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04.3
Joseph Roth - Werke 1
Das
journalistische Werk
1919
Das
Taftkleid
Eine
ukrainische Geschichte
Es
war ein herrliches Taftkleid. Schwarz, mit Samteinsatz und
Flitterperlen, von
einer weichen und schmiegsamen Kühle, wie sie die großen dunklen
Blätter
tiefroter Spätrosen haben, die im Nachbarsgarten des Kirchendieners
Alexei
Afinowitsch blühten. Es stand so fest wie der Erfolg der Wunderkuren
des
blinden Korsaren Tiowfej und des Milchzaubers der Hexe Katja, daß
zwischen Don
und Dnjepr kein zweites Taftkleid dieser Art vorhanden war. Nastja
Iwanowa, meine
fürsorgliche Hausfrau,
hatte es von ihrem Manne bekommen, dem Sergeanten Nikolaj Iwanow, der
es wieder
anläßlich eines kleinen Pogroms in dem etwa fünf Werst entfernten
Judenstädtchen der reichen Schankwirtin Sonja Israelowitsch geraubt
hatte.
Nastja Iwanowa, wie schon erwähnt: meine fürsorgliche Hausfrau, war
kraft
dieses Taftkleides entschieden die vornehmste unter allen
Dorfbewohnerinnen.
Jahre
waren vergangen: Die Kuh des Bauers Kuszpeta war an Magenkrämpfen elend
zugrunde gegangen, Alexei Pawlow, der Taugenichts, kehrte aus dem
Kiewer
Zuchthaus zurück, der Krieg brach aus, Nikolaj Iwanow, der Mann meiner
fürsorglichen
Hausfrau, ward in den Karpaten vermißt, das Dorf hatte manniges
gelitten, die
Landstraße die Eisenhufe der Kavallerie, die benagelten Stiefelsohlen
der
Sturmtrupps, die zerrissenen und nackten der Kriegsgefangenenzüge, die
Räder
der Artillerie- und Trainkolonnen an ihrem Leibe zu spüren bekommen.
Freundliche und feindliche, preußische, zarische, österreichische
Einquartierungen wechselten miteinander ab. Aber in all dem jähen
Wechsel der
Zeiten und Dinge hatte das Taftkleid seinen Zauber bewahrt, war es
allsonntäglich Brennpunkt der Bewunderung und Gegenstand des Neides
alter und
junger Dorfbewohnerinnen geblieben.
Es
verlieh seiner Besitzerin Würde und Rückgrat, verschaffte ihr Geltung
und
Ansehen. Ihre Kuh durfte unbehindert auf nachbarlichen Weiden grasen,
ihr
Söhnchen Sascha unverprügelt stehlen. Nastja Iwanowa, meine würdige
Hausfrau,
war eine Persönlichkeit, und ein Stückchen vom Glanz ihres Taftkleides
umschimmerte auch mich, ihren harmlosen Mieter und Hausgenossen.
Da
kamen die Bolschewiken. Nastja Iwanowa war eine erbitterte Gegnerin
jedes
Kommunismus. Sie hielt es mit Petljura, dem Kosakenhetmann, der die
Bolschewiken bekämpfte, und mit seinem Stellvertreter im Dorfe, dem
Ataman
Nikita Kolohin, der das Dorf befestigt und es zu einem Stützpunkt
ausgebaut
hatte. Auf hügeligem Südrand des Dorfes hatte Ataman Nikita sein
Hauptquartier aufgeschlagen,
auf dem Kirchturm Maschinengewehre zur Abwehr bolschewistischer
Flugzeuge
aufgestellt und Alarm- und Signalapparate eingerichtet.
