|
|
|
|
|
lifedays-seite
moment
in time
|
|
|
04.3
Geschichten -
Joseph Roth
Werke
4
1916-
1929
Romane und
Erzählungen
Das
Spinnennetz - S. 8
Roman 1923
XV
Unter
den unzuverlässigen und
verdächtigen Spitzeln, die Theodor abgeschafft hatte, befand sich
Benjamin
Lenz. Er lieferte doppelte Berichte: an Trebitsch und an Theodor. Von
beiden
erhielt er Geld. Seine Adresse kannte Theodor.
Benjamin
Lenz, ein Jude aus Lodz,
war im Krieg von einer Kundschafter- und Nachrichtenstelle als Spion
verwendet
worden. Sein Angesicht verriet ihn: Seine starken Backenknochen warfen
Schatten
gegen die Augenhöhlen, der untere Stirnrand mit den Brauen sprang vor,
und so
lagen die kleinen schwarzen Augen wie in Talkesseln, ringsum geschützt,
und die
Richtung der Blicke war schwer zu erkennen, denn sie kamen aus
entfernter
Tiefe. Kurz und breit war das Kinn und die Nase flach. Aber dieser
Schädel, der
zu einem gedrungenen Rumpf gepaßt hätte, saß auf dünnem Hals, zwischen
abschüssigen,
schlanken Schultern. Benjamin Lenz hatte schmale Knöchel, dünne
Handgelenke, lange,
nervöse Finger.
Mit
der heimkehrenden Armee war
er nach Deutschland gekommen, durch viele Städte gewandert. Er hatte
Empfehlungen von der Armee.
Polizisten,
mit Bosheit gegen
solche aus dem Osten geladen, zwinkerten mit verständnisvollem Auge
Benjamin
zu. Ihre Gunst genoß er und kassierte unbehelligt im wandernden
Panoptikum,
drehte den Leierkasten des Karussells, fälschte Berichte für auswärtige
Missionen, stahl in Amtsstuben Papiere und Stempel, spionierte in
Oberschlesien, ließ sich mit Untersuchungshäftlingen einsperren und
horchte sie
aus und wartete auf »seinen Tag«.
Seine
Idee hieß: Benjamin Lenz.
Er haßte Europa, Christentum, Juden, Monarchen, Republiken,
Philosophie,
Parteien, Ideale, Nationen. Er diente den Gewalten, um ihre Schwäche,
ihre
Bosheit, ihre Tücke, ihre Verwundbarkeit zu studieren. Er betrog sie
mehr, als
er ihnen nützte. Er haßte die europäische Dummheit. Seine Klugheit
haßte. Er war
klüger als Politiker, Journalisten und alles, was Gewalt hatte und
Mittel zur
Macht. Er probte seine Kraft an ihnen. Er verriet die Organisationen an
die
politischen Gegner; den französischen Gesandtschaften verriet er
Gelogenes,
Wahres durcheinander; er freute sich an dem gläubigen Gesicht des
Betrogenen,
der aus den falschen Tatsachen Kraft zu neuer Grausamkeit schöpfte;
über das
dumme Erstaunen eingebildeter Diplomaten, kindischer, zahnloser
Geheimräte,
bestialischer Hakenkreuzler; freute sich, daß sie ihn nicht erkannten.
Er irrte
sich selten. Er hatte nicht gewußt, daß Klitsche tot war und ein
anderer an
seiner Stelle saß. So brachte ihn ein lange erfolgreich geübtes Manöver
mit den
Duplikaten, die Theodor entdeckte, in Verdacht. Er verschmerzte den
Fall. Er arbeitete
mit falschem Material für Trebitsch.
Und
sogar diesen übertraf er. Er
spielte den dummen, kleinen Spitzel. Aufträge ließ er sich einigemal
erläutern.
Verwickelte Geschäfte lehnte er ab. Er gab die Rolle eines Menschen,
dessen
Verstand gerade noch zur Erkenntnis seiner eigenen Beschränktheit
ausreicht. Und
er wartete.
