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Literatur


04.3


Geschichten - Joseph Roth
Werke 4
1916- 1929

Romane und Erzählungen






Der blinde Spiegel 3
1925


VII.

Ein Maler, Ernst hieß er, zeigte Fini Skizzenblätter, einen Hund, ein nacktes Mädchen und Schwalben im Flug, und man sah es ihm an, daß er schenken wollte, weil Fini ihm leid tat. „Sagen Sie doch etwas“, bat er sie, aber nichts hatte sie zu sagen, und alles wäre so dumm gewesen, was sie einem Maler hätte sagen können, der Schwalben im Flug, einen Hund und nackte Mädchen malen konnte und der so, was er erblickte und was ihm gefiel, auf ein Papier brachte. Er sprach, Fini hörte nicht jedes Wort; denn sie dachte, daß sie selbst etwas sagen müßte. Einige Male öffnete sie den Mund, aber ein halb gedachtes Wort blieb auf der Zunge, furchtsam über einen blamierenden Laut wachte das angestrengte Gehirn. Es wurde ihr heiß in der Ecke, sie wagte nicht aufzustehn, sie hätte ein paarmal auf- und abgehen mögen, und sie durfte es nicht, und hilflos wie ein Vogel mit geputztem Gefieder kauerte sie auf einem runden, kleinen Stuhl und die getünchte Wand im Rücken, an die sie sich nicht lehnen durfte wegen des dunkelblauen Kleides. Sie hörte aus einer großen Weite die Stimme des Hausherrn, der ein Musiker war und Ludwig hieß und eine geblümte Weste mit Perlmutterknöpfen trug, seine Stimme klang wie ein dunkles Cello, und Tilly durfte ihm du sagen, so nahe war sie den Menschen und glücklich.
 
Eine Skizze Ernsts stellte eine Frau dar, die auf einem dünnen Pfad zwischen weiten Wiesen und Feldern ging, und obwohl kein deutlicher Zusammenhang war zwischen dem Weg dieser einsamen Frau und Fini, behielt sie das Blatt dankbar, und es schien ihr, als wäre diese schöne, sanfte Frau sie selbst und ihr enger Pfad zwischen unendlich grünenden Wiesen, in ihrer Fruchtbarkeit dennoch traurigen, mit der ganzen Melancholie vergeblichen Blühens. In braunes Papier bettete sie das Bild, so lag es drei Tage an der Wand ihres kleinen Täschchens, bis einmal, da niemand zu Hause war, auch dieses Blatt das geheime Versteck fand, das niemandem bekannte, auf der nackten Tischplatte, unter dem mit Reißnägeln befestigten Wachstuch, wo das schöne, glatte Silberpapier sich breitete, unschätzbarer Reichtum, im verborgenen leuchtend.
 
 
VIII.
 
Alle unsere kleinen Geheimnisse, die wir durch harte Monate geborgen haben vor dem rohen Zugriff unbekümmerter Hände, die lieben, kleinen Perlmutterknöpfe und das gepreßte Stanniolpapier, die künstlerischen Ansichtskarten und die farbenfreudigen Seidenproben, alle Dinge, die wir sorgsam gehütet haben wie warme Geschöpfe und an die wir täglich denken: im Büro, wenn der Doktor Finkelstein diktiert und wenn wir vor dem verwirrenden, braunen Telephonapparat ratlos sitzen, auf der Straße, wenn wir die Briefe austragen, die wichtigen Briefe in dem grüngefaßten Buch - unsere warmen Geschöpfe, unsere Tröstungen und unsere Geheimnisse - eines Tages - man räumt zu Hause auf - werden sie aufgestöbert aus ihrem sicheren Gewahrsam, schamlos preisgegeben dem schamlosen Blick der Mutter und ihrer grausam vernichtenden Hand. Wie kleine Vögel, die eine herzlose Gewalt aus dem schützenden Nest schüttet, gehen unsere kostbaren Dinge verloren in der wirren Wüste der auseinandergeschobenen Möbel.
 
