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04.3
Geschichten - Joseph
Roth
Werke
4
1916-
1929
Romane und
Erzählungen
Das
Spinnennetz - S. 7
Roman 1923
XIII
Er
las Kurse.
Sein
Geld vermehrte sich, er
lernte sagen: Das Kapital wächst. Nun waren Wege frei. Wege zu
weißschimmernden
Villen im Tiergarten, zwischen samtenem Rasengrün, hinter silbrigen
Gittern,
mit steifen Lakaien und goldgerahmten Bildern. Darüber hätte Theodor
fast
anderes vergessen. Mächtiger als alle war Efrussi. Nie hörte man auf,
sein Hauslehrer
zu sein. Zu den Geheimnissen aller Macht führte wachsendes Kapital.
Immer
hatte er Geld geliebt, er,
Theodor Lohse. In der Schule vollbrachte er das erste Geschäft. Er
sammelte für
einen Kranz. Der kleine Berger war gestorben. Zwei Mark vierzig Pfennig
bekam
Theodor. Er kaufte den Kranz für zwei Mark zehn Pfennig. Dreißig
Pfennig
behielt er. Er hielt sie ein Jahr lang.
Immer
war er sparsam gewesen. Als
Student und später beim Militär lernte er Geld geringschätzen. Nur die
ersten
Schecks von Trebitsch gab er leichtsinnig aus. Er bereute es später. Er
bereute
immer, wenn er ausgegeben hatte.
Er
reiste in Zivil und in der
dritten. Er kaufte Wochenkarten für die Stadtbahn. Trug er die Uniform,
so ging
er zu Fuß. In der Früh, wenn sie auf der Exerzierwiese rasteten, sah er
die
Frau mit dem Zuckerwerk von Soldaten umringt. Limonade verkaufte sie.
Alle
waren erhitzt und tranken. Theodor steckte Kaugummi zwischen die
Zähne. Dreimal täglich
rauchte er, nach jeder Mahlzeit. Eine Zigarre genügte ihm.
Er löschte sie aus, steckte
sie wieder an.
Er
sah, wie sein Geld wuchs. Wenn
er erst reich war wie Efrussi, kaufte er sich einen Theodor Lohse.
Vorläufig
blieb Theodor vor den
Schaufenstern stehen und rechnete aus, was er kaufen könnte, wenn er
seine
Aktien losschlüge. Manchmal fragte er bei umherirrenden Maklern an, was
dieses
und jenes Haus kostete. Er bekam viele Angebote. Er sonderte sie in
jene, auf
die er nicht eingehen konnte, und solche, für die sein Geld reichte.
Fast
hätte er darüber seine
Aufgaben vergessen. Er glich einem Bräutigam, der den Sonnenaufgang am
Tage der
Erfüllung verschläft. Sein spähendes Auge irrte zu fremden Zielen. Sein
eingeschläfertes Ohr vernahm nicht mehr
die verheißenden Gewitter der Zeit. Er sah Trebitsch nicht mehr. Er
schrieb
nichts mehr für den »Nationalen Beobachten«.
Gleichzeitig
ging er an den
Lebensmittelläden vorbei, vor denen hungrige Mengen lärmten. Am
Nachmittag
plünderten Arbeiter in Potsdam.
Eine
stille Geschäftigkeit
herrschte in der Kaserne. Es rückte eine fremde Maschinengewehrkompanie
ein und
blieb - niemand wußte, wie lange. Niemand kannte den Oberleutnant, der
sie
befehligte. Man sprach weniger, der Oberst saß schweigsam und steif. Er
hatte dunkelrote,
blaugeäderte Wangen. Sie hingen, wenn er schwieg, wie kleine Täschchen
aus Haut
über den Kragen. Am Ende der Tafel, wo die
»jungen Leute« saßen, machte
man keine Witze mehr. Man las Zeitungen, den politischen Teil, und
kümmerte
sich nicht um das Geld.
Es
war eine angstvolle
Feierlichkeit, als wartete man auf eine beglükkende Katastrophe. Major
von
Lübbe hielt einen Vortrag über die Zukunft des Luftkrieges. Es war
jener
bereits bekannte Vortrag, den Major Lübbe einigemal im Jahr aus einer
alten
Nummer der »Kreuzzeitung« vorzulesen pflegte. Er hatte als Hauptmann
einen
Artikel über Luftkriege verfaßt. Das war lange her. Wenn er den Aufsatz
las, drückten
sich die Stabsoffiziere. Nur die jungen Leute mußten bleiben und
lauschen. Sie
lauschten. Der Major sprach von Zeppelin. Er war einmal beim Grafen
Zeppelin
Gast gewesen. Und der Aufsatz handelte eigentlich nicht vom Luftkrieg,
sondern
von der Persönlichkeit des Grafen.
