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Literatur 

 
 



 





Das Buch der

Dreizehn Erzählungen

Ernst Schur
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Das Theefest am Hakone-See


Heute abend soll das große, alljährlich wiederkehrende Theefest festlich begangen werden. Man rüstet überall. Jeder müht sich in Gedanken ab, wie er seinen Freunden einen rechten Schabernack spielen will. Lachen und Belachtwerden, das ist die Devise des Festes, das schon allen in den Gliedern spukt. Eine versteckte, übermütige Fröhlichkeit kichert aus jedem Winkel.
 
Der Lärm, der vom Wasser hertönt, wird immer lauter. Das Fest ist in vollem Gange. Das aufsteigende Geräusch der allgemeinen Freude dringt an den Ufern hinauf. Etwas Kleines, Dunkles rumort zu den Füßen der großen Berge. Wer in die vergnügte Menge schaut, die sich in den Kähnen tummelt, lacht, schwatzt, dem ist es wohl wie ein Schatten. Schon kommen einzelne Gäste, aus dem Schwarm sich lösend den Strand hinauf.
 
Dunkle Schatten, tauchen sie auf, ziehen vorbei. Weiße Wipfel wehen im Winde. Schon lange, in einer fernen Weltecke singt eine verlorene Stimme in silbernen Tönen, hell, o hell, strahlt mein einsames, stilles Glück.
 
Lauter tönt der Lärm vom Ufer. Nur ein Ausschnitt des Sees. Huschend verschwindet alles, im Vorbeigleiten, hinter den Zweigen, als wäre es vergessen und ausgewischt. Versunken liegt dahinter die Stadt, im Dunkel des Waldes. Nur selten leuchtet dahinter ein fernes Licht.
 
Eine weiche Stille liegt. Auf dem See tanzt ein lautloses Lichtermeer mit Reflexen und Blicken, verräterisch hierhin und dorthin fallend, aufhellend, schnell wieder bedeckend. Es ist keine blendende, peinigende Helligkeit. Ein matter Ton von Dunkelheit und Schwärze, dahinein mischt sich besänftigend das bunte Licht der Laternen, das gedämpft durch das mürbe Papier dringt.
 
Tiefblau liegt der Himmel, in ewiger Ruhe. Mit silbernen Sternen bedeckt, die im Wasser zittern. Am Horizont: ein einsamer Berg, hochragend, mit schneegekrönter Spitze, vom Monde hell beschienen. Fließend gleitet das weiße Licht des Mondes weiter, überströmt die blühenden Bäume, liegt auf dem Wasser, ertrinkt. Das Geräusch der Feiernden scheint leiser zu werden.
 
Das Geräusch der Feiernden störte zuerst, nun hat es, trotz einzelner lauter Stimmen, die sich herausheben, einen Klang angenommen, der warm, zurückhaltend, wie mit einem schleierhaften Dämmer übergossen ist. Eine einzige Brust scheint diesen weichen, zitternden Ton leisester Sehnsucht und Freude gefunden zu haben und auszuströmen.

Eine einzige Seele scheint diesen berückenden Farbentraum zu träumen. Der Wahrheit ist und doch wie hervorgezaubert von leichten, flatternden Händen und bestimmt, im Nu, wie er gekommen, zu verschwinden.
 
Auf dem Wasser, soweit es sich dem Ausschnitt bietet, liegen lange Streifen vibrierenden, zuckenden Lichts. Striche, wie mit einem flotten, zügellosen Pinsel in Willkür hingesetzt. Schwarz, weiß und violett blinkt das Wasser und tanzt und funkelt in Glätte. Die wohlige, blütengetränkte Luft streicht darüber hin. Die Ampeln über dem Haupte schwanken. Das Geländer läßt ein knarrendes Geräusch hören. Der Gäste werden immer mehr. Es mahnt eine Stimme: erwache.
 
