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Literatur


04.3


Joseph Roth - Werke 1

Das journalistische Werk
1919






Reise durch Heanzenland

Deutsch-Kreuz

In Deutsch-Kreuz war Tanz- und Polterabend.
 
Die weiten Gehöfte leer, und nur die Alten waren zu Hause geblieben. Von Zeit zu Zeit kamen ein Kind oder ein Großvater des Weges daher und erzählten, daß »Marie-T'res« ein Sacktuch wünsche.
 
In Deutsch-Kreuz ist die Institution der Parkettböden nicht bekannt. Man tanzt vielmehr im Hofe, und eine Ziehharmonika liefert die nötige greuliche Musik.
 
Die Mädchen, alle weiß gekleidet und mit schwarzen Kopftüchern, stehen in dichten drei Reihen hintereinander im Hofe, die Burschen stehen auf der anderen Seite, aber eher in Gruppen, viel zwangloser und freier. Manche sitzen drin in der Schenke und tun einen anständigen Zug. Auf einmal geht der Spektakel los:
 
Aus der mißgestimmten Ziehharmonika flattert ein tiefer Ton auf, wie ein schwerer, plumper Vogel versucht er, eine Weile in der Luft zu bleiben, und fällt dann schwer und plumpsend zu Boden.
 
Diesem Ton folgt ein heller, junger, es klingt wie ein Hahnenschrei, und auf dieses Zeichen stürzen Burschen ohne Hüte und in Hemdsärmeln aus der Schenke. Im Nu sind die Weiber vergriffen. Der Bursche hält das Mädchen nicht etwa an sich gepreßt, sondern hat beide Arme um ihre Hüfte geschwungen. Der Oberarm bleibt hölzern, steif und fest, so daß das Mädchen in einem Abstand von etwa zehn Zentimetern seinem Körper entfernt bleibt.
 
Der Tanz ist vollkommen kunstlos und besteht aus monotonen Drehbewegungen. Man dreht sich so lange, als der Ziehharmonikamensch will, denn es gilt als Schimpf, früher aufhören zu müssen. Man dreht sich in dem engen Hofe, in dem es zum Ersticken heiß ist, bis man im eigenen Schweiße ertrinkt. Der Boden ist naß wie nach einem Platzregen.
 
Da ich ins Wirtshaus trete, singen die Leute gerade ein heanzerisches französisches Gstanzel:
 
Von da Nah und von da Fean
Lod' ma olli ein, an jedn gseg ma gean.
Ochzig Hella is Eintrittsgöld
Des wegn is a nit gfölt.
Denn wou spült d'Neuhausa Musi
Dou is a Hetz, a Gschpusi.
 
Man entdeckt an mir Kragen und Krawatte, hält mich für einen kommunistischen Agitator, und feindselige Stille tritt plötzlich ein. Der Wirt poltert los: »I kenn' Ihna gar nicht!«
 
»Das macht nichts! Sie sollen mich kennenlernen!«
 
»Was wollen S' denn?«
»Was zu essen und einen Wein! Und schlafen möcht' ich hier!«
 
»Z' essen hob i selber nix, und schlofn können S' net. An Wein können S' habn, wenn Sö Blaugeld han.«
 
Ich han Blaugeld und trinke einen Wein. Weil ich mit einer Hundertkronennote zahle, kommt ein Rotgardist plötzlich auf mich zu und nimmt mir dreihundert Kronen ab, worauf ich mich schleunigst aus dem Staube mache. Hundertkronennoten darf nämlich niemand besitzen, es sei denn ein Rotgardist.
 
Nun aber kannst du in Deutsch-Kreuz drei Stunden lang herumwandern und findest kein Quartier und kein Brot. Du bist ein Fremder und wirst verachtet. Kragen, Krawatte und Hochdeutsch verraten dich. Entweder bist du ein Spion der Szegediner, so hat man Angst. Oder du bist ein Agitator Kuns, so haßt man dich. Du kannst verhungern. Zumal, da sowohl der Herr Pfarrer als auch der Herr Notär irgendwo beim Tarock sitzen.
 
