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04.3
Geschichten - Joseph
Roth
Werke
4
1916-
1929
Romane und
Erzählungen
Das
Spinnennetz - S. 3
Roman 1923
V
Sein
Weg führte vorläufig zu der Wohnung des Malers
Klaften.
Theodor
hieß Friedrich Trattner und war Genosse aus
Hamburg. Moderne Bilder sah er bei Klaften, farbenrauschende
Fanfaronaden,
gelbe, violette, rote. Die Augen schmerzten, wenn man sich von den
Bildern abwendete,
wie wenn man in die Sonne gesehen hätte. Theodor sagte: »Sehr schön!«
Seine
Bewunderung genügte allen und ersetzte die
Legitimation. Man sagte Genosse Trattner zu ihm. Er trug seinen neuen
Namen mit
Inbrunst. Er, den jede neue Situation überraschte, erschüttern konnte,
jetzt
erfand er selbst Situationen, abenteuerliche Ausbrüche aus
Gefängnissen,
plötzliche Flucht vor auftauchenden Spitzeln, Prügeleien mit Polizei
und
Studenten.
Theodor
wuchs in Friedrich Trattner hinein. Durch den
Körper dieser Figur, die er spielte, ging es zu Ansehen und Geltung. Es
war wie
eine Gefreitencharge beim Militär, die man ganz durchkosten mußte, ehe
man
weiterkam. Man hatte sie bald überstanden. Man gab sich Mühe, ihrer
würdig zu
sein, aber nur, um aus ihr schlüpfen zu können.
Neue
Menschen lernte Theodor kennen. Den Juden
Goldscheider, der die Güte predigte und bei jeder Gelegenheit das Neue
Testament zitierte. War er ein Bolschewik oder nur ein Jude?
Goldscheider
selbst erzählte von seinem Aufenthalt in Irrenhäusern. Er war gewiß
närrisch.
Er sagte manchmal Unverständliches. Die anderen täuschten Verständnis
vor.
Es
war eine harmlose Gesellschaft junger armer
Menschen ohne Obdach. Sie bekamen Logis und einen Kaffee vom Maler
Klaften. Der
Maler lebte von unmodernen Bildern, die allgemein in der Gesellschaft
Kitsch
genannt wurden. Theodor hielt sie für die besten Werke Klaftens.
Theodor
hörte die jungen Leute fluchen. Sie sahen den
Tag der großen Revolution greifbar nahe. Sie fluchten auf
sozialistische
Abgeordnete und Minister, die Theodor immer für Kommunisten gehalten
hatte. Er
verstand so feine Unterschiede nicht.
Der
Maler Klaften porträtierte Theodor. Er erschrak
vor seinem eigenen Bildnis. Es war, als hätte er in einen furchtbaren
Spiegel
gesehen. Sein Angesicht war rund, rötlich, die Nase platt, mit leise
angedeuteter Spaltlinie auf dem breiten, flachen Rücken. Der Mund war
breit,
mit aufgeworfenen Schaufellippen.
Der kleine
Schnurrbart verhüllte die wirkliche Lippe zwar, aber die gemalte nicht.
Es war,
als hätte der Maler den Bart wegrasiert – und er hatte ihn doch
mitgemalt.
Es
ist mißlungen, dachte Theodor. Das Bild hing im
Zimmer und verriet ihn. Alle, die das Porträt sahen, wurden schweigsam
und
betrachteten Theodor verstohlen. Er fühlte sich fast entlarvt und wäre
vor
diesem Bild geflohen, wenn nicht der junge Kommunist Thimme
eingetroffen wäre.
Thimme
hatte Ekrasit im Keller eines sicheren
Gastwirtes eingelagert. Er wollte es im Dienst der Revolution
explodieren
lassen. Er sprach von der Notwendigkeit einer neuen revolutionären Tat
und fand
Zustimmung bei allen, bei Theodor Begeisterung.
