Barbara
2
1918
Ihr
Verdienst reichte nicht, und sie begann, vom kleinen Kapital zu zehren,
das ihr
vom Verkauf der Werkstätte geblieben war. Aber es konnte auf die Dauer
nicht
weitergehen, und sie sah sich nach neuen Verdienstmöglichkeiten um. Sie
wurde
Wäscherin. In der Früh ging sie aus, und in der Mittagsstunde schleppte
sie
einen schweren Pack schmutziger Wäsche heim. Sie stand halbe Tage im
Dunst der
Waschküche, und es war, als ob der Dampf des Schmutzes sich auf ihrem
Gesicht
ablagerte.
Sie
bekam eine fahle, sandsteinfarbene Haut, um die Augen zitterte ein
engmaschiges
Netz haarfeiner Falten. Die Arbeit verunstaltete ihren Leib, ihre Hände
waren
rissig, und die Haut faltete sich schlaff an den Fingerspitzen unter
der
Wirkung des heißen Wassers. Selbst wenn sie keinen Pack trug, ging sie
gebückt.
Die Arbeit lastete auf ihrem Rücken. Aber um den bittern Mund spielte
ein
Lächeln, sooft sie ihren Sohn ansah.
Nun
hatte sie ihn glücklich ins Gymnasium hinüberbugsiert. Er lernte nicht
leicht,
aber er behielt alles, was er einmal gehört hatte, und seine Lehrer
waren
zufrieden.
Jedes
Zeugnis, das er nach Hause brachte, war für Barbara ein Fest, und sie
versäumte
es nicht, ihrem Sohn kleine Freuden zu bereiten. Extratouren
gewissermaßen, die
sie um große Opfer erkaufen mußte. Philipp ahnte das alles nicht, er
war ein
Dickhäuter. Er weinte selten, ging robust auf sein Ziel los und machte
seine Aufgaben
mit einer Art Aufwand von körperlicher Kraft, als hätte er ein
Eichenbrett zu
hobeln. Er war ganz seines Vaters Sohn, und er begriff seine Mutter gar
nicht.
Er sah sie arbeiten, aber das schien ihm selbstverständlich, er besaß
nicht die
Feinheit, um das Leid zu lesen, das in der Seele seiner Mutter lag und
in jedem
Opfer, das sie ihm brachte.
So
schwammen die Jahre im Dunst der schmutzigen Wäsche. Allmählich kam
eine
Gleichgültigkeit in die Seele Barbaras, eine stumpfe Müdigkeit. Ihr
Herz hatte
nur noch einige seiner stillen Feste, zu denen die Erinnerung an
Wendelin
gehörte und ein Schulzeugnis Philipps. Ihre Gesundheit war stark
angegriffen,
sie mußte zeitweilig in ihrer Arbeit einhalten, der Rücken schmerzte
gar sehr.
Aber keine Klage kam
über ihre Lippen. Und auch wenn sie gekommen wäre, an der Elefantenhaut
Philipps wäre sie glatt abgeprallt.
Er
mußte nun darangehen, an einen Beruf zu denken. Zu einem weiteren
Studium
mangelte es an Geld, zu einer anständigen Stelle an Protektion. Philipp
hatte
keine besondere Vorliebe für einen Beruf, er hatte überhaupt keine
Liebe. Am
bequemsten war ihm noch die Theologie. Man konnte Aufnahme finden im
Seminar
und hatte vor sich ein behäbiges und unabhängiges Leben. So glitt er
denn, als
er das Gymnasium hinter
sich hatte, in die Kutte der Religionswissenschaft. Er packte seine
kleinen
Habseligkeiten in einen kleinen Holzkoffer und übersiedelte in die
engbrüstige
Stube seiner Zukunft.
Seine
Briefe waren selten und trocken wie Hobelspäne. Barbara las sie
mühevoll und
andächtig. Sie begann, häufiger in die Kirche zu gehen, nicht weil sie
ein
religiöses Verlangen danach verspürte, sondern um den Priester zu sehen
und im
Geiste ihren Sohn auf die Kanzel zu versetzen. Sie arbeitete noch immer
viel,
trotzdem sie es jetzt nicht nötig hatte, aber sie glich einem
aufgezogenen
Uhrwerk etwa, das nicht stehen bleiben kann, solange sich die Rädchen
drehen.
