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04.3
Geschichten - Joseph
Roth
Werke
4
1916-
1929
Romane und
Erzählungen
Das
Spinnennetz - S.6
Roman 1923
XI
Theodor
hörte das rote Blut, es
schrie, es brüllte wie aus tausend Kehlen, es flammte wie tausend
Feuersbrünste, purpurne Räder kreisten in der Luft, purpurne Kugeln
rollten auf
und nieder. Aus seinem Innern kam das rauschende Rot, es erfüllte ihn
und
machte ihn leicht, ein roter Jubel kam über ihn, ein Triumph hob ihn
empor.
Aber
wehmütig war er in den
Abendstunden, wenn die Fledermäuse zu flattern begannen und die Frösche
quakten, das Wispern der Grillen unablässiger und eindringlicher wurde
und eine
Magd bei der letzten Arbeit des Tages sang. Gerührt, mit einer
schluchzenden
Seele, betrachtete er den abendlich geröteten Himmel, und er pfiff
wehmütige Lieder.
Ihm war wie in der Kaiser-Wilhelm-Diele, wenn die Musik das Lied vom
schwarzbraunen Mägdlein spielte.
Er
gewann seinen Glauben an die
Sache wieder, der er diente, wenn der alte Freiherr traurig wurde und
von
deutschen Landen zu reden begann, die den Polacken anheimgefallen.
Irgendwo
hörte Theodor Hörner blasen, einer Kriegstrompete aufschreckenden und
sterbebangen Ruf. Er war mitten im Krieg, er kämpfte und stritt, er
verteidigte
heilige Erde, und er war bereit, sein Blut zu verspritzen, wenn der
alte Freiherr
das Wort »Scholle« sagte. Er sprach ein langes, sehnsüchtig klingendes
0 und
ein hartes ostpreußisches L, er holte Atem, ehe er die erste Silbe
aussprach,
und stieß ihn bei der zweiten Silbe aus mit einem Seufzer. Theodor sah
manchmal
in dem alten Freiherrn das Bild eines der letzten deutschen Adeligen,
denen in
der neuen Zeit der Untergang drohte.
So
war es nicht immer. Wenn es
regnete und Theodor in der Bibliothek des Freiherrn saß, las er Romane
in der»
Woche«, betrachtete in Zeitschriften Photographien großer Männer, wurde
nüchtern, wie er immer gewesen, und den Freiherrn sah er nicht mehr
begeistert,
sondern als einen alten, mit kleinen Lächerlichkeiten behafteten Mann,
wie ihn
alle sahen; mit verzeihendem Verständnis allerdings und einer
Dankbarkeit, die
er dem Hause für eine über die üblichen Maße und ausnahmsweise
genossene
Gastfreundschaft schuldig war.
Denn
Theodor wurde besser
gehalten als jemals einer von den alljährlich gebrauchten Helfern.
Theodor war
Zeuge in dem Prozeß gegen die Landarbeiter. Er unterhielt sich mit dem
Untersuchungsrichter. Er begleitete den Freiherrn nach Berlin. Schon
war
vollkommene Gefahrlosigkeit sicher. Dennoch genoß Theodor liebevolle
Behandlung.
Ein
schwerverletzter Arbeiter,
den man für den Aufrührer hielt, wurde rasch
im Spital gesund gepflegt.
Er bekam sogar Wein, nachdem sein Wundfieber verschwunden war. Die
Anklage
legte ihm Haus- und Landfriedensbruch zur Last und Mordversuch.
Der
Prozeß dauerte eine halbe
Stunde. Der Arbeiter bekam acht Monate Zuchthaus.
Der
Staatsanwalt saß am Abend mit
Theodor Lohse und dem Freiherrn im »Kaiserhof« bei einer Flasche Wein.
Eine
Woche später nahm Theodor
Abschied vom Gutshof. Er konnte seine Rührung nicht unterdrücken, er
dachte
daran, daß der alte Freiherr bald sterben werde, er dachte an die
Abendstunden,
den Gesang der Frösche und der Grillen, die gemeinsamen Gefahren, die
ihn mit dem
Hause verbunden hatten, und an die Heiligkeit der »Scholle«.