Wenn
die Sirenen in langgedehnten Tönen zu heulen, die Maschinengewehre auf
dem
Kirchturm zu rattern anfingen, wußte man: Die Flieger sind da! Der
Bauer Kuszpeta
ließ die Sense fallen, mit der er eben das Gras auf seiner Wiese gemäht
hatte,
lief zu der hohlen Weide, die am Wiesenrand stand, und holte aus der
Höhlung
seinen Schatz hervor, hundert goldene Dukaten in einem großen braun-
und
blaukarierten Taschentuch. Katja, die Hexe, ergriff ihre alte Katze,
die sich
gerade am
Fensterbrett gesonnt hatte, beim Genick, der blinde Tiowfej brach sein
Lied:
Pulubylja tibia za twoju Krafatu - mitten im Worte „Krafatu“ ab, so daß
sein
Kra - wie ein heiserer Unheilsruf klang, und Alexei Pawlow, der fünf
Jahre im
Kiewer Zuchthaus gesessen hatte, steckte die Bibel, die ihm der Pope
von der
Kiewer Strafanstalt mitgegeben und in der Alexei Pawlow ganze Nächte
inbrünstig
blätterte, weil
er nicht lesen konnte, zu sich. Meine fürsorgliche Wirtin aber: Nastja
Iwanowa,
griff nach ihrem Taftkleid, das auf einem riesigen Türhaken seinen
Ehrenplatz
hatte, und schlug es in ein eigens zu diesem Zweck stets
bereitgehaltenes
großes weißes Packpapier. Alles rannte, jeder mit seinem Schatz, unter
den
Viadukt, den die Preußen noch im Jahre 1918 mitsamt einer kleinen
Lokalbahn am
Ausgang des Dorfes
angelegt hatten, warteten dort das Tuten der Sirenen, das Knattern der
Maschinengewehre, das Rattern der Flugzeuge ab und kehrten dann nach
Hause zurück.
Es
war Mitternacht, der Mond schien, das Dorf schlief. Nur Alexei Pawlow
blätterte
in seiner illustrierten Bibel. Da begannen die Sirenen zu pfeifen.
Schüchtern
erst, schläfrig, daß es tönte wie das Gähnen meiner fürsorglichen
Wirtin Nastja
Iwanowa. Dann immer voller, stärker und schneller. Nastja Iwanowa
sprang auf.
Ich hörte das Packpapier im Dunkeln rauschen, sie packte ihr Taftkleid
ein. Die
Dorfstraße entlang eilten die Menschen dem Viadukt zu. Nastja Iwanowa
mit
ihnen. Sie fiel in einen Graben, raffte sich auf und lief weiter. Nach
fünf
Minuten entdeckte sie, daß sie ihr Taftkleid vermutlich im
Straßengraben hatte
liegenlassen. Sie eilte zurück, wälzte sich den Graben hinunter. Gott
und allen
Heiligen Lob! Das Kleid lag da! Nastja Iwanowa rannte, das knisternde
Paket
fest an die Brüste gedrückt. Außer Atem kam sie am Viadukt an.
Die
Nacht war erfüllt mit Geratter und Geknatter. Unter dem Viadukt
kauerten die
Menschen, sprachen leise mit angstbebenden Stimmen. Einige waren
eingeschlafen.
Auch Nastja Iwanowa.
Als
sie im kühlen Morgengrauen erwachte, war ihr erster Gedanke: das
Taftkleid!
Aber weh! Heilige Mutter Gottes! Das Paket war weg. Man hatte es
gestohlen. Gestohlen
das herrliche, einzige Taftkleid, das seinesgleichen suchte zwischen
Don und
Dnjepr!
Nastja
Iwanowa lief, rannte, raste zu Ataman Nikita. Der Soldat Onufrij
Romanjuk stand
Wache. Er ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen und versetzte Nastja
einige
Kolbenhiebe. „Ich geb dir zwei Rube!“, flehte Nastja. „Zehn will ich,
Hundeseel!“
bellte der Soldat Onufrij wie ein wütender Dackel mit seiner
versoffenen Fistelstimme:
„Gut,
gut, ja, zehn!“ weinte Nastja.
Sie
kam vor den Ataman. Sie bat, kniete: „Herr, Herr, mein schönes,
herrliches,
Taftkleid! Man hat es mir gestohlen, heute in der Nacht, unterm
Viadukt!“
Der
Ataman war ein guter Herr. Er schickte zwei Soldaten aus. Die
durchsuchten Haus
um Haus und fanden endlich das Taftkleid bei der Katja, der Hexe.