Doch ging es merklich abwärts mit ihr. Sie mußte sich hie und da ins
Bett legen
und etliche Tage liegenbleiben. Der Rücken schmerzte heftig, und ein
trockenes
Husten schüttelte ihren abgemagerten Körper. Bis eines Tages das Fieber
dazukam
und sie ganz hilflos machte.
Sie
lag eine Woche und zwei. Eine Nachbarin kam und half aus. Endlich
entschloß sie
sich, an Philipp zu schreiben. Sie konnte nicht mehr, sie mußte
diktieren. Sie
küßte den Brief verstohlen, als sie ihn zum Absenden übergab. Nach acht
langen
Tagen kam Philipp. Er war gesund, aber nicht frisch und steckte in
einer blauen
Kutte. Auf dem Kopfe
trug er eine Art Zylinder. Er legte ihn sehr sanft aufs Bett, küßte
seiner
Mutter die Hand und zeigte nicht das mindeste Erschrecken. Er erzählte
von
seiner Promotion, zeigte sein Doktordiplom und stand selbst dabei so
steif, daß
er aussah wie die steife Papierrolle und seine Kutte mit dem Zylinder
wie eine
Blechkapsel. Er sprach von seinen Arbeiten, trotzdem Barbara nichts
davon
verstand. Zeitweilig verfiel er in einen näselnden, fetten Ton, den er
seinen
Lehrern abgelauscht und für
seine Bedürfnisse zugeölt haben mochte. Als die Glocken zu läuten
begannen,
bekreuzigte er sich, holte ein Gebetbuch hervor und flüsterte lange mit
einem
andächtigen Ausdrucke im Gesicht.
Barbara
lag da und staunte. Sie hatte sich das alles so ganz anders
vorgestellt. Sie
begann, von ihrer Sehnsucht zu sprechen und wie sie ihn vor ihrem Tode
noch
einmal hatte sehen wollen. Er hatte bloß das Wort „Tod“ gehört, und
schon
begann er, über das Jenseits zu sprechen und über den Lohn, der die
Frommen im
Himmel erwartete. Kein
Schmerz lag in seiner Stimme, nur eine Art Wohlgefallen an sich selbst
und die
Freude darüber, daß er am Lager seiner todkranken Mutter zeigen konnte,
was er
gelernt hatte.
Über
die kranke Barbara kam mit Gewalt das Verlangen, in ihrem Sohn ein
bißchen
Liebe wachzurufen. Sie fühlte, daß es das letzte Mal war, da sie
sprechen
konnte, und wie von selbst und als hauche ihr ein Geist die Worte ein,
begann
sie, langsam und zögernd von der einzigen Liebe ihres Lebens zu
sprechen und
von dem Opfer, das sie ihrem Kinde gebracht. Als sie zu Ende war,
schwieg sie
erschöpft, aber in ihrem Schweigen lag zitternde Erwartung. Ihr Sohn
schwieg.
So etwas begriff er nicht. Es rührte ihn nicht. Er blieb stumpf und
steif und schwieg.
Dann begann er, verstohlen zu gähnen, und sagte, er gehe für eine Weile
weg, um
sich ein bißchen zu stärken.
Barbara
lag da und begriff gar nichts. Nur eine tiefe Wehmut bebte in ihr und
der
Schmerz um das verlorene Leben. Sie dachte an Peter Wendelin und
lächelte müde.
In ihrer Todesstunde wärmte sie noch der Glanz seiner goldbraunen
Augen. Dann
erschütterte sie ein starker Hustenanfall. Als er vorüber war, blieb
sie
bewußtlos liegen. Philipp kam zurück, sah den Zustand seiner Mutter und
begann,
krampfhaft zu
beten. Er schickte um den Arzt und um den Priester. Beide kamen; die
Nachbarinnen
füllten das Zimmer mit ihrem Weinen. Inzwischen aber taumelte Barbara,
unverstanden und verständnislos, hinüber in die Ewigkeit.