Die Gedanken erheben sich und steigen langsam die Stiege hinab. Im Herzen schlummert ein weher, sehnsüchtiger Gedanke, der nicht ruht. Wünsche erheben sich und pochen noch einmal, mit aller Kraft, aller Verzweiflung, und Wehmut. Und quälen. Die Gäste brechen durch die suchenden Blicke. Die Gedanken wenden sich und gehen am Strande entlang, dem allgemeinen Zuge folgend.
 
Durch die Zweige des Waldes schweben die Lichter, die die Kinder an langen Stöcken tragen, sie schweben wie an unsichtbaren Fäden von oben gehalten, über jedem Kind schwebt ein Licht. Ein gleichmäßiger, gemächlicher, sehnsüchtiger Zug. Ein kleiner Junge trägt mit pfiffigem Gesicht einen Kasten, hinter dessen schwarzen Gitterstäben Mäuse mit klugen Augen sitzen.
 
Andere zeigen Schachteln, in denen sie ihre unendlich kleinen Schnitzereien verborgen haben. Unkenntliche, seltsame Dinge schwenken und schwingen die Scharen in den Händen. Die Frauen hantieren gewandt und zierlich mit ihren Fächern, den sie mit schmalen Fingern halten.
 
Lichtstreifen vom Wasser her durch die Zweige. Eine Strecke durch verborgenen Wald. Wir vergessen die wechselnden Gesichter.
 
Ein lustiger Kauz zappelt im Wasser. Die hellen  Tropfen spritzen bis an Ufer. Den Umstehenden, die auf diesen ergötzlichen Unfall gelenkt sind, ins Gesicht. Auf dem Kahn, der dicht am Strande liegt, ist der Lärm und das Gelächter am größten,. Mit einem Purzelbaum ist er ins Wasser geschossen, gerade gab er sich aufs eifrigste dem Vergnügen hin, die rasche Wendung des Boots nicht beachtend.

Immer lauter ergötzen sie sich an den komischen Anstrengungen des armen Verunglückten. Aus der angenehmsten Beschäftigung ist er plötzlich gerissen, nun schlägt er im Wasser erbittert um sich. Sie bilden einen immer engeren Kreis um ihn. Die Frauen recken ihre schmalen, schlanken Körper hinaus und schleudern ihm Papierpfeile ins Gesicht. Immer toller wird das Spiel.

Musik und Klappern der Theetassen schallt aus einem Theehause, das nicht weit davon liegt. Der Hakone-See liegt in voller Ausdehnung da. Ruhig, still, weit, breiten sich seine Flächen bis zu den einsamsten Fernen.
 
Die Fahrzeuge schieben sich durcheinander, gleiten aneinander vorbei. Es zuckt überall vor Bewegung. Auf jedem Boot führen die Lichter, im Bogen aufgehängt, einen schaukelnden Tanz. Die jungen Mädchen mit den zarten Nuancen ihrer Seidenstoffe geben das empfangene Licht in aufleuchtenden Zacken wieder. Die geschmeidigen Frauen, gelenkig und biegsam, lassen es sich von satteren, kräftigeren Farben abheben.
 
Sie tragen breite Schleifen. Von grüner Seide. Sie leuchtet tief und schwer, wie eine getragene Klage in schwüler Sommernacht, herzzerreißend, jeden Trost abwehrend. Eine leise Hand streicht darüber hin, da steigen knisternd neue Bilder auf, eine verschollene Melodie beginnt zu tönen, Worte, die wir nicht fassen. Daneben leuchtet eine, die ist zart, blaßblau, mit Gold durchstickt.
 
Alle diese eckig weichen, neckenden, lockenden Frauenleiber neigen sich bald hierhin, bald dorthin. Verbinden mit Eigenart und einer sehnsüchtigen Bestimmtheit in allen Stellungen eine schleierverdeckte Grazie. Alle diese eckig-zarten Frauenleiber bieten unter den tanzenden Lichtern einen berückenden Reigen, voll Reiz, voll Süße, voll Andacht. Ferne reihen sich die schweigsamen Bäume aneinander zu einem breiten schwarzen Strich. Zwischen den Stämmen glänzt der Nachthimmel.
 