Nastja
Iwanowa trocknete rasch ihre Tränen. Beide Hände streckte sie nach
ihrem Schatz
aus. Ein Wildbach!? Oh, ein Wildbach hätte sich wie eine schleichende
Schnecke
ausgenommen neben der nach Hause rasenden Nastja. Sie lief zum Tisch,
packte
aus. Aber, was war das?
Ein
alter schmutziger Unterrock lag in dem Papier. Das Taftkleid? Wo war
das
herrliche Taftkleid? Es hing am rostigen Haken hinter der Tür. Nastja
Iwanowa
hatte es in der Nacht verwechselt. Denn: Habt Ihr wirklich geglaubt,
Katja, die
Hexe, hätte das Taftkleid herausgegeben?! . . .
Prager
Tagblatt, 13.12.
1919
zurück
Nikolo
Die
kleine Lily sagte: Ich glaube, daß war eigentlich gar nicht der Nikolo.
Ich
weiß genau, vor zwei Jahren noch sah er anders aus und blieb auch
länger sitzen
und erzählte schöne Geschichten, und er hatte einen viel, viel längeren
Bart,
und der Bart war viel weißer. Auch einen großen, großen Sack hat er
damals
mitgehabt, und heute war's nur eine kleine Einkaufstasche, so wie sie
Mama
immer hat, wenn sie mit Fini auf
den Markt geht. Ja, sagte Paula, ja, sicher, es war dieselbe
Einkaufstasche, ich
habe sie erkannt, meine rote Masche war am Henke! Der achtjährige
Karl aber war ein Bub und
schon sehr gescheit und sprach: Ach was, ich weiß schon, es ist
eigentlich gar
nicht der Nikolo, es gibt keinen Nikolo überhaupt, und der Nikolo ist
übrigens
der Onkel Heinrich. Der Onkel Heinrich ist auch der Weihnachtsmann. Und
der Onkel
Heinrich kann heute nicht mehr mit dem Geld auskommen, er zankt deshalb
mit
Tante Mathilde - ich habe es selbst gehört -, und er kann keinen Sack
mehr mit
Süßigkeiten kaufen, und deshalb hat er nur Äpfel und ein paar Nüsse
gebracht.
Quatsch, es gibt keinen Nikolo, sagte der achtjährige Karl. Aber Lily
widersprach: Es gibt bestimmt einen Nikolo. Alle sagen's, der Papa und
der
Lehrer und der Fritz, und der weiß doch alles, denn er wird nächstes
Jahr
Doktor. Und übrigens schreibt er Gedichte, echte Gedichte mit Reimen,
wie sie
im Lesebuch stehen.
Fritz
kam herein. Nicht wahr, es gibt einen Nikolo? fragte Lily. Ja,
freilich, sagte
Fritz, ich werde euch was von ihm erzählen. Ich habe ihn soeben
getroffen, wie
er traurig und gebückt durch die Straßen ging, um nach Bari in Italien
zurückzukehren. Es gefällt ihm gar nicht in Wien. Eine so traurige
Stadt hat er
in seinem ganzen Leben nicht gesehen, und er lebt schon sehr lange,
müßt Ihr
wissen, schon an die tausend Jahre.
So wie in diesem Jahr ist's ihm noch nie gegangen. Zuerst wollten sie
ihn gar
nicht über die Grenze lassen und fragten ihn, ob er fremde Valuta habe
und
einen Paß. Alle Lebensmittel, die er mithatte, mußte er den Revisoren
lassen.
Er schrie: Ich bin ja der Nikolo! Aber die Grenzwächter spotteten nur
und
sagten: Er ist ein Schleichhändler! Es gibt keine Heilige nicht. Das
haben mir
jetzt'n abgeschafft.
So
kam der gute Nikolo ganz ohne Pakete nach Wien. Am Südbahnhof wollte er
einen
Fiaker nehmen, denn er war sehr müde, er hatte keinen Sitzplatz gehabt
und war
die ganze Zeit über im Zug gestanden. Hundertfuchtzig Kranl'n, Sö Tepp,
olda!
sagte der Kutscher. Da ging der gute Nikolo zu Fuß.
