Arthur Schnitzler
Der
Mörder - Eine
Novelle
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Ein
junger Mann, Doktor
beider Rechte, ohne seinen Beruf auszuüben, elternlos, in behaglichen
Umständen
lebend, als liebenswürdiger Gesellschafter wohl gelitten, stand nun
seit mehr
als einem Jahre in Beziehungen zu einem Mädchen geringerer Abkunft,
das, ohne
Verwandtschaft gleich ihm, keinerlei Rücksichten auf die Meinung der
Welt zu
nehmen genötigt war.
Gleich
zu Beginn der
Bekanntschaft, weniger aus Güte oder Leidenschaft als aus dem
Bedürfnis, sich
seines neuen Glückes auf möglichst ungestörte Weise zu erfreuen, hatte
Alfred
die Geliebte veranlaßt, ihre Stellung als Korrespondentin in einem
ansehnlichen
Wiener Warenhause aufzugeben.
Doch
nachdem er sich
längere Zeit hindurch, von ihrer dankbaren Zärtlichkeit umschmeichelt,
im
bequemsten Genusse gemeinsamer Freiheit wohler befunden hatte als in
irgendeinem früheren Verhältnis, begann er nun allmählich jene ihm
wohlbekannte
verheißungsvolle Unruhe zu verspüren, wie sie ihm sonst das nahe Ende
einer
Liebesbeziehung anzukündigen pflegt, ein Ende, das nur in diesem Falle
vorläufig nicht abzusehen schien.
Schon
sah er sich im Geiste
als Schicksalsgenossen eines Jugendfreundes, der, vor Jahren in eine
Verbindung
ähnlicher Art verstrickt, nun als verdrossener Familienvater ein
zurückgezogenes und beschränktes Leben zu führen gezwungen war; und
manche
Stunden, die ihm ohne Ahnungen solcher Art an der Seite eines anmutigen
und
sanften Wesens, wie Elise es war, das reinste Vergnügen hätten gewähren
müssen,
begannen ihm Langeweile und Pein zu bereiten.
Wohl
war ihm die Fähigkeit
und, was er sich noch höher anrechnen mochte, die Rücksicht eigen,
Elise von
solchen Stimmungen nichts merken zu lassen, immerhin aber hatten sie
die
Wirkung, ihn wieder öfter die Geselligkeit jener gutbürgerlichen Kreise
aufsuchen zu lassen, denen er im Laufe des letzten Jahres sich beinahe
völlig
entfremdet hatte. Und als ihm bei Gelegenheit einer Tanzunterhaltung
eine
vielumworbene junge Dame, die Tochter eines begüterten Fabrikbesitzers,
mit auffallender
Freundlichkeit entgegenkam, und er so plötzlich die leichte Möglichkeit
einer
Verbindung vor sich sah, die seiner Stellung und seinem angemessen war,
begann
er jene andere, die wie ein heiter zwangloses Abenteuer angefangen, als
lästige
Fessel zu empfinden, die ein junger Mann von seinen Vorzügen
unbedenklich
abschütteln dürfte.
Doch
die lächelnde Ruhe,
mit der Elise ihn immer wieder empfing, ihre sich stets gleichbleibende
Hingabe
in den spärlicher werdenden Stunden des Zusammenseins, die ahnungslose
Sicherheit, mit der sie ihn aus ihren Armen in eine ihr unbekannte Welt
entließ, all dies drängte ihm nicht nur jedesmal das Abschiedswort von
den
Lippen, zu dem er sich vorher stets fest entschlossen glaubte, sondern
erfüllte
ihn mit einer Art von quälendem Mitleid, dessen kaum bewußte Äußerungen
einer
so herzlich vertrauenden Frau wie Elise nur als neue und innigere
Zeichen
seiner Neigung erscheinen mußten.
Und
so kam es dahin, daß
Elise sich niemals heißer von ihm angebetet glaubte, als wenn er von
einer
neuen Begegnung mit Adele, wenn er durchbebt von der Erinnerung
süßfragender
Blicke, verheißender Händedrücke und zuletzt im Rausch der ersten
heimlichen
Brautküsse in jenes stille, ihm allein und seiner treulosen Liebe
geweihte Heim
zurückgekehrt war; und statt mit dem Lebewohl, das er sich noch auf der
Schwelle vorgenommen, verließ Alfred die Geliebte allmorgendlich mit
erneuten
Schwüren ewigen Angehörens.
So
liefen die Tage durch
beide Abenteuer hin; endlich blieb nur mehr zu entscheiden, welcher
Abend für
die unvermeidlich gewordene Aussprache mit Elisen besser gewählt wäre,
der vor
oder der nach der Verlobung mit Adelen; und an dem ersten dieser beiden
Abende,
da ja doch noch eine Frist vor ihm lag, erschien Alfred in einer durch
die
Gewohnheit seines Doppelspiels fast beruhigten Seelenverfassung bei der
Geliebten.
Er
fand sie blaß, wie er
sie vorher niemals gesehen, in der Ecke des Diwans lehnen; auch erhob
sie sich
nicht wie sonst bei seinem Eintritt, um ihm Stirn und Mund zum
Willkommenskuß
zu bieten, sondern zeigte ein müdes, etwas gezwungenes Lächeln, so daß
zugleich
mit einem Gefühl der Erleichterung die Vermutung in Alfred aufstieg,
die
Nachricht von seiner bevorstehenden Verlobung sei trotz aller
Geheimhaltung
nach der rätselhaften Art der Gerüchte doch schon bis zu ihr gedrungen.
