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Literatur

 
  












Das Buch der

Dreizehn Erzählungen

Ernst Schur
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Die Geschichte eines Herbstabends
- eine Flüstergeschichte

I.

In einem entlegenen Winkel wars, abgelegen vom schrillen Verkehr, eine stille Gegend, am Walde, ein träumendes Dorf.
 
Sinnende Dächer mit warmen Lichtern. Es war die Zeit des ersten Herbstes, der die jungen, erfrischenden Schwingen über ausgedörrte Sonnenfelder breitet. Aufatmen rings und ein neues Erwachen.
 
Es war die Zeit der strahlenden Nächte, wo die Sterne klar und hell leuchten, als hätten sie ein ewig sieghaftes Geheimnis zu künden. Und jede Farbe erhält einen seltsamen, dunklen Schimmer. Die Abende sind nicht mehr drückend und lasten auf müden Sinnen.
 
Es war die Zeit,  wo die Blüten des Frühlings,  des Sommers gefallen. Etwas Neues tröstet. Die Blüten der Glycinen entfalten sich in langen Trauben, matt, weiß, lila; mit bläulichem Duft, sie fegen den Spiegel des Teiches. Noch eine Weile, und der Kuckuck der Berge läßt seinen ersten süßen Sang im Garten er-schallen.

II.

Wenn der Tag sich zum Abend neigt, dann legt der sinkende Schein der Sonne eine braune rötliche Luft um die Dinge. Sie ist zart und scheint die Berührung mit den körperlichen Gegenständen zu scheuen. Sie liegt nur wie ein weicher Duft, wie ein feiner, verwehter Staub und tastet über alles hin, als nahe sie auf leisen Zehen, und doch dringt sie überall hin, und alle Farben scheinen sich ihr freudig hinzugeben und gehen in ihr auf. Sie gleitet schonend heran und verschlingt sie.
 
Im Zimmer webt eine warme, braunrot gefärbte Luft, voller Entsagung und wollüstiger Freude, sie liegt auf den Matten, den zierlichen Bastschränken, umhüllt die bronzenen Vasen mit ihren Blumen und dringt in die fernste, stillste Ecke. Da weilt sie besonders gern. Da werfen die letzten Strahlen wohl auch goldene getupfte, unregelmäßige Flecken hinein. Wenn du sie ansiehst, scheinen sie aus einem tiefen Traum erstaunt zu erwachen. Sieh nicht hinein, ihre Gedanken sind schwer und bluten so tief.
 
So weich ist alles, es lockt zum Versenken, zum stillen Sitzen, zum Denken, zum Dämmern. Gleich einer Ahnung steigt es in dir auf, die sich langsam deiner bemächtigt, und dann durch die Seele zieht als ein vertrautes Geheimnis, das nur schlummerte.
 
Tief steht die Sonne, sie trägt einen dünnen Schleier. Erhaben, klar. Ihre Strahlen blenden nicht, wenn du hineinsiehst. Sie ist wie ein Weib, das in nackter, schwerer Schönheit und Pracht steht, ein stolzes, entsagungsreiches Weib. Ein Mann kniet in Andacht, auf seiner Stirn lastet die erschaffene Welt, auf seinem Antlitz betet eine heiße Seligkeit und Angst, doch um die Lippen des Weibes liegt ein Lächeln.

Die Sonne lockt nicht mehr, sie ist unabänderlich, sie giebt die Empfindung des Großen, sie ist die Wahrheit, die in sich ruht. Und sie will sinken.
 
Wenn du mit tiefen Augen dich in die Sonne tauchst und die Lider darauf senkst, schweben goldgelbe Ringe vor den geschlossenen Blicken, mit roten Rändern, sie tanzen und senken sich, sie kommen näher und näher. Und wenn sie ganz nahe sind und du sie greifen möchtest, verblassen sie, werden matt, blau, grau und schwinden, eins nach dem andern, lautlos, immer kleiner.
 
Nun öffnest du die Augen und siehst in die klare Weite umher. Wunderbar, denkst du, wie ruhig und groß und ohne Schleier, wie klar das alles vor dir steht.


III.

So süß ist ein solcher Herbstfrühabend, hellbraun und zart, mit lächelndem Schmerz. Er dringt in die Seele und pocht an Vergessenes. Er zieht den Schleier langsam von dem Verhüllten. Ein solcher Abend versteht alles, legt seine liebenden Arme um alles. Ruhig und stetig geht der Atem der Ewigkeit, hörst du das langsame Wallen und Pochen?
 
Die allumfassende Ruhexistenz beginnt zu leben. Das zwiefache, doppelte Dasein erwacht in den Tönen der Luft. Der Körper schwindet. Es beginnt das wesenlose, neue Leben.
 
