Der
Vorzugsschüler 2
1916
Aber
da hatte grade ihre Tante, Frau Marianne Wontek in der Josefstadt,
einen neuen,
liebenswürdigen Zimmerherrn bekommen. Herr Anton Wanzl war zwar sehr
ernst und
gelehrt, aber von einer zuvorkommenden Höflichkeit, besonders Fräulein
Mizzi
Schinagl gegenüber.
Sie
brachte ihm an den Sonntagnachmittagen den Jausenkaffee in seine Stube,
und der
junge Herr dankte immer mit einem freundlichen Wort und einem warmen
Blick. Ja,
einmal lud er sie sogar zum Sitzen ein, aber Mizzi dankte, murmelte
etwas von
Nicht-stören-Wollen, errötete und schlüpfte etwas verwirrt ins Zimmer
der
Tante. Als Herr Anton aber sie einmal auf der Straße grüßte und sich
anschloß,
ging Mizzi sehr gerne mit, machte sogar einen kleinen Umweg, um zu
ihrer Wohnung
zu gelangen, verabredete mit Herrn stud. phi! Anton Wanzl ein
Rendezvous am Sonntag
und zankte am nächsten Morgen mit Julius Reiner.
Anton
Wanzl erschien einfach, aber elegant gekleidet, sein fades, blasses
Haar war
heute sorgfältiger gescheitelt als je, eine kleine Erregung war seinem
weißen,
kalten Marmorantlitz doch anzumerken. Er saß im Stadtpark neben Mizzi
Schinagl
und dachte angestrengt darüber nach, was er eigentlich reden sollte. In
einer
solch fatalen Situation war er noch nie gewesen. Aber Mizzi wußte zu
plaudern.
Sie erzählte das und
jenes, es wurde Abend, der Flieder duftete, die Amsel schlug, der Mai
kicherte
aus dem Gebüsch, da vergaß sich Mizzi Schinagl und sagte etwas
unvermittelt:
„Du, Anton, ich liebe dich.“ Herr Anton Wanzl erschrak ein wenig, Mizzi
Schinagl noch mehr, sie wollte ihr glühendes Gesichtchen irgendwo
verbergen und
wußte kein besseres Versteck als Herrn Anton Wanzls Rockklappen. Herrn
Anton
Wanzl war das noch nie passiert, seine steife Hemdbrust knackte
vernehmlich, aber
er faßte sich bald - einmal mußte das doch geschehn!
Als
er sich beruhigt hatte, fiel ihm etwas Vortreffliches ein. „Ich bin
din, du
bist min“, zitierte er halblaut. Und daran knüpfte er einen kleinen
Vortrag
über die Periode der Minnesinger, er sprach mit Pathos von Walther von
der
Vogelweide, kam auch auf die erste und zweite Lautverschiebung, von da
auf die
Schönheit unserer Muttersprache und ohne einen rechten Übergang auf die
Treue
der deutschen Frauen.
Mizzi lauschte angestrengt, sie verstand kein Wort, aber das war eben
der
Gelehrte, so mußte ein Mann wie Herr Anton Wanzl eben sprechen. Sein
Vortrag
kam ihr just so schön vor wie das Pfeifen der Amsel und das Flöten der
Nachtigall. Aber vor lauter Liebe und Frühling hielt sie es nicht
länger aus
und unterbrach Antons wunderschönen Vortrag durch einen recht
angenehmen Kuß
auf die schmalen, blassen Lippen Wanzls, den dieser zu erwidern nicht
minder
angenehm fand. Bald regnete es Küsse auf ihn nieder, derer sich Herr
Wanzl
weder erwehren konnte noch wollte. Sie gingen schließlich stumm nach
Hause,
Mizzi hatte zu viel auf dem Herzen, Anton wußte trotz angestrengten
Nachdenkens
kein Wort zu finden. Er war froh, als ihn Mizzi nach einem Dutzend
heißer Küsse
und Umarmungen entlassen hatte.
Seit
jenem denkwürdigen Tage „liebten“ sie sich.
Herr
Anton Wanzl hatte sich bald gefunden. Er lernte an Wochentagen und
liebte an
Sonntagen. Seinem Stolze schmeichelte es, daß er von einigen
„Bundesbrüdern“
mit Mizzi gesehen und mit einem vieldeutigen Lächeln begrüßt worden
war. Er war
fleißig und ausdauernd, und nicht mehr lange dauerte es, und Herr Anton
Wanzl
war Doktor.