Theodor
hörte mit tausend Ohren. Tausend Arme hätte er
bereithalten mögen. Er entsann sich jener Spinne in den Sommerferien
seiner
Knabenzeit, die er jeden Tag mit gefangenen Fliegen gefüttert hatte;
des
atemlosen Wartens auf das hastige Heranklettern des Tieres, sein
sekundenlanges
Lauern, den letzten todbringenden Anlauf, der Sturz und Sprung und Fall
in
einer Bewegung war.
So
saß er jetzt selbst, sturzbereit, zum Sprunge entschlossen.
Er haßte diese Menschen, wußte nicht, weshalb, und führte für sich
selbst
Gründe seines Hasses an. Sie waren Sozialisten, Vaterlandslose,
Verräter. In
seiner Gewalt waren sie. Oh, er hatte Gewalt über fünf, sechs, zehn
Menschen.
Er hatte wieder Macht über Menschen, Theodor Lohse, der Hauslehrer,
Jurist, vom
Detektiv Klitsche Erniedrigte, vom Prinzen Mißbrauchte, von seinen
Kameraden
Verratene. Alle sahen das Feuer in seinem Auge, seine geröteten Wangen.
Er
betrachtete Thimme, den jungen verhungerten Thimme, einen Glasbläser
mit
sichtbarer Tuberkulose, den dunklen Tod trug er in den tiefschattenden
Augenhöhlen. Er betrachtete Thimme als sein Wild, seinen Menschen, sein
Eigentum.
Er
kostete seine Verborgenheit wie eine labende
Nahrung. Er rückte ins Dunkel. Er spreizte die Finger in den
Hosentaschen. Er
beugte den Oberkörper vor. Er nahm, ohne es zu wissen, die lauernde
Haltung
seiner Spinne an.
Sie
stritten über das
Objekt ihres Angriffs. Einige wollten den Reichstag, andere die
Polizei. Andere
rieten zur Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Goldscheider stand mit
ausgebreiteten Armen und bat und beschwor, von dem Ekrasit abzulassen.
Er hatte
die Brille abgelegt, und sein bärtiges Gesicht sah hilflos und verloren
und
Rettung heischend aus.
Wer
die Tat ausführen sollte? Sie einigten sich auf
das Los. Es traf Goldscheider.
Theodor
ging. Spät in der Nacht verließ er das Haus,
schritt durch den finsteren rauschenden Tiergarten zu Trebitsch. Die
letzte
Allee durchlief er, als würde er verfolgt, gedrückt in das Dunkel der
schattenden Bäume. Er wollte niemanden wecken. Er warf einen kleinen
Stein
gegen Trebitschs erleuchtetes Fenster. Er trat ein und sah nach der
Tür. Er
schilderte eine unermeßliche Gefahr, in der er schwebte. Spitzel hätten
ihn
hierher verfolgt, kommunistische Spitzel, unterwegs sei er auf einen
Omnibus
gesprungen. Sie witterten in ihm den, der er war. Sie ahnten schon, daß
er
nicht Trattner heiße. Und während er erzählte, steigerte sich seine
Furcht. Er
log nicht mehr mit Vorbedacht, sondern schilderte seine ängstlichen
Vorstellungen. »Ekrasit!« sagte er leise und sah zur Tür.
Man
solle sie nicht stören, sagte Trebitsch, sanft und
lächelnd wie immer. Er strählte seinen Bart mit gespreizten Fingern wie
mit
einem Kamm. Nach dem Attentat – und hoffentlich gelingt es – müsse man
zur
Polizei gehen.
Gegen
vier Uhr morgens kehrte Theodor zum Maler
Klaften zurück. Man hatte sich auf die Siegessäule geeinigt. Zwei Leute
holten
das Ekrasit in einer Droschke. Thimme bohrte ein Loch in das Kästchen.
Thimme,
Theodor und Goldscheider fuhren zur Siegessäule. Thimme und Theodor
warteten in
einer geraumen Entfernung. Dann kam Goldscheider. Sie gingen, alle
drei,
schweigsam und bitter.
