
schwarzes Land bedeckt den südlichen Himmel. Rechts, gen Westen, reiht
sich
daran ein breites, über den ganzen Himmel gespanntes Band, breit,
tiefrot. Wie
die Trauben an der Stirn eines bekränzten Gottes, so hängt eine Anzahl
von
roten langen Fetzen daraus herab.
Ganz
oben in der Mitte ist wie ein ungeheurer Spiralnebel
eine rote feine Wolke, die in dem tiefen Blau langsam zerfließt. Als
ich diese
sah, verlor ich vor Taumel fast den Boden unter den Füßen. (. . .)
25.9.1910
Ich
habe jetzt für Farben einen geradezu wahnsinnigen
Sinn. Ich sehe ein Beet mit einer Menge roter Stauden und darüber einen
tiefblauen kühlen Herbsthimmel und fühle mich maaslos entzückt.
26.9.1910
Mit
welcher Frechheit der verlauste preußische Staat mir
eine juristische Arbeit gegeben hat, ist nicht zu sagen.
20.X.1910
Als
ich nichts mehr auf der Erde hatte, habe ich den
Himmel entdeckt.
Der Abend hält
die ungeheure Schale
draus goldner Rauch den weiten Himmel
füllt
Der Abend lehnt am roten Marmorsaale
22.10.1910
Ich
muß es noch mal betonen: Ich habe etwa 7–8 Gedichte
liegen, aber der elende preußische Dreckstaat läßt mich zu nichts
kommen.
30.X.1910
Paradox
– Intellect ist Dummheit.
Auf meinem
Grabstein soll einmal nichts anderes stehen als
ΚΕΙΤΑΙ
Keine Namen,
nichts. χείται Er
schläft, er ruhet aus.
2.11.1910
Ja,
wenn man sich mit den Frauen über Dinge der
Anschauung unterhalten könnte, über die wahnsinnige Freude eines
Baumes, über
eine Wolke, über die Zeichen des Unorganischen (ein albernes Wort),
über die
Farben, das Gold einer einsamen Wieseneiche gegen einen tiefblauen
Himmel. Das
verschiedene Braun-Grün einer Herbstlandschaft u. s. w., ja dann würde
diese
Gesellschaft mir schon zuhören. Aber sie sind alle so dumme
Rhinocerosse. (. . .)
3.11.1910
Was
das Deutsche litterarische Puplicum nur an dem
Weimarer Höfling und Kunstbonzen im Nebenberuf hat, an diesem
aufgeblasenen
Idioten und feisten Wasserkopf.
Ich
habe eben mir mein Gedicht vorgelesen in einer
goldwolkigen Landschaft, in der selbst die Bäume wie aus einem grün
patinierten
edlen Metall schienen. Jetzt trete ich vom Fenster zurück, Palmyra
kriecht in
einen Winkel, und ich schlage auf: das Buch des elenden Scheißnotars
und Arsch
(. . .) N. N. in F. . . S 8: Der Kaufmann Karl
Schulze lebte von seiner Frau getrennt . . . u. s. w.
5.11.1910 (. . .)
Ich mache mir viel Spaß durch meine Selbstbeobachtung. Ich, der
Wahnsinnige,
beobachte mit Vergnügen und Genugtuung die Symptome des Anfalles.
Ein
göttliches Schauspiel: Mir gegenüber in der kahlen
Novemberwiese steht ein Idiot von vielleicht 30 Jahren. Er hat einen
langen,
schwarzen Mantel an, u. einen großen Schlapphut auf. Plötzlich macht er
einige
große Sprünge. Er bleibt stehen, sieht sich um, und zieht ein
Schlüsselbund
vor, das er rasch durch seine Finger gleiten läßt. Ein paar kleine
Mädchen
haben sich um ihn herumgeschaart und suchen sich unter vielem Gelächter
gegenseitig an den
Narren heranzustoßen. Er hat offenbar Angst. Denn er macht wieder
einige große
Sprünge, wobei er den Kopf ständig gesenkt hält. Dann bleibt er wieder
stehen,
sieht sich nach den Kindern um und fängt an zu lächeln. Das Lachen
eines Irren.
Oben
am Fenster stehe ich. Poet, Wahnsinniger und Kinder,
wir geben ein schönes Trifolium ab.
Baudelaire.
Verlaine. Rimbaud. Keats. Shelley. Ich glaube wirklich, daß ich von den
Deutschen allein mich in den Schatten dieser Götter wagen darf, ohne
vor Blässe
und Schwachheit zu ersticken.
10.11.1910
Ich
bin stark, weil ich das Gegenteil der
Charactereigenschaften, die ich habe, in Erscheinung treten lasse.
Nur die Weiber
kann ich nicht bluffen. (. . .)
Gestern
Abend vorgelesen. Publicum radaulustig. Armin
Wassermann las meine Vorstadt. Spontaner Beifall. Ruhe und Interesse im
Publicum.
