Die
Geschichte eines Herbstabends
- eine Flüstergeschichte
I.
In
einem entlegenen Winkel
wars, abgelegen vom schrillen Verkehr, eine stille Gegend, am Walde,
ein träumendes Dorf.
Sinnende
Dächer mit warmen
Lichtern. Es war die Zeit des ersten Herbstes, der die jungen,
erfrischenden
Schwingen über ausgedörrte Sonnenfelder breitet. Aufatmen rings und ein
neues
Erwachen.
Es
war die Zeit der
strahlenden Nächte, wo die Sterne klar und hell leuchten, als hätten
sie ein
ewig sieghaftes Geheimnis zu künden. Und jede Farbe erhält einen
seltsamen,
dunklen Schimmer. Die Abende sind nicht mehr drückend und lasten auf
müden
Sinnen.
Es
war die Zeit, wo die
Blüten des Frühlings, des Sommers gefallen. Etwas Neues tröstet.
Die
Blüten der
Glycinen entfalten sich in langen Trauben, matt, weiß, lila; mit
bläulichem
Duft, sie fegen den Spiegel des Teiches. Noch eine Weile, und der
Kuckuck der
Berge läßt seinen ersten süßen Sang im Garten er-schallen.
II.
Wenn
der Tag sich zum Abend
neigt, dann legt der sinkende Schein der Sonne eine braune rötliche
Luft um die
Dinge. Sie ist zart und scheint die Berührung mit den körperlichen
Gegenständen
zu scheuen. Sie liegt nur wie ein weicher Duft, wie ein feiner,
verwehter Staub
und tastet über alles hin, als nahe sie auf leisen Zehen, und doch
dringt sie
überall hin, und alle Farben scheinen sich ihr freudig hinzugeben und
gehen in
ihr auf. Sie gleitet schonend heran und verschlingt sie.
Im
Zimmer webt eine warme,
braunrot gefärbte Luft, voller Entsagung und wollüstiger Freude, sie
liegt auf
den Matten, den zierlichen Bastschränken, umhüllt die bronzenen Vasen
mit ihren
Blumen und dringt in die fernste, stillste Ecke. Da weilt sie besonders
gern.
Da werfen die letzten Strahlen wohl auch goldene getupfte,
unregelmäßige
Flecken hinein. Wenn du sie ansiehst, scheinen sie aus einem tiefen
Traum
erstaunt zu erwachen. Sieh nicht hinein, ihre Gedanken sind schwer und
bluten
so tief.
So
weich ist alles, es
lockt zum Versenken, zum stillen Sitzen, zum Denken, zum Dämmern.
Gleich einer
Ahnung steigt es in dir auf, die sich langsam deiner bemächtigt, und
dann durch
die Seele zieht als ein vertrautes Geheimnis, das nur schlummerte.
Tief
steht die Sonne, sie
trägt einen dünnen Schleier. Erhaben, klar. Ihre Strahlen blenden
nicht, wenn
du hineinsiehst. Sie ist wie ein Weib, das in nackter, schwerer
Schönheit und
Pracht steht, ein stolzes, entsagungsreiches Weib. Ein Mann kniet in
Andacht,
auf seiner Stirn lastet die erschaffene Welt, auf seinem Antlitz betet
eine
heiße Seligkeit und Angst, doch um die Lippen des Weibes liegt ein
Lächeln.
Die
Sonne lockt nicht mehr,
sie ist unabänderlich, sie giebt die Empfindung des Großen, sie ist die
Wahrheit, die in sich ruht. Und sie will sinken.
Wenn
du mit tiefen Augen
dich in die Sonne tauchst und die Lider darauf senkst, schweben
goldgelbe Ringe
vor den geschlossenen Blicken, mit roten Rändern, sie tanzen und senken
sich,
sie kommen näher und näher. Und wenn sie ganz nahe sind und du sie
greifen
möchtest, verblassen sie, werden matt, blau, grau und schwinden, eins
nach dem
andern, lautlos, immer kleiner.
Nun
öffnest du die Augen
und siehst in die klare Weite umher. Wunderbar, denkst du, wie ruhig
und groß
und ohne Schleier, wie klar das alles vor dir steht.
III.
So
süß ist ein solcher
Herbstfrühabend, hellbraun und zart, mit lächelndem Schmerz. Er dringt
in die
Seele und pocht an Vergessenes. Er zieht den Schleier langsam von dem
Verhüllten. Ein solcher Abend versteht alles, legt seine liebenden Arme
um
alles. Ruhig und stetig geht der Atem der Ewigkeit, hörst du das
langsame
Wallen und Pochen?
Die
allumfassende
Ruhexistenz beginnt zu leben. Das zwiefache, doppelte Dasein erwacht in
den
Tönen der Luft. Der Körper schwindet. Es beginnt das wesenlose, neue
Leben.