Er
wollte Mistelzweige haben und ging in den Wienerwald. Aber da standen
Kettenhändler, die hatten alle Mistelzweige abgesammelt und verkauften
sie als
Holz zum Einheizen um sehr teures Geld.
„Ich
bin der Nikolo“, sagte der Alte, „und muß Mistelzweige für die Kinder
haben!“
Aber
die Kettenhändler lachten: „Der Nikolo sind
Sie? Die Kinder selbst haben schon Mistelzweige und treiben Geschäfte
mit
Mistelzweigen. Mit dem Artikel werden Sie den Kindern keinen Schrecken
einjagen.“ Da ging der heilige Nikolo in die Stadt zurück.
Der
heilige Nikolo hat ein sehr gutes Herz, müßt ihr wissen, und also
dachte er:
Desto besser, ich werde also ohne Mistelzweige kommen. Ich will lieber
Zuckerln
kaufen. In allen Läden aber kosteten die Zuckerln ein Riesengeld, und
es war
ein Glück, daß der Nikolo geradewegs aus der Schweiz gekommen war und
Franken hatte.
Also konnte er zur Not noch ein paar Kilo einkaufen. Mehr kaufte er
nicht, denn
die Zuckerln waren aus Schleichhandelszucker gemacht, der den armen
Leuten
nicht zukommen konnte.
Dann
wollte der Nikolo Goldpapier kaufen. Aber da war in keinem Papierladen
Stanniol
aufzutreiben. Stanniol gab es nur auf der Börse - sagte man ihm. Und
auf die
Börse geht der heilige Nikolo nicht.
Als
der heilige Nikolo über den Franz Josephskai ging, kam ein Mann auf ihn
zu, der
hatte eine weiße Kappe wie ein Lampion und ein buntes Band auf der
Weste. Der
hielt den heiligen Nikolo für einen polnischen Juden und zupfte ihm den
Bart
aus.
Um
halb 9 Uhr abends begann der Nikolo schließlich, die Häuser abzugehen.
Aber, was
sah er da? Da waren alle Haustore schon gesperrt. Und als er läutete,
kam der
Hausmeister und fragte ihn streng, was er wolle. „Ich bin der heilige
Nikolo“,
sagte der Alte. – „Haben S' ein Sperrsechserl?“ fragte der Hausmeister.
– „Gewiß“,
antwortete der Nikolo. – „So, ich krieg' aber schon zwei! Jetztn is
halb neun,
und mir san jetztn a Republik, und da kriegt der Hausmeister zwa
Sperrsechserln! Verstanden?“ - Da gab der Nikolo dem Hausmeister eine
Krone. „Kleingeld
is jetztn auch aus Papier“, sagte der Hausmeister, „und mir führen so
was
nimmer! Der Krampus is mir viel lieber als Sie, Herr von Nikolo oder
Herr
Nikolo, denn den Adel hamma abg'schafft, der Krampus kommt durchn
Schornstein und
stört uns net. I pfeif' überhaupt auf die Sperrsechserln.“
Nun
war der heilige Nikolo sehr traurig. In jedem Hause wiederholte sich
dieselbe
Geschichte. Nur die Kinder taten ihm leid, die hatten noch einen lieben
Gott.
Aber die Großen hatten ihn im Kriege verloren. „Der liebe Gott ist den
Menschen
amputiert worden“, sagte der heilige Nikolo.
Nun
geht er wieder fort. „Wenn das so weiter bleibt, komme ich nie mehr.
Nie mehr!“
sagte er. „Die Menschen müssen viel, viel besser werden!“
Da
waren die Kinder alle traurig. Und selbst der achtjährige Karl, der
schon
gescheit war, glaubte an den Nikolo. Die Karbidlampe im Zimmer hatte
ein nur
noch ganz kleines, verrücktes, blaues Flämmchen, das wie betrunken hin
und her
taumelte. Schließlich gab's einen großen Krach. Die Lampe explodierte.
„Das
hat der Krampus gemacht“, sagte Fritz. Und die Kinder fürchteten sich .
