Das Buch
der
Dreizehn Erzählungen
Ernst
Schur
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Die
Blätter, die von Sogoro und Usuyuki handeln
I.
Usuyuki
trat ins Freie. Aus
dem niedrigen Thor trat sie ins Freie.
Usuyukis
Reiz war von jener
bestrickenden Art, der im einzelnen nicht zu finden ist. Man weiß
nichts zu
nennen an ihr, was besonders schön, besonders reizvoll, besonders
eigenartig
ist. Es ist das ganze, was sie so anziehend macht. Die Vollkommenheit
durchbildeter, kultureller Feinheit und Grazie. Etwas nicht zu
Beschreibendes,
das über der ganzen Gestalt liegt, nichts durch auffallende Schönheit
hervortreten läßt, alles wie unter dem Gesichtspunkt einheitlicher
Harmonie
ordnet.
Usuyuki
war wie ein
Kunstwerk, das man in die Hand nimmt und an dem man sich dann nicht
satt sehen
kann. Wollte man den Eindruck umschreiben und andeuten, den man von ihr
empfing, man müßte es eckige, schmeichelnde, bizarre, lockende,
ungezogene,
eigenwillige Grazie und Anmut nennen. Das war das, war das
Verführerische an ihr. Darum war sie
am entzückendsten in der Bewegung. Wenn sie ging, bald hier, bald da
etwas
aufhebend, einräumend, so immer schönere, reizvollere Linien bot. So
war sie am
schönsten, wenn sie leicht den Arm hob, Thee in die Tasse goß.
An
Usuyuki ist alles
duftend und Hauch. Wozu sind die Blüten in allen Jahreszeiten, die
ihren Zauber
ausgießen über das Land, daß es aussieht wie Glück und Wonne,
überall?Wozu
sonst die Schönheit der Landschaft in ihren wechselnden,
tausendfältigen Farben
und Reizen? Wir finden uns nicht heraus. Usuyuji kommt uns wie ein
heißes
Rätsel vor. Entzückt zittert unsere Stimme. Und betet. Wir ergehen uns
in
angenehmen Betrachtungen.
Usuyukis
Haar ist schwarz,
ein warmes, tiefes Schwarz. Zu mehrfachen Knoten und Rollen trägt sie
es
aufgesteckt, die von kostbaren Nadeln gehalten werden. Sie hat kluge,
lächelnde, innig verstehende Augen, braune Augen.
Mit
den Farben des Kleides
stimmt die lässige Mattheit ihres Wesens, ihres Körpers überein. Die
dominierende Nuance ist: matt. Darunter schlummern die einzelnen
Farben.
Mattschwarz das Kleid. Über und über mit Blüten in zarter Seide
bestickt. Der
breite Gürtel, der die schmalen Hüften umschlingt, zeigt eine matte
Farbe, aus
grau, rosa, lila gemischt. Usuyuki ist Dienerin in einem kleinen,
abgelegenen
Theehaus.
Wer
Usuyuki erblickt, ist
begreiflicherweise entzückt. Ab und zu scheint sie es weniger zu sein.
Dann
sieht sie den Ankömmling zuerst mit mürrischer Gleichgültigkeit an. Sie
tritt
heran. Und bald hat sie ihre schmeichelnde, sich mitteilende Stimmung
wiedergefunden. Ihr Reiz liegt in einer ewig wechselnden Linie. Für den
einsamen Gast ist sie eine Kostbarkeit ohne gleichen. Lieblich und
bestrickend
sieht sie dich an, lacht dich an, das Gespräch will kein Ende nehmen,
wird nur
unterbrochen, wenn Usuyuki von neuem die Tasse füllt.
Die
Lampions hilfst du ihr
richten und in die Reihe hängen. Du bist von der Offenbarung ihrer
Grazie
hingerissen und vergißt die Lampions heraufzureichen. Dann schilt sie.