14.11.1910
Meine
Stellung zum Judentum ist folgende: Ich stehe ihm
auf Grund des Rasseinstinktes a priori feindlich gegenüber: Dafür kann
ich
nicht. Ich habe aber soviel nette, einzelne geradezu reizende Exemplare
der
semitischen Rasse kennen gelernt, (Guttmann, Baumgardt, Wolfsohn.) daß
ich rein
verstandesmäßig mein Urteil einer Kritik unterzogen habe, und daß ich
den
Semiten, den ich in Zukunft kennen lernen werde, nicht von vornherein,
als
antipathisch ansehen werde.
Freitag,
18.11.10.
Meine
Produktion entwickelt sich jetzt folgendermaßen.
Ich setze mich morgens an meinen Arbeitstisch. Ich schlage
meine-Scheiß-Arsch-Scheiß-Sau juristische Scheiße auf, es geht dann so
eine
Weile fort, immer gesenkten Hauptes durch die Scheiße durch, bis ich
plötzlich
gezwungen werde zu dichten. Meine Fassungskraft für die juristische
Scheiße ist
eben zuende, mein Gehirn ist schon längst wieder mit dichterischen
Bildern überfüllt,
und ich setze mich hin und schreibe los. Ich denke immer, daß der Gott
vielleicht so gut sein wollte, zu einer anderen Zeit in mich
hineinzufahren.
Ja
–
Herr Fritz Schulze – Das Dichten ist wirklich nicht
die prosaischste Sache von der Welt, wie ihr Gehirn annimmt – Aber ich
will
wahrhaftig dankbar sein. Mag die juristische Scheiße links liegen
bleiben, mag
ich durch das Scheiß-Lause-Sau Examen durchscheißen, das ist ja
schließlich
nicht so wesentlich – Es ist viel wesentlicher, daß ich mir treu
bleibe. Meinen
Weg werde ich schon irgendwie finden.
22.11.1910
Dienstag.
Mir erscheint ein Gedicht nur dann noch gut,
wenn ich es noch nicht gemacht habe. – meistens wenigstens. Danach
interessieren sie mich nicht mehr.
Neulich
las ich, daß der Jammermusiker Strauß erklärt
hätte, er würde sich einen Winter zurückziehen, um sich allein in die
Schönheiten der Elektrapartitur zu versenken. Solch ein Narr. Sich in
den
Schönheiten seines eigenen Werkes zu bespiegeln, wie ein Affe, während
das
Leben so kurz ist.
28.11.1910
Sowie
ich mein Examen habe, oder nicht habe (Dann muß ich
Ferien nehmen) werde ich mich mit Wissen vollpfropfen wie wahnsinnig.
Ich will
alles wissen, außer den verfluchten Lause-Scheiß-Sau-officiellen
Zunftdisciplinen, wie der Narren-Scheiß Juristerei, die ich, so Gott
will, in 2
Tagen werde vergessen haben, der Arsch-Theologie (d.h. moderne),
Kack-Silben-Grammatik-Philologie – und Médicin denn sie
desillusioniert. Ich
bedauere nur, daß mein Geist nicht die Mathematik erfassen kann. Das
ist eine
erbärmliche Schwäche.
29.11.1910
Meine
Natur sitzt wie in einer Zwangsjacke. Ich platze
schon in allen Gehirnnähten. Müßte mein Drama längst vollendet haben.
Und nun
muß ich mich vollstopfen wie eine alte Sau auf der Mast mit der
Arsch-Scheiß-Lause-Sau Juristerei, es ist zum Kotzen. Ich möchte das
Sauzeug
lieber anspeien, als es in die Schnauze nehmen. Ich habe solchen Trieb,
etwas zu
schaffen. Ich habe solche Gesundheit, etwas zu leisten. Ja, es ist zum
Scheißen. § § § § § Scheiß. Scheiß. Scheiß.
Wenn
ich bloß etwas, etwas Geld hätte, ich hätte schon
lange was anderes angefangen.
30.11.1910
Ich
beobachte die Wolken, gelbliche, weiße Fische,
Fasane, eine Maus auf blauem Grund. Und rechts ein wunderbares Phantom,
wie ein
riesiger Polyp mit unzähligen, langen, feinen Armen.
Ich
habe eben zum vielleicht x mal den Tod des Lionardo
da Vinci gelesen und zum x mal geweint.
7.
Dez.
10.
Mir
erscheint die Dichtkunst schon nächstens albern, denn
sie ist ein sehr kümmerliches Surrogat für die Tat und für das Leben.
Sie
bietet mir aber z. Zt. noch den einzigen Ersatz. Denn was soll ich tun,
wo ich
nicht einen Pfennig Geld habe.
Verstreute
Tagebuchaufzeichnungen
Breviarium
eines Winter-tages.
Ich
bin bei den Göttern nahe daran, wahnsinnig zu werden.
Überhäuft mit einer gräßlichen Arbeit, voll Auswendigpaukens, daß mir
der
Schädel kracht, von kleinen Misèren jeglicher Art wie in einem Sumpf
bedrengt,
– die K... will durchaus ihre 10 M. haben, – Quälerei, Elend, die
dichterischen
Bilder rauchen mir aus den Ohren heraus, statt, daß ich sie zu Papier
bringe. –
Voll Biocitin vollgestopft. Entsetzliche Träume. Keine eigene Wohnung,
Sexualverdrängung. Kurzum der ganze Vorhof des großen Tempels der
Hysterie.