Eine
Viertelstunde nachdem Goldscheider die Lunten
angesteckt hatte, rief Theodor die Polizei an; in einigen Minuten würde
ein
Unglück geschehen. Rechts hinter dem Gitter um die Siegessäule liege
Ekrasit.
Dann
ging Goldscheider zurück in Klaftens Wohnung –
Polizei hielt ihn an, fesselte ihn rasch und lautlos. Aus dem Zimmer
kamen die Verhafteten, zu zweit aneinandergefesselte
Freunde. An der Seite des Kommissärs stand Trattner, der Genosse
Trattner.
Sie
spuckten alle gleichzeitig, wie auf Kommando und
ehe man sie hindern konnte, in sein Angesicht.
Theodor
wischte den Speichel mit dem Tuch fort. Er
lachte. Er lachte kurz, laut und tief. Es klang wie ein halber Schrei.
In
der Flur erloschen die grellen Lampen der
Polizisten. Man hörte den gleichmäßigen Trott der zehn Verhafteten von
der
Straße und das leise Metallgeräusch aneinanderschlagender Handspangen.
In
den Zeitungen flackerten die Sensationen auf:
Kommunistischer Anschlag von einem Mitglied der Technischen Nothilfe
vereitelt.
Theodor Lohse wurde einigemal genannt. Man gratulierte. Im Bunde
deutscher
Rechtshörer war Theodor ein seltener Gast geworden. Er ging nicht mehr
ins
Kolleg. Das hatte Zeit.
Seitdem
er im Heeresbericht erwähnt worden war, hatte
er seinen Namen niemals mehr gedruckt gesehen. Jetzt begegnete er
seiner Tat in
allen Zeitungen. Es kam ein Mann vom »Nationalen Beobachter«, ein
dünnes
Männchen, das sich beständig mit irgendwelchen Gegenständen auf dem
Schreibtisch beschäftigte, während es sprach. Es lud Theodor zur
Mitarbeit ein,
machte aber aufmerksam, daß das Budget des Blattes leider für Honorare
nicht
ausreiche.
Was
tat es? Theodor bekam ein Honorar von Trebitsch,
ein weniger hohes als das erstemal. Und es verringerte sich noch um die
Hälfte,
als Klitsche seinen Anteil forderte. Von ihm hatte Theodor den Maler
Klaften!
Er, Klitsche, hat in selbstloser Freundschaft Theodor die Sache
abgetreten.
Klitsche sitzt in seinem Büro, ohne Rock und Weste, mit geöffnetem
Kragen, und
sieht noch mächtiger aus. Man sieht den gewaltigen Umfang seines Halses
mit
geblähten Muskelsträngen und die gebändigte Wucht seiner ruhenden
Fäuste auf
dem Tisch. Seine lange Haarsträhne verschob sich und ließ die
verkrüppelten Reste
seiner Ohrmuschel frei, ein rötliches Stückchen Knorpel
mit verkümmerten winzigen Windungen.
Theodor
feilschte erbittert, ein Drittel wollte er
hergeben, aber Klitsche rückte den Stuhl mit einem plötzlichen
Entschluß hinter
sich, so, als wollte er sich erheben. Er stand nicht auf, sondern
blieb, auf
dem weit zurückgeschobenen Stuhl, den Oberkörper vorgeneigt, die
starken Fäuste
an der Tischkante, sitzen, ein geducktes Tier; und Theodor gab ihm die
Hälfte.
Dann
ging er durch die Straßen, machte vor den
Schaufenstern halt und kaufte ein Paar Stiefel. Er kam sich gewachsen
vor, als
hätte er neuen erhabenen Boden unter den Füßen.