Ist das
Geschäft beendet, dann nimmst du die Zarte, die durch die neckende
Leichtigkeit
ihres Wesens noch berückender geworden, behutsam und hebst sie zur
Erde, dann
lacht ihr wohl beide. Und wenn du ihr mit Sorgfalt die Schärpe wieder
zurecht
rückst, fühlst du die prickelnde Beweglichkeit ihres Körpers.
Still
umgiebt dich die
Nacht. Dunkel verliert sich der Himmel bis auf die Ufer hinab. Der
Strand
gegenüber in weiter Ferne, wie ein Strich, angedeutet durch ein
träumendes
Licht. Aus der tiefen Ruhe spinnen sich neue, webende, glitzernde
Fäden,
tauchen empor, flirren zuerst wohl noch vor den Augen. Dann stehen sie
ruhig,
in ewiger, seltsamer Größe und Schönheit. Ein ungekanntes Meer, auf dem
das
Auge zum ersten Male ruht.
Eine
Quelle aus der unsere
Lippen zum ersten Male trinken, ein Duft, der aus anderen Welten
strömt, ein unendliches
Grab, in das du dich stürzen möchtest.
Wie
eine Hand, die aus der
Ferne winkt.
II.
Sogoro
hatte eine Zeit lang
geschwiegen, er griff nach seiner Tasse, die bis dahin neben ihm
gestanden. Sie
war verschwunden, dank der Fürsorge Usuyukis, die stumme Betrachtungen
für ganz
überflüssig hielt und es daher als ihre streng zu beobachtende Pflicht
erachtete, diese auf alle Weise zu zerstören.
Es
entspinnt sich ein
Streit. Usuyuki hatte die Tasse mit einer schnellen Bewegung unter den
mächtigen
Strohhut des ehrenwerten Sogoro geschoben, er lag in einiger Entfernung
auf dem
Stuhl.
Sogoros
Gemüt konnte seinem
bescheidenen Strohhut derlei Extravaganzen nicht zumuten. Es dauerte
eine
Weile, ehe er wieder zu seinem Thee kam. Um weiteren Boshaftigkeiten
vorzubeugen,
stülpte er seinen Hut auf und spült zur Bekräftigung einen langen
Schluck des
heißen Getränks kräftig hinunter. Usuyuki entschließt sich kurz,
ergreift den
Strohut und eilt hinweg.
Sogoro
spring auf, folgt
ihr, so geht es eine Weile, hin und her, das alte Haus wackelt und
knarrt, die
Matten stäuben knisternd. Sogor entdeckt Überraschungen.
Usuyuki
verliert ihre
Körperlichkeit, wenn Usuyuki schnell zu entfliehen trachtet, verliert
sie ihre
Körperlichkeit. Wird leichter wie Luft und Hauch. Sogoro vergleicht
ihre schlanke
Zartheit mit einer Schilfblume, die im Winde sich bewegt, sich hin und
her
bewegt, mit der geschmeidigen Biegsamkeit des Bergrebs. Sogoro findet,
daß
Usuyuki Farbe, Linie, Bizarrerie, Sehnsucht, Duft, Bewegung ist. Sogoro
meint
im Geist: sie war verirrt und nun ist sie wieder gefunden.
Sogoro
ist ihr schon nahe.
Da greift sie rasch in die Höhe, pflückt einen hellen, blühenden Zweig
vom
Baum, den sie dem Anstürmenden zur Abwehr entgegenhält. Der ergreift
ihn
übermütig. Schüttelt ihn strahlend über Usuyuki. Die weißen, die rosa
Blüten
rieseln auf sie hinunter, an ihr hinab. Sie sucht die fallenden Blätter
zu
fangen, die weichen. Der Herbst naht. Blüten liegen am Boden.
Die
Stimme einer Alten ruft
aus dem Hause. Usuyuki will sich losreißen und folgen. Sogoro hält sie.
