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Geschichten

Ernst Schur

Leben der Seele
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s war einmal eine kleine Seele  die war müde und
traurig  und es war  nicht  viel  Kraft  mehr in ihr.
Das  fühlte sie wohl und darum betrübte sie sich.
Sie hatte sich müde geflattert.
 

ie war eingesperrt in ihr Dasein, wie ein Gefange-
ner  in  Kerkermauern.  Sie tat alles,  was von  ihr
verlangt wurde  und  das  Schwerste  war,  lustig 
und  guter Dinge  zu erscheinen.  Darum leistete sie diese
Arbeit beinahe ohne Bewußtsein, wie im Dunkeln. Irgend-
wo aber  hatte  sie sich einen  Schlupfwinkel  gebildet.  Da
zog  sie  sich  zurück  und war  für  sich.  Niemand sah sie.
Und da hätte man sie vielleicht ein  bißchen  vor  sich hin-
summen hören, wenn  sie  auch nicht zu singen wagte. Es
wurde ihr leichter ums Herz und so summte sie ein wenig.
Aber es war hier niemand bei ihr und niemand konnte sie
belauschen.

er Sang solcher kleinen  Seele ist einfach und  tönt
nur immerfort melancholisch und müde. Tief, wie
ein  steinernes  Grab  liegt  der Schlupfwinkel fern
von  den  Menschen,   in  dem die Seele ihr Leben verbringt,
wenn sie allein sein will.  Und  die  Melodie ihres  Gesanges
wird  oft  übertönt und  bricht  ab. Dann verkriecht sich die
Sehnsucht noch tiefer und  nun ist es ganz  düster,  und  an
den öden Wänden,  starr  und  glatt,  tastet  die  Einsamkeit
umher, die blinde, klagende Einsamkeit.

icht!  Sonne!  Ich dürste danach, jammert die kleine
Seele, ich brauche sie, kann ohne sie nicht leben. Sie
 nährt mich,  sie erquickt mich,  ich lebe a uf und  blühe  ein
wenig, wenn der Strahl der  Wärme mich trifft.  –  Aber das
Licht   gibt  zugleich   Schatten.  Und  die  Sonne  weckt  die
Furcht vor dem Dunkel.  Und so spürt die  kleine Seele auch
 im Glück  den Wandel und fürchtet  in jedem Geschenk das
Walten einer fremden Macht,  die auf ihre  Demütigung be-
dacht ist und ihr nur deshalb Gaben gewährt, um durch de-
ren  Entziehung  späterhin sie zu  höhnen. Denn  die  kleine
Seele liebt alles, was ihr freundlich naht, mit anklammern-
der Liebe und  läßt es  nicht von sich.  Sie gibt sich ganz hin,
um  nur  ein wenig zu fesseln. Und doch reißt es sich wieder
von  ihr  oder  wird  von  ihr  gerissen.   Und   das   weiß   sie.
Darum  sind   ihre  Augen  voll  verhaltener  Tränen  und die
Lippen  zucken oft,   ohne  daß  ein  sichtbarer  Schmerz  ihr
widerfährt.

tille.  – Stumme  Gestalten  kauern  an  den  Wänden
und  betrachten lautlos und  lauernd die kleine Seele,
die die Augen nicht aufzuschlagen wagt,  sich  nicht  zu erhe-
ben getraut. Die Welt draußen dröhnt in  tönenden Schlägen
in diese Abgeschiedenheit und ihre  Rhythmen  fallen schwer
und  wuchtig,  monoton und  unerbittlich.  Es  ist etwas ganz
anderes  darin,  als  was  die  kleine  Seele  sucht. Kampf  und
Kampfgeschrei, Ansturm und Ächzen der Verwundeten. Der
Mensch gilt hier, der Einzelne nichts. Diese Walstatt düngen
Tausende mit ihrem  Blut.  Und  gerade die  jungen Kämpfer
frohlocken am lautesten. Ihre herzhaften, schrillen Stimmen
ermuntern  immer  wieder.  Mannhaft  halten  sich in starker
Kraft die Älteren, an Siege und  an  das Behaupten des Errun-
genen gewöhnt.Die Greise aber klagen. Sie fühlen das Dunkel
herannahen,  sie  fühlen den unüberwindlichen  Gegner  Tod.
Ihre Tage sind gezählt. Die Feste der Frohen sind nicht mehr
für sie.  Der Kampf  zeigt ihnen nur Mühen und Entbehrung.
Ihre Gier,  die noch zuweilen aufflammt, ist tierisch und kin-
disch zugleich. Sie kennen nicht die  Lautlosigkeit  der stillen
Stunde, jenes ahnungsvolle Lauschen,das Entzücken der Jun-
gen. Sie  frieren und  klagen. Sie  wollen  den Jünglingen den
Becher   von   den  Lippen reißen und mahnen und  klagen an.
Und  nur  aus  Mord  und  Jammern  besteht  ihnen  die Welt.
 Und in  ohnmächtigem  Grimm  streckt  sich noch eine greise
Gestalt  aus  dem  Haufen  der Niedergetretenen und  schleu-
dert  Flüche und  Anklagen.  Aber  schon  naht  der neue  An-
sturm, die Unerbittlichen kommen. Die Greise düngen mit ih-
rem Blute die Erde und aus dem  Haufen  der  Verlorenen ra-
gen  nur die  Fäuste, die in Verzweiflung und  Haß  aufbegeh-
ren. –  Fern  tobt dieser  Kampf.  Nur der Lärm der Schlacht-
gesänge hallt hierher. Das Wirkliche verhüllt sich dieser klei-
nen  Seele  zu grandiosen  Bildern,  die an ihr  vorüberziehen
wie Ideen, im Innern Gestalt annehmen und die Visionen er-
füllen.
 

ber  doch immer  hofft die kleine  Seele.  Klirren auch
die Ketten,  dröhnt auch die  Welt  vom  Geschrei  der
Kämpfer, hallt auch der Schlachtgesang, als wollte er Felsen-
wände brechen, so atmet sie auf. Das ist ihre Kraft und durch
sie überwindet sie das Weh. Einst – wenn sie frei sein wird, so
jubelt die kleine Seele in einem versteckten Winkel, dann wird
sie singen von Schönheit  und von befreiten Wünschen in  kla-
ren, frischen  Melodien,  und wie ein  kleiner V ogel spannt sie
ihre  bunten  Fittiche  aus und fliegt  ins Freie  hinaus,  in  die
blaue Luft,  in der sie  sich  wiegt, die sie wohlig und  frei  um-
gibt.  So schwebt sie,  die kleine Seele,  dann,  hoch droben im
unendlichen Raum, furchtlos, frei, jubelnd.

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