So süß ist ein solcher Herbstfrühabend, milde und stark und neu, es klingen versunkene Lieder, begrabenes Wünschen, tiefe, stille, selige Ewigkeit, sie ruhten in ihren Särgen und streichelten die Köpfe ihrer Toten. Horch, da gebiert sich ein neues Wünschen.
 
So klingt die ewige Melodie eines Herbstfrühabends. Seltsam. Tiefruhig. Allwissend, Helles, lichtes Blau am Himmel. Darunter helles Braun und die Sonne setzt golden und brausend zum letzten Akkorde ein. Strahlende Wellen gehen von ihr aus über die Fläche.

So süß ist ein solcher Herbstfrühabend
voll Kraft
Schönheit
Stärke.

IV.
 

Es war an einem dieser Abende, da fielen die Strahlen breit und schwer in ein kleines Haus, das am Abhang liegt, von hängenden Büschen beschattet.
 
Wenn der Wind die Büsche bewegt, schaukeln und schwanken die Zweige über dem spitzen Dach und schauen neugierig in das Innere der Gemächer, eins, zwei, eins zwei, auf und ab, in langsamem Takt, mit stillen Pausen.
 
Die Wärme der Sonnenstrahlen ist nicht mehr fühlbar, nur für das Auge sind sie noch da, sie spazieren durch das Grün der Bäume, schlagen Purzelbäume zwischen den Blättern hindurch und langen allmählich, in seltsamen Gestalten und Visionen wechselnd, in das offenliegende Gemach.
 
Das Rohr des Hauses ist durch den Gebrauch, durch das Wetter leicht gebräunt, von herabrieselnden Blättern, die über das Dach fielen, ab und zu verdeckt. Blätter liegen bis in das Gemach hinein, in der einsamsten Ecke, an der hinteren Wand liegen zwei still für sich. Streicht der Wind vergessen vorbei, so führen sie einen leisen Tanz auf, haschen sich, huschen aneinander vorbei, stürzen übereinander, stellen sich gegenüber und nicken ernsthaft und träumend und komisch, immer zwischen den Goldflocken hindurch, wie kleine Gespenster, wie Puppen, die plötzlich Leben bekommen. Da läßt der Wind nach. Im Nu hat das Zauberspiel aufgehört.
 
Weiter Tote Ruhe. Und der Wind beginnt von neuem und fächelt und streicht durch die Rohrstäbe. Die seufzen. Beinahe unhörbar. Überall liegt ein warmes, gütiges Gelb, hüllt alles ein, umfließt alles.


V.

Aber der Wandschirm mit dem goldgestickten Sagenvogel auf schwarzem Samt, der ist guter Dinge und seufzt nicht; ihn scheint das alles nicht zu kümmern. Bei ihm steht auf geschnitztem Kasten ein glänzender Spiegel in dunkler Einfassung mit goldbronzierter Lackmalerei, Schilderungen aus romantischer Heldenzeit.
 
Die Ecke gegenüber schmückt ein zweiter Wandschirm, darüber befindet sich ein Ständer für Blumen. Blumen, Zweige, Blüten sind über den Wandschirm von Künstlerhand verstreut, auf blasser Seide. Am Boden liegen in zierlicher Unordnung mannigfache Toilettengegenstände, geschnitzte Nadeln, bemalte Kämme, Fächer, unnützes Spielzeug. Daneben steht ein offenes Kästchen.
 
Wohlthuend und gleichgültig liegt die goldene Hülle überall. Ein Blatt fällt hin und wieder von außen herein oder gleitet vorbei am Rande, hinunter, oder wird nachträglich wieder als ein unwillkommener Eindringlich hinausgefegt.
 
Eine Zeit lang ist es still. Nur die Luft geht ruhig. Sie webt ein stilles Tönen, ihr Tönen ist ein blasses Blau über versunkenen Tiefen. Es scheinen unterdrückte Klagelaute langsam zu erwachen, ein Hoffen ist im Verwehen, ein stilles  Dulden ist das Weitergehen. Lustig zirpt im Gras vor dem Hause etwas in die Luft, in die Welt hinaus. Unter grünen Gräsern dringt das Geräusch versteckt hervor. Es verstummt für eine Zeit. Da hört man von ferne, verhallend, den schmelzenden Sang der Uguis. Weiter, und weiter entfernt sich der Klang. Nun tönt er nur noch wie ein schmerzlicher Wiederhall.

VI.

Während es rings zirpt und klingt, beginnen die Gerätschaften im Zimmer ein loses Gespräch. Die Wandschirme nicken sich zu, sie sind bemüht, den Spiegel zum Reden zu bringen. Der sinnt über etwas nach, er will nicht plaudern. Doch nicht lange hält er stand. Bald ist er mitten im Gespräch. So wird es eine Geschichte ohne Zusammenhang, ein loses Gespräch, voller Frechheiten und unschuldiger Lasterhaftigkeiten. Wie tanzender Sonnenschein auf Herbstblättern.
 
