Der
blinde Spiegel 3
1925
VII.
Ein
Maler, Ernst hieß er, zeigte Fini Skizzenblätter, einen Hund, ein
nacktes
Mädchen und Schwalben im Flug, und man sah es ihm an, daß er schenken
wollte,
weil Fini ihm leid tat. „Sagen Sie doch etwas“, bat er sie, aber nichts
hatte
sie zu sagen, und alles wäre so dumm gewesen, was sie einem Maler hätte
sagen
können, der Schwalben im Flug, einen Hund und nackte Mädchen malen
konnte und
der so, was er erblickte und was ihm gefiel, auf ein Papier brachte. Er
sprach,
Fini hörte nicht jedes
Wort; denn sie dachte, daß sie selbst etwas sagen müßte. Einige Male
öffnete
sie den Mund, aber ein halb gedachtes Wort blieb auf der Zunge,
furchtsam über
einen blamierenden Laut wachte das angestrengte Gehirn. Es wurde ihr
heiß in
der Ecke, sie wagte nicht aufzustehn, sie hätte ein paarmal auf- und
abgehen
mögen, und sie durfte es nicht, und hilflos wie ein Vogel mit geputztem
Gefieder kauerte sie auf einem
runden, kleinen Stuhl und die getünchte Wand im Rücken, an die sie sich
nicht
lehnen durfte wegen des dunkelblauen Kleides. Sie hörte aus einer
großen Weite
die Stimme des Hausherrn, der ein Musiker war und Ludwig hieß und eine
geblümte
Weste mit Perlmutterknöpfen trug, seine Stimme klang wie ein dunkles
Cello, und
Tilly durfte ihm du sagen, so nahe war sie den Menschen und glücklich.
Eine
Skizze Ernsts stellte eine Frau dar, die auf einem dünnen Pfad zwischen
weiten
Wiesen und Feldern ging, und obwohl kein deutlicher Zusammenhang war
zwischen
dem Weg dieser einsamen Frau und Fini, behielt sie das Blatt dankbar,
und es
schien ihr, als wäre diese schöne, sanfte Frau sie selbst und ihr enger
Pfad
zwischen unendlich grünenden Wiesen, in ihrer Fruchtbarkeit dennoch
traurigen,
mit der ganzen Melancholie vergeblichen Blühens. In braunes Papier
bettete sie
das Bild, so lag es drei Tage an der Wand ihres kleinen Täschchens, bis
einmal,
da niemand zu Hause war, auch dieses Blatt das geheime Versteck fand,
das
niemandem bekannte, auf der nackten Tischplatte, unter dem mit
Reißnägeln
befestigten Wachstuch, wo das schöne, glatte Silberpapier sich
breitete,
unschätzbarer Reichtum, im verborgenen leuchtend.
VIII.
Alle
unsere kleinen Geheimnisse, die wir durch harte Monate geborgen haben
vor dem
rohen Zugriff unbekümmerter Hände, die lieben, kleinen Perlmutterknöpfe
und das
gepreßte Stanniolpapier, die künstlerischen Ansichtskarten und die
farbenfreudigen
Seidenproben, alle Dinge, die wir sorgsam gehütet haben wie warme
Geschöpfe und
an die wir täglich denken: im Büro, wenn der Doktor Finkelstein
diktiert und
wenn wir vor dem verwirrenden, braunen Telephonapparat ratlos sitzen,
auf der
Straße, wenn wir die Briefe austragen, die wichtigen Briefe in dem
grüngefaßten
Buch - unsere warmen Geschöpfe, unsere Tröstungen und unsere
Geheimnisse -
eines Tages - man räumt zu Hause auf - werden sie aufgestöbert aus
ihrem
sicheren Gewahrsam, schamlos preisgegeben dem schamlosen Blick der
Mutter und
ihrer grausam vernichtenden Hand. Wie kleine Vögel, die eine herzlose
Gewalt aus
dem schützenden Nest schüttet, gehen unsere kostbaren Dinge verloren in
der
wirren Wüste der auseinandergeschobenen Möbel.