Diesmal
drückten sich die
Stabsoffiziere nicht. Es war der Zeit nicht angemessen. Sie erforderte
strengste militärische und gesellschaftliche Pflichterfüllung. Aber
diesmal
sprach der Major auch nicht mehr so viel über den Grafen Zeppelin. Er
sprach
von der Zeit des Grafen und verglich sie mit der Gegenwart und mahnte
zur
deutschen Einigkeit. Und sprach von harrenden Aufgaben. Und sogar die
Stabsoffiziere lauschten.
In
zwei Wochen war die Enthüllung
einer Gedenktafel fällig. Dazu hatte das Regiment alle alten Offiziere
und den
General Ludendorff eingeladen. Natürlich kam er. Der Oberst verkündete
es im
Kasino; er sprach langsam, er formte die Laute sichtbar, und er
arbeitete dabei
mit den Kiefern, so daß seine Täschchen schlotterten.
Man
exerzierte mit erneuten
Kräften. Man putzte Gewehre, fettete Läufe, übte Griffe. Die Musik
spielte,
alte Märsche frischte sie auf.
Und
die Menschen in den Städten
hungerten. Nachrichten vom Generalstreik brannten in den Zeitungen. Die
Arbeiter schlichen mit schweren, langsamen Schritten am Abend durch die
Straßen. Ihre Frauen warteten. Die Männer kamen nicht heim. Kalt war
der Herd.
Kein
Essen war bereitet. Was
sollten sie zu Hause? Sie gingen in die Schenken. Es reichte für
Schnaps.
Betrunkene fühlen keinen Hunger. Betrunkene torkelten, schleiften ihre
Füße
über den Asphalt. Straßen waren abgesperrt. Polizeihelme starrten. Über
zerschmetterten Schaufenstern hingen Rolladen wie eiserne Sargdeckel.
Verhaltene Schüsse erwarteten ihre blutige Stunde.
Ein
Geheimbefehl erreichte
Theodor: Eifer verdreifachen. Es fuhr in Theodor wie ein Trompetenstoß.
Seine
Zeit brach an. Er war bereit.
Er
rüstete sich für den Tag.
Heute und morgen konnte es sein.
Er
berief seine Garde. Die Jungen
kamen. Sie brachten neue Kameraden aus dem Bismarck-Bund mit. Sie
brachten
Pistolen zum Einschießen. Theodor ging zum Waffenmeister. Alle Gewehre
wurden geputzt.
Alte Bajonette strahlten. Die Jungen blieben einen Tag in der Kaserne.
Wie
berauschte sie der Rost der alten Waffen! Und wie blendete sie der
Glanz der
neuen! Konnten sie's wissen? Dieses und jenes Gewehr hatte alle Kriege
mitgemacht. Feinde getötet. Eine große Kraft ging von einem
Gewehrkolben aus.
Zauberhaft wirkte der Griff eines Säbels. Von welchem tapferen Reiter
war er
geschwungen worden? Blind war der Stahl . . . Von Blut! sagten sie.
Rostflecke
waren Blutflecke. Blut des Feindes klebte an den Waffen.
Am
Sonntag kam der General.
Am
Sonntag rückte das Regiment
aus, mit klingendem Spiel. Die Oktobersonne strahlte wie im Frühling.
Bürger
winkten aus den Fenstern. Fahnen wehten. Kinder liefen mit. Es war wie
im Frieden.
Mancher
vergaß seine Armut.
Vor
dem General standen sie. Der
alte Divisionspfarrer sprach. Ludendorffs Helmspitze schwamm im
Sonnenglanz.
Ein leises Ordenklirren kam von den Offizieren wie silberne, dünne
Musik.
Sporen läuteten wie Glöckchen. Wie eine Schicht schwerer Feierlichkeit
lag der
Atem der Mannschaft in der Luft. Man hörte leise Stimmen der Offiziere
von der
Mitte des Platzes her. Ein kurzes, starkes Lachen des
Generals. Es klang wie ein
Gurgeln.
Drei
Sätze sprach der General,
rechts neben der Gedenktafel. Er sprach harte Worte. Die Hände hielt er
über
dem Säbelknauf. Man hätte ihn für eine Statue halten können, eine
bekleidete
Statue.
Dann
stieg er herunter, das
Monokel klemmte er ein, wenn er mit jemandem sprach. Er sprach mit
Theodor. Einmal
habe ich ihm einen Brief geschrieben, denkt Theodor. Wie lange war es
her! Wie
jung war Theodor vor einem halben Jahre noch! Heute kennt ihn
Ludendorff.
Geheimbefehle
mahnten zur
Bereitschaft für den 2. November. Theodor hatte drei Wochen Zeit. Er
schlief
nicht mehr. Seinen Tag erfüllte Hast ohne Ziel. An den Abenden hielt er
Abrechnung über vergebliche Geschäftigkeit. Durch die wachen Nächte
kreiste
ohne Ende der planlose Entschluß: mächtig zu werden. Die flinken
Ereignisse
kamen ihm zuvor, überrumpelten ihn. War er am 2. November noch Mittel
nur, nicht
Führer, Glied einer Kette, nicht ihr Anfang, zwischen den anderen und
nicht über ihnen, so hatte er
seinen Tag versäumt. Dann erwartete ihn kein Glanz, sondern
bescheidenes Ziel.