Eines Abends kehrte Fini heim und sah die Tischplatte nackt, ohne Wachstuch; Reißnägel lagen glänzend in einem kleinen Häuflein, und zerrissen waren die letzten Reste der künstlerischen Ansichtskarten und der Skizze mit der wandelnden Frau zwischen melancholisch blühenden Feldern. Es war eine Rückkehr in eine verwüstete Heimat, in der ein Feind gehaust. Zertrümmert lag die ganze, mit liebender Mühsal aufgebaute Welt. Ein Stück hing an jeder der verlorengegangenen Nichtigkeiten, und Fini weinte, obwohl sie wußte, daß sie lächerlich wurde vor dem Bruder und dem mitleidigen Hohn der Mutter. Niemand in der Welt verstand, was Fini verloren hatte: die wunderbare Skizze mit der wandelnden Frau, das Geschenk, empfangen in einer Stunde, in der die Tore eines neuen, fremden, wunderbaren Lebens aufgegangen waren.
 
Fini weinte und schämte sich, daß sie kindischer Dinge wegen weinte, und sie weinte zugleich, weil sie die Kostbarkeit des Verlorenen verleugnen mußte.
 
Nur einer verstand sie vielleicht, der Vater, der taube, der mit den Augen hörte; sie waren wissend und mitleidsvoll, und mit den letzten Resten seiner aufgehobenen Herrlichkeit bemühte er sich, den Sohn zu beschwichtigen und die fluchende Frau. Plötzlich fühlte Fini seine harte Hand auf der Schulter; gute Worte sprach er und setzte sich zu Fini in die Ecke, auf die Kante des großen, eisenbeschlagenen Koffers, und beide waren sie Verbitterte und Gefesselte im Reiche der Mutter und des tobenden Bruders. Seit diesem Tag liebte Fini ihren Vater.
 
Die nie gestillte Sehnsucht lebte auf, die Sehnsucht nach einer kleinen, eigenen geheimen Lade, einem warmen Zuhause im kalten Heim, einer Stätte, die Zuflucht gewährte und Geheimes barg. So eine Lade versprach ihr der Vater; merkwürdig war sein Gebrechen: Seine Taubheit schwand, und die tiefsten Wünsche vernahm er mit tausend hellhörigen Ohren. Seine harthäutigen Finger zitterten ein bißchen und lagen auf denen Finis, und er bat sie: „Gehn wir spazieren!“ Und Fini ging mit dem Vater durch die lauten Straßen, die langsam dunkelten, und war mütterlich, als führe sie ein Kind, und schenkte dem Vater, dem humpelnden, die ganze Liebe, die dem Stanniolpapier gegolten hatte, den seidigen Bändern und der wandelnden Frau. Sie gingen spazieren und fühlten sich geborgen vor dem eisernen Zugriff der unermüdlich säubernden Mutter.
 
IX.
 
Einmal, unterwegs, zwischen dem Landesgericht I und der Firma Marcus & Söhne, kam der Maler Ernst und grüßte tief, wie nur große Damen aus der noblen Klientel des Doktor Finkelstein gegrüßt werden. Es ließ sich nicht verbergen, daß sie das grüngefaßte Buch trug und die wichtigen Briefe darin, um das Porto zu verdienen. „Ich mache Geschäftswege“, sagte sie und ließ den Maler warten vor den Häusern, in die sie hineinging. Dann lenkte er ihre Schritte durch den dunklen Park, in dem die Pärchen saßen und die Liebe blühte, in dem die weißen Schwäne auf blauen Teichen schwammen und den zu betreten die Mutter verboten hatte, eingedenk der Sitte und der mütterlichen Pflicht.
 