Es ist wie der Schlußsatz einer Ouvertüre. Ohne Lärm. Leise. Verhallend. Alles überläßt sich den eigenen Gedanken. Da fangen nun die Geräte an zu plaudern. Unbewußt hört man einzelne Töne. Unzusammenhängend. Leise, ganz leise. Ein ganzes Orchester. Mit Samt sind die Instrumente umwickelt, einzelne mit Seide. Sie klingen schärfer. Dann ist es, als müßte sich nun ein Vorhang allgemach heben. Oder auch senken.
 
Ein Zusammenklang ist die Rede. Feine Instumente, die zierliche, hüpfende Töne geben. Nur zuweilen hält ein ernster Grundton lange aus. Auf ihm schaukeln sich die leichten und führen ein neckisches Spiel auf.
 
Eine Schelmerei. Voll Weisheit und Tücke und Tiefe. Darüber liegt nun der warme Schein des Herbstabends. Wechselnd. Bunt. Vieldeutend. Wie der Schlußsatz einer verheisungsvollen Ouvertüre ist es.
 
Die Worte, woher kommen sie? Ist es der Schirm, der so lose spricht? Ist der Spiegel eben mit Bosheiten gekommen? Hat das Kästchen eben eine resignierte Wahrheit ausgesprochen? Dazwischen Pausen und leises Geschwirre. Undeutlich. Nur für die feinsten Ohren vernehmbar. Nun reden die kleinen und kleinsten Gerätschaften, sie summen die Begleitung, ohne Sinn, ohne Grund, ohne Bedeutung.
 
Es ist wie ein Ballett. Mit hängenden Zeichen und Erkenntnissen. Vorbeihuschend. Untertauchend. Zuweilen steigen die Worte auf, lautlos. Wie schillernde Seifenblasen. Verschwinden. Zerplatzen geräuschlos.
 
So geht dies Schwatzen und klingen eine Weile: da zieht es sich zu langen Tönen. Langsame Wogen, die breit heranrollen. Leise aufschlagen. Wieder zurückfließen. Tief und wuchtig. Versonnene Worte. Mitunter wie Verse. Wie gleitende Strophen. Worte, die man vor sich hinspricht, ohne zu hören, für niemand bestimmt. Es ist nur ein Klang, der verfliegt.
 
Wirr. Durcheinander. Übereinander. Hochkomisch und reizvoll. Von hängenden Blüten. Koketten Blicken. Lockenden Schmerzen. Von Liebe. Von Toilette. Von einer übermütigen Herrin. Und der warme Wind des Herbstabends weht nun in das Zimmer und wiegt die Worte hin und her.

V. 

Stiller will es werden. Man fühlt es. Allmählich kommen letzte Wellen. Ganz stille. Eine lange Pause.
 
Sieh dich um! Es ist, als wären die Geräte langsam entschlafen. Ein Schleier scheint über ihr Dasein gezogen. Reden nicht mehr. Summen nicht mehr. Ganz still. Eine lange Pause.
Eine lange Pause.


IV.

Die Sonne will verschwinden.
Die Luft regt sich nicht. Zwischen Tag und Abend. Zwischen Leuchten und Versinken. Und Wiedererwachen. Wiederauferstehen. Zwischen Freude und Schlaf. Die große Stille vor dem Schlaf. Die gespannte Erwartung.
 
Es ist ein lautloses Ringen und Kämpfen. Kraft und Sehnsucht hat der eine Gegner schon verloren. Seinen Sieg giebt er auf. Langsam sinkt er, senkt sich selbst ins Vergessen. Schritt für Schritt zurückgedrängt. Schwer bluten seine Wunden. Titanenhaft. Fließen in weiten Strömen über die Welt. Blutigrot steht der Himmel.

III.

Die Farben gehen in ein gleiches Grau über. Wie in einem Wandelbild vollzieht sich der Wechsel. Huschende Schatten steigen aus dem Thal der Vergessenheiten. Eine beklommene Erwartung klagt um Entschwundens und fürchtet, mehr zu verlieren.
  
II.
 

Die Wünsche werden begraben. Sie geben sich hin, scheinen zu schlummern. Sie wissen, es währt nur ein Kleines, da werden sie neu geboren, in anderer Gestalt. Ein großes Erwachen träumen sie, wo alle Seltsamkeiten Leben gewinnen und alle Hoffnungen wieder auferstehen, wo sie selbst mit leuchtenden Augen im Dunkel wandeln werden.
 
Es quillt aus dem Schacht. Tausend neue Mächte überfließen den Schein. Träumerisch schweben die Lichter.
Alles ruht.
  
I.

Abend.
Nacht.




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