Mitten
in seine kreisende Sorge
schossen Heldenträume, klang der Ruf seiner Sendung, hob ihn roter
Jubel empor.
Günther und Klitsche und achtzehn Arbeiter waren tot, vergeblicher
Erfolg acht
eifervoller Monate.
Mißbrauchtes
Werkzeug fremder
Lust war Theodor gewesen. Wofür? Verantwortung schuldete er nur sich
selbst. Er
trug sie leicht, wenn sein Ziel erreicht war; er ging an ihr zugrunde,
wenn er
unterwegs blieb.
Er
durfte nicht mehr innehalten.
Aber er hatte sich Zeit gegeben, ein Jahr wenigstens, noch spann er
seine Fäden,
noch bargen sich vor ihm Menschen und Dinge. Man hatte ihn abseits
gestellt,
sein Eifer hatte ihn verraten, er hätte bedachtsamer Wege wählen
müssen. Jetzt
tat er, was hundert andere taten: Vorträge halten, Broschüren
verteilen.
Längst
war er nicht in München
gewesen . . . wer weiß, neue Menschen führten, und der Zufall brachte
einen
anderen Klitsche ans Licht.
Ein
Jahr noch - und er wäre
vielleicht reich, und Geld erwarb ihm alles, wozu der Eifer nicht
reichte. Aber
hart vor ihm lag der 2. November. Die Nähe des Tages verwirrte ihn,
nahm seinen
Entschlüssen Besonnenheit. Unter ihm schwankte der Boden, sein Weg
führte nicht
mehr empor.
Halbe
Tage war er unterwegs
zwischen Potsdam und Berlin. In seinem Büro las er den Einlauf, zu
Trebitsch
ging er. Der war ein Beispiel zielsicherer Ruhe. Trebitsch benahm sich,
als
stünde er abseits. So mußten die Menschen sein, die den 2. November
schmiedeten, so harmlos und sanft. Der Vollbart gab ihm das Aussehen
des
ungefährlich Würdevollen, des Menschen der Idee, des ahnungslosen
Gelehrten.
Nur
ein achtloses Wort verriet
ihn. Er sah jede Veränderung, wie Theodor, wenn er vor der Front seiner
Kompanie stand. Er sprach von der »anderen Methode«, die Arbeiter zu
behandeln.
Vielleicht ging es in Zukunft um die Eroberung des linken Radikalismus.
Die
Parole war: Vorsicht; Näherkommen, nicht Herausforderung.
Geborgen
vor gefährlicher
Entdeckung, lag in Theodor der alte, undeutlich und behutsam geformte
Wunsch,
eine Brücke zu den anderen zu schlagen. Verrauscht waren die klingenden
Worte
des Eides, ihre Fruchtbarkeit verblaßt, ihre Drohung unwirklich. Was
geschah
einem Mächtigen? Unterwegs noch drohte Gefahr - ehe er bei den anderen
war.
Drohte sie nicht auch hier? Die anderen waren leichter zu fassen.
Ehrlichkeit
vermutete er bei
ihnen. Hier war Selbstsucht und Sorge um Gehalt, Stellung, Weib und
Kind. Dort
lebten die Goldscheiders, die Gekreuzigten, die Güte predigten und
Neues
Testament.
Nun
ist die Gefahr gering. Immer
bleibt eine Tür offen; heute kann Theodor selbständige Versuche machen.
Wem
schuldet er Rechenschaft? Wer verdächtigt ihn? Er kann alles
verantworten. Daß
er Unternehmungen geheimhält, deren Erfolg im Geheimnis begründet ist,
muß
selbstverständlich erscheinen. Er kann es wagen.
Was
war Sozialismus? Ein Wort.
Man muß nicht daran glauben. Woran glaubte er heute? Drüben war er
wertvoll.
Die anderen breiteten die Arme aus. Er kannte die Kulissen.
In
den wachen Nächten formte sich
sein Plan, nahm Leben an und drängte zur Erfüllung. Theodor hatte keine
Zeit mehr.
Die ersten Schritte mußte er bedächtig tun.
War
er ein Verräter? Er ist es
nicht. Er will wirklich nur die anderen aushorchen, seine Spione
beaufsichtigen. Er durfte nicht lange nachdenken. Überlegung schwächt
Entschlüsse. Es war keine Zeit.
Flammender
wurden täglich die
Titel über den Zeitungs berichten. Schon streikten die Metallarbeiter
in
Sachsen. Man sprach von Zügen, die irgendwo aufgehalten wurden.
Doppelte
Bereitschaft war in der Kaserne befohlen.
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