Plötzlich sehe ich die Große Mohrengasse auftauchen. Hausierergesichter, typische Leopoldstadt. Eine Judengruppe. Sie reden hochdeutsch mit den Händen. Ihre Bewegungen halten die Mitte zwischen Bedächtigkeit und Leidenschaft. Sie reden Leitartikel über Bela Kun. Bleiche Pogromangst spukt um sie herum.
 
In Deutsch-Kreuz sind sie zu Hause. Da ich einen um Quartier bitte, läßt er mich durch einen rothaarigen, sommersprossigen Judenjungen nach dem Hause eines Glaubensgenossen führen. Ich bekomme Brot und Eier und ein Bett. Ich teile das Zimmer mit einer gelähmten Großmutter, dem Ehepaar und zwei hübschen, schwarzäugigen Töchtern.
 
Am Morgen erlege ich nicht weniger als fünfzig Kronen in Blaugeld und wandere weiter. Aber über die Juden in Deutsch-Kreuz muß ich noch erzählen.
 
Der Neue Tag, 9.8. 1919

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Die Juden von Deutsch-Kreuz und die Schweh-Khilles

Mitten in Deutsch-Kreuz eine Filiale der Leopoldstadt. Siebzig jüdische Familien wohnen seit tausend Jahren im DeutschKreuzer Getto. Denn sie wohnen alle zusammen, in einer großen Häusergruppe hinter den weiten Gehöften der reichen Bauern, und führen ein eigenes Leben.
 
In der Mitte steht der Tempel, mindestens ein paar Jahrhunderte alt. Links vom Tempel wohnt der Rabbiner, ein Mann in mittleren Jahren mit blondem Bart und einem schwarzen Samtkäppchen auf dem Haupte. Er sitzt an einem langen Tisch und um ihn herum seine Jünger. Judenburschen im Alter von sechzehn bis zwanzig. Sie lernen Talmud, alle durcheinander, in ihren monotonen Sing-Sang klingt nur von Zeit zu Zeit der grelle Schrei der Ziehharmonika vom Wirte drüben.
 
Ich will mit dem Rabbi über die Gemeinde sprechen. Er drückt mir die Hand und bittet mich um Verzeihung: Er habe leider keine Zeit. Ich möchte zum Kultusvorsteher Herrn Lipschütz gehen.
 
Herr Lipschütz ist ein Mann um die Fünfziger. Ist auch schon in Budapest und, als er noch jung war, sogar in Wien gewesen und hat Mameren. Er bittet mich in den »Salon«. Ein dunkelrot gehaltenes Zimmer, lauter Plüsch und Samt und verstaubte Nippessachen, Tintenfässer, Vögel, Hunde aus Bronze auf der Konsole. Der Stuhl, den er mir anbietet, ist leider durchgedrückt, und ich rutsche in eine Versenkung, aus der ich mich mit vieler Mühe wieder hinausrette, um fortab am Stuhlrand sitzen zu bleiben. Herr Lipschütz erzählt mir:
 
Vor vielen Jahren seien die Juden aus Österreich vertrieben worden und wären zum Fürsten Esterhazy gekommen. Dieser habe ihnen sieben Gemeinden, die sogenannten »Schweh-Khilles«, angewiesen. Es sind lauter deutsche Gemeinden. In einigen haben die Juden volle Autonomie und sogar eigene Bürgermeister. Die Juden sprechen ein reines, fehlerloses, etwas hartes Deutsch und vertragen sich ausgezeichnet mit der Bevölkerung. Die deutschen Bauern machen einen strengen Unterschied zwischen »Budapester« und »unseren« Juden.
 
Das Haus des Herrn Lipschütz ist einstöckig, mit einem großen Hof. Er ist der reichste Jude in der Gemeinde, und sein Name ist weit und breit bekannt.
 
Der Kantor, der vor ungefähr 50 Jahren noch im Deutsch-Kreuzer Judentempel die Gebete sang, hieß Goldmark. Sein Sohn war der berühmte Komponist Goldmark, der aus einem Deutsch-Kreuzer Judenjungen ein Mann von Weltruf ward.
 
Die Gemeinde zählt auch den ungarischen Romanschriftsteller und späteren Sektionschef Alexander Doczi recte Dux mit Stolz zu ihren Söhnen.
 