An
»seinem Tag« mußte in ganz
Europa der schlummernde Wahnsinn zum Ausbruch gekommen sein. Also
vergrößerte
er Verwirrung, steigerte Freude am Blut, Lust am Töten, verriet einen
an den
anderen, beide dem dritten und diesen auch. Er verdiente Geld. Aber er
lebte in
einem kleinen Zimmer eines schmutzigen Hotels. In geheimnisvollen
Kellerlokalen
aß er, mit Bettlern und Glühlampendieben. Er sparte für seinen Bruder,
seine
zwei Schwestern, seinen alten Vater. Der Vater war ein alter Feldscher
in Lodz
mit einer kleinen jüdischen Barbierstube.
Die
Schwestern Benjamins mußten
eine Mitgift haben. Dem Bruder, der Chemie studierte, gab er den
größten Teil
seines Verdienstes. Dieser Bruder sollte einmal eine eigene Fabrik
gründen
können. Niemals kam Benjamin mit ihm zusammen. Niemals schrieb er nach
Lodz an
seinen Vater. Er hatte keine Zeit, Benjamin Lenz; er arbeitete für
seinen Tag.
Theodor
hatte ihn nicht nur wegen
der Duplikate abgeschafft. Seine Klugheit roch er. Er fühlte das
Judentum
Benjamins; wie ein Jagdhund überall Wild wittert, so witterte Theodor
Juden, wo
er einer Überlegenheit begegnete.
Lenz
kam eine halbe Stunde
später, er ließ Theodor warten, er ließ jeden warten, der ihn brauchte.
Aber
Theodors Wunsch zu erfüllen weigerte er sich. Er weigerte sich immer.
Theodor
Lohse zu den anderen führen? Den Genossen Trattner? Sie kannten ihn,
kannten
das Porträt Theodors. Klaften hatte ihn noch einigemal gezeichnet:
naturgetreu.
Jene
Affäre Klaften hatte Theodor
begraben. Er fragte, wie sie ausgefallen sei. »Überhaupt nicht«, sagte
Lenz.
Thimme, der junge Attentäter, war ein Polizeispitzel gewesen.
Goldscheider lag
im Krankenhaus.
Klaften
war ein bekannter Maler.
Das Porträt Theodors hatte in der Ausstellung einen Preis bekommen.
Nach einer
Viertelstunde weigerte sich Benjamin Lenz nicht mehr. Las er in den
Menschen?
Alles könnte man ja vergessen, sagte Lenz, wenn Theodor als Freund
käme. Oder scheinbar
als Freund. Sie gingen.
XVI
Sie
saßen, drei Männer, im Cafe
auf dem Potsdamer Platz. Zwischen ihnen flogen gleichgültige Worte.
Mißtrauen
würgte in ihren Hälsen, Angst lähmte ihre Zungen.
An
einem Nebentisch saß Benjamin Lenz.
Theodor
bereute. Es war zu spät.
Er hatte nicht geahnt, wie schwer es ihm kommen würde. Niemand half
ihm. Er
sollte anfangen. Es war, als weidete man sich an seiner Qual.
Und
es ist genauso wie einmal -lang
war es her - in der Schule, wenn er anderes sagen soll als auswendig
Gelerntes.
Es war Lärm im Cafe, an den Nebentischen summte das Gespräch der Gäste,
Tassen
klirrten, und dennoch schlug ihm eine Stille entgegen, als beherrschte
das
Warten alle Menschen. Erst als sie durch die Straßen gingen, gewann er
sich wieder.
Er ging zwischen zwei kleinen, schwarzen Männern, die sich jedes Wort
einprägten.
Er
verstellte sich nicht. Wozu
brauchte er Verstellung? Er konnte immer ableugnen; aufrichtiges
Geständnis für
erheucheltes ausgeben. Seine wahren Gründe klangen überzeugend.
Er
erzählte von seiner
Unzufriedenheit; schilderte das Mißtrauen, das ihn umgab; gestand, daß
ihn
Ehrgeiz trieb. Er lüftete später, in einem Büro, Zipfel von
Geheimnissen.
Es
war spät, als er schied, er
fuhr nach Potsdam, las ein Abendblatt. Als er aufblickte, sah er
Benjamin Lenz.