. .
Josephus
Der
Neue Tag, 6. 12. 1919
zurück
Die
Frühstückssuppe
Der
Wintermorgen blinzelt kurzsichtig durch dünne Wolkenbrillen auf
Schottergeröll
und schmutzige Erdschollen. Sogenannte Gebrauchsgegenstände liegen „am
Spitz“.
Eine Blechschüssel mit einer offenen Rißwunde, wie von einer Granate
zerfetzt. Ein
weißer Henkel aus Porzellan zwischen rotbraunem Blättergemisch,
gekrümmt wie
ein poliertes Fragezeichen.
Mit
einem Zipfel zwischen Wand und Deckel einer rostflecksommersprossigen
Konservenbüchse
eingeklemmt, weht der Leitartikel der vorigen Sonntagsnummer im
Morgenwinde.
Es
ist eine Fragmentsammlung zerschlissener Häuslichkeit, so ein
schmutziger
Patzen Wiese. Ein Pinselklecks auf der Palette des lieben Gottes.
Ein
Wägelchen knirscht über dem Schotter. Zwei kleine galizische Ponys
voran
üben „Kopfnicken“!
Von
dem Gefährt steigt Dampf in kleinen, zarten Säulchen empor. Das ist die
Fahrküche mit der Frühstückssuppe. Das neueste Kapitel von „Wien im
Elend“.
„Am
Spitz“ in der Goldschlagstraße macht die Fahrküche halt. Gott und
staatsamtgewollter
Rahmen für die Frühstückssuppe.
Die
Fahrküche ist eine militärische. Vielleicht aus der
Sachdemobilisierungsanstalt. Sie
macht den behäbig-brummigen Eindruck einer Längerdienenden. Drei
Volkswehrmänner hantieren an den Kesseln herum. Der eine hat einen
Schöpflöffel
aus Blech. Wenn er ihn in den Schlund des Kessels hinabtaucht, entsteht
drinnen
ein geheimnisvolles Gezisch. Es ist, wie wenn die Moleküle der Suppe
anfangen
würden zu schwatzen.
Wenn
der Schöpflöffel an die Oberfläche kommt, sieht man eine goldglühende
Flüssigkeit,
von Dämpfen umwallt wie im „Rheingold“. Auf dem Grunde des
Schöpflöffels ruht
ein Körper in unleugbarem Aggregatzustand. Offenbar ein Riff.
Während
die Flüssigkeit in das Reindl der Frau Dworzak hinüberrinnt, offenbart
sich das
Riff als Kartoffel, Möhre oder so. Um vierzig Heller kann man das
„Rheingold“
genießen.
Die
Frühstückssuppe hat sich noch nicht eingelebt. Von Zeit zu Zeit kommt
eine Frau
mit einem Napf. Ein Schulmädchen mit einer Menageschale. Ein Arbeiter
mit einem
Topf.
Der
Volkswehrmann bläst vor Kälte einen tonlosen, unhörbaren Militärmarsch
in die
roten Fäuste und schlägt den Takt mit den Füßen dazu.
Die
Ponys stehen geduldig wie angestellte Wiener. Manchmal hebt eines den
Huf und
klopft an die Deichsel. Nur um die beruhigende Gewißheit zu erlangen,
daß es
immer noch angespannt ist.
Die
Suppe ist heiß. Ihre Hitze stumpft die Geschmacksnerven ab, und man
braucht sie
nicht zu schmecken. Sie rinnt, eine flüssige Wohltat, wie ein kleiner
Golfstrom
durch den morgenkalten Körper.
Morgen,
übermorgen, vielleicht in einer Woche ist sie eingelebt, anerkannt,
heimisch,
die Frühstückssuppe.
Sie
wird die allmorgendliche Ausflüssigkeit der volksfreundlichen Gesinnung
im
Staatsamt für Ernährungswesen sein.
Unter
Umständen wird eine schmackhafte Brühe aus den sonderbarsten Elementen:
aus
Anspruchslosigkeit, gutem Willen und Zubußen.
Der
Neue Tag, 10.12. 1919
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