Am
späten Nachmittag, die Vögel zwitscherten ergreifend
und abendlich, sprach er ein weißgekleidetes Mädchen an. Im Laufe des
Abends
besuchte er einen Tanzpalast, wurde eifersüchtig, weil das Mädchen mit
einem
Herrn vom Nachbartisch dreimal hintereinander tanzte, trank sauren
Sekt. Das
Mädchen – sie war nicht so eine – verlangte nach einem besseren Hotel,
zwei
Zimmer mußte Theodor mieten. Eine Viertelstunde mußte er sie allein
lassen,
dann klopfte er an ihre Tür, horchte, klopfte wieder und öffnete. Das
Mädchen
war verschwunden.
Er
hatte mehr Glück bei jungen Frauen, die, ohne Hut,
in den einfachen Blusen und fadenscheinigen Jäckchen, sich mit einem
Kinobesuch
begnügten. Er achtete darauf, daß aus den kleinen Zerstreuungen keine
bindende
Freundschaft wurde, er hielt grundsätzlich kein vereinbartes
Rendezvous.
Er
war mit sich zufrieden und überzeugt, daß
Willenskraft und Begabung ihm diese kurzen Fortschritte in kurzer Zeit
ermöglicht hatten.
Er
glaubte, die einzige ihm angemessene Beschäftigung
gefunden zu haben. Er wurde stolz auf seine Spionierfähigkeit und
nannte sie
eine diplomatische. Sein Interesse für Kriminalistik steigerte sich. Er
saß
stundenlang im Kino. Er las Kriminalromane.
Noch
lebte das Porträt in ihm, das der Maler Klaften
gemalt hatte. Er versuchte, es Lügen zu strafen. Er wendete Mittel an,
um
seinen Schnurrbart buschiger zu machen. Er kleidete sich neu, jetzt
trug er
einen hellbraunen Anzug, einen sanft grünlich karierten
und
ein kleines, goldenes Hakenkreuz in einer quergestreiften, seidenen
Krawatte.
Er
kaufte Waffen aller Art, Jagdmesser und Dolche,
einen ledernen Totschläger, eine Pistole, einen Gummiknüppel. Er ging,
wie
Detektiv Klitsche, niemals ohne Revolver, er sah in jedem Passanten
einen
kommunistischen Spitzel. Daß er nicht verfolgt wurde, wußte er. Aber er
vergaß
es, besonders wenn er ein Kriminaldrama gesehen hatte. Es schmeichelte
ihm,
verfolgt zu werden, und also glaubte er daran.
Er,
dem jede Stunde schrecklich erschien, nur weil sie
neu gewesen war, der das Kommende gefürchtet, das Bleibende geliebt
hatte, er
täuschte sich kühne Unmöglichkeiten vor und erwartete Abenteuer auf
jedem
Schritt. Er war gerüstet.
Er
wurde ungläubig. Hinter jeder klaren Tatsache sah
er Schleier, die Geheimnis und wahren Sachverhalt bargen. Er las
politisch-philosophische Schriften, die Trebitsch verfaßt hatte.
Flugschriften,
in denen Zusammenhänge zwischen Sozialismus, Juden, Franzosen und
Russen
aufgedeckt wurden. Diese Lektüren befruchteten Theodors Phantasie. Er
glaubte
nicht nur, was er gelesen hatte, er kombinierte aus dem gelesenen
Material neue
Tatsachen und entwickelte sie im »Nationalen Beobachter«.
Seitdem
er gedruckt wurde, steigerte sich seine
Sicherheit, und wenn er die Feder in die Hand nahm, zweifelte er nicht
mehr an
der Richtigkeit dessen, was er vorsichtig anzudeuten sich vorgenommen
hatte.
Las er noch einmal das Manuskript, war er sicher und strich schwächende
Worte,
jedes »vielleicht« und jedes »wahrscheinlich«.
Er
schrieb die Aufsätze eines Mannes, der hinter die
Kulissen geblickt hat.
Er
wußte, daß der »Nationale Beobachter« in den
Lesesälen der »Germania« auflag und daß Tiedemann und die anderen ihn
lasen.