Er saß Theodor gegenüber. Sie gingen durch den Potsdamer Abend, durch
alte
Gäßchen, die ganz unwahrscheinlich aussahen, und Benjamin führte, und
Theodor
wußte nicht, daß er geführt wurde. Vom 2. November sprach Benjamin
Lenz, er
glaubte nicht an Revolutionen. Er glaubte an ein kleines Blutbad, kaum
der Sorgen wert, in
Deutschland nicht selten und eigentlich jede Woche wahrscheinlich.
Vielleicht
sprach er diesmal
aufrichtig, Benjamin Lenz? Es war ein wehmütiger Abend, mit violetten
und gelb
schimmernden Wolken, mit einem zahmen, behutsamen Abendwind, und
Theodor ging
durch raschelndes Laub die Straße, die zum Bahnhof führte, entlang und
fühlte
eine Rührung wie damals in den Feldern des Herrn von Köckwitz.
Und
eine Wärme kam von Benjamin
Lenz, so daß Theodor zu sprechen anfing und seine Worte nicht mehr
wägte und
über Trebitsch klagte und über die Undankbarkeit überhaupt. Was machte
ein Mann
von den Fähigkeiten Lohses bei der Reichswehr? Was machte so ein Mann
bei der
Reichswehr? Es kam, ein erquickendes Echo, von Benjamin Lenz zurück.
Wer hatte
ihn beiseite geschoben?
Es
kam darauf an, es zu erfahren.
Man mußte seinen Gegner kennen. Oh,
wie wußte Lenz Bescheid! Man
sollte sich mit Benjamin Lenz gut verhalten.
Wieviel wußte er von
Theodor allein? Alles. Ahnte er auch die Angelegenheit Klitsche? Er
kannte sie.
Er sagte: »Sie können nicht umsonst Blut vergossen haben, Herr Leutnant
Lohse.
Andere können über Leichen gehen, der Idee wegen oder weil sie Mörder
sind von
Geburt. Sie aber, Herr Lohse, glauben längst nicht mehr an die Idee und
sind
kein geborener Mörder. Sie sind auch kein Politiker. Sie wurden von
Ihrem Beruf
überfallen. Sie haben ihn sich nicht gewählt. Sie waren unzufrieden mit
Ihrem
Leben, Ihren Einnahmen, Ihrer sozialen Stellung. Sie hätten versuchen
sollen,
im Rahmen Ihrer Persönlichkeit mehr zu erlangen, niemals aber ein
Leben, das Ihrer
Begabung, Ihrer Konstitution zuwiderläuft.«
Nein,
Theodor konnte es nicht,
durfte es nicht. Klein und unbeachtet hätte er ohne Umwege auch bleiben
können;
wäre Hauslehrer bei Efrussi und zufrieden. An diesem wehmütigen Abend
fiel ihm
Frau Efrussi ein. Die sanfte Berührung ihres Oberarmes im Auto, ihr
Lächeln. Zu
ihr und ihresgleichen führte der Weg, an dessen Ende die Macht lag. Wie
aufrichtig sprach Benjamin, der Spitzel. Es gibt Abende, dachte
Theodor, an
denen die Menschen gut werden müssen, entzaubert werden.
Da
fiel ihm auch schon Günther
ein, Günther, der seine Braut geliebt hatte; dieses Angesicht sah er,
das
violett unter den Augen schimmernde, und den enthüllten Oberkiefer
unter
krampfhaft emporgezogenen Lippen.
Wie
pfiffen Züge sehnsüchtig
durch die Nacht, der Friede kam vom blauen Himmel.
An
Theodors Seite geht Benjamin
Lenz, und das ist vielleicht sein Freund. Es ist dein Waffengefährte,
Theodor.
Seine Schlauheit ist nützlich. Zu zweit ist man erfolgreich. Und wer
anderer
könnte dein Bundesgenosse sein als Lenz? Benjamin Lenz versteht Theodor
Lohse.
Sie
gingen den langen Weg zurück;
zwischen ihnen war die gute, beschwichtigende Schweigsamkeit
der Freundschaft.
Sie drückten einander zum Abschied die Hand. Der Druck ihrer Hände war
ein
wortloses Bündnis.
|
lifedays-seite
- moment in time |
|
|
|
|
|
|
|