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Literatur



 








Geschichten
Aus dem Märchenbuch
der Wahrheit

Fritz Mauthner
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Nazis letzter Wunsch

Der Schneider Nazi lag in den letzten Zügen. Es sah wüst in der Stube aus, denn er hatte keinen Kreuzer mehr übrig für den Arzt oder für seine Pflegerin. Essen konnte er schon gar nicht mehr. Auf seiner geblümten Bettdecke lagen aber noch zwei Zehnguldenscheine. Neben dem Pfühl, auf dem einzigen Stuhle, saß er gute, rundliche Pfarrer. Am Fußende stand der Nachtwächter und hielt eine Trompete in der Hand.

„Nazi,“ sagte der Pfarrer, „es ist dein letztes Stündlein. Schenk’s der Kirchen, rat‘ dir gut, deine zwanzig Gulden. Dann les‘ ich dir eine Messen, und du hast dafür die ewige Seligkeit. Sonst bleibst leicht in der Höllen.

„Ich will nichts gegen Hochwürden sagen,“ brummte der Nachtwächter. „Aber du weißt, Schneider, was du haben kannst: eine Musik zum Begräbnis und noch dazu in Uniform. Die kriegt nur, wer Mitglied der Bürgerwehr ist. Du bist nicht Mitglied, kriegst also keine Musik. Jetzt, lang hast nicht mehr Zeit, dir’s zu überlegen. Gibst mir die zwanzig Gulden, springst jetzt noch ein, kannst übermorgen dein Bürgerbegräbnis haben. Zureden tu ich zu nix.“

Der Schneider dachte nach. Der Pfarrer murmelte Gebete, und der Nachtwächter blies aufmunternd die ersten Takte des beliebtesten Trauermarsches. Der Schneider horchte bald dahin, bald dorthin. Als der Nachtwächter plötzlich absetzte, griff der Schneider so rasch er konnte nach den beiden Zehnguldenscheinen und reichte sie zitternd ihm.

„Da, schreib mich ein. Ich will meine Musik haben.“
Der Nachtwächter rannte mit dem Gelde fort. Der Pfarrer wurde nicht zornig. Nur traurig schüttelte er das rote Köpfchen und sagte:
„Schau, Nazi, du tust mir leid. Jetzt wirst in der Höllen bleiben.“
Der Schneider röchelte.
„Hochwürden … ich hätte noch was … da … unterm Kissen … leicht kommt ein Terno … übermorgen ist Ziehung … ich hab‘ gehofft, es noch einmal zu erleben … Hochwürden, nehmen S‘ den Lottozettel für sich.“

Der Pfarrer zog unter dem Kopfkissen den kleinen blauen Papierstreifen hervor und blickte zuerst auf die drei Nummern. Sie schienen ihm zu gefallen.
„Ist brav, Nazi, ist aber nichts Gewisses. Zehn Kreuzer Einsatz? Hm! Hm! Ich will dir was sagen, Nazi. Umsonst ist der Tod. Kommst raus mit dem Terno, kommst raus aus der Höllen, bleibst drin, bleibst drin.“

Der sterbende Schneider faltete die Hände und betete zu Gott, daß sein Terno herauskommen möchte.


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 Der Invalide

Ein Mann hatte im Kriege mit Menschen seinen rechten Arm eingebüßt.

„Armer Teufel!“ sagte der Arzt, als er den Stumpf zunähte.

„Ach was!“ rief ein kecker Soldat, der heil nach Hause zurückkehren mußte, nun da als Tageslöhner sein Brot zu verdienen. „Der Kerl hat Glück! Ein eisernes Kreuz baumelt ihm auf der Brust, das ist was für Weiberaugen. Drehorgelspielen kann er auch mit der linken Hand. Und in seinem Armstumpf spürt er das Wetter von morgen voraus. Da kann er mit Wahrsagen extra Geld verdienen.“

Der Invalide wurde also Wahrsager und hatte recht gute Einnahmen, so oft er den Leuten schönes Wetter voraussagen konnte. Sonst freilich prügelten sie ihn.

Mit der Zeit aber wurde es ihm zum Jammer, daß er sich von den schmerzhaften Stichen in seiner Narbe ernähren lassen sollte. Auch kamen immer viel mehr trübe Tage als schöne, und er erhielt mehr Prügel als Münzen. Da faßte er den Entschluß, die Stiche in seinen Narben still zu dulden, kein Gewerbe aus seinen Schmerzen zu machen und fortan nur noch mit seiner gesunden Linken die Drehorgel zu spielen.

Eines Tages kam ein Dichter vorüber. Sie grüßten einander mit den Augen. Aber keiner konnte dem anderen eine Gabe reichen, denn sie waren beide arm, der Invalide Drehorgelspieler und der wunde Dichter, der immer noch ein Gewerbe machte aus den Stichen in seinen Narben.



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