Dann
marschierte er an der Spitze
der fünfzig ab, zum Bahnhof. Sie sangen auf der breiten Landstraße.
Theodor
beschloß, ihnen erst in Berlin die Löhnung auszuzahlen. Der Freiherr
hatte in
der Stunde des Abschieds die drei Taglöhne nicht abgezogen.
Theodor
gedachte, es zu tun.
XII
Nun
ging er zu Trebitsch. Wie
Triumph war sein Gruß. Hielt man ihn für tot? Sieh, es lebte Theodor!
Lebendiger als je zuvor. Hatte man ihn vergessen? In den Zeitungen
klang sein
Name.
Die
Wehmut verlor er. Vergaß das
Zirpen der Grillen, den Gesang der Mägde, die Scholle. Schon griff er
den alten
Plan auf. Reiste nach Leipzig. Aber Pfeiffer war geflohen ohne Theodors
Hilfe.
Trebitsch hatte ihn befreit.
Theodor
verschmerzte die
verlorene Gelegenheit. Noch saßen Zange und
Marinelli.
Nach
München fuhr er. Bei Kapitän
Hartmut fand er Mißtrauen. Trebitsch hatte gearbeitet. Seine Spuren
erkannte
er.
Nationalsozialismus
war ein Wort
wie andere. Es bedingt nicht Gesinnung. Er wurde empfangen, von
nationalsozialistischen Führern mit Achtung ausgezeichnet vor anderen
Wartenden. Man kannte ihn also.
Unwissend
waren sie. Theodor
lüftete sachte Schleier. Er machte neugierig. Sie lebten im Rausch, in
Begeisterung. Viele strömten ihnen zu. Sie waren Partei, nicht
Geheimverbindung.
Jenes schien Theodor machtvoller. Dort arbeitet man mit offenem Visier.
Dort
vergräbt man sich nicht. Dort klingt der Name wie mit tausend Glocken.
Er
ging zu Versammlungen. Alle
jubelten. Kleine Bürger tranken Bier. Aßen und jubelten, Krautknödel in
den
Mündern. Junge Sturmtruppen marschierten in den Saal. Standen an den
Wänden.
Trugen den Redner durch eine Gasse zwischen Stühlen, Publikum, Tischen.
Viertausend Füße trampelten. Kellner flitzten weiß. Scheine raschelten.
Es war
ein Volksfestjubel. Theodor war neidisch.
Wie
arbeitete er schleichend, im
verborgenen, umlauert von Feinden, innen und außerhalb!
Er
ging in die Werbebüros. Wie
kamen sie alle! Junge Arbeiter, Studenten, Handlungsgehilfen. Anderes
Material
als Theodors Gymnasiasten. Gläubiger waren sie, leichter entflammt,
feurig, ehe
sie kamen, lodernd, wenn sie aufgenommen waren. Eine Gefahr war Hitler.
War Theodor
Lohse eine Gefahr? Täglich nannten jenen die Blätter. Wann sah man
Theodors
Namen?
Aber
Unterwerfung forderte der
Große, der Naive, Ungebildete, im Rausch der Begeisterung Lebende.
Männer, die
so wenig wußten, waren sich selbst alles. Sie kannten kein Verhandeln.
Sie
hatten es nicht nötig. Wenn der Führer sein Büro verließ, grüßten
fünfzig
Menschen im Vorzimmer, und zwanzig standen stramm. Im Auto fuhr er. Mag
sein,
daß er nicht alles wußte. Daß man ihn vorschob. Aber ihn kannte jeder.
Wer
grüßte Theodor Lohse?
Major
Seyfarth war unzufrieden.
Wie durfte Theodor ihn übergehen? Auf seine Verdienste wies Theodor
hin. Ja,
Theodor drohte. Der Major sprang auf. Hatte Theodor den Eid nicht
geleistet?