Die Juden von Deutsch-Kreuz und den Schweh-Khilles beschäftigen sich nur mit ehrlichem Handel und werden von der christlichen Bevölkerung sehr geschätzt. Sie haben sich rein und unvermischt erhalten, und aus ihren Gesichtern klagte das jahrtausendealte Leid Ahasvers. Sie kennen keinen Tanz, kein Fest und kein Spiel. Nur Beten und Weinen und Fasten. Die Deutsch-Kreuzer Juden fasten zweimal in der Woche und beten den halben Tag lang. Der Tempeldiener kommt morgens und abends an jede Tür, klopft mit einem Hammer und ruft die Juden zum Gebet.
 
Ich besah mir den Hammer: Er ist schon ganz klein, schwarz, fettig und »abgeklopft«. Er mag so alt sein wie die Gemeinde.
 
Manchmal wächst ein Judenjunge heran, hat Begabung und Glück und wird ein Goldmark oder Doczi. Aber nur manchmal.
 
Die meisten leben und sterben, wo sie geboren sind. Das ist die Geschichte der Juden von Deutsch-Kreuz und der »Schweh -Khilles«.
 
Der Neue Tag, 9. 8. 1919

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Von Einem der auszog, das Gruseln zu lernen
Ein Besuch in den Katakomben bei St. Stephan
 
Es sind zwei Möglichkeiten: Entweder man geht in die Katakomben nach vorheriger Vorbereitung, d. h. Lektüre unterschiedlicher wissenschaftlicher, kulturhistorischer Schriften. Oder aber man macht sich unvorbereitet auf den Weg, ohne Kulturgeschichte betrieben zu haben, und kommt dabei auf die Rechnung seiner Phantasie. Denn alle jene wissenschaftlichen Broschüren sind nur geeignet, dem unbefangenen, d. h. befangenen Wiener die Freude am Gruseln zu verderben. Sie erzählen z. B. mit einer unglaublichen Kühnheit, die Pestgrube sei keine Pestgrube und der liebe Augustin läge auf dem Zentralfriedhofe. Der Sarg, der aus sozialer Fürsorge für die Angestellten und Führer von St. Stephan eigens im Katakombengang stehen gelassen wurde, behaupten die Schriften, wäre gar nicht der Sarg des S. R.j. Principis Celsissimi Emerici und in jener halbzerbrochenen, verrosteten Urne läge gar nicht das Eingeweide der letzten Meßnerin, sondern irgend eine ganz vulgäre Menschenleber.
 
Die Katakomben hätten gar keine Untergeschosse, gar keine Geheimnisse, sondern seien ganz einfache steinerne Cafes für Menschenleichen, die längst ausgeräumt worden seien. Kurz, diese Wissenschaft leuchte mit der allerletzten, modernsten Quarzlampenkonstruktion in die dunkelsten Winkel schauerlicher Volksphantasie, und der Spuk flieht vor ihr wie der Gottseibeiuns vor einem dreimal wiederholten Paternoster.
 
Ich rate keinem, derlei Bücher zu lesen. Sie nehmen einem die Freude an der »Hetz« und versetzen dem Lokalpatriotismus einen Tritt auf dessen empfindliche Hühneraugen. Was soll man mit Büchern anfangen, die den heute noch deutlich am Boden der Katakomben zutage tretenden Kalk - ich schwöre, daß es Kalk ist, echter, weißer Kalk! - nicht als Beweis für die Existenz der Pestgruben ansehen und die selbst dem lieben Augustin nicht seine selige Ruhe lassen! Selbst dem lieben Augustin nicht!
 
Nein, man gehe lieber mit ein bißchen Herzklopfen in den ersten Stock der Sakristei, an Monumenten, Steinsplittern, Heiligenköpfen, Büsten, Steinkreuzen vorbei, in jene Kanzlei, wo ein Mann in blauer Schürze und Hemdsärmeln mit einem bedrohlichen Zirkelzeug herumhantiert, und lasse sich, unwissenschaftlich, unbelesen, laienhaft, in jenes Buch eintragen, wo alle Besucher sorgfältig registriert werden.
 