Als
„Probekandidat“ kam er ins Gymnasium, von den Eltern brieflich bejubelt
und
beglückwünscht, von den Professoren „wärmstens“ empfohlen, von dem
Direktor
herzlich begrüßt.
Hofrat
Sabbäus Kreitmeyr war Direktor des H. k. k. Staatsgymnasiums, ein
Philologe von Ruf, mit vielen sogenannten „Verbindungen“, bei den
Schülern
beliebt, bei Vorgesetzten gut angeschrieben, und verkehrte in der
besten
Gesellschaft. Seine Frau Cäcilie wußte ein „großes Haus“ zu führen,
veranstaltete Abende und Bälle, die den Zweck
hatten, das einzige Töchterchen des Direktors, Lavinia – wie dieser sie
etwas
unpassend benannt hatte -, unter die Haube zu bringen.
Hofrat
Sabbäus Kreitmeyr war, wie die meisten Gelehrten alten Schlages, ein
Pantoffelheld, er fand alles für richtig, was seine würdige Gemahlin
anordnete,
und glaubte an sie wie an die alleinseligmachenden Regeln der
lateinischen
Grammatik. Seine Lavinia war ein sehr gehorsames Kind, las keine
Romane,
beschäftigte sich nur mit der antiken Mythologie und verliebte sich
nichtsdestoweniger in ihren jungen Klavierlehrer,
den Virtuosen Hans Pauli.
Hans
Pauli war eine echte Künstlernatur. Das naive Kindergemüt Lavinias
hatte es ihm
angetan. Er war in der Liebe noch recht unerfahren, Lavinia war das
erste weibliche
Wesen, mit dem er stundenlang zusammensaß, bei ihr fand er Bewunderung,
die ihm
sonst nicht sehr oft zuteil wurde; und wenn auch die Hofratstochter
nicht schön
zu nennen war - sie hatte eine etwas zu breite Stirn und wässerige,
farblose
Augen -, so konnte man sie doch nicht, schon ihrer schönen Statur
wegen, gerade
unhübsch nennen. Hans Pauli träumte zudem von einer „deutschen“
Frau, hielt viel auf Treue und verlangte, wie die meisten Künstler, ein
weibliches Weib, bei dem er seine Launen austoben, aber auch Trost und
Erholung
finden könnte. Nun schien ihm Fräulein Lavinia dazu am besten geeignet,
und da
noch um sie der Zauber knospender Jugend wehte, schlug die
Künstlerphantasie
Herrn Hans Pauli ein Schnippchen, und der angehende Virtuose von Ruf
verliebte
sich stracks in Fräulein Lavinia Kreitmeyr.
Wie
es um die beiden stand, erkannte Herr Anton Wanzl gleich am ersten
Abend, den
er im Kreitmeyrschen Hause zubrachte. Lavinia Kreitmeyr gefiel ihm
nicht im
geringsten. Aber der Instinkt, mit dem Vorzugsschüler des Lebens stets
ausgerüstet sind, sagte ihm, daß Lavinia eine gar passende Frau für ihn
wäre
und Herr Hofrat Sabbäus ein noch passenderer Schwiegervater. Diesen
kindischen
Künstler Pauli konnte
man leicht an die Luft setzen. Man mußte es nur geschickt anstellen.
Und etwas
geschickt anstellen - das verstand Anton.
Herr
Anton Wanzl hatte es nach einer halben Stunde herausgefunden, daß Frau
Cäcilie
die wichtigste Rolle im Hause spielte. Wollte er die Hand des Fr.
Lavinia, so
mußte er vor allem das Herz der Mutter gewinnen. Und da er sich auf die
Unterhaltung älterer Matronen besser verstand als auf die junger
Mädchen, so
verband er nach der alten lateinischen Regel das dulce mit dem utile
und machte
den Kavalier der Frau Direktor. Er sagte ihr manche zarte Schmeichelei,
die ein
Pauli in seiner
reinen Torheit Fräulein Lavinia gesagt hätte. Und bald hatte Frau
Cäcilie
Kreitmeyr den Herrn Anton Wanzl ins Herz geschlossen.