Sie
entwindet sich, wirft ihm eine ganze Handvoll der erhaschten Blüten ins
Gesicht
und lacht glücklich. Usuyuki steht auf der Treppe und will im Innern
verschwinden. Schon greift sie in das zierliche, metallgeschmückte Loch
an der
Seite der Thürwand. Sie wendet sich noch einmal und sieht Sogoro an. In
ihrem
Blick liegt all ihre Grazie und lockende Hingebung.
In
schlanken Linien biegt
sich der Körper. Sie nestelt an der breiten Schärpe, nickt Sogoro zu,
heiter,
beglückt. Es scheint, als flüsterte der ein wenig vorgebeugte
Oberkörper Sogoro
zu.
Sogoro
steht mit erstaunten
, kindlich verzückten Blicken, er ist entzückt und berauscht. Sogoro
liebt nun
die reizende Usuyuki, er liebt sie, als ob sie eins jener kleinen
Kunstwerke
wäre, mit unendlicher Zärtlichkeit verfertigt, die zu berühren man sich
scheut,
von dem sich Ströme tiefsten Empfindens loslösen. Sogoro liebt die
zarten,
schmalen Finger, die lebhaft hin und her spielen. Er liebt die kleinen
Füße,
die leicht wallende Seide zuweilen freigiebt. Er liebt das weiche,
schwarze
Haar, das so warmen Duft ausströmt und ihm so voll unsagbaren Reizes
scheint.
Usuyuki
trägt es mit
unnachahmlicher Feinheit.
Er
liebt mit derselben
Frische und Überraschung, mit derselben reichen Freude und Inbrunst
alles
einzelne an ihre. Er liebt ihre Spangen, er liebt ihre Nadeln, er liebt
ihre
sehnsüchtigen, braunen Augen, ihre feine, zierliche Nase. Er liebt die
mattfarbigen, eigenwilligen Stoffe, die sie trägt, in denen er sein
Antlitz
bergen möchte in sehnsüchtigen Stunden, er liebt den Duft und die
schmiegsame
Strenge und die flüsternde Lieblichkeit ihres Körpers, ihr
empfindungsverschleiertes Antlitz, ihre biegungsreiche Geschmeidigkeit,
all
ihre tiefen und heiligen Reize, die so wundersame Empfindungen in ihm
wecken.
Sogoro
kniet vor Usuyuki
und beugt seine Wünsche, trägt seine Gedanken vor ihre Ewigkeit.
Hinter
den Thüren die
Stimme eines, der sich entfernt. Der verscheuchte Tritt eines Wanderers
liegt
auf der Schwelle. Über den ewigen Feuern schlummert der Rauch.
Die
heilige
Theegesellschaft ist beisammen. Die üblichen, feierlichen, einleitenden
Ceremonien sind beendet. Das Gespräch nimmt einen ungezwungenen
Charakter an.
Man reicht den Theebehälter herum, die Kanne, das zum Einwickeln dieser
Gegenstände bestimmte kostbare Seidentuch. Es sind alles seltene Stücke
aus
alter Zeit. Sie erregen wie immer Bewunderung und Entzücken.
Der
See liegt still in der
Tiefe. Manch ruhiger Blick schweift wohl mit befriedigter Begeisterung
hinunter, über die Fläche, bis zu den fernen, grünen Höhen. Die weißen
Blätter
sind gefallen. Schon kann man in stiller Nacht den melodisch-wehmütigen
Ruf des
Nachtkuckucks vernehmen, der beim bleichen Schein der Mondsichel über
die
erblühenden Orangebäume fliegt.
Da
geht unter den Freunden
von Hand zu Hand ein kleines Blatt,auf mattlila Seide geheftet. Ein
Mädchen
darstellend, das, im Weggehen begriffen, noch einmal sich umwendet.
Unter
Sogoros huschender Künstlerhand war es ein zartes Gedicht geworden, das
die
zitternde Begeisterung seiner Freunde weckte. „Dienerin im Theehaus“
war das
Bildchen betitelt.
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