Eines
Abends kehrte Fini heim und sah die Tischplatte nackt, ohne Wachstuch;
Reißnägel lagen glänzend in einem kleinen Häuflein, und zerrissen waren
die
letzten Reste der künstlerischen Ansichtskarten und der Skizze mit der
wandelnden Frau zwischen melancholisch blühenden Feldern. Es war eine
Rückkehr
in eine verwüstete Heimat, in der ein Feind gehaust. Zertrümmert lag
die ganze,
mit liebender Mühsal aufgebaute Welt. Ein Stück hing an jeder der
verlorengegangenen Nichtigkeiten, und Fini weinte, obwohl sie wußte,
daß sie
lächerlich wurde vor dem Bruder und dem mitleidigen Hohn der Mutter.
Niemand in
der Welt verstand, was Fini verloren hatte: die wunderbare Skizze mit
der wandelnden
Frau, das Geschenk, empfangen in einer Stunde, in der die Tore eines
neuen,
fremden, wunderbaren Lebens aufgegangen waren.
Fini
weinte und schämte sich, daß sie kindischer Dinge wegen weinte, und sie
weinte
zugleich, weil sie die Kostbarkeit des Verlorenen verleugnen mußte.
Nur
einer verstand sie vielleicht, der Vater, der taube, der mit den Augen
hörte;
sie waren wissend und mitleidsvoll, und mit den letzten Resten seiner
aufgehobenen Herrlichkeit bemühte er sich, den Sohn zu beschwichtigen
und die
fluchende Frau. Plötzlich fühlte Fini seine harte Hand auf der
Schulter; gute
Worte sprach er und setzte sich zu Fini in die Ecke, auf die Kante des
großen,
eisenbeschlagenen Koffers, und beide waren sie Verbitterte und
Gefesselte im
Reiche der Mutter und des tobenden Bruders. Seit diesem Tag liebte Fini
ihren
Vater.
Die
nie gestillte Sehnsucht lebte auf, die Sehnsucht nach einer kleinen,
eigenen
geheimen Lade, einem warmen Zuhause im kalten Heim, einer Stätte, die
Zuflucht
gewährte und Geheimes barg. So eine Lade versprach ihr der Vater;
merkwürdig war
sein Gebrechen: Seine Taubheit schwand, und die tiefsten Wünsche
vernahm er mit
tausend hellhörigen Ohren. Seine harthäutigen Finger zitterten ein
bißchen und
lagen auf denen Finis, und er bat sie: „Gehn wir spazieren!“ Und Fini
ging mit
dem Vater durch die lauten Straßen, die langsam dunkelten, und war
mütterlich,
als führe sie ein Kind, und schenkte dem Vater, dem humpelnden, die
ganze
Liebe, die dem Stanniolpapier gegolten hatte, den seidigen Bändern und
der
wandelnden Frau. Sie gingen
spazieren und fühlten sich geborgen vor dem eisernen Zugriff der
unermüdlich
säubernden Mutter.
IX.
Einmal,
unterwegs, zwischen dem Landesgericht I und der Firma Marcus &
Söhne, kam der Maler
Ernst und grüßte tief, wie nur große Damen aus der noblen Klientel des
Doktor Finkelstein
gegrüßt werden. Es ließ sich nicht verbergen, daß sie das grüngefaßte
Buch trug
und die wichtigen Briefe darin, um das Porto zu verdienen. „Ich mache
Geschäftswege“,
sagte sie und ließ den Maler warten vor den Häusern, in
die sie hineinging. Dann lenkte er ihre Schritte durch den dunklen
Park, in dem
die Pärchen saßen und die Liebe blühte, in dem die weißen Schwäne auf
blauen
Teichen schwammen und den zu betreten die Mutter verboten hatte,
eingedenk der
Sitte und der mütterlichen Pflicht.
Zum
ersten Male ging Fini mit einem Mann des Abends durch den Park, den sie
nur am
hellen Nachmittag durchschritten, wenn auf den Bänken die Schläfer
Sonne
tranken; am Nachmittag nur wagte sie, die hurtigen Füße hemmend, über
den Kies
der Wege zu gehen und der Blumenbeete Reichtum zu bestaunen und,
aufgeschreckt
durch den wuchtenden Fall des Turmuhrschlages, die hämmernde Sorge
wegen nachlässiger
Verspätung durch zehnfach beschleunigten Schritt zu betäuben. Der Park
war
anders, dichter und dunkler, wärmer und gütig. Was hinter den Bäumen
war, sah
Fini nicht, was in der betäubenden Helle der Lampen sich zutrug, der
stehengebliebenen silbernen Blitze, die den Weg bis zum nächsten Licht
in
schwärzere Nacht tauchten. Melodien, von der Terrasse kommend, flossen
gedämpft
durch dichtbelaubte Bäume und abgelenkt durch das Rauschen abendlichen
Windes, auf-
und abschwellend, in seltsam geschwungenen Wellen, und der starke
Rhythmus
eines bekannten Marsches glättete sich in der dunklen Allee zum Walzer.