Eide könne man brechen. Auf zweihundert Verwegene stütze sich die Macht
Theodor
Lohses. Theodor übertrieb. Kaum fünfzig Gymnasiasten beteten ihn an.
Kleine,
furchtsame Jungen waren sie. Seyfarth zog sich zurück. Einen Ausweg
wußte er.
War nicht Arbeit genug für Theodor Lohse? Agitation? Propaganda? In der
Reichswehr
etwa? War das nicht ein Weg? Wertvolle Verbindungen gewann man.
Theodor
überlegte: Die
zweihundert haben ihm imponiert. Nun fürchtete er sie. Das Militär
versprach
viel. Blieb ihm sein Einkommen gesichert? Ja, es blieb, und die Gage
kam dazu.
Er willigte ein.
Daheim
sah er in den Spiegel.
Nicht anders sah er aus als jener Führer. Niemand machte ihm Eindruck.
Er
blitzte sein eigenes Spiegelbild an. Sprach ein Wort aus, um seine
Stimme zu
prüfen. Sie trug die Worte. Sie konnte donnern.
Er
machte einen Plan für die
Reichswehr: ergebene Leute finden; ihr Lehrer sein, ihr Führer, Herr
über Leben
und Tod von hundert, zweihundert, tausend Bewaffneten.
Er
rückte ein, ein Tag reichte
für die Erledigung der Formalitäten. Mit fünf Empfehlungen rückte er
ein.
Potsdam war seine Garnison. Er trug eine Uniform nach neuestern
Schnitt. Den
Rock nicht mehr eng wie in alten Zeiten. Es war der neue Geist der
Armee. Die
Silberstreifen auf den Achselstücken lagen so, daß sie einen schmalen
Tuchrand
frei ließen. Das Bajonett hatte eine leise vernickelte Kuppel. Sie war
in den Vorschriften
nicht vorgesehen, aber lächelnd geduldet. Jeden Morgen exerzierte
er. Lange hatte er das
Exerzieren entbehrt. Er stand vor zwei Menschenreihen. Er merkte die
leiseste
Veränderung dieses und jenes Körpers. Er sah, wenn sich jemand rührte,
wenn
Stiefel nicht geputzt, Läufe nicht gefettet, Tornister schief
geschnallt waren.
Er befahl Kniebeugen, man gehorchte. Er befahl Laufen, man lief. Er
donnerte
Stillgestanden, man stand still.
Er
hielt Unterricht am
Nachmittag. Er las Broschüren von Trebitsch vor. Und sagte eigenes. Er
machte
einen Witz. Die Soldaten lachten. Er glaubte zu sehen, daß einer krank
war. Er
schickte ihn heim. Er war ein Kamerad. Er klopfte dem und jenem auf die
Schulter. Er sprach über Mädchen. An Montagen fragte er, wie der
Sonntag
gewesen sei. An Samstagen wünschte er vergnügte Sonntage. Er bot
Fürsprache beim
Obersten den Bestraften an.
Er selbst vermied Bestrafungen, begnügte sich mit Rügen. Die im Felde
Gewesenen
sammelte er um sich.
Er
kündigte Vorträge am Abend an.
Viele kamen. Seine Kompanie spendete Beifall, riß andere mit. Nach
einigen
Wochen konnte er frei sprechen; fragte er, wieviel mit ihm durch dick
und dünn
gingen. Alle erhoben sich, alle. Er ließ einzelne einen Eid schwören.
Er gab
ihnen Geld und Broschüren zur Verteilung.
Mit
den Offizieren sprach er
wenig. Er kam ins Kasino. Sie sprachen vom Dollar wie alle. Leutnant
Schütz,
Sohn eines Bankmächtigen, hatte dem Obersten Papiere gekauft. Es waren
Haussetage.
Des Obersten gute Laune erheiterte das Kasino. Alle wollten Papiere.
Sie
wußten, was Effekten waren, Hausse und Lombard, Leutnant Schütz lieh
allen. Er
lieh auch Theodor.
Theodor
las in den Abendblättern
Kurse.
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