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04.3
Arthur Schnitzler
Der
Mörder - Eine
Novelle
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Erst
als die deutsche Küste
sichtbar wurde, gingen seine Pulse schneller. Seine Absicht war es, in
Hamburg
nicht länger zu verweilen, als nötig war, den Brief zu beheben, der ja
hier
seiner warten mußte, und mit dem nächsten Zuge heimwärts zu reisen.
Die
Langwierigkeit der
Ausschiffung verursachte ihm quälende Ungeduld; und wie erlöst atmete
er auf,
als das Gepäck endlich auf den Wagen geschafft war und er durch die
Straßen der
Stadt, über denen mit kleinen rosa Wolken der späte Frühlingsnachmittag
hing,
zum Postgebäude fuhr.
Er
überreichte dem Beamten
seine Karte, sah ihm mit heißen Augen zu, die Briefschaften
durchblättern,
hielt die Hand schon zum Empfang bereit und empfing die Antwort, daß
nichts für
ihn da wäre, kein Brief, keine Karte, kein Telegramm. Er versuchte ein
ungläubiges Lächeln und bat den Beamten in fast demütigem Tone, dessen
er sich
gleich schämte, nochmals nachzusehen. Und nun versuchte Alfred, über
die Ränder
der Briefumschläge weg die Adressen zu entziffern, glaubte immer wieder
seinen
Namen in Adelens Schriftzügen zu erkennen, streckte ein paarmal schon
hoffnungsvoll die Hände aus – und mußte immer wieder erfahren, daß er
sich
getäuscht hatte.
Endlich
legte der Beamte
das Päckchen in das Fach zurück, schüttelte den Kopf und wandte sich
ab.
Alfred
empfahl sich mit übertriebener Höflichkeit und fand sich in der
nächsten Minute
halb betäubt vor dem Tore stehen. Klar war ihm nur das eine, daß er
vorläufig
hier festgebannt war und keineswegs nach Wien fahren konnte, ohne
irgend eine
Nachricht von Adelen in Händen zu haben.
Er
fuhr in ein Hotel, nahm
ein Zimmer und warf vor allem die folgenden Worte auf eines der
bereitliegenden
Blankette: »Keine Silbe von dir. Unbegreiflich. Fassungslos. Bin
übermorgen
daheim. Wann kann ich dich sehen? Antworte sofort.« Er setzte seine
Adresse
dazu und gab die Depesche mit bezahlter Rückantwort auf.
Als
er in die schon
abendlich erleuchtete Halle trat, spürte er zwei Augen auf sich
gerichtet; von
einem Lehnstuhl her, eine Zeitung auf dem Knie, ernst, ohne sich zu
erheben,
grüßte ihn der Baron, von dem er auf dem Schiff nur flüchtigen Abschied
genommen hatte.
Alfred
zeigte sich von der
unverhofften Begegnung erfreut, glaubte sogar, es wirklich zu sein, und
machte
dem Baron von seiner Absicht Mitteilung, bis morgen hier zu bleiben.
Der Baron,
der trotz seiner bleichen Wangen und seines fortgesetzten Hüstelns
behauptete,
sich sehr wohl zu fühlen, schlug während des Abendessens vor, gemeinsam
eine
Singspielhalle aufzusuchen, und bemerkte auf Alfreds Zögern hin leise
und mit
gesenkten Wimpern, daß Trauer noch niemanden von den Toten auferweckt
habe.
Alfred
lachte, erschrak
über sein Lachen, glaubte seine Verlegenheit von dem Baron bemerkt und
fühlte
sofort, daß er nichts Klügeres tun konnte, als sich ihm anzuschließen.
Bald
darauf saß er mit ihm in einer Loge, trank Champagner, sah durch Rauch
und
Dunst bei den gemeinen Klängen eines schrillen Orchesters Gymnastiker
und
Clowns ihre Künste und Späße treiben, hörte halbnackte Weiber freche
Lieder
singen und lenkte des schweigsamen Genossen Aufmerksamkeit wie unter
einem
wütenden Zwang auf wohlgeformte Beine und üppige Brüste, die sich auf
der Bühne
zur Schau stellten.
Dann
scherzte er mit einer
Blumenverkäuferin, warf einer Tänzerin, die verführerisch ihre
schwarzen Locken
schüttelte, eine gelbe Rose vor die Füße und lachte auf, als er die
schmalen
Lippen des Barons wie in Bitternis und Ekel zucken sah.
Später
war ihm, als
blickten aus dem Saal unten Hunderte mit böser Neugier ihn an, und als
gälte
das Raunen und Summen ihm allein. Fröstelnde Angst kroch ihm über den
Rücken,
dann fiel ihm ein, daß er ein paar Gläser Champagner allzu geschwind
hinuntergestürzt hatte, und war wieder beruhigt. Er merkte mit
Befriedigung,
daß, während er über die Brüstung gebeugt gewesen, zwei geschminkte
Weiber den
Baron in eine Unterhaltung gezogen hatten, atmete auf, als wäre er
einer Gefahr
entronnen, erhob sich, nickte dem Gefährten wie ermutigend und zu dem
Abenteuer
glückwünschend zu; und bald ging er, allein, durch Straßen, die er nie
gesehen
und niemals wieder sehen würde, irgend eine Melodie vor sich
hinpfeifend und im
Gefühl, eine Traumstadt zu durchirren, in der kühlen Nachtluft nach dem
Hotel
zurück.
Als
er des Morgens nach
dumpfem, tiefem Schlaf erwachte, mußte er sich erst besinnen, daß er
nicht mehr
auf dem Schiff dahinfuhr und daß der weiße Schimmer dort nicht Elisens
Morgenkleid, sondern einen Fenstervorhang bedeutete.
Mit
einer ungeheuren
Willensanstrengung wehrte er eine drohend aufsteigende Erinnerung ab
und
klingelte.
Zugleich
mit dem Frühstück
brachte man ihm ein Telegramm. Er ließ es auf dem
Tablett liegen, solange sich der Kellner noch im Zimmer aufhielt; und
es war
ihm, als verdiente diese Selbstüberwindung irgendwie ihren Lohn.
Kaum
hatte sich die Türe
wieder geschlossen, so öffnete er das Telegramm mit zitternden Fingern,
die
Buchstaben schwammen zuerst vor seinen Augen, plötzlich aber standen
sie starr
und riesengroß: »Morgen Mittag 11 Uhr. Adele.«
Er
rannte hin und her,
lachte durch die Zähne und ließ sich von dem knappen, kalten Ton der
Aufforderung durchaus nicht anfrösteln. So war nun einmal ihre Art. Und
wenn er auch daheim nicht alles fände,
wie er noch vor kurzem gehofft hatte, ja selbst wenn ihm irgendwelche
unangenehme Eröffnungen bevorstünden, was hatte es weiter zu bedeuten?
Er würde
ihr doch wieder gegenüberstehen, im Lichte ihrer Augen, im Duft ihres
Atems,
und so war das Ungeheure nicht vergebens getan.
weiter
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