20.12.10.
31.12.10
Meiner
Mutter Stammbaum.
Vater –
Gerichtspräsident unter Fürst Pless. – Nachher Gutsbesitzer von
Rinnersdorf.
Großvater –
Justizrat in Ratibor.
Urgroßvater –
soll aus Ungarn reingewandert sein, u. ein Gut in Oberschlesien gehabt
haben. Bezirk Taistr in Ungarn.
Warum
stellt man sich ein Genie gewöhnlich klein, u.
irgendwie mißgestaltet vor. – Weil man aus Neid das eigene Plus an
Körper und
das eigene Minus an Geist allerhöchstens umgekehrt bei dem Genie
zulassen will.
Schönheit und Genie ist für den unterbewußten Neid des Philisters zu
viel.
Es
ist viel ethischer, mehrere Götter zu haben, als
einen. Es ist viel ethischer, die Götter zu personificieren, als eine
große
Blase Nichts über sich herumschwanken zu sehen. Warum ist der
griechische
Götterdienst nicht nur ästhetischer (das ist selbstverständlich),
sondern auch
ethischer? Weil sich die gleichen Leidenden, z.B. die Liebeskranken,
bei dem
gleichen Gotte einfanden. Sie opferten gemeinsam, ihre Leiden waren
ihnen
gegenseitig kund, sie kamen sich menschlich näher. Und es ist der
erhabenste
Beruf der Götter, die Menschen an einander zu schmieden.
Problem
Heym – van Hoddis. Hoddis ist der verhaltene,
Heym der laute. Zwei Arten der Energie. Da die verhaltene stärker ist,
scheint
Hoddis der stärkere. (Rein als Person – die Leistungen betrachte ich
hier
nicht)
Re
vera: Hoddis trägt keine Maske, Heym ist maskiert. Ihm
beliebt es, als Naturbursche zu erscheinen. Solange er andere braucht,
muß er
ihnen Gelegenheit geben, sich wenigstens in dieser Hinsicht – Schliff,
Intellect – ihm überlegen zu zeigen (da sie mit der Leistung nicht
konkurrieren
können.) Es genügt vollkommen für seine Pläne, daß sie ihn nicht um
alles
beneiden zu müssen glauben.
Ergo:
ist Heym auch als Phänomen der
stärkere.
Das
Problem Heym – van Hoddis scheint quatsch zu sein.
Denn Hoddis kann ja garnichts. Wie kann man nur so blind sein.
Februar/März
1911
Die
Stärke ist, zu wissen, bis wohin, und von wo an nicht
mehr, man der gewöhnlichen Umgebung Concessionen machen darf.
9.
April
1911.
Wenn
ich morgens – zumal, wenn ich lange geschlafen habe
– meine Haare mit einem Gummikamm kämme, so gibt das nicht nur ein
gewöhnliches
Knistern. Nein, es gibt ungefähr 10 Minuten lang, so oft ich
durchfahre, einen
ordentlichen Funkenregen. Das knattert und knistert so laut wie in
einer
Elektrischen Maschine. Ich habe es eben meiner Mutter wieder
vorgemacht, und
die war vor Staunen ganz aus dem Häuschen. »Man denkt, es wird gleich
Feuer
kommen«, sagte sie. In der Tat, ich bin stark geneigt, das für einen
Beweis
meines göttlichen Ursprungs zu halten.
28.5.1911
Mein
Gehirn rennt immer im Kreise herum wie ein
Gefangener, der an die Kerkertür haut. Ich brauche Erschütterungen,
Stürme,
Qualen. – Na – die Qualen habe ich. –
Juli/August
1911
Mir
hat der Satan die Kunst des Malens versagt. Und was
würde ich malen. Ich habe 4 Bilder.
eins.
Ein leeres, ganz leeres Zimmer. Ganz grau. Ohne
Fenster in den 3 sichtbaren Wänden. Ohne Tür. Abend. Und nach hinten
sich immer
mehr vertiefende Dunkelheit.
Rechts
in der Ecke eine Art Schatten von 2 Männern. Sie
sehn aus wie Brüder. Sie nehmen dieselbe Haltung. Wenn man näher
zusähe, würden
sie zerfließen. Sie haben hohe spitze Hüte auf. Sie sind in lange graue
Talare
gekleidet. Ein Strick bindet ihre Hüften.
II.
Die Irren an den Fenstern des Lichterfelder
Irrenhauses.
III.
Die Toten im Wolkenberge. Vorn die
Pfeifer, oben in dem einsamen höllischen Licht. wie ein Kind oder ein
Greis der
Teufel.
IV.
Die Suarezstraße – der wilde Wolkenberg. Unten ein
Mann der über den Bauplatz stapft. Man könnte ihn mit 2 Strichen
festhalten. in
den Wolken verstreut die Gerippe.
Juli/August
1911
Warum
hat mir der Himmel die Gabe der Zeichnung versagt.
Imaginationen peinigen mich, wie nie einen Maler vor mir. (. . .)
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