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04.3
Geschichten - Joseph
Roth
Werke
4
1916-
1929
Romane und
Erzählungen
Das
Spinnennetz - S. 4
Roman 1923
VII
Es
war eine Freiturnübung in
Weißensee angesagt, unter
dem Kommando des Leutnants Wachtl. Hundert Schritte von den anderen
entfernt
gingen Klitsche, Theodor und Günther. Gast war Günther, herzlich
begrüßt und
mit Witzen unterhalten. Man hörte das starke Lachen Klitsches.
Sie
blieben stehen,
beschlossen zu rasten, es hackte
ein Specht unermüdlich, schüchtern pfiff ein Vogel, Hunderte Mücken
tänzelten
in der ungewöhnlich warmen Aprilsonne, frisch und betäubend roch der
Waldboden.
Theodor
möchte gern das Ende
des Waldes sehen. Ach!
Der Wald hat kein Ende, Theodor fiebert, er spürt einen Druck auf der
Schädeldecke, als lasteten viele, viele Baumstämme auf seinem Kopfe.
Tränen
überquellen sein Auge, er kann nicht mehr sehen, er läßt sich neben
Günther
nieder.
Jetzt
wartet er, wartet wie
auf seinen eigenen Tod. Es
kam zu schnell. Zu schnell. Theodor sah vor sich unzählige Baumstämme,
die das
Sonnenlicht brachen und dämpften. Aber die Bäume waren körperlos,
Schattenbäume, sie standen nicht fest, sie befanden sich in einer
fortwährenden, unmerklichen Bewegung, als wäre der ganze Wald eine
Kulisse aus
dünnem Schleierstoff, von einem ganz sanften Wind bewegt.
Deutlicher als
die Baumstämme, die sich vor
ihm befanden, sah Theodor den
Detektiv Klitsche hinter sich; sah, wie er eine Beilpicke erhob, mit
beiden
Händen, und sich reckte, fühlte, wie Klitsche den Atem anhielt, und
dann schloß
Theodor die Augen. Als er sie wieder aufschlug, sah er Günther neben
sich
niederbrechen, sah er den halboffenen Mund des Liegenden, den halben
Schrei,
den steckengebliebenen, und fühlte eine lastende Stille. So ruhig war
es im
Walde, als wartete alles auf den Todesschrei, der nicht kam.
Zwischen
den Brauen Günthers,
an der Nasenwurzel,
steckte die Spitze der Beilpicke. Sein Angesicht war weiß, violett
schimmernd
unter den Augen. Noch atmete er. Der Daumen seiner linken, auf der
Brust
liegenden Hand bewegte sich wie ein kleiner, fleischiger, sterbender
Pendel.
Mit einem letzten Röcheln verzog er die Oberlippe, man sah seine Zähne
und ein
Stück weißlichgrauen Zahnfleisches.
Klitsche
warf einen Sack über
Günther, die Beilpicke
ließ er stecken. Er schleppte ihn weiter über Tannennadeln, über
Sandboden,
über Zapfen, die leicht knisterten. Da war eine Grube, dahinein fiel
Günther,
Klitsche zog den Sack fort, um die Beilpicke zu entfernen.
Rot
und steil, mit unendlich
feinem Prasseln, schoß
das lang gehemmte Blut aus Günthers Stirn hinauf in die Baumkronen,
eine rote
Schnur, und tropfte von den Tannen.
Es
waren klebrige, zähe
Tropfen, sie erstarrten
sofort, im Niederfallen noch. Verkrusteten sich wie roter Siegellack.
Unendliches, rauschendes Rot umgab Theodor. Im Felde hatte er dieses
Rot
gesehen und gehört, es schrie, es brüllte wie aus tausend Kehlen, es
flackerte,
flammte wie tausend Feuersbrünste, rot waren die Bäume, rot war der
gelbe Sand,
rot die braunen Nadeln auf dem Boden, rot der scharfgezackte Himmel
zwischen
den Tannen, in grellgelbem Rot spielte der Sonnenschein zwischen den
Stämmen.