Dieser »Nationale Beobachter« hing in den Kiosken der Untergrundbahn,
er hing
an jeder Straßenecke und an jedem Kiosk, und an jeder Ecke schrie der
weiß-rote
Umschlag der Zeitschrift den Namen Theodor Lohse in die Welt.
Er
neidete nicht mehr den Efrussis die
weißschimmernden Häuser hinter grünen Rasen, die silbernen Gitter und
marmornen
Treppen. Er dachte an die verlorene Frau Efrussi, wie ein
ganz großer Mann einer kleinen Frau aus anderen Kreisen gedenkt, die
ein
kleines Abenteuer abgegeben hätte. Er beneidete den Juden Efrussi
nicht, aber
er haßte ihn und seine Sippe, seinen Stolz und die Art, wie er ihn, den
Hauslehrer, zuletzt behandelt hatte. Jetzt erinnerte sich Theodor, daß
er im
Efrussischen Hause eine schüchterne Haltung eingenommen hatte, eine
dumme Angst
hatte ihn damals noch beherrscht, und die Schuld daran schob er den
Juden zu.
Wie überhaupt die Juden seine langjährige Erfolglosigkeit verursacht
hatten und
ihn an der schnellen Eroberung der Welt hinderten. In der Schule war es
der
Vorzugsschüler Glaser, andere Juden – er wußte sie nicht zu nennen –
kamen
später. Sie waren, wie alle Welt wußte, furchtbar, weil sie Macht
besaßen. Aber
auch häßlich und abscheulich, überall, wo sie auftauchten, in der Bahn,
auf der
Straße, im Theater. Und Theodor zupfte, wenn er einen Juden sah,
auffällig an
seiner Krawatte, um den anderen auf das drohende Zeichen des
Hakenkreuzes
aufmerksam zu machen. Die Juden erbebten nicht, ihre Frechheit
erweisend. Sie
sahen gleichgültig auf Theodor, manchmal höhnten sie ihn sogar, und er
wurde
beschimpft, wenn er Rechenschaft forderte.
Er
war gereizt, und es geschah, daß er des Nachts in
stillen Straßen Passanten schmähte und, wenn ihm Gefahr drohte, in
einer
Nebenstraße verschwand. Von solchen Abenteuern erzählte er gelegentlich
dem
Detektiv Klitsche, dem Doktor Trebitsch und wurde von ihnen, nicht wie
er
erwartet hatte, belobt, sondern ermahnt, Disziplin zu üben. Denn Leute,
die
einer Organisation angehörten, müßten Aufsehen vermeiden.
Von
nun an schwieg er, aber der Haß fraß in ihm und
machte sich frei in Artikeln für den »Nationalen Beobachter«. Die
Aufsätze
wurden immer gewalttätiger, bis das Blatt für einen Monat verboten
wurde, und
ausdrücklich wegen der Artikel Theodor Lohses. Zu diesem Erfolg
gratulierten
ihm einige junge Leser schriftlich. Auch Frauen schrieben ihm. Theodor
antwortete. Man besuchte ihn. Gymnasiasten, Mitglieder des
Bismarck-Bundes
luden ihn ein, sahen zu ihm auf, Mittelpunkt war er und stillschweigend
gewähltes Haupt, Vorträge hielt er und stand, umbrandet vom Beifall
seiner
Verehrer, auf
dem Podium. Er gründete einen nationalen
Jugendbund, zog an Sonntagen mit seinen Jungen hinaus in die Wälder und
lehrte
sie exerzieren.