Seinem
Rivalen Hans Pauli gegenüber benahm sich Anton mit kühner
ironisierender Höflichkeit.
Dem Musiker verriet sein künstlerisches Feingefühl, mit wem er es zu
tun habe.
Er, der Tor, das Kind, durchschaute Herrn Anton Wanzl tiefer als alle
Professoren und weisen Männer. Aber Hans Pauli war kein Diplomat. Er
äußerte
Anton Wanzl gegenüber stets unverhohlen seine Meinung. Anton blieb kühl
und
sachlich, Pauli erhitzte sich, Anton rückte bald mit seiner schweren
Rüstung
der Gelehrsamkeit ins Feld, gegen solche Waffen konnte Hans Pauli
nichts
ausrichten, denn er war wie so viele Musiker ohne größeres Wissen,
seine
schwerfällige Verträumtheit erdrückte in ihm dasjenige, was man in der
Gesellschaft „Geist“ nennt, und er mußte sich beschämt zurückziehen.
Fräulein
Lavinia Kreitmeyr schwärmte zwar für Bach und Beethoven und Mozart,
aber als
rechte Tochter eines Philologen von Ruf hatte sie eine gleich große
Verehrung
für die Wissenschaft. Hans Pauli war ihr wie ein Orpheus erschienen,
dem Flora
und Fauna lauschen mußten.
Nun
aber war ein Prometheus gekommen, der das heilige Feuer vom Olymp
geradewegs in
die Wohnung des Herrn Hofrat Kreitmeyr brachte. Hans Pauli aber hatte
sich
mehrere Male blamiert, er zählte in der Gesellschaft kaum mit. Auch war
Anton
Wanzl ein Mann, den auch der Hofrat sehr hoch stellte, den Mama so sehr
lobte.
Lavinia war eine gehorsame Tochter. Und als Herr Kreitmeyer ihr eines
Tages
riet, Herrn Dr. Wanzl die Hand zum Bunde fürs Leben zu reichen, sagte
sie:
„Ja.“ Ein gleiches „Ja“ bekam auch der hocherfreute Anton zu hören, als
er bei
Fräulein Lavinia bescheiden anfragte. Die Verlobung wurde für einen
bestimmten
Tag, den Geburtstag der Lavinia, angesetzt.
Hans
Pauli aber verstand jetzt die Tragik seines Künstlerlebens. Er war
verzweifelt,
daß man ihm einen Anton Wanzl vorgezogen, er haßte die Menschen, die
Welt,
Gott. Dann setzte er sich auf einen Dampfer, reiste nach Amerika,
spielte in
Kinos und Varietes, wurde ein verlottertes Genie und starb schließlich
vor
Hunger auf der Straße.
An
einem wunderschönen Juniabend wurde im hofrätlichen Hause die Verlobung
gefeiert. Frau Cäcilie rauschte in grauseidenem Kleide, Herr Hofrat
Kreitmeyr
fühlte sich unbehaglich in seinem schlechtsitzenden Frack und zupfte
abwechselnd bald an seiner windschiefen Krawatte, bald an den
blitzblanken
Manschettenröllchen. Herr Anton strahlte vor Freude an der Seite seiner
hellgekleideten, etwas ernsten Braut,
Toaste wurden gehalten und erwidert, Becher erklangen, Hochrufe
dröhnten bis
hinaus durch die offenen Fenster in das Tuten der Autos.
Draußen
rauschten die Wellen der Donau ihr uraltes Lied von Werden und
Vergehen. Sie
trugen die Sterne mit und die weißen Wölklein, den blauen Himmel und
den Mond.
In heißduftenden Jasminbüschen lag die Nacht und hielt den Wind in
ihren
weichen Armen, daß nicht der leiseste Hauch durch die schwüle Welt
ging.
Mizzi
Schinagl stand am Ufer. Sie fürchtete sich nicht vor dem tiefdunklen
Wasser
unten. Drin mußte es wohlig und weich sein, man stieß sich nicht an
Kanten und
Ecken wie auf der dummen Erde droben, und nur Fische gab es drin,
stumme Wesen,
die nicht lügen konnten, so entsetzlich lügen wie die bösen Menschen.
