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"Verzweiflung",
Ludwig Meidner
(Ausschnitt), 1914, "Ludwig
Meidner Archiv, Jüdisches
Museum der Stadt Frankfurt a. M.
04.3
Prosadichtungen und Schriften
Georg Heym
Skizzen
Weiß
und Violett. Farbe der Krankheiten. Ein weißes
Mädchenhaar, offen um ein weißes Gesicht herumgegossen, in einem Kranze
von
Nachtschatten, der wie der siebenarmige Leuchter zu ihrem Haupte steht.
Auf der
mittelsten Blüte sitzt der kleine graue Vogel, die Fledermaus des
Todes. Sie
wartet bis die Sonne fort ist, um mit dem scheußlichen Leder ihrer
Flügel das
Gesicht der Sterbenden zu bedecken.
*
Nachmittags
um vier erscheint in einem Schnee-Meer
der Wolkenwalfisch. Er hat einen großen Rüssel wie ein Elefant, und
schnobert
in den Krippen der Wolken herum.
Dann
kommt er auf mein Fenster. Ich unterhalte mich
mit ihm in der Furchi jorchu Sprache,
die die Menschen mit den weißen Mausköpfchen sprechen, dort oben in den
unentdeckten Eispalmenhainen der Insel Boothia-Felix. Manchmal legt er
sich
schlafen auf die großen, tausendjährigen Pappeln, die um den See
stehen. Dann
kommen die grünen Papageien und fressen die Würmer aus seiner Haut.
Manchmal
wird er auch ganz klein, wie ein kleiner blauer Wurm. Himmelblau wie
eine
Indigoraupe, purpurn und goldig, als trüge er die Sonne in seinem Leib.
Er
hat mir versprochen, er würde L. W.
verschlucken, denn ich liebe sie zu sehr.
*
Ich
werde in meiner Wohnung einige Hampelmänner
halten, die ich eine besondere Sprache lehren werde. Denn wir sind zu
gut, um
uns zu unterhalten. Ich werde ihnen mit Kohle schwarze Augen malen, die
sie nie
schließen werden, denn sie sollen wie die Fische schlafen in dem Tang
meines
Sofas, in dem grünen Schatten, den der Mond in den Zimmerecken erbaut,
tief wie
in einem grünen See, und jedem einen Phallus geben, grün, von einem
Kohlstrunk,
in dicker haariger Wolle. Damit werden sie mich ins Ohr kitzeln. Sie
werden an
meinem Bette Wachen stehen,
und meine chinesische
Lampe, die die Kaiserin Himeko in Pekche, Reich in Korea, für mich
anfertigen
ließ, wird auf ihre Glatze scheinen. O Himeko, alle Glasbläsereien von
Korea
rauchten. Und der Himmel wurde so weiß, und glasförmig wie Korea
selbst. Er
wurde wie eine kleine Glasglocke, dünn, seidig knisternd. Und die
langen
schwarzen Wimpern meiner Königin bestrichen ihn morgens mit einer
feinen
farbigen Tusche.
*
Ich
beschloß mich verbrennen zu lassen, denn die
ganze Straße war voll Geschrei. Und das Gelb der Kranken, deren riesige
Backen
aus allen Fenstern hingen, wollte ein Opfer. Wahrhaftig, sie sahen aus,
wie
riesige große Affen. Und ihre Maultaschen bedeckten drei Stockwerke.
Wenn sie
sich begrüßten, so schlugen sie ihre Stirn gegeneinander. Und die
riesige
Elephantiasis ihrer Backen bedeckte die Straße unten wie mit schwarzer
Nacht.
Wenn man unten stand, so hätte man ihre gewaltigen Ohrlappen für
riesige
fliegende Hunde halten können, die um den Mond stürmten mit einem
Geschrei, das
wie das Auskratzen von Töpfen klang.
[Aber,
wo die Straße zuende war, waren die grünen
Schilfriesen, blaugrün, und man konnte sie nicht ansehen, ohne
geblendet zu
werden. Ein Mann ging hindurch. Sein Kopf war eine riesige
Soldatenflöte, die
in seiner Luftröhre stak. Und wenn er atmete, sang die Flöte. Und sie
sang:
Ognibene – Caracosa.]
Hört
ihr, wie der Wind pfeift. Ihr habt eine kalte
Faust, Wind. Ihr setzt rote Nasen auf.