Indessen
fehlte es ihm an Geld. Weit und breit war
keine Aussicht mehr, neues zu verdienen, es waren ruhige Zeiten. Im
Büro des
Detektivs Klitsche ließen sich keine Spitzel mehr blicken. Klitsche war
allerdings nicht auf sie angewiesen, er bekam Gehalt, er stand in
steter
Verbindung mit München. Theodor hätte gern eine ähnliche Stelle
bekleidet, er
liebte Klitsche nicht. Klitsche war ein Hindernis. Dieser Klitsche war
Wachtmeister gewesen, Theodor war immerhin Leutnant und akademischer
Bürger. Er
ließ manchmal bei Trebitsch seine Unzufriedenheit merken. Einmal sagte
Trebitsch im Spaß: »Vielleicht stirbt Klitsche.«
Seit
jenem Tag dachte Theodor an Klitsches Tod. Aber
Klitsche war gesund, jede Zusammenkunft bewies es, jeder Händedruck,
jedes
mächtige Gelächter. Es war keine Hoffnung, daß Klitsche jemals nach
München
abberufen wurde. Und daß man ihm eine Verfehlung nachweisen könnte.
Manchmal
träumte Theodor von einem Verrat Klitsches.
Wie? War es ganz unmöglich? Verkehrte Klitsche nicht mit
kommunistischen
Spitzeln? Wer beaufsichtigte ihn? Wer kannte ihn eigentlich genau?
Mußte es
nicht einem aufmerksamen Beobachter gelingen, den Detektiv zu fangen?
Vorläufig
war es unmöglich, und Theodor brauchte Geld.
Ein Versuch, bei Trebitsch eine Anleihe zu machen, schlug fehl.
Trebitsch
erklärte nicht nur, daß er selbst Schulden habe, sondern er verwies
auch auf
reichere Menschen aus der Bekanntschaft Theodors, wie zum Beispiel der
Prinz es
war.
»Sie
sind ja mit dem Prinzen befreundet!« sagte
Trebitsch.
Ja,
er war mit dem Prinzen befreundet. War ihm der
Prinz nichts mehr schuldig?
Er
ging zu Prinz Heinrich. Er mußte lange warten, es
war nachmittags, und der Prinz schlief. Dann kam er, im geblümten
seidenen
Pyjama, mit schlafgeröteten Wangen und Grübchen wie ein gewecktes Kind.
»Ach,
Theo!« sagte der Prinz.
Er
setzte sich, legte einen Fuß auf den Tisch, ließ
die Pantoffeln fallen
und betrachtete seine spielenden
Zehen. Dazu summte er ein Lied. Er gähnte dazwischen. Er hörte nicht
alles, was
Theodor sagte. Schließlich unterbrach er ihn:
»Du
kannst mit mir nach Königsberg fahren, zur
Bootstaufe!«
Also
fuhr Theodor, mit einer blühweißen Seemannskappe
bekleidet, in einem Coupé erster Klasse nach Königsberg. Seine Hoheit
der Prinz
schlief unterwegs, ein Buch von Heinz Tovote in der herabhängenden
Rechten. Der
Ruderklub »Deutsche Treue« holte sie ab, fütterte sie, legte sie
schlafen. Sie
standen am nächsten Tag, es war ein Sonntag, am Seeufer, und es
regnete, wie
gewöhnlich bei Bootstaufen. Eine weißgekleidete Jungfrau hielt ein
Weinglas in
der Rechten, einen Regenschirm in der Linken, der Prinz trat an das
Boot, gab
ihm seinen Namen und zerschmetterte das Weinglas am Bordrand. Alle
riefen
dreimal hipp, hipp, hurra! Und der Regen rauschte.
Nachmittags
besichtigten sie eine Ehrenkompanie der
Reichswehr, lernten die Burschenschaft »Rhenania« kennen, und Theodor
erkannte
in dem Studenten Günther einen Kameraden aus dem Felde. Sie tranken
zusammen,
sie gingen durch die Stadt, sie erzählten Erlebnisse, sie hielten
einander für
prachtvolle Menschen und umarmten sich. Nun gab es kein Geheimnis
zwischen
ihnen, Theodor verschwieg nur seine Verbindung mit dem Prinzen und mit
Klitsche. Dennoch nannte er auch diesen Namen einmal, und nun gestand
Günther,
daß auch er der Stelle S II in München angehöre und von Klitsche
Aufträge
erhalte. Aber er sei jetzt der Politik müde und wolle heiraten. Seine
Braut
lebe in Berlin. Ja, er wollte mit Theodor nach Berlin fahren. Er sehne
sich.