So
süß ist ein solcher
Herbstfrühabend, milde und stark und neu, es klingen versunkene Lieder,
begrabenes Wünschen, tiefe, stille, selige Ewigkeit, sie ruhten in
ihren Särgen
und streichelten die Köpfe ihrer Toten. Horch, da gebiert sich ein
neues
Wünschen.
So
klingt die ewige Melodie
eines Herbstfrühabends. Seltsam. Tiefruhig. Allwissend, Helles, lichtes
Blau am
Himmel. Darunter helles Braun und die Sonne setzt golden und brausend
zum
letzten Akkorde ein. Strahlende Wellen gehen von ihr aus über die
Fläche.
So
süß ist ein solcher
Herbstfrühabend
voll
Kraft
Schönheit
Stärke.
IV.
Es
war an einem dieser
Abende, da fielen die Strahlen breit und schwer in ein kleines Haus,
das am
Abhang liegt, von hängenden Büschen beschattet.
Wenn
der Wind die Büsche
bewegt, schaukeln und schwanken die Zweige über dem spitzen Dach und
schauen
neugierig in das Innere der Gemächer, eins, zwei, eins zwei, auf und
ab, in
langsamem Takt, mit stillen Pausen.
Die
Wärme der
Sonnenstrahlen ist nicht mehr fühlbar, nur für das Auge sind sie noch
da, sie
spazieren durch das Grün der Bäume, schlagen Purzelbäume zwischen den
Blättern
hindurch und langen allmählich, in seltsamen Gestalten und Visionen
wechselnd,
in das offenliegende Gemach.
Das
Rohr des Hauses ist
durch den Gebrauch, durch das Wetter leicht gebräunt, von
herabrieselnden
Blättern, die über das Dach fielen, ab und zu verdeckt. Blätter liegen
bis in
das Gemach hinein, in der einsamsten Ecke, an der hinteren Wand liegen
zwei
still für sich. Streicht der Wind vergessen vorbei, so führen sie einen
leisen
Tanz auf, haschen sich, huschen aneinander vorbei, stürzen
übereinander,
stellen sich gegenüber und nicken ernsthaft und träumend und komisch,
immer
zwischen den Goldflocken hindurch, wie kleine Gespenster, wie Puppen,
die
plötzlich Leben bekommen. Da läßt der Wind nach. Im Nu hat das
Zauberspiel
aufgehört.
Weiter
Tote Ruhe. Und der
Wind beginnt von neuem und fächelt und streicht durch die Rohrstäbe.
Die
seufzen. Beinahe unhörbar. Überall liegt ein warmes, gütiges Gelb,
hüllt alles
ein, umfließt alles.
V.
Aber
der Wandschirm mit dem
goldgestickten Sagenvogel auf schwarzem Samt, der ist guter Dinge und
seufzt
nicht; ihn scheint das alles nicht zu kümmern. Bei ihm steht auf
geschnitztem
Kasten ein glänzender Spiegel in dunkler Einfassung mit goldbronzierter
Lackmalerei,
Schilderungen aus romantischer Heldenzeit.
Die
Ecke gegenüber schmückt
ein zweiter Wandschirm, darüber befindet sich ein Ständer für Blumen.
Blumen,
Zweige, Blüten sind über den Wandschirm von Künstlerhand verstreut, auf
blasser
Seide. Am Boden liegen in zierlicher Unordnung mannigfache
Toilettengegenstände, geschnitzte Nadeln, bemalte Kämme, Fächer,
unnützes
Spielzeug. Daneben steht ein offenes Kästchen.
Wohlthuend
und gleichgültig
liegt die goldene Hülle überall. Ein Blatt fällt hin und wieder von
außen
herein oder gleitet vorbei am Rande, hinunter, oder wird nachträglich
wieder
als ein unwillkommener Eindringlich hinausgefegt.
Eine
Zeit lang ist es
still. Nur die Luft geht ruhig. Sie webt ein stilles Tönen, ihr Tönen
ist ein
blasses Blau über versunkenen Tiefen. Es scheinen unterdrückte
Klagelaute
langsam zu erwachen, ein Hoffen ist im Verwehen, ein stilles
Dulden ist das Weitergehen. Lustig zirpt im
Gras vor dem Hause etwas in die Luft, in die Welt hinaus. Unter grünen
Gräsern
dringt das Geräusch versteckt hervor. Es verstummt für eine Zeit. Da
hört man
von ferne, verhallend, den schmelzenden Sang der Uguis. Weiter, und
weiter
entfernt sich der Klang. Nun tönt er nur noch wie ein schmerzlicher
Wiederhall.
VI.
Während
es rings zirpt und
klingt, beginnen die Gerätschaften im Zimmer ein loses Gespräch. Die
Wandschirme nicken sich zu, sie sind bemüht, den Spiegel zum Reden zu
bringen.
Der sinnt über etwas nach, er will nicht plaudern. Doch nicht lange
hält er
stand. Bald ist er mitten im Gespräch. So wird es eine Geschichte ohne
Zusammenhang, ein loses Gespräch, voller Frechheiten und unschuldiger
Lasterhaftigkeiten. Wie tanzender Sonnenschein auf Herbstblättern.