Kurzum,
habe ich nicht recht Herr Mond, Herr gelber
Puffärmel, Herr Laterne, Herr Einauge.
Ihr
seid auf den Tisch geworfen, wie ein
Eierkuchen.
Ach
Ihr, Ihr bleibt immer blank, immer klar. Ihr
wäret vielleicht schon einmal grau, wie ein Streusandglas voller Jahre.
Ach
ich bin hier ganz allein. Warum darf es
überhaupt Nacht werden. Mindestens sollte die Zeit bei Mitternacht
aufhören.
Dann was nachher kommt zwischen Mitternacht und erstem Hahnenschrei –
Würde
mich ein Mädchen lieben, wäre ich nie so betrunken. Herr Ulme, Herr
Marktbrunnen.
*
Der
Dichter hatte am Nachmittag eine Expedition
unternommen, irgendwohin, nach einem entlegenen Stadtteil, wo ihn
niemand
kannte. Er war allein gewesen, in den Straßen, die in ihrer
schrecklichen
Eintönigkeit, sich [fortzusetzen schienen bis in das Unendliche, als
wäre die
ganze Welt in zahllose Quadrate eingeteilt.]
Vielleicht
habe ich geschlafen, dachte er
plötzlich, und die Zeit ist über meinem Schlaf fortgegangen.
Vielleicht
ist das schon der Tag, an dem die ganze
Welt wie ein riesiges Gefängnis in unzählige dieser Häuserquadrate
eingeteilt
sein wird. Und vielleicht zeigt hinten der weiße (unl.
Wort) dort
in der Helle des letzten Baues, schon das letzte Kornfeld. [Ach ja,
vielleicht
ist schon der Tag, wo wir alle Nahrung in kondensierten Pillen
einnehmen.]
Das
Signal in einer Fabrik rief. Andere
antworteten. Und die Straßen füllten sich plötzlich aus tausend
schmutzigen
Torbögen. Er ließ sich von dem Strom treiben, durch ein paar Straßen
weiter,
und kam mit dem Heer der Arbeiter auf das Perron eines Bahnhofes.
Da
überfiel ihn mit einem Male seine schreckliche
Mutlosigkeit, wie ein Gespenst. Heut hielt ich die Krisis überwunden.
*
Wir
werden die Meere sehen, die unermeßlichen
Meere, den Taifun, und die untergehende Sonne, die auf den haushohen
Wellen ein
Alpenglühen entzündet bis weit in den Horizont.
Wir
werden durch Inseln fahren durch unermeßliche
Düfte, wir werden in die Urwälder steigen.
Wir
werden die Nacht der Tropen genießen, die
Geheimnisse der Städte und den Rausch der Gestirne.
Wir
werden die Polynesierinnen erschauen, die
nackt, geil, und schön sind wie der Tag.
Wir
werden die Kraken in den Korallenlöchern sehen.
–
Jeder
Tag
wird uns ein Gedicht eingeben.
Warum
sind wir so traurig,
warum
sind wir so müde?
Wollte
uns jemand lieben,
wollte
uns jemand erlösen,
zart
wie die Lilie, träumerisch
wie
der Sommerabend, zärtlich
wie
Immergrün, schwermütig
wie
ein Herbstabend, jemand
mit
dunklen Augen, und
feiner
Stimme.
Warum
sind wir so traurig,
warum
sind wir so müde?
*
Wir
haben die Fenster aufgetan. Der Schnee im Tale
ist geschmolzen, die Weiden am Bache tragen das erste Grün, der Bach
läuft in
den Abend, wie eine feurige Straße. In den Abend, der lila und blaß
ist, wie
ein Kuß, in den Märzwind gehaucht. Das Füllhorn des Frühlings ruht auf
einer
rosafarbenen Wolke und sein Geruch flattert daraus hervor, destilliert
aus den
Essenzen der kommenden Blumen, aus dem Duft künftiger meilenweiter
weißer
Weizenfelder, aus der Wärme der Julisonne.
*
In
deinem Haar hat sich die Sonne eingenistet. In
deinem Haar, das mich vor der Sonne verbirgt.
Ich
liege tief in einem goldenen Meer, die Sonne
ganz oben, sie wird mich nie mehr erwecken.
Deine
Küsse haben mich vergiftet. Deine Küsse haben
mich zu Stein gemacht, und ich sinke immer tiefer, fühlst du nicht, wie
ich
sinke?
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