Seine
Braut war die Tochter eines Arbeiters. Der Vater
Betriebsrat bei den Schuckert-Werken. Ein einfacher Arbeiter sogar und
ein
Roter.
Ob
Günther nun auch ein halber Roter wäre, fragte
Theodor. Er hielt die Hände in den Taschen und spreizte die Finger. Er
horchte
mit tausend Ohren.
»Nein!«
Aber Günther sprach mit seinem Schwiegervater
und ließ eines jeden Meinung gelten.
Sie
fuhren zusammen; der Prinz schlief in einem Abteil
nebenan, und
Theodor schwieg. Er sah in die Landschaft.
Er betrachtete Günther, den strohblonden, blauäugigen Buben mit dem
dummredlichen Gesicht.
Was
war ihm Günther? Name und Gesicht gleichgültig und
durch Zufall bekannt. Wie der junge Thimme zum Beispiel.
Liebte
er Günther? Liebte er jemanden? Ja, er liebte
sein Volk. Im Dienste seines Volkes stand er. Wenn Günther nicht die
Wahrheit
sprach? Wenn er nur die Hälfte sagte? Wenn er ein Verräter war? mit den
Kommunisten verhandelte? die Organisation verriet?
Hier
war Theodor auf eine Sache gestoßen. Und mußte
vorsichtig sein. Die Sache wies einen Weg.
Detektiv
Klitsche hörte Theodor zu. War Näheres nicht
zu erfahren?
Es
gab nichts, weder konnte die Braut Günthers etwas
verraten noch Günther selbst. Einmal fragte Theodor vorsichtig, ob der
Schwiegervater nicht Kommunist wäre.
»Ja!«
Günther lachte.
Sie
gingen durch den Abend, Arm in Arm. Theodor und
Günther. Schon betäubte ihn die Macht, Theodor, den Mächtigen, schon
knotete er
Schlingen mit gehässigen Fingern, Theodor, der Kluge; sah er seine
Verdienste,
sich selbst erhaben über Klitsche, über Trebitsch, über alle. Er fuhr
nach
München, mächtig wurde er, übernahm die Leitung. Theodor, ein Führer.
Hastig
lief er zu Trebitsch, erzählte von Günthers Verrat, Gefahren sah er und
schilderte sie und hetzte sich in Begeisterung, angespornt durch des
Bärtigen
zustimmendes Lächeln. Am Abend sendete Klitsche Boten aus, sechzehn
Angehörige
der Stelle S II kamen zusammen, zwei Kerzen entzündete Trebitsch und
verlas das
Protokoll mit Theodor.
Hat
Günther gestanden, daß sein Schwiegervater
Kommunist und Haupt einer geheimen Organisation ist?
Ja!
Die
Arbeiter mit Waffen versorgt?
Ja!
Und
Günther beteiligt sich an den Arbeiten?
Ja!
Die
Paragraphen acht und neun aus den Statuten lauten:
»Dem
Femetod verfallen ist, wer gegen die vaterländischen
Organisationen durch List oder offene Gewalt vorgeht;
wer
mit Parteien der Linken ohne Wissen der Leitung
und nicht zu Spionagezwecken Verkehr pflegt.«
Der
Student Günther ist schuldig.
Entscheidet
das Los?
»Ich
übernehme die Aufgabe!« sagte Klitsche.
Man
schweigt. Der Atem staunender Verehrung schlägt
Klitsche entgegen. Man singt ein Trutzlied:
Der
Verräter zahlt mit Blut,
Schlagt
sie tot, die Judenbrut,
Deutschland
über alles.
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