Stumme
Fische!
Stumme!
Auch ihr Kindchen war stumm, tot geboren. „Es ist am besten so“, hatte
Tante
Marianne gesagt. Ja, ja, es war wirklich am besten. Und das Leben war
doch so
schön! Heute, vor einem Jahr. Ja, wenn das Kindchen lebte, so mußte
auch sie
leben, die Mutter. Aber so! Das Kind war tot, und das Leben tot –
Durch
die nächtliche Stille klang plötzlich ein Lied aus tiefen Männerkehlen.
Burschengesänge,
alte Lieder, - - Studenten waren es. Ob wohl alle Studenten so waren?
Nein! Der
Wanzl! Der war doch nicht einmal ein richtiger Student! Oh, sie kannte
ihn gut!
Ein Feigling war er, ein Heuchler, ein Scheinheiliger! Oh, wie sie ihn
haßte!
Die
Lieder klangen immer näher. Deutliche Schritte waren vernehmbar. Antons
„Bundesbrüder“ kehrten von einem Sommerfest zurück. Herr stud. jur.
Xandl
Hummer, hoch in den Dreißigern, im 18. Semester, „Bierfaß“ genannt,
betrank
sich nicht leicht und holte jetzt rüstig aus. Seine kleinen Äuglein
erspähten
dort ferne am Ufer eine Frauengestalt.
„Holla.
Brüder, es gilt ein Leben zu retten!“ sagte er.
„Fräulein“,
rief er, „warten Sie einen Augenblick! Ich komm' schon!“
Mizzi
Schinagl sah trübe in das aufgedunsene, rote Gesicht Xandls. Ein jäher
Gedanke
durchzuckte ihr Hirn. Wie, wenn - - Ja, ja, sie wollte sich rächen!
Rächen an
der Welt, an der Gesellschaft!
Mizzi
Schinagl lachte. Ein gelles, schneidendes Lachen. So lacht eine -
dachte sie.
Nur noch einen Blick warf sie ins Wasser. Und starrte dann eine Weile
in die
Luft. Sie hörte nicht die rohen Späße des Studenten. Er aber nahm ihren
Arm. Im Triumph wurde sie auf die
„Bude“ Xandls geführt.
Am
nächsten Morgen brachte sie „Bierfaß“ in die „Pension“ zu „Tante“
Waclawa Jancic
am Spittel. –
Herr
Anton Wanzl war mit seiner jungen Frau von der Ferien- und
Hochzeitsreise
zurückgekehrt. Er war ein gewissenhafter, strenger, gerechter Lehrer.
Er wuchs
in den Augen der Vorgesetzten, spielte eine Rolle in der besseren
Gesellschaft
und arbeitete an einem wissenschaftlichen Werk. Sein Gehalt stieg und
stieg, er
wuchs von einer Rangklasse in die andere. Seine Eltern hatten ihm den
Gefallen
erwiesen und waren kurz nach seiner Hochzeit beide fast in derselben
Zeit
gestorben.
Herr
Anton Wanzl aber ließ sich jetzt zu der größten Verwunderung aller in
seine
Heimatstadt versetzen.
Das
kleine Gymnasium verwaltete dort ein alter Direktor, ein lässiger Mann,
alleinstehend, ohne Weib und Kind, der nur in der Vergangenheit lebte
und sich
um seine Pflichten nicht kümmerte. Nichtsdestoweniger war ihm sein Amt
lieb
geworden, er mußte lachende, junge Gesichter um sich sehen, seine Bäume
im
großen Park pflegen, von den Bürgern des Städtchens ehrfürchtig gegrüßt
werden.
Man hatte drüben im Landesschulrat Mitleid mit dem alten Manne und
wartete nur
noch auf
seinen Tod.
Anton
Wanzl kam und nahm die Verwaltung der Schule in die Hand. Als
Rangältester
wurde er Sekretär, er schrieb Berichte an den Schulrat, bekam die Kasse
in Verwaltung,
beaufsichtigte den Unterricht und die Reparaturen, schaffte Ordnung. Er
kam
auch hie und da nach Wien und hatte Gelegenheit, an den Abenden, die
seine
Schwiegermutter seltener zwar, aber doch immer noch veranstaltete, hie
und da
einemHerrn von der Statthalterei auch mündlichen Bericht zu erstatten.