Und
neben Fini ging der Mann, der siegreiche Mensch mit der tiefklingenden
Stimme,
und roch tierhaft und fremd, wie bitteres Kraut und Waldwurzel, und
gleichgültig war, was er sagte. Wie unter einem segnenden Regen ging
man unter
dem gleichklingenden Strom seiner unverstandenen Reden und senkte den
Kopf und
spähte suchend nach einem bekannten Gesicht in der Fülle der Gesichter,
das zu
Hause verraten könnte.
Auf
die Terrasse des Restaurants stiegen sie, marmorne, herrliche Stufen
empor, wie
sie zu Thronen führen und gelbgetöntem, schmelzendem Vanilleeis in
sanft gerundeten
Tassen. In einem
zärtlichen Winkel saßen sie, enge die Knie an die marmorne Platte des
niedrigen
Tisches gedrückt, und der silberne Klang eines kleinen Löffels, der
klirrend
ans Glas schlug, betäubte für den Bruchteil einer einzigen Sekunde.
Dann
sah man die schweigenden, marmornen Männer, gedrückt in das schwarze
Grün der
rauschenden Bäume, sah, wie die starren Gliedmaßen in der flutenden
Stille der
Nacht zu leben begannen. Zum erstenmal sah Fini so lebendige Denkmäler,
hörte
sie das Pochen des eigenen Herzens in den toten, nicht mehr toten,
auferstandenen Dingen und fühlte den Kreislauf des eigenen Blutes in
den
Steinen, den Bänken, im Rasen
und im Baum, in der nächtlich geschlossenen Wasserlilie auf der
unhörbar
murmelnden Oberfläche des Teiches und im düster ragenden Schilf.
Den
Park verließen sie, über die weiße Brücke, die von Lichtern bekränzte,
gingen
sie auf den schweigenden Marktplatz, in süßer Ratlosigkeit wandelnd,
zwischen
verlassenen Ständen, gedrängt in den kargen Schatten der niedrigen
Dächer und
der pferdelosen Wagen, der Karren und der aufgestapelten Fässer.
Heimatlose
Kinder, wandelten sie, ein Dach suchend, ein Haus für ihre Liebe. Sie
gingen
endlose Straßen hinunter, und wenn sie an einem Hotel vorüberkamen,
hielten sie
beide einen Augenblick inne und gingen dennoch weiter.
Plötzlich,
aufgetaucht an einer stillen Ecke, steht der Vater da, rastend auf den
Krückstock gestützt, unter dem Licht einer Bogenlampe, mit einem
einbeinigen
Kameraden - sie kamen wohl beide aus dem Spital. Der Vater hob langsam
seine
lauschenden Augen und winkte ihr mit der Hand, und sie ließ Ernst und
gab dem
Alten die Hand, und der Vater tätschelte ihre Wange und zeigte sie dem
Kameraden. Er sagte nichts, er schickte sie zurück mit einem leisen
Wink des
Zeigefingers.
Fini
lief zu Ernst, dem geduldig wartenden, und begann zu reden, als spräche
sie
nicht mit dem Mann, dem sieghaft nach Erde und Wurzeln riechenden,
sondern mit
einer vertrauten Freundin. Alles schüttete sie in sein lauschendes Ohr,
die
Sehnsucht der Kinder und die Furcht ihrer Tage und die Bedrängnisse im
Büro und
die Enge daheim. Sie erzählte von dem verloren gegangenen Bild und dem
sehnsüchtigen Schmerz
um die wandelnde Frau auf engem Pfad, zwischen traurig und fruchtlos
blühenden
Feldern; vom atemberaubenden Diktat des Doktor Finkelstein, des
fürchterlich
mit kalten Brillengläsern funkelnden, des ewig gefräßigen, immer
überfallbereiten, mit flatternder Hutkrempe und drohend geschwungener
Mappe.