Purpurne, große Räder kreisten in der Luft, purpurne Kugeln rollten auf
und
nieder, glühende Funken tänzelten zwischendurch, verbanden sich zu
sanft
gewellten Funkenschlangen, trennten sich. Aus Theodors Innerm kam das
rauschende Rot, es erfüllte ihn, schlug aus ihm, aber es machte ihn
leicht, und
sein Kopf schien zu schweben,als
wäre er mit Luft
gefüllt.
Es war wie ein leichter, roter Jubel, ein Triumph, der ihn hob, ein
beschwingendes Rauschen, Tod der schweren Gedanken, Befreiung der
verborgen,
begraben gewesenen Seele.
Klitsche
glitt aus, fiel
nieder, stöhnte einmal. Die
Beilpicke stand noch eine Weile in der Luft mit aufwärtsragendem Stiel,
als
wäre sie lebendig, und wankte seitwärts.
Theodor
griff sie auf. Er
ahmte Klitsche nach, erhob
die Beilpicke und ließ sie niedersausen. Klitsches Schädel krachte ein
wenig.
Weißgrauer und blutiger Brei quoll aus seiner Stirn.
Irgendwo
hackte wieder der
unermüdliche Specht,
zwitscherte der schüchterne Vogel, stieg der schwere Dunst aus dem
Waldboden.
Mit
leichten Schritten ging
Theodor durch den Wald,
mürbe Zweige krachten unter seinen Füßen, leicht war er wie eine der
hundert
tänzelnden Mücken.
VIII
Nach
München meldete der
Bericht,
daß Günther Klitsche im Kampfe erschlagen habe und von Theodor Lohse
nachher
umgebracht worden war. Es wurde von den sechzehn Angehörigen der Stelle
S,
römisch II, bezeugt. Die Toten waren gründlich begraben. Ein
geschossenes und auseinandergeschnittenes
Eichhörnchen lag auf ihrem Grabe und erklärte die Herkunft der
Blutspuren.
Frei
war die Bahn Theodor
Lohses.
Klitsches Erbschaft verwaltete er und baute sie aus. Heiß ging sein
Atem, kurz
war sein Schlaf und weit das Feld, das er beackerte. Aus vierzig
Mittelschulen
bildete er eine Garde. Unverläßliche Spione schaffte er ab. Dreimal in
der
Woche hielt er Vorträge. Eine halbe Stunde bereitete er sich vor, aus
Trebitschs Flugschriften und aus dem »Nationalen Beobachter«. Er
verwaltete Geld,
das er von Major Pauli
erhielt. Er schrieb Rechnungen und erteilte keine Vorschüsse, es sei
denn an
sich selbst.
Allmählich
begriff er die
Zusammenhänge, die er früher nur in Artikelnn
aufgedeckt hatte. Er fuhr nach München, er lernte seine Vorgesetzten
kennen,
einen General, der nie nach Preußen reiste und in Bayern unter dem
Namen Major
Seyfarth wohnte. Er hatte das Bedürfnis, Ludendorff zu besuchen, aber
er durfte
es nicht, direkter Verkehr mit Ludendorff war verboten. Er verlor die
Verehrung
für diesen und jenen, den
er groß genannt und
gewähnt
hatte. Er sprach mit Nationalsozialisten und achtete sie gering, weil
er
erfuhr, daß sie nicht in alles eingeweiht waren und daß Geheimnisse
auch ihnen
nicht offenbar wurden. Theodor lernte horchen und mißtrauen. Man belog
ihn.
Es
kränkte ihn. Seinen Fragen
gebot man Halt. Es richtete seinen Ehrgeiz auf, es blies ihm neuen Mut
ein,
Einfluß wollte er, nicht kleine Selbständigkeit, Anfang einer Kette
sein, nicht
ihr unscheinbares Glied. Aber sein Eifer überwältigte ihn selbst, drang
aus
ihm, verriet ihn, seinem Fleiß mißtraute man, seine Hitze machte ihn
verdächtig.