Man wird hierauf für den nächsten Tag bestimmt. Punkt 5 Uhr früh muß man sich einfinden. Wenn man wirklich einmal pünktlich gewesen ist, ist der Mann, richtig, noch nicht da. Er heißt Franz Lube und führt seit zwölf Jahren die Besucher durch die Katakombengänge. Er ist es gewohnt, daß die Leute auf ihn warten.
 
Nach einer Viertelstunde kommt er mit einer vierdochtigen Meßkerze, die in einem riesigen Leuchter steckt und den Auftakt zur Schauerlichkeit bedeutet. Von Rechts wegen sollte jetzt das Gruseln beginnen.
 
Ade, blauer Himmel und Sonnenschein! Wir steigen zu den Toten in die Unterwelt. Wir werden uns angrinsen lassen von Totenschädeln und mit Mönchsskeletten per du sein. Und wenn - was immerhin möglich ist - mich unten ein zufälliger Schlag trifft, so sehe ich die Erde nimmermehr. Es muß ja auch gar nicht ein Schlag sein. Das Gewölbe kann einstürzen, ein Pfeiler in Trümmer gehen, oder gar - schrecklichster aller Schrecken! - der liebe Augustin springt aus seiner Pestgrube und fängt an, mit mir herumzuwirbeln, und wir tanzen schnurstracks ins Jenseits hinein. Also: Es tut mir leid, daß ich mein Testament nicht gemacht habe.
 
Links die kleine Nische mit dem steinernen Heiligenbild. Da ist ein Gitter, dessen Tor in den Angeln kreischt, ein verrostetes Schloß, in dem sich der mächtige Schlüssel nur ächzend bewegen kann. Dann wird die Eichplatte aufgehoben, und der Abstieg beginnt.
 
Franz Lube mahnt zur Vorsicht. Das gehört somit zum Geschäft. Die Stufen sind ordentlich, man kann gar nicht ausrutschen, selbst wenn man wollte. Aber Lube mahnt zur Vorsicht. Vorsicht ist hier die Mutter des Gruselns . . .
 
Die Meßkerze wirft unsteten Schein, als wollte sie sagen: Gruselt's dich? Da steht ein schwerer uralter Sarg mit der Inschrift »In hactumba iacet cadaver Celsissimi S. R. I. Principis; Emericus obiit Pie Die XXv. Pebruarii Anno M.D. CLXXXV.«
 
Und ein zweiter Sarg, in dem, wie Herr Lube aus ganz bestimmter Quelle weiß, zwei Kinder des Gesandten von Brasilien ruhen sollen. In der Ecke ein Haufen von Schädeln und Totengerippen. Alle neben-, über-, untereinander. Feinde, Freunde. Gleichgültige, Fremde. Vergänglichkeit alles Irdischen!
 
An der sogenannten »Rutschen« vorbei kommst du zur Pestgrube. Die »Rutschen« ist ein Loch, durch das außer dem Tageslicht auch Staub und Lärm und Abfälle der Straße in die Stille der Katakomben dringen.
 
Die »Rutschen« soll einstmals dazu gedient haben, minderbemittelte Leichen, wie man heute sagen würde, auf eine billige Art zu bestatten. Sie wurden einfach hinuntergeschupft wie beim Kegelspiel. Herr Lube sagte mir, daß der Wiener Ausdruck »der is auf der Rutschen« von daher stamme. »Der ist auf der Rutschen« sagt man von einem, mit dem es schon stark abwärts geht.
 
Das wichtigste ist natürlich die Pestgrube. Michael Unkner, der Totengräber vom St. Stephansfreithoff, wurde bestochen. Roger Acacia, der Prinz von Dachern, und die anderen Lanzettenritter stiegen in das dritte Stockwerk der Katakomben, und zwar durch den Keller eines Nachbarhauses. Dort verteilten sie die Lanzetten und den Peststoff an die Verschwörer, und so wurde die Pest nach Wien eingeschleppt. Die Pestgrube soll nun mehrere Stockwerke tief gewesen sein und viele viele Tausende Opfer in ihrem Schoße bewahren.
 
Heute ist natürlich vom unteren Stockwerke nichts mehr zu sehen.
 
