Das Buch
der
Dreizehn Erzählungen
Ernst
Schur
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Die
Geschichte von der schwarzen Seide
Der
Bewohner des Hauses
rückt ein Bild vor sich, an dem er schon lange mit unendlicher Liebe
und
Sorgfalt malte. Sein Blick ruht mit tiefer inbrünstiger Zärtlichkeit
auf dem
Bilde. Ein hoher Berg hebt sich von dem schwarzen Seidenuntergrund,
dessen Rand
mit breiten Blättern durchstickt ist, ab. Es ist Sonnenuntergang.
Er
taucht den Pinsel ein.
Mit Andacht und Scheu und kindlicher, staunender Fröhlichkeit gleitet
die
Poesie seiner Seele auf die leuchtende schwarze Seide. Die Farben
zittern mit
einer göttlich-ängstlichen Sicherheit auf die Fläche. Zuweilen blickt
er
aufmerksam hinaus, als belausche er etwas. Dann fährt er fort.
Verbessert
Altes. Fügt Neues hinzu.
Es
wurde ein heiliges
Gedicht, empfangen in Sehnsucht und süßem Schauer, ein kostbares,
kleines,
unscheinbares Ewigkeitsgedicht. Der erhabene, unsterbliche Berg
empfängt noch eben die letzten Strahlen, im See
leuchten sie wieder, dann versinkt er in Nacht.
Der
Bewohner des Hauses
weiß: dieses Schauspiel träumen mit mir hundert und aberhundert
Menschen und
alle fühlen es als etwas Stilles und Feines. Als eine Ahnung, die fast
im
Verschwinden ist, mit zarten, furchtsamen Händen muß man sie berühren.
Es
dunkelt schnell, der
Bewohner des Hauses schiebt die Arbeit beiseite. Er sinnt vor sich. Aus
der
Fülle seiner Seele fließen die Gedanken. Absichtslos pinselt er mit
schneller
Hand auf die Matte. Vor ihm liegt es wie ein gesicherter und gehegter
Schatz.
Auch in ihm. Er erhebt sich und stellt das Bild sorgsam in die Ecke.
Der
Bewohner des Hauses
holt seine Bastschuhe, setzt seinen breiten Strohhut auf, steckt seine
Pfeife
und eine Anzahl papierner Tücher vorn in seinen Gürtel.
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