Jeder
der Generale, Majore,
Hauptleute, Studenten, Journalisten, Politiker klebte an seiner Stelle,
es
beherrschte sie Angst um ihr tägliches Brot, nichts mehr, nichts
weniger. Dazwischen
trieben sich kleine Menschen herum, Gäste der Organisation, der rote
Wanderredner Schley, der Pfarrer Block, der Schulmädchen verführte, der
Student
Biertimpfl, der eine Unterstützungskasse geplündert hatte, der Artist
Conti aus
Triest, Matrose und Deserteur, der jüdische Spitzel Baum, dessen
Spezialität
Aufmarschpläne waren, der Elsässer Blum, ein französischer Spion,
Klatko aus
Oberschlesien, Invalider aus den Abstimmungskämpfen; Marineleutnants
und
Überseedeutsche, Flüchtlinge aus den besetzten Provinzen, ausgewiesene
Regierungsräte,
Prostituierte aus Koblenz, Straßenbettler aus den Rheinstädten,
ungarische Offiziere,
die unkontrollierbare Wünsche geflüchteter Mitglieder aus Budapest
brachten, von der
Polizei Verfolgte, die falsche Pässe forderten, Redakteure, namenlose,
die Geld
zur Gründung kleiner Blätter wollten. Jeder wußte etwas, konnte
gefährlich,
mußte befriedigt werden.
Es
gab Witzige, Dumme,
Menschen,
von denen Theodor lernen konnte, andere, die von ihm zu lernen suchten.
Viele
kannten ihn, sein Name war ihnen geläufig, vor Spitzeln mußte er sich
in acht
nehmen.
Er
mußte es überhaupt. Er
ging
durch die Straßen, die Hand am Revolvergriff in der Tasche, er mied
dunkle
Gegenden, nie trat er aus dem Haus, ohne sich umzusehen, in jedem
Passanten
witterte er einen Feind, in jedem Gesinnungsgenossen einen persönlichen
Gegner.
Auf seine Schar junger Leute allein konnte er sich verlassen. Er schuf
einen Saal-
und Versammlungsschutz, sprengte sozialistische Versammlungen, zog
durch die Straßen mit
flotten
Gesängen. Zu den Vorträgen Trebitschs verteilte er seine Leute im Saal
und ließ
sie Beifall klatschen, zum Beifall ermuntern. Manchmal schrie ein
ahnungsloser
Zuhörer eine Beleidigung. Dann schrillte Theodors Pfiff, der Saalschutz
strömte
um den Zwischenrufer zusammen, keilte ihn ein, schlug ihn zu Boden,
trampelte auf Rücken,
Brust und Schädel und schlug sich in tödliche Begeisterung hinein.
Er
instruierte, rüstete aus,
bestrafte Feiglinge, belobte Mutige, ein kleiner Gott war er. Sich
selbst übertraf
er, längst war sein Glaube erschüttert, sein Haß geschwächt, seine
Begeisterung
ausgekühlt, er glaubte nur an sich, liebte sich selbst, begeisterte
sich an
seinen Taten. Er haßte nicht mehr die Efrussis und nicht mehr die
Glasers. Er
glaubte nicht an den Erfolg der Bewegung. Er begann, Trebitsch zu
durchschauen.
Er sah
die Sinnlosigkeit dieses
Schlagwortes, jenes Arguments. Er verachtete die Zuhörer, zu denen er
sprach.
Er wußte, daß sie alles glaubten.
Er
las Broschüren, Zeitungen, nicht um ihre Gesinnung zu teilen, sondern
um sie auswendig
zu lernen, Überzeugungen, die ihm gleichgültig waren, im Kopf zu
behalten. Er
sah, daß jeder nur für sich arbeitete, er tat es mit größerer
Anstrengung als
die anderen. Er wollte . . . was er wollte, war ihm nicht klar.
Er
wollte Führer sein, Abgeordneter, Minister, Diktator. Noch kannte man
ihn nicht
außerhalb seiner Kreise. Noch brannte der Name Theodor Lohse nicht in
den
Zeitungen. Er hätte gern ein Märtyrer seines Ruhmes werden, der
Volkstümlichkeit des Namens sein Leben opfern mögen. Es schmerzte ihn
der Zwang
zur Namenlosigkeit, unter dem er alle Taten verrichten mußte. Und je
geringer
die Kraft seiner Überzeugung wurde, desto mehr erweiterte er die
Gebiete seines
vorgetäuschten Hasses: Nun sprach er nicht nur gegen Arbeiter und Juden
und Franzosen,
sondern auch gegen den Katholizismus, die Römlinge. Er überfiel den
Saal, in
dem der katholische Schriftsteller Lambrecht sprach. Er saß in der
ersten
Reihe. An ihm vorbei rauschten Sätze einer fremden, unverständlichen
Sprache.
