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Literatur


04.3


Geschichten - Joseph Roth
Werke 4
1916- 1929

Romane und Erzählungen






Das Kartell  2
1923


 
Mr. Baker kam direkt von der Bahn in die Redaktion der „Aurora“. „Was können Sie?“ fragte ihn der Chef. „Alles“, sagte Mr. Baker. Er bekam achthundert Dollar und ward Reporter der „Aurora“.
 
Mr. Baker interessierte sich sehr für Suffragetten. Er schloß dicke Freundschaft mit dem portugiesischen Stierkämpfer Pedro dal Costo Caval. Er besuchte sämtliche Versammlungen und klatschte laut Beifall. Er gewann das Vertrauen der ledernen Miß Esther Smith durch einen Artikel in der „Aurora“, in der er für die Suffragetten eingetreten war.
 
Die Nachricht von dem plötzlichen Verschwinden der berühmten Miß Punkerfield hatte Mr. Baker zuerst in der „Aurora“ gebracht. Es war fürchterlich.
 
Mr. Pumper, Mr. Washer, Mr. Klingson berieten. Heute konnte man nicht der Welt wieder mit dem Präriebrand kommen und mit dem langen Jimmy oder mit Jenkins, dem Zopfabschneider, oder mit Tommy, dem Lustmörder. Was war das alles gegen das Verschwinden der Miß Sylvia Punkerfield? Man mußte schreiben, wie, warum, wieso.
 
Mister Washer ging zu Miß Lawrence, um sie um ein Interview zu bitten, aber die Suffragettenführerin hatte den Kopf verloren. Sie gab keine Auskunft.
 
Die Polizei hatte die dressiertesten Spürhunde losgelassen. Mister Washer lief mit einem der Hunde um die Wette nach der verschwundenen Miß Sylvia. Er fand nichts.
 
Das Kartell ging zum Polizeileiter Mr. Shelly. „Mr. Shelly“, hub Pumper an, „ich habe einen Verdacht!“ „Nun, was für einen?“
 
„Ich verdächtige unseren Kollegen Baker von der „Aurora“ der gewaltsamen Entführung der Suffragette. Diesem Mann ist alles zuzutrauen! Nur um eine Sensation zu haben, ist er imstande, einen Mord zu begehen.“
 
Mr. Washer nickte fromm und zustimmend. Er war so ermüdet von dem Wettlauf mit dem Polizeihund, daß er kein Wort finden konnte.
 
Mr. Klingson war steif und stumm und sog an seinem kalten Zigarrenstummel gierig, als könnte er eine Wendung in der dunklen Affäre heraussaugen.
 
Der Polizeileiter beschloß, den Reporter von der „Aurora“ zu vernehmen. Als man aber in die „Aurora“ kam, hörte man, Mr. Baker sei schon mit dem Frühzuge weg, um Miß Sylvia zu suchen.
 
Unterdessen war Mister Baker in seinem Zimmer und las lächelnd und mit Behagen einen Brief. Zum erstenmal in seinem Leben ruhte seine Nase still. Sie bewegte sich nicht. Der war vom 11. November datiert und trug die Aufschrift: An Bord der „Atlantis“. Er war von demportugiesischen Stierkämpfer Pedro dal Costo-Caval und lautete:
 
Lieber Freund!
 
Nun weiß ich erst, was ich Dir und Deinem Reporterehrgeiz zu verdanken habe. Dein Einfall, mich in Miß Sylvia verliebt zu machen, war vortrefflich. Dein Rat, sie zu entführen, noch trefflicher. Im übrigen war sie mit allem einverstanden. Sie wollte einfach nicht mehr Bomben werfen. Jedes Weib wartet schließlich doch nur auf ihren Stierkämpfer.
 
Alles andere - Politik und Bomben - ist Verlegenheit und Ersatz. Ich entführe sie mit ihrer Einwilligung. Wir werden sehr glücklich sein.
 
Wenn ich einen Sohn habe, wirst Du Pate. Ich telegraphiere Dir.
 
Gruß! Dein Pedro
 
Mister Baker griff nach seinem Notizblock und schrieb ein Telegramm an die „Aurora“, von New York, den 12. November datiert.
 
Am nächsten Morgen brachte die Bostoner „Aurora“ auf der ersten Seite ihrer acht Seiten starken Nummer in fetten Lettern das folgende Telegramm:
 
„New York, den 12. November.
(Von unserem Sonderberichterstatter)
 
Die mysteriöse Angelegenheit der Miß Sylvia Punkerfield ist geklärt. Miß Sylvia ließ sich von dem portugiesischen Stierkämpfer Pedro dal Costo-Caval entführen. Zwischen beiden bestand seit längerer Zeit ein Liebesverhältnis. Das Paar ist auf der Reise nach Portugal begriffen und befindet sich an Bord der "Atlantis."
 
Im Cafe Chesterton gab es große Aufregung. Mister Pump sank, als er das Telegramm las, vom Schlag getroffen zu Boden. Mister Washer erkrankte plötzlich an hohem Fieber, delirierte Interviews und starb eine Woche später an den Folgen einer Lungenentzündung, die er sich beim Wettlauf mit dem Polizeihund zugezogen hatte. Mister Klingson wurde telephonisch entlassen. Ihr könnt ihn heute noch sehen, er wartet im Cafe Chesterton auf ein Dementi der Entführungsgeschichte, damit er es als erster ins Blatt bringe.

 





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