lifedays-seite

moment in time



Literatur


04.3

CHITRA
RABINDRANATH TAGORE

*
EIN SPIEL
IN EINEM AUFZUG





Personen

Götter:
Madana (Eros)
Vasanta (Lycoris)

Sterbliche:
Chitra
Tochter des Königs von Manipur
 
Arjuna
ein Prinz aus dem Hause der Kuru. Er ist aus der Kshatriya oder Kriegerkaste und
lebt während der Handlung als Eremit einsam im Wald.

Dorfleute
aus einer abgelegenen Gegend in Manipur.
_________________________________________


Achte Szene - Im Wald


Die Dorfleute
Wer wird uns nun beschützen?

Arjuna
Was soll's, welche Gefahr droht Euch?

Die Dorfleute
Die Räuber kommen in Scharen aus den nördlichen Bergen, wie die Flut des Gebirgsstromes, die unser Dorf verheert.

Arjuna
Habt ihr keine Wächter in Eurem Königreich?
 

Die Dorfleute
Chitra, die Königstochter, war der Schrecken aller Bösen. Als sie noch in diesem glücklichen Lande weilte, kannten wir keine Furcht außer einer: sterben zu müssen. Nun ist Chitra auf einer Pilgerfahrt, und niemand kennt ihren Aufenthalt.

Arjuna
Ist der Hüter dieses Landes ein Weib?

Die Dorfleute
Ja, sie ist uns Vater und Mutter zugleich.
(Die Dorfleute entfernen sich. Chitra tritt ein.)

Chitra
Warum sitzest Du hier so einsam?

Arjuna
Ich versuche mir vorzustellen, was für eine Frau die Prinzessin Chitra sein mag. Viele Menschen erzählen viele Geschichten von ihr.
 

Chitra
Ach, sie ist nicht schön, sie hat nicht meine schönen Augen, die dunkel sind wie der Tod. Mit ihrem Geschoß kann sie jede Scheibe durchbohren, nur nicht das Herz unsres Helden.

Arjuna
Sie sagen, an Tapferkeit sei sie ein Mann, und ein Weib an Zärtlichkeit.

Chitra
Und das gerade ist ihr größtes Unglück. Das Weib, das nur Weib ist, das mit seinem Lächeln, mit seinen Seufzern, und mit zarten Liebkosungen die Herzen der Männer einspinnt, ist allein glücklich. Was frommt ihr Weisheit und große Taten? Hättest Du die Prinzessin nur gestern sehen können, im Hof von Shivas Tempel, der am Waldpfad liegt, Du wärest vorübergegangen ohne sie eines Blickes zu würdigen. Bist Du denn weiblicher Schönheit so überdrüssig, daß Du in ihr männliche Kraft suchst?

Aus grünen Blättern, feucht vom sprühenden Gischt des Wasserfalls, habe ich unser Bett zur Mittagsrast bereitet, in nachtdunkler Grotte. Die Kühle des weichen grünen Mooses, das dicht den tropfenden Stein bedeckt, küßt dort Deine Augen in Schlaf. Laß Dich dorthin geleiten.
 

Arjuna
Nein, heute nicht, Geliebte.

Chitra
Warum nicht heute?

Arjuna
Ich habe von einer Räuberhorde gehört, die in die Ebene gekommen ist. Ich muß gehen meine Waffen bereiten, um die erschreckten Dorfleute zu beschützen.

Chitra
Du brauchst Dich nicht um sie zu sorgen. Prinzessin Chitra hat starke Wächter an den Grenzpässen aufgestellt, ehe sie ihre Pilgerfahrt begann.

Arjuna
Nur für kurze Zeit laß mich das Kriegshandwerk eines Kshatriya üben. Mit neuem Ruhm will ich diesen müßigen Arm bedecken, damit er Deinem Haupt ein würdigeres Kissen sei.

Chitra
Doch, wenn ich mich weigere Dich gehen zu lassen, wenn meine Arme Dich umwunden halten? Würdest Du Dich roh von mir losreißen und mich verlassen? So geh! Aber wisse, daß die Liane — einmal entzweigebrochen — nie wieder zu einem Ganzen wird. Geh, wenn Dein Durst gestillt ist. Doch wenn nicht, denke daran, wie unbeständig die Göttin der Lust ist und daß sie nicht wartet auf den Menschen. Bleib noch eine Weile, Herr! Sage mir die unruhigen Gedanken, die Dich quälen. Wer nahm heute Deine Seele gefangen? War es Chitra?

Arjuna
Ja, es ist Chitra. Mich nimmt wunder, um welches Gelübdes willen sie auf die Pilgerfahrt gegangen ist. Was mangelt ihr?