Da steigen die ersten Raketen in die blaue Luft. Zerplatzen hoch oben in Nacht, in weicher Fülle, bunten Schein ausstrahlend. In stillem Dunkel liegen die seitlichen Höhenzüge, während des ganzen Festes.
 
Des Jubels, des Lachens kein Ende. Neue Überraschungen, neues Staunen.
 
All die tausend Farben gleiten blitzend und aufleuchtend in das dunkle, tiefe Wasser, und versinken. Das plätschert dazu in gleichem, leisem Tonfall, um die Boote. Fernhin spannt sich über das Wasser in leichtem Bogen eine hohe Holzbrücke.
 
Über die Brücke ergießt sich der Strom der Menschen in langen, nicht unterbrochenen Zügen. Vielfarbig leuchten die Gewänder. Wie wandelnde, tanzende Flocken. Dicht und schwer. Im einzelnen wie leichtes Flimmern.
 
Der alte Mondhase läßt seine silbernen Lichter zucken und zirren, zwinkert vergnügt mit zusammengekniffenen Augen. Einsam liegt der Berg im Schmuck seiner weißen Nachtkappe.
 
Lebendiger, mannigfaltiger strahlt das alles, untertauchend in zackigen, fließenden Umrissen wiedergegeben aus dem Hakone-See hervor.
 
Ein weiter, starker Arm umschließt das alles.

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Aus dem Theehaus am Wasser tönt Schwatzen heraus und Lärmen und das Stimmen von Instrumenten. Das Theehaus liegt allein und verlassen. Immer scheint es eine eigene Existenz abseits für sich zu führen.
 
Berührt jemand die Stufen, um einzutreten, so hampeln und gaukeln die Laternen hin und her, wie zu einer Begrüßung, als  gäbe es nun ein Geheimnis zu offenbaren, sie flüstern etwas Unentdecktes in das lauschend gespannte Ohr.
 
Das stille Licht liegt voll auf der ersten Stufe, ein langer Streifen geht bis zum Boden hinunter, den Rand des folgenden nur berührend, nur schmal streifend. Wenn sich die Lichter durch das Dunkel schaukeln, bewegt sich der Streifen am Boden hin und her, in gleichmäßiger Bewegung. Es hat den Anschein als lebte er für sich.
 
Du setzt dich auf eine Matte, dicht an der Brüstung und rückst einen niedrigen Tisch zu dir heran. Du fühlst, wie die Luft des Wassers zu deiner Einsamkeit heraufsteigt. Wie die Lichter über deinem Haupt die gleiche Stille tragen wie der weite, dunkle See.
 
An den Ufern des Sees, der nah vor dir liegt, nicken die grauen Strohbinsen. Still bewegt sie der Wind, sie lassen im Winde ein gleichmäßig tönendes, ruhiges, sausendes Geräusch hören, das sich um dein ganzes Denken und Sinnen legt.
 
Unter dem Dach, das bis über die Plattform hinausragt, mit seiner lastenden Schwere das Haus hält, befindet sich ein niedriges Thor. Nach einer Weile öffnet sich das Thor. Eine einsame Gestalt erscheint und fragt nach deinem Begehr.
 
Als Fremdling fühlst du dich, der Einlaß begehrt. Ruhe und Stille und Tiefe ist alles um dich, weithin. Das Schwatzen und Lärmen und Stimmen der Instrumente ist leiser geworden, es gehört hierher, es winkt dir unerklärliche Beruhigung mit seinen dunklen verschollenen Lauten.
 
Du wirst nie erfahren, wie es war. Hinter dies Geheimnis wirst du nie dringen. Auch wenn du die Thür öffnetest, auch wenn alles offen vor dir läge und du hineinsähest wie in einen leuchtenden Schacht, du würdest es nicht begreifen. Ewig verschlossen wird es dir bleiben. Du würdest es nicht sehen.



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