Aber ein Wort fiel nieder, das Wort »Talmud«.
Es
rüttelte an Theodors halb eingeschläfertem Bewußtsein. Er pfiff, und
vierzig
Ochsenziemer seiner Schar prasselten auf die Zuhörer.
Dem
Schriftsteller Lambrecht schrie Theodor »Judkund« »Römling!« entgegen.
Er
formte eine große Speichelkugel auf der Zunge. Er spie sie gegen
Lambrecht. Er
zerrte eine grauhaarige Frau am Kopfe durch die Sitzreihe. Er drehte
ihre
Handgelenke. Die Frau schlug ihn mit den Beinen, gellte in seine Ohren.
Plötzlich wurde sie schwer, fiel nieder.
Es
schrillte seine Pfeife. Alle verschwanden. Die Polizei fand nur noch
einen
Tatbestand vor und verhaftete zwei Verletzte, in deren Taschen sie rote
Knöpfe
gefunden hatte und die harmlose Mitglieder eines Kegelklubs waren.
Er
liebte Franziska, die zu ihm kam, eine Spionin. Berichte brachte sie
von der
Kommunistischen Partei, kurzgelockt war ihr Haar, braungelb ihre Haut.
Er
weinte, als sie verschwand mit seiner Kasse, seinen Berichten, ihm
fehlte Geld.
Der Postbeamte Janitschke verlangte Honorar für gestohlene Briefe. Er
hatte
einen lahmen Arm, aber er drohte mit Anzeigen. Der Spitzel Bräune
wollte
Reisegeld nach Frankfurt an der Oder, seine Frau hatte ein Kind
bekommen, und
er mußte heim.
Theodor
meldete den Fall Franziska, das Geld sollte er selbst zurückerstatten,
er
flehte bei Trebitsch um Hilfe. Trebitsch riet ihm: Efrussi.
Er
wartete lange im Vorzimmer. So lange hatte er gewartet, als er das
erstemal zu
Efrussi kam um die LehrersteIle. Es schrillte die Glocke, zweimal,
dreimal, der
schwarze Diener bewegte sich stelzend, mit vorgestreckter Brust,
eingezogenen
Knien, wie ein Mensch aus Holz. Immer noch trug Efrussi das blasse,
kalte,
schmerzliche Antlitz einer alten, strengen Frau, ein Hauslehrer wurde
man in
seinem Zimmer, ein Theodor Lohse von damals, ein ganz kleiner Theodor
Lohse.
Efrussi
verlangte eine Bestätigung. Er steckte den Scheck in einen Umschlag
und: »Gehen
Sie zu Major Pauli«, sagte er. Er befahl, Theodor gehorchte, er ging zu
Major
Pauli, er begriff, er wußte. Groß war die Macht Efrussis, stärker war
er als
irgend ein Theodor Lohse, man hörte niemals auf, sein Hauslehrer zu
sein, sein
Diener, sein Abhängiger.
Und
der alte Haß erwachte, schrie in Theodor: Blut, Blut, Judenblut! Erst
als er
vor dem Major Pauli stand, straffte sich der Schlaffgewordene, verlor
sich
seine gelockerte Haltung, wandelte sich seine Wehmut in Respekt, und
mit
schneller Sorgfalt raffte er alle Kräfte zusammen und machte sie einem
einzigen
Zweck nur dienstbar: der militärischen Strammheit. Über der Erinnerung
an den
lästigen Bittgang zu Efrussi schwebte die Stimme des
Majors. Den Klang seiner zusammengeschlagenen Hacken trug Theodor fort
in sein
Arbeitszimmer, kein Abenteuer
drohte ihm mehr,
Boten
kamen, Briefe schnitt er mit dem glatten Papiermesser auf, dessen kühle
Elfenbeinfläche er liebkoste.
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