Zum ersten Male ging Fini mit einem Mann des Abends durch den Park, den sie nur am hellen Nachmittag durchschritten, wenn auf den Bänken die Schläfer Sonne tranken; am Nachmittag nur wagte sie, die hurtigen Füße hemmend, über den Kies der Wege zu gehen und der Blumenbeete Reichtum zu bestaunen und, aufgeschreckt durch den wuchtenden Fall des Turmuhrschlages, die hämmernde Sorge wegen nachlässiger Verspätung durch zehnfach beschleunigten Schritt zu betäuben. Der Park war anders, dichter und dunkler, wärmer und gütig. Was hinter den Bäumen war, sah Fini nicht, was in der betäubenden Helle der Lampen sich zutrug, der stehengebliebenen silbernen Blitze, die den Weg bis zum nächsten Licht in schwärzere Nacht tauchten. Melodien, von der Terrasse kommend, flossen gedämpft durch dichtbelaubte Bäume und abgelenkt durch das Rauschen abendlichen Windes, auf- und abschwellend, in seltsam geschwungenen Wellen, und der starke Rhythmus eines bekannten Marsches glättete sich in der dunklen Allee zum Walzer.
 
Und neben Fini ging der Mann, der siegreiche Mensch mit der tiefklingenden Stimme, und roch tierhaft und fremd, wie bitteres Kraut und Waldwurzel, und gleichgültig war, was er sagte. Wie unter einem segnenden Regen ging man unter dem gleichklingenden Strom seiner unverstandenen Reden und senkte den Kopf und spähte suchend nach einem bekannten Gesicht in der Fülle der Gesichter, das zu Hause verraten könnte.
 
Auf die Terrasse des Restaurants stiegen sie, marmorne, herrliche Stufen empor, wie sie zu Thronen führen und gelbgetöntem, schmelzendem Vanilleeis in sanft gerundeten Tassen. In einem zärtlichen Winkel saßen sie, enge die Knie an die marmorne Platte des niedrigen Tisches gedrückt, und der silberne Klang eines kleinen Löffels, der klirrend ans Glas schlug, betäubte für den Bruchteil einer einzigen Sekunde.
 
Dann sah man die schweigenden, marmornen Männer, gedrückt in das schwarze Grün der rauschenden Bäume, sah, wie die starren Gliedmaßen in der flutenden Stille der Nacht zu leben begannen. Zum erstenmal sah Fini so lebendige Denkmäler, hörte sie das Pochen des eigenen Herzens in den toten, nicht mehr toten, auferstandenen Dingen und fühlte den Kreislauf des eigenen Blutes in den Steinen, den Bänken, im Rasen und im Baum, in der nächtlich geschlossenen Wasserlilie auf der unhörbar murmelnden Oberfläche des Teiches und im düster ragenden Schilf.
 
Den Park verließen sie, über die weiße Brücke, die von Lichtern bekränzte, gingen sie auf den schweigenden Marktplatz, in süßer Ratlosigkeit wandelnd, zwischen verlassenen Ständen, gedrängt in den kargen Schatten der niedrigen Dächer und der pferdelosen Wagen, der Karren und der aufgestapelten Fässer. Heimatlose Kinder, wandelten sie, ein Dach suchend, ein Haus für ihre Liebe. Sie gingen endlose Straßen hinunter, und wenn sie an einem Hotel vorüberkamen, hielten sie beide einen Augenblick inne und gingen dennoch weiter.
 
Plötzlich, aufgetaucht an einer stillen Ecke, steht der Vater da, rastend auf den Krückstock gestützt, unter dem Licht einer Bogenlampe, mit einem einbeinigen Kameraden - sie kamen wohl beide aus dem Spital. Der Vater hob langsam seine lauschenden Augen und winkte ihr mit der Hand, und sie ließ Ernst und gab dem Alten die Hand, und der Vater tätschelte ihre Wange und zeigte sie dem Kameraden. Er sagte nichts, er schickte sie zurück mit einem leisen Wink des Zeigefingers.
 