Chitra
Was ihr mangelt? Ja, hat sie denn je etwas besessen, die Unglückliche? Es sind ja ihre eigensten Fähigkeiten, die sie mit Gefängnismauern umschließen und ihr Frauenherz in einer kahlen Zelle gefangen halten. Verdunkelt ist diese Frau und unerfüllt. Ihre Weibesliebe muß sich mit einem Lumpenkleide bescheiden, denn Schönheit blieb ihr versagt. Sie gleicht dem Geist eines freudlosen Morgens. Sie sitzt auf steinigem Berggipfel und dunkle Wolken haben ihr Licht ausgelöscht. Frag mich nicht nach ihrem Leben. Seine Geschichte klingt dem Ohr des Mannes nicht lieblich.
 

Arjuna
Ich brenne danach, alles von ihr zu hören. Ich bin wie ein Wanderer, der um Mitternacht an eine fremde Stadt kommt. Kuppeln, Türme und Gartenbäume sehen verschwommen und schattenhaft aus, und durch die Stille des Schlafes tönt hin und wieder das dumpfe Klagen des Meeres. Und er harrt sehnsüchtig auf den Morgen, der ihm alle die fremden Wunder offenbaren soll. O, erzähle mir ihre Geschichte.

Chitra
Was ist da mehr zu erzählen?
 

Arjuna
Meine Einbildung zaubert mir sie vor, wie sie auf weißem Rosse reitet, in der Linken die Zügel haltend und in der rechten Hand den Bogen, gleich der Liebesgöttin, die frohe Hoffnung spendet. Mit wilder Liebe schützt sie ihre säugenden Jungen wie eine wachsame Löwin. Auch des Weibes Arme, die nichts anderes als ungefesselte Kraft schmückt, sind schön! Mein Herz ist ruhelos, Du Liebliche, wie eine Schlange, die aus langem Winterschlaf erwacht. Komm, laß uns miteinander auf schnellen Rossen dahineilen, Seite an Seite, wie Zwillingsgestirne, die leuchtend den Raum durchmessen. Heraus aus diesem dunklen, grünen, einschläfernden Gefängnis, komm hervor unter der feuchten, duftenden, berauschenden Decke, die den Atem benimmt!

Chitra
Arjuna, sag mir die Wahrheit: wenn ich mich jetzt plötzlich durch einen Zauber dieser wollüstigen Weichheit entledigen könnte, diesen zarten Schmelz der Schönheit abstreifte, der vor der derben, gesunden Berührung der Welt schaudert, und das alles von meinem Körper herunterrisse wie geborgtes Gewand — könntest Du das ertragen? Wenn ich mich aufrichte, grade und stark, mit der Kraft eines mutigen Herzens, und die Listen und Künste der kriechenden Schwachheit verächtlich von mir weise, wenn ich mein Haupt erhebe, wie die hohe, junge Bergtanne, und mich nicht länger im Staub winde, wie die Liane, — werde ich dann Gnade finden vor den Augen des Mannes? Nein, nein, Du könntest es nicht ertragen. Es ist besser, ich verstreue um mich all die zierlichen Spielereien flüchtiger Jugend und warte auf Dich in Geduld. Ist's Dir gefällig zurückzukehren, so will ich Dir lächelnd aus dem Becher dieses schönen Leibes den Wein der Lust schenken. Hast Du genug davon und bist Du müde, so will ich mich demütig und dankbar in den Winkel zurückziehen, den man mir gelassen hat. Wie gefiele es Deiner Heldenseele, hoffte die Gespielin der Nacht Deine Gefährtin am Tage zu sein? Wie, wenn der linke Arm die Last des stolzen rechten mit zu tragen lernte?

Arjuna
Ich werde Dich niemals richtig erkennen. Eine Göttin, verborgen in einem goldenen Heiligenbild scheinst Du mir. Ich kann Dich nicht berühren, ich kann Dir Deine unschätzbaren Gaben nicht vergelten. Und so bleibt meine Liebe unvollkommen. Aus der rätselhaften Tiefe Deiner traurigen Augen, aus Deinen spielerischen Worten, die ihre eigene Bedeutung verspotten, erhasche ich manchmal den Schimmer eines Wesens, das die schmachtende Anmut seines Körpers vernichten möchte. In der reinen Flamme des Leides, verborgen hinter des Lächelns zartem Schleier, sehnt es sich wieder zu erstehen. Ein Trugbild, erscheint uns die Wahrheit zuerst, in einer Verkleidung tritt sie vor den Geliebten hin. Aber es kommt eine Zeit, da sie Schleier und Schmuck abwirft und dasteht, bekleidet mit nackter Hoheit. Ich verzehre mich nach diesem letzten Du, nach jener einfachsten, wahrsten Klarheit. Was bedeuten die Tränen, mein Lieb? Warum verbirgst Du Dein Gesicht in den Händen? Hab ich Dir weh getan, mein Liebling? Vergiß, was ich sagte. Ich will mit der Gegenwart zufrieden sein. Wie der Vogel Geheimnis aus unsichtbarem, dunkelm Nest zu mir kommt, musikerfüllte Botschaft bringend, so komm Du zu mir und laß mich jeden Augenblick der Schönheit erleben. Laß mich und meine Hoffnung ewig am Ufer der Erfüllung sitzen und so meine Tage beschließen.
 






   lifedays-seite - moment in time