Aber
auf seine sich
überstürzenden Fragen erfuhr er nichts anderes, als daß Elise, was sie
ihm
bisher verschwiegen, von Zeit zu Zeit an Herzkrämpfen leide, von denen
sie sich
sonst rasch zu erholen pflegte, deren Nachwirkung aber diesmal länger
anzuhalten drohe als je. Alfred, im Bewußtsein seiner schuldvollen
Vorsätze,
war von dieser Eröffnung so heftig berührt, daß er sich in Ausdrücken
der
Teilnahme, in Beweisen von Güte gar nicht genug tun konnte; und vor
Mitternacht, ohne zu begreifen, wie es so weit gekommen, hatte er mit
Elisen
den Plan einer gemeinsamen Reise entworfen, auf der sie gewiß dauernde
Genesung
von ihren üblen Zufällen finden sollte.
Niemals
so zärtlich geliebt,
nie aber auch so durchtränkt von eigener Zärtlichkeit hatte er je von
ihr
Abschied genommen als in dieser Nacht, so daß er auf dem Heimweg
ernstlich
einen Absagebrief an Adele erwog, in dem er seine Flucht aus Verlobung
und
Eheband wie ein Gebot seiner für ein dauernd stilles Glück nicht
geschaffenen
unsteten Natur zu entschuldigen gedachte.
Die
kunstvollen
Verschlingungen der Sätze verfolgten ihn noch in den Schlaf; aber schon
das
Morgenlicht, das durch die Spalten der Jalousien auf seiner Decke
spielte, ließ
ihm die aufgewandte Mühe ebenso töricht als überflüssig erscheinen. Ja,
er war
kaum zu staunen fähig, daß ihm nun die leidende Geliebte der
verflossenen Nacht
traumhaft fern wie eine Verlassene erschien, während Adele blühend im
Duft
unermeßlicher Sehnsucht vor seiner Seele stand.
Um
die Mittagsstunde
brachte er dem Vater Adelens seine Werbung vor, die wohl sehr
freundlich, aber
doch nicht mit völliger Zustimmung aufgenommen wurde. In gutmütig
spöttischer
Anspielung auf des Bewerbers oft versuchte Jugend stellte der Vater
vielmehr
die Forderung, Alfred möge sich vorerst für ein Jahr auf Reisen
begeben, um so
in der Entfernung die Kraft und die Widerstandsfähigkeit seiner Gefühle
zu
prüfen, und er widersetzte sich sogar dem Vorschlag eines Briefwechsels
zwischen den jungen Leuten, um die Möglichkeit einer Selbsttäuschung
auch auf
diesem Wege mit Sicherheit ausgeschaltet zu wissen.
Wenn
Alfred mit den Absichten
von heute wiederkehrte, und wenn er dann bei Adelen die gleichen
Empfindungen
wiederfände, die sie heute zu hegen überzeugt sei, so werde der
sofortigen
Vermählung des jungen Paares von seiner Seite nicht das geringste im
Wege
stehen.
Alfred,
der sich diesen Bedingungen nur
widerstrebend zu fügen schien, nahm sie in Wahrheit wie eine neue
Fristerstreckung des Geschicks innerlich aufatmend entgegen, und nach
kurzem
Besinnen erklärte er, unter diesen Umständen sich schon heute
verabschieden zu
wollen, wäre es auch nur, um damit zugleich das Ende der geforderten
Trennungszeit näher heranzurücken. Adele schien zuerst von dieser
unerwarteten
Fügsamkeit verletzt zu sein, doch nach einer kurzen vom Vater
verstatteten
Unterredung unter vier Augen hatte Alfred seine Braut dahin gebracht,
daß sie
ihn um seiner Liebesklugheit willen bewunderte und ihn mit Schwüren der
Treue,
ja mit Tränen in den Augen in eine gefährliche Trennungsferne entließ.
Kaum
auf die Straße
gelangt, begann Alfred schon allerlei Möglichkeiten zu erwägen, die im
Laufe
dieses ihm zur Verfügung stehenden Jahres eine Lösung seiner
Beziehungen zu
Elisen herbeiführen könnten. Und sein Drang, die schwierigsten
Angelegenheiten
des Lebens ohne tätiges Eingreifen zu erledigen, war so übermächtig,
daß jener
nicht nur über seine Eitelkeit den Sieg davontrug, sondern auch dem
Aufschweben
düsterer Ahnungen günstig war, von denen sein wehleidiges Wesen sonst
gerne
zurückschreckte.
In
dem Zwang ungewohnt
engen Zusammenseins, wie es die Reise mit sich brachte, so dachte er,
könnte es
wohl geschehen, daß Elise, erkaltend, sich allmählich von ihm
abwendete; und
auch das Herzleiden der Geliebten bot den Ausblick auf eine freilich
unerwünschtere Art der Befreiung.
Bald
aber wies er beides,
Hoffnung wie Befürchtung, mit so heftiger Bewegung von sich, daß am
Ende nichts
in ihm war als die kindlich-freudige Erwartung einer bunten Lustfahrt
ins Weite
in Gesellschaft eines liebenswürdig anhänglichen Geschöpfes; und noch
am Abend
des gleichen Tages plauderte er mit der arglosen Geliebten in
heiterster Laune
über die reizvollen Aussichten der bevorstehenden Reise.
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