Fini lief zu Ernst, dem geduldig wartenden, und begann zu reden, als spräche sie nicht mit dem Mann, dem sieghaft nach Erde und Wurzeln riechenden, sondern mit einer vertrauten Freundin. Alles schüttete sie in sein lauschendes Ohr, die Sehnsucht der Kinder und die Furcht ihrer Tage und die Bedrängnisse im Büro und die Enge daheim. Sie erzählte von dem verloren gegangenen Bild und dem sehnsüchtigen Schmerz um die wandelnde Frau auf engem Pfad, zwischen traurig und fruchtlos blühenden Feldern; vom atemberaubenden Diktat des Doktor Finkelstein, des fürchterlich mit kalten Brillengläsern funkelnden, des ewig gefräßigen, immer überfallbereiten, mit flatternder Hutkrempe und drohend geschwungener Mappe. Vom braunen Apparat mit den verwirrenden Stöpseln und den verworrenen Bändern, den grüngestreiften, den rotgestreiften, den blauen, von herrschend schrillen Frauenstimmen, die den Doktor Blum, den Sozius, verlangten. Von rätselhaften Klappen, die aus rätselhaften Gründen mit leisem, klagendem Klang niederfielen. Von der Mutter vergeblichen Touren nach Purkersdorf mit der Westbahn und von der Tilly Verrat im Büro, wenn sie, Bleistifte spitzend, Briefmarken klebend, den hilfesuchenden Blick nicht erwiderte. Von verwirrten Akten, die unter fremde Buchstaben gerieten, unauffindbar, wenn man sie brauchte. Von des Vaters plötzlich eingebrochener Taubheit und der Notwendigkeit, eine Existenz zu gründen.
 
Sie fuhren nicht mit der Bahn nach Hause, zu Fuß gingen sie den weiten Weg, durch die rauschenden Straßen der Stadt, in denen sich das Leben eisern und nicht mehr furchtbar über unsern Köpfen wölbt. Wir sind nicht verloren an der Seite eines schützenden Bruders, dem unsere Geheimnisse gehören; unsere Furcht vor daheim, unsere Furcht vor der Welt ist dahin, Jahre sind her, seitdem wir das letztemal allein nach Hause gegangen sind, Jahre seit gestern, vergangene Wochen liegen weit zurück, sagenhaft verschollen die Zeit unserer furchtsamen Einsamkeit. Wir sind hungrig und fühlen keinen Hunger, müde sind unsere Füße, und wir könnten meilenlang schlendern, kühl wird es in der späten Abendstunde, uns friert es nicht.
 
Neue Skizzen versprach Ernst und ein Wiedersehen auf dem Marktplatz, wo die Fässer standen, gehäuft neben der von Lichtern bekränzten Brücke - ein unauffälliger Ort, wo niemand sie finden sollte. Es war spät, nicht mehr lauerte boshaft hinter dem Geländer die Hausmeisterin. Aber erschreckend in seiner gutgemeinten Lautlosigkeit trat der Vater aus der Tür der benachbarten Schenke; er hatte gewartet, auf Fini gewartet, um sie und sich selbst zu retten vor den forschenden Fragen der Mutter; einen gemeinsamen späten Spaziergang wollte er vorschützen, und die Gelegenheit, sich einen guten Sechsundneunziger zu gewähren, lockte ihn.
 
Sie stolperten beide die dunklen Treppen empor, eng umschlungen, beide kannten sie ihre Geheimnisse, die Sünder, und mutig traten sie in die Küche, der Mutter entgegen.
 
X.
 
Das Leben, gestern noch gedrängt in die Enge der Straße, der Stadt und des Hauses, in die vier tapezierten Wände des Büros - wie wuchs es über die Mauern in die Wälder. Im geizigen Schatten der nächtlich lagernden Fässer trafen sie sich jeden Tag, durch die leeren hölzernen Hütten gingen sie, rochen den Duft verkaufter Seefische und liegengebliebener Zwiebelschalen und gingen dennoch fromm vorbei an den toten Tischen und schlaffen Säcken, Hand in Hand, immer bereit, in der herrlichen Dürftigkeit einer Hütte ein Liebeslager aufzuschlagen und erschreckt durch den ferne hallenden Schritt des wandernden Polizisten, das Bellen des Hundes, das Schlurfen des Bettlers.
 
Hinaus kamen sie mit der Straßenbahn, die unter hängenden Zweigen dahinfuhr, geliebkost vom dunkelblauen, schattenden Flieder, vorbei am grünen Segen der Gehöfte, am grauen Fluch der Kasernen, hinaus auf die hügelansteigende Landstraße.
 