Vom braunen Apparat mit den verwirrenden Stöpseln und den verworrenen
Bändern,
den grüngestreiften, den rotgestreiften, den blauen, von herrschend
schrillen Frauenstimmen,
die den Doktor Blum, den Sozius, verlangten. Von rätselhaften Klappen,
die aus
rätselhaften Gründen mit leisem, klagendem Klang niederfielen. Von der
Mutter
vergeblichen Touren nach Purkersdorf mit der Westbahn und von der Tilly
Verrat
im Büro, wenn sie, Bleistifte spitzend, Briefmarken klebend, den
hilfesuchenden
Blick nicht erwiderte. Von verwirrten Akten, die unter fremde
Buchstaben gerieten,
unauffindbar, wenn man sie brauchte. Von des Vaters plötzlich
eingebrochener
Taubheit und der Notwendigkeit, eine Existenz zu gründen.
Sie
fuhren nicht mit der Bahn nach Hause, zu Fuß gingen sie den weiten Weg,
durch
die rauschenden Straßen der Stadt, in denen sich das Leben eisern und
nicht
mehr furchtbar über unsern Köpfen wölbt. Wir sind nicht verloren an der
Seite
eines schützenden Bruders, dem unsere Geheimnisse gehören; unsere
Furcht vor
daheim, unsere Furcht vor der Welt ist dahin, Jahre sind her, seitdem
wir das
letztemal allein nach Hause gegangen sind, Jahre seit gestern,
vergangene
Wochen liegen weit zurück, sagenhaft verschollen die Zeit unserer
furchtsamen
Einsamkeit. Wir sind hungrig und fühlen keinen Hunger, müde sind unsere
Füße,
und wir könnten meilenlang schlendern, kühl wird es in der späten
Abendstunde,
uns friert es nicht.
Neue
Skizzen versprach Ernst und ein Wiedersehen auf dem Marktplatz, wo die
Fässer
standen, gehäuft neben der von Lichtern bekränzten Brücke - ein
unauffälliger
Ort, wo niemand sie finden sollte. Es war spät, nicht mehr lauerte
boshaft
hinter dem Geländer die Hausmeisterin. Aber erschreckend in seiner
gutgemeinten
Lautlosigkeit trat der Vater aus der Tür der benachbarten Schenke; er
hatte
gewartet, auf Fini gewartet, um sie und sich selbst zu retten vor den
forschenden Fragen der Mutter; einen gemeinsamen späten Spaziergang
wollte er vorschützen,
und die Gelegenheit, sich einen guten Sechsundneunziger zu gewähren,
lockte ihn.
Sie
stolperten beide die dunklen Treppen empor, eng umschlungen, beide
kannten sie
ihre Geheimnisse, die Sünder, und mutig traten sie in die Küche, der
Mutter
entgegen.
X.
Das
Leben, gestern noch gedrängt in die Enge der Straße, der Stadt und des
Hauses,
in die vier tapezierten Wände des Büros - wie wuchs es über die Mauern
in die
Wälder. Im geizigen Schatten der nächtlich lagernden Fässer trafen sie
sich
jeden Tag, durch die leeren hölzernen Hütten gingen sie, rochen den
Duft
verkaufter Seefische und liegengebliebener Zwiebelschalen und gingen
dennoch
fromm vorbei an den toten Tischen und schlaffen Säcken, Hand in Hand,
immer
bereit, in der herrlichen Dürftigkeit einer Hütte ein Liebeslager
aufzuschlagen
und erschreckt durch den ferne hallenden Schritt des wandernden
Polizisten, das
Bellen des Hundes, das Schlurfen des Bettlers.
Hinaus
kamen sie mit der Straßenbahn, die unter hängenden Zweigen dahinfuhr,
geliebkost vom dunkelblauen, schattenden Flieder, vorbei am grünen
Segen der
Gehöfte, am grauen Fluch der Kasernen, hinaus auf die hügelansteigende
Landstraße.