Es
ist wie der Schlußsatz
einer Ouvertüre. Ohne Lärm. Leise. Verhallend. Alles überläßt sich den
eigenen
Gedanken. Da fangen nun die Geräte an zu plaudern. Unbewußt hört man
einzelne
Töne. Unzusammenhängend. Leise, ganz leise. Ein ganzes Orchester. Mit
Samt sind
die Instrumente umwickelt, einzelne mit Seide. Sie klingen schärfer.
Dann ist
es, als müßte sich nun ein Vorhang allgemach heben. Oder auch senken.
Ein
Zusammenklang ist die
Rede. Feine Instumente, die zierliche, hüpfende Töne geben. Nur
zuweilen hält
ein ernster Grundton lange aus. Auf ihm schaukeln sich die leichten und
führen
ein neckisches Spiel auf.
Eine
Schelmerei. Voll
Weisheit und Tücke und Tiefe. Darüber liegt nun der warme Schein des
Herbstabends. Wechselnd. Bunt. Vieldeutend. Wie der Schlußsatz einer
verheisungsvollen Ouvertüre ist es.
Die
Worte, woher kommen
sie? Ist es der Schirm, der so lose spricht? Ist der Spiegel eben mit
Bosheiten
gekommen? Hat das Kästchen eben eine resignierte Wahrheit
ausgesprochen?
Dazwischen Pausen und leises Geschwirre. Undeutlich. Nur für die
feinsten Ohren
vernehmbar. Nun reden die kleinen und kleinsten Gerätschaften, sie
summen die
Begleitung, ohne Sinn, ohne Grund, ohne Bedeutung.
Es
ist wie ein Ballett. Mit
hängenden Zeichen und Erkenntnissen. Vorbeihuschend. Untertauchend.
Zuweilen
steigen die Worte auf, lautlos. Wie schillernde Seifenblasen.
Verschwinden.
Zerplatzen geräuschlos.
So
geht dies Schwatzen und
klingen eine Weile: da zieht es sich zu langen Tönen. Langsame Wogen,
die breit
heranrollen. Leise aufschlagen. Wieder zurückfließen. Tief und wuchtig.
Versonnene Worte. Mitunter wie Verse. Wie gleitende Strophen. Worte,
die man
vor sich hinspricht, ohne zu hören, für niemand bestimmt. Es ist nur
ein Klang,
der verfliegt.
Wirr.
Durcheinander.
Übereinander. Hochkomisch und reizvoll. Von hängenden Blüten. Koketten
Blicken.
Lockenden Schmerzen. Von Liebe. Von Toilette. Von einer übermütigen
Herrin. Und
der warme Wind des Herbstabends weht nun in das Zimmer und wiegt die
Worte hin
und her.
V.
Stiller
will es werden. Man
fühlt es. Allmählich kommen letzte Wellen. Ganz stille. Eine lange
Pause.
Sieh
dich um! Es ist, als
wären die Geräte langsam entschlafen. Ein Schleier scheint über ihr
Dasein
gezogen. Reden nicht mehr. Summen nicht mehr. Ganz still. Eine lange
Pause.
Eine
lange Pause.
IV.
Die Sonne will verschwinden. Die Luft regt sich nicht. Zwischen
Tag und Abend. Zwischen Leuchten und
Versinken. Und Wiedererwachen. Wiederauferstehen. Zwischen Freude und
Schlaf.
Die große Stille vor dem Schlaf. Die gespannte Erwartung.
Es
ist ein lautloses Ringen
und Kämpfen. Kraft und Sehnsucht hat der eine Gegner schon verloren.
Seinen
Sieg giebt er auf. Langsam sinkt er, senkt sich selbst ins Vergessen.
Schritt
für Schritt zurückgedrängt. Schwer bluten seine Wunden. Titanenhaft.
Fließen in
weiten Strömen über die Welt. Blutigrot steht der Himmel.
III.
Die
Farben gehen in ein
gleiches Grau über. Wie in einem Wandelbild vollzieht sich der Wechsel.
Huschende Schatten steigen aus dem Thal der Vergessenheiten. Eine
beklommene
Erwartung klagt um Entschwundens und fürchtet, mehr zu verlieren.
II.
Die
Wünsche werden begraben.
Sie geben sich hin, scheinen zu schlummern. Sie wissen, es währt nur
ein
Kleines, da werden sie neu geboren, in anderer Gestalt. Ein großes
Erwachen
träumen sie, wo alle Seltsamkeiten Leben gewinnen und alle Hoffnungen
wieder
auferstehen, wo sie selbst mit leuchtenden Augen im Dunkel wandeln
werden.
Es
quillt aus dem Schacht.
Tausend neue Mächte überfließen den Schein. Träumerisch schweben die
Lichter.
Alles
ruht.
I.
Abend.
Nacht.
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