|
|
|
|
|
lifedays-seite
moment
in time
|
|
|
"Verzweiflung",
Ludwig Meidner
(Ausschnitt), 1914, "Ludwig
Meidner Archiv, Jüdisches
Museum der Stadt Frankfurt a. M.
04.3
Prosadichtungen und Schriften
Georg Heym
Die
Särge
Die
Särge wohnten in einem
kleinen Sargladen voll
mit Gaslampen. Es war sehr zugig und kalt. Der Winter hörte in dem
Laden nie
auf. Und wenn draußen der Märzwind lärmte, dann wurde es im Laden
November. Tote
Blätter fielen ewig von oben herein, die sommers aus den morschen
Balken
gewachsen waren. Die Totenfrauen kamen zu Besuch. Man kochte Kaffee.
Man
unterhielt sich. Und die Leichentücher trockneten oben an dünnen
Schnuren. Da
waren öfters wunderbare Zeichnungen darauf, wo die Toten gelegen
hatten. Kleine
blaue Inseln, Kontinente, voll von Buchten mit Schiffen. Die Tücher
wurden
niemals trocken. Sie hingen wie große graue Himmelswolken an der Decke.
Es war
eine salzige Regenluft. Und eine Lampe hing darin wie ein großer Mond,
an dem
die Gewitter vorbeistürmten.
Der
Ladeninhaber war ein
uralter Mann. Er hieß
Fakoli-Boli, oder Leben von tausend Jahren. Und sein Bart war so lang,
daß er
immer mit den Schuhspitzen darauf herumtrat. Wenn er frühmorgens in
Unterhosen
in den Laden kam, sagten die Särge ihm einen guten Morgen und klappten
ihre
großen Kinnladen auf und zu. Denn sie waren hungrig. Und dann nahm er
die toten
Ratten aus der Ecke, dort wo das Rattenkönigreich begann, (denn die
Ratten
können nichts Totes in ihrem Lande haben, und darum werfen sie ihre
Gestorbenen
immer über die Schlagbäume der Reichsstraßen) – und warf sie in ihre
offenen
Schlünde. Während sie verdauten und behaglich wiederkäuten, ging er wie
ein
Tierbändiger durch ihre Reihen, streichelte ihre großen braunen Leiber
und
sagte “wartet, wartet, bald gibt es mehr. Wartet. Wartet.“ Und die
Särge
erhoben dankbar ihre großen silbernen Füße, und kratzten ihn wie
Hündchen an
seinen Unterhosen, und bei seinen Lieblingen – ein paar ganz kleinen
Kindersärgen,
die erst vor ein paar Tagen geboren waren, bückte er sich tief
herunter, daß
sein Bart die Kleinen ins Gesicht
kitzelte,
und sie
zwinkerten wie kleine Katzen mit den weißen Augenliderchen, sagten:
„Großpapa“,
und gaben Pfötchen. Dann nahm er sie in seine Arme, schaukelte sie hin
und her,
bis sie wieder eingeschlafen waren. Und die ganz kleinen gab er den
alten
großen weißen Wöchnerinnen-Särgen an die Brust. Und wenn die kleinen
Särge den
Leichensaft aus deren Holz schmatzten klang es wie Musik und es war ein
schönes
Familienbild aus der norddeutschen Tiefebene.
So
ging es Tag für Tag. Es
konnten schon
hunderttausend Tage vergangen sein, oder auch zehn. Ab und zu wurde
einer der
Särge fortgeschickt, um einen Toten abzuholen. – Aber es war immer sehr
langweilig, – wenn die Trauerleute mit ihren schmutzigen Füßen und
verweinten
Gesichtern in den Laden kamen, und um den Sarg handelten. Die Särge
waren dann
sehr böse. Jeder drückte sich möglichst in die Ecke. Aber schließlich
wurde
doch einer genommen. „Ich möchte genau so einen wie bei Ramumpa-Mumpa,
wissen
Sie, wo die Großmutter starb, wissen Sie, die über sieben Jahre gelebt
hatte,
wissen Sie, die mit dem Orden für das lange Leben, der ihr nachher in
die
Gurgel eingewachsen war, wo soviel Dreck war, weil sie sich niemals
gewaschen
hat.“ „Ach ja, so einen. Aber wollen Sie nicht lieber einen, wie bei
dem
Schaloila-Loilas. Der alte Präsident ist damals gestorben, der König
ist noch
selber mit zum Grab gegangen. Als er wiederkam, war an seinem Thron ein
Stuhlbein
zerbrochen, die Maden kamen schon an der anderen Seite wieder heraus,
und
hatten ganz staubige Barte. – Und nach drei Tagen war er tot. Und ich
habe auch
den Sarg geliefert, da oben auf dem Brett, so einen wie den mit der
Krone und
den allegorischen Darstellungen, vom Tod als Hirten, vom Tod als
Feuermann, vom
Tod als säendem Engel – alles aus der Bibel mit Sprüchen.“ – Gott, das
ging so
ewig weiter und die Särge hätten sich gern die Ohren zugehalten. Aber
das ging
nicht. Das wäre gegen ihren Vertrag gewesen. Der § 8 lautete:
((§339
und §340 B.G.B.))
Jeder
Sarg hat während der
Besuche von Personen aus
dem Publikum
- ausgenommen die Familie
Palipa-Lipas
und Klikli-Liklis – (welche die Totenfrauen und Leichenwäscher stellten
und
Schmiergelder erhielten – Anmerkung des Verfassers) absolutes
Stillschweigen zu
bewahren bei einer Konventionalstrafe von tausend Mais- und siebzig
Hirsekörnern. -
Endlich
wurde dann ein Sarg
vorgeholt. Er brummte gewaltig.
Und die Leute sagten: „Der knarrt ja so.“ „Ach, das ist nur eine
optische
Täuschung. Sie haben zu schlechte Ohrgläser.“ Sagte der Ladeninhaber. -
Schließlich lag er draußen auf dem Leichenwagen unter dem schwarzen
Baldachin,
winkte noch einmal mit dem Taschentuch – und verschwand. Dann kam er in
das
Trauerhaus, wo es nach Weihrauch stank. -Eine nasse Leiche wurde in
ihn
hereingelegt. - Man behandelte ihn jedenfalls äußerst roh, und
entblödete sich
nicht, große Nägel quer durch seinen Schädel zu treiben. Mit einem
Gedonner,
daß ihm die ganze Hirnschale knallte.
Später
lag er eine Zeitlang
mit dem Toten in der
Erde – manchmal machte er noch ein bißchen Krach - besonders wenn es
ein
Scheintoter war, der ihm von innen die [Haut zerkratzte]. Scheußlich
war das. -
Dann wurden die Toten verdaut, was manchmal einen ganzen Winter
dauerte, an der
Leiche des Stefan George war sogar zwei Jahre gekaut worden, denn sie
war so
hölzern und dürr, daß der betreffende Sarg schon glaubte, sie hätte ein
jahr
der seele verschluckt.
|
lifedays-seite
- moment in time |
|
|
|
|
|
|
|