Im
weichen Moose lagerten sie, auf steilen Pfaden hielten sie sich
umklammert, oft
waren ihre Körper einander nahe, und vor ihnen war die endliche
Vereinigung,
wie ein Feiertag nahe ist seinem Vorabend. Immer fühlte Fini den
sanften Druck
einer zärtlich gewölbten Hand auf ihrer kleinen Brust, huschende
Fingerspitzen
auf der kühlen Rundung der Schulter und des Oberarmes, immer wenn sie
allein
war und zu Hause, im Traum und wenn sie erwachte, im Büro, wo der
Doktor Finkelstein
seine Grausamkeit jäh verlor und der braune Apparat nicht mehr
schreckte.
Musik
hörten sie, enge aneinandergedrückt in einer engen Reihe, von Menschen
umgeben
und allein. Es erschütterte sie ein plötzlicher leiser Sang, einen
Schauer
fühlte man auf der nackten Haut und wartete auf die Wiederkehr dieses
einen
süßen Tones. Es berauschte eine rauschende Welle und hüllte sie ein,
wie eine
große Stille vor einer Ohnmacht einzuhüllen vermag. Es glitten die
seidenbespannten Fiedelbogen auf- und abwärts, und in der
verschwimmenden Ecke
liebkoste der Trommler
mit demütig liebender Neigung des Oberkörpers die Triangel, daß sie
silbern
lächelte. Aus dem Gleichmaß der Bewegungen schwoll das warme Rauschen,
keiner
Stimme der Natur vergleichbar, keinem Sang menschlicher, tierischer
Kehle.
Schöner als Vogelsang war der samtene Fluß der Flöte und der zierliche
Sprung
eines jugendlichen Tones auf den breiten Rücken des ehrwürdig
rauschenden
Tiefklanges.
Aber
stärker als Baß und dunkelviolettes Cello, herzlicher als der samtene
Fluß der
jungen Flöte, erschütternder als der große Wirbel der Pauke und der
kleinen,
schalkhaften Trommel, all diese Zauber verzaubernd, die Töne
übertönend, die
Farben überglühend und alle Instrumente zusammenfassend, war die große
Stimme
der Orgel im Hintergrund, Sang Gottes, des Herrn der Welt, des
Schöpfers und Schaffers,
des grausamen, guten, großen Gottes. Die Orgel gebar alle Instrumente
neu, und
in jedem Ton, der ihr entströmte, schlummerte der nächste und der
übernächste,
der eben verrauschte und der längst verhallte, das ferne Echo der laut
gebärenden und wiedergebärenden Wälder. Auf den zitternden Wellen der
Luft
schwammen die Worte der niemals gehörten, der unverständlichen Sprache,
und
tief versank auf unsichtbaren Grund die Mühsal grausamer Tage. In den
Geräuschen der Stadt, in die man dann trat, hörte man ewig die Melodie
des Orchesters.
„Die Musik“, sagte Ernst, „enthält alle Geräusche der menschlichen
Welt,
eingefangen in gesetzmäßige Bindung und gesteigert ins
Übermenschliche.“ Aber
das verstand Fini nicht.
Heim
kam sie, nicht mehr ängstlich geduckt durch das dunkelgähnende Tor,
nicht mehr
furchtsam vorbei an der keifbereiten Hausmeisterin, nicht mehr traurig
empor
die knarrende Stiege mit dem schadhaften Treppengeländer steigend,
nicht mehr
den Gestank junger Kater beachtend -
auch die häßliche Frage der Mutter hörte sie nicht mehr,
und leicht kam ihr die Lüge, niemals konnte sie so gut lügen, wie wenn
sie
Musik gehört hatte. Straßenbahnen durften stundenlang Aufenthalt
nehmen,
Zusammenstöße mußten sich ereignen, Menschen von unwahrscheinlicher
Ohnmacht
befallen werden - und wie verwickeln sich kunstvoll die Fäden der
Erzählung,
wenn wir wollen, mühelos ersinnen wir einen gefallenen Gaul, dem man
auf offener
Straße eine Einspritzung macht, einen Wahnsinnigen, der nackt ein
Gerüst emporklettert,
wir befolgen die Einladung eines Inserats und stellen uns vor und
müssen lange
Stunden warten, ehe unter vielen Anwärterinnen an uns die Reihe kommt.
Und
Bescheid werden wir mit der Post erhalten.