Vielleicht hat jene Mistreß Trollope recht, wenn sie behauptet, der Zugang zu dem unteren Stockwerke sei unter keinen Umständen gestattet, mit drei Schlössern verschlossen, und die drei Schlüssel befänden sich: der eine beim erzbischöflichen Ordinariat, der zweite bei Hofe, der dritte beim Wiener Magistrat.
Wer's glaubt, wird selig.
 
Wissenschaftlich festgestellt ist nur, daß die Katakomben in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden sind. Die Halle unter der Sakristei der Stephanskirche soll erst im Jahre 1718 erbaut worden sein. Auch die sogenannten »neuen Gruften« existieren erst seit späterer Zeit, und die Wissenschaft beweist klar und unwiderleglich, daß die Pestgrube keine Pestgrube ist, weil die Pestkrankheit 1679 und 1713 gewütet hat, also lange vor dem Entstehen der »Pestgrube«. Vielmehr weiß ein Schriftstück aus dem Jahre 1768 zu berichten, daß in diesem Jahre die Notwendigkeit es erheischte, daß der k. Hof- und gern. Stall Maurermeister Christian Alexander Oerdtl dem Wiener Bischof den Vorschlag »wegen machung Einer ganz neuen Krufften unter dem alldort herumbgehenden Freythoff« unterbreitete. Denn der Särge und Gebeine lagen viel in den alten Räumen herum. So wurde denn die Schaffung einer neuen Krufften bewilligt. Daß aber diese Gruft heute noch Kalkspuren aufzuweisen hat, ist dadurch erklärlich, daß ein Aktenstück vom 28. April 1732 die Leichen mit Kalk zu bestreuen anordnet.
 
Dennoch hielt sich der Glaube an die Pestgrube bis tief in das 19. Jahrhundert hinein aufrecht. Der bekannte Wiener Arzt Johann Wilhelm Managetta lehrt, daß »von etlichen Hexen und Zauberinnen, erst wann sie gestorben und begraben seyn, die Pestilenz erregt werde.«
 
Als 1873 die Wiener Hochquelleitung vollendet worden war, stieg, da die Hausbrunnen außer Gebrauch blieben, der Grundwasserspiegel so, daß die Stephansgrüfte eine starke Feuchtigkeit aufzuweisen hatten und der Modergeruch ein unhaltbarer wurde. So wurde denn die Räumung der Katakomben vorgenommen. Heute sind sie vollkommen leer.
 
Nein! Beim besten Willen! Ich kann nicht das Gruseln erlernen. Das kommt vielleicht davon, daß ich so belesen bin und ein bißchen Latein entziffern kann und daß mich der liebe Augustin so belustigt. Fast hätte ich vergessen, von dem zu erzählen: Kam er da trotz Seuche und Pestilenz ganz besoffen am Stephansfreithoff vorbei, stolperte und fiel in die Pestgrube. über dort eine oder drei Nächte geschlafen habe, ist nicht festgestellt. Jedenfalls: Das Wunder geschah, und der liebe Augustin stand eines Tages frisch und nüchtern von den Toten auf, um sich in die nächste - Schenke zu begeben . . .
 
In dreiviertel Stunden ist die Wanderung zu Ende. Wenn man wieder einmal oben steht, löscht Herr Lube die Meßkerze mit Daumen und Zeigefinger aus, legt die schwere Eisenplatte über die Öffnung und läßt den schweren Schlüssel wieder im Türschloß ächzen.
 
Draußen bin ich wieder.
 
Während ich durch die einbrechende Dämmerung über den Stephansplatz gehe, rempelt mich jemand an. Es ist ein lustiger Patron. Er hat eine Schellenkappe auf, ein kurzes Höschen und rote Seidenstrümpfe an. Ein Narrenzepter schwingt er in der Hand.
 
Kein Zweifel: Es ist der liebe Augustin. So, als ob er eben von der Pestgrube aufgestanden wäre. Und da er seine alte, gute Schenke »Zum krumben Esel« nicht wiederfindet, summt er melancholisch: Alles ist hin!. . .
 
Josephus
Der Neue Tag, 15.8. 1919

 
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