Dabei verstand
er es vortrefflich, seine eigene Tätigkeit ins hellste Licht zu rücken,
von
seinem Direktor mit einem bedauernden Unterton in der Stimme zu
sprechen und
seine Worte mit einem vielsagenden Achselzucken zu begleiten. Frau
Cäcilie
Kreitmeyr aber besorgte das übrige.
Eines
Tages spazierte der alte Herr Direktor mit seinem Sekretär Dr. Wanzl in
den
schönen Gartenanlagen des Gymnasiums. Der alte Herr freute sich beim
Anblick
der Bäume, hie und da huschte ein frisches Jungengesicht vorbei und
verschwand wieder.
Des Herrn Direktors altes Greisenherz freute sich. Gerade bog der
Schuldiener
in die Allee ein, grüßte und überreichte einen mächtigen Brief. Der
Herr
Direktor schnitt das große weiße Kuvert bedächtig auf, zog das Blatt
mit dem
großen Amtssiegel hervor und begann zu lesen. Ein Ausdruck des
Schreckens
belebte plötzlich seine alten, schlaffen Züge. Er machte eine Bewegung,
als
wollte er nach
seinem Herz greifen, schwankte und fiel. Nach einigen Sekunden war er
in den
Armen seines Sekretärs gestorben.
Dem
Herrn Direktor Dr. Anton Wanzl ging es gut. Sein Ehrgeiz ruhte seit
Jahren.
Manchmal dachte er wohl an eine Universitätsprofessur, die er hätte
erreichen
können, aber bald hatte er sich die Sache überlegt. Er war mit sich
sehr
zufrieden. Und noch mehr mit den Menschen.
Manchmal
im tiefsten Winkel seines Herzens lachte er über die Leichtgläubigkeit
der
Welt. Aber seine blassen Lippen blieben geschlossen. Selbst wenn er
allein war,
in seinen vier Wänden lachte er nicht. Er fürchtete, die Wände hätten
nicht nur
Ohren, sondern auch Augen und könnten ihn verraten.
Kinder
hatte er keine, sehnte sich auch nicht nach ihnen. Zu Hause war er der
Herr,
seine Gemahlin blickte bewundernd zu ihm empor, seine Schüler verehrten
ihn.
Nur nach Wien kam er seit einigen Jahren nicht mehr. Dort war ihm
einmal was
höchst Fatales passiert. Als er einmal in der Nacht mit seiner Frau aus
der
Oper heimkehrte, begegnete ihm an der Ecke ein aufgeputztes
Frauenzimmer, warf
einen Blick auf Frau Lavinia
an seiner Seite und lachte schrill auf. Lange klang dieses wilde Lachen
Herrn
Anton Wanzl in den Ohren.
Direktor
Wanzl lebte noch lange glücklich an der Seite seiner Frau.
Aber
seine stark überspannten Kräfte ließen mählich nach. Der überanstrengte
Organismus
rächte sich. Die lange durch die Macht des straffen Willens
zurückgehaltene
Schwäche brach auf einmal durch.
Eine
schwere Lungenentzündung warf Anton Wanzl aufs Krankenlager, das ihn
nicht mehr
loslassen sollte. Nach einigen Wochen schweren Leidens starb Anton
Wanzl.
Alle
Schüler waren gekommen, alle Bürger des Städtchens, Kränze mit langen
schwarzen
Schleifen überdeckten den Sarg, Reden wurden gehalten, Abschiedsworte
nachgerufen.
Herr
Anton Wanzl aber lag tief drinnen im schwarzen Metallsarg und lachte.
Anton Warzl
lachte zum ersten Male. Er lachte über die Leichtgläubigkeit der
Menschen, über
die Dummheit der Welt. Hier durfte er lachen. Die Wände seines
schwarzen
Kastens konnten ihn nicht verraten. Und Anton Wanzl lachte. Lachte
stark und
herzlich.
Seine
Schüler ließen es sich nicht nehmen, ihrem verehrten und geliebten
Direktor
einen marmornen Grabstein zu setzen. Auf diesem standen unter dem Namen
des
Verstorbenen die Verse:
„Üb
immer Treu und Redlichkeit
Bis
an dein kühles Grab!“