Im weichen Moose lagerten sie, auf steilen Pfaden hielten sie sich umklammert, oft waren ihre Körper einander nahe, und vor ihnen war die endliche Vereinigung, wie ein Feiertag nahe ist seinem Vorabend. Immer fühlte Fini den sanften Druck einer zärtlich gewölbten Hand auf ihrer kleinen Brust, huschende Fingerspitzen auf der kühlen Rundung der Schulter und des Oberarmes, immer wenn sie allein war und zu Hause, im Traum und wenn sie erwachte, im Büro, wo der Doktor Finkelstein seine Grausamkeit jäh verlor und der braune Apparat nicht mehr schreckte.
 
Musik hörten sie, enge aneinandergedrückt in einer engen Reihe, von Menschen umgeben und allein. Es erschütterte sie ein plötzlicher leiser Sang, einen Schauer fühlte man auf der nackten Haut und wartete auf die Wiederkehr dieses einen süßen Tones. Es berauschte eine rauschende Welle und hüllte sie ein, wie eine große Stille vor einer Ohnmacht einzuhüllen vermag. Es glitten die seidenbespannten Fiedelbogen auf- und abwärts, und in der verschwimmenden Ecke liebkoste der Trommler mit demütig liebender Neigung des Oberkörpers die Triangel, daß sie silbern lächelte. Aus dem Gleichmaß der Bewegungen schwoll das warme Rauschen, keiner Stimme der Natur vergleichbar, keinem Sang menschlicher, tierischer Kehle. Schöner als Vogelsang war der samtene Fluß der Flöte und der zierliche Sprung eines jugendlichen Tones auf den breiten Rücken des ehrwürdig rauschenden Tiefklanges.

Aber stärker als Baß und dunkelviolettes Cello, herzlicher als der samtene Fluß der jungen Flöte, erschütternder als der große Wirbel der Pauke und der kleinen, schalkhaften Trommel, all diese Zauber verzaubernd, die Töne übertönend, die Farben überglühend und alle Instrumente zusammenfassend, war die große Stimme der Orgel im Hintergrund, Sang Gottes, des Herrn der Welt, des Schöpfers und Schaffers, des grausamen, guten, großen Gottes. Die Orgel gebar alle Instrumente neu, und in jedem Ton, der ihr entströmte, schlummerte der nächste und der übernächste, der eben verrauschte und der längst verhallte, das ferne Echo der laut gebärenden und wiedergebärenden Wälder. Auf den zitternden Wellen der Luft schwammen die Worte der niemals gehörten, der unverständlichen Sprache, und tief versank auf unsichtbaren Grund die Mühsal grausamer Tage. In den Geräuschen der Stadt, in die man dann trat, hörte man ewig die Melodie des Orchesters. „Die Musik“, sagte Ernst, „enthält alle Geräusche der menschlichen Welt, eingefangen in gesetzmäßige Bindung und gesteigert ins Übermenschliche.“ Aber das verstand Fini nicht.
 
Heim kam sie, nicht mehr ängstlich geduckt durch das dunkelgähnende Tor, nicht mehr furchtsam vorbei an der keifbereiten Hausmeisterin, nicht mehr traurig empor die knarrende Stiege mit dem schadhaften Treppengeländer steigend, nicht mehr den Gestank junger Kater  beachtend - auch die häßliche Frage der Mutter hörte sie nicht mehr, und leicht kam ihr die Lüge, niemals konnte sie so gut lügen, wie wenn sie Musik gehört hatte. Straßenbahnen durften stundenlang Aufenthalt nehmen, Zusammenstöße mußten sich ereignen, Menschen von unwahrscheinlicher Ohnmacht befallen werden - und wie verwickeln sich kunstvoll die Fäden der Erzählung, wenn wir wollen, mühelos ersinnen wir einen gefallenen Gaul, dem man auf offener Straße eine Einspritzung macht, einen Wahnsinnigen, der nackt ein Gerüst emporklettert, wir befolgen die Einladung eines Inserats und stellen uns vor und müssen lange Stunden warten, ehe unter vielen Anwärterinnen an uns die Reihe kommt. Und Bescheid werden wir mit der Post erhalten.

 





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