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04.3
CHITRA
RABINDRANATH
TAGORE
*
EIN SPIEL
IN EINEM AUFZUG
Personen
Götter:
Madana (Eros)
Vasanta (Lycoris)
Sterbliche:
Chitra
Tochter
des Königs von
Manipur
Arjuna
ein
Prinz aus dem Hause
der Kuru. Er ist aus der Kshatriya oder Kriegerkaste und
lebt während
der
Handlung als Eremit einsam im Wald.
Dorfleute
aus einer
abgelegenen
Gegend in Manipur.
_________________________________________
Erste Szene - Im Tempel
Bist
Du der Gott mit den fünf Pfeilen, der Gott der
Liebe?
Madana
Ich war der Erstgeborene im Herzen des
Schöpfers. Ich
binde mit Fesseln des Schmerzes und erfülle mit Seligkeit das Leben der
Menschen!
Chitra
Ich
weiß, ich kenne jenen Schmerz und jene Fesseln! —
Und wer bist Du, mein Herr?
Vasanta
Ich
bin sein Freund — Vasanta — der König
der Jahreszeiten. Tod und Alter würden die Welt bis ins Mark
zerfressen, folgte
ich ihnen nicht, um sie beständig zu bekämpfen. Ich bin die Ewige
Jugend.
Chitra
Ich
beuge mich vor Dir, Vasanta, mein Herr.
Madana
Doch
welch strenges Gelübde bindet Dich, schöne
Fremde? Warum läßt Du Deine frische Jugend welken in Buße und
Demütigung? Solch
Opfer ist dem Dienst der Liebe fremd. Wer bist Du, und was ist Dein
Gebet?
Chitra
I ch
bin Chitra, die Tochter aus dem königlichen Hause
von Manipur. Shivas göttliche Gnade versprach meinem
königlichen Ahnherrn eine ununterbrochene Reihe männlicher Nachkommen.
Aber das
Wort des Gottes vermochte nicht, den Lebensfunken in meiner Mutter Leib
zu
wandeln, so unbezwingbar war meine Natur, obschon ich ein Weib bin.
Madana
Ich
weiß, darum erzieht Dich Dein Vater wie einen
Sohn. Er hat Dich gelehrt mit dem Bogen umzugehen und Dich in allen
Pflichten
eines Königs unterwiesen.
Chitra
Ja,
darum trage ich männliches Gewand und habe die
Abgeschiedenheit des Frauengemaches verlassen. Ich weiß nichts von
Frauenlist,
die die Herzen gewinnt. Meine starken Hände können
den Bogen spannen, aber ich habe die Kunst des Liebesgottes nicht
erlernt; das
Spiel der Augen ist mir fremd.
Madana
Das
erlernt sich von selbst, Du Schöne. Die Augen
brauchen darin nicht unterrichtet zu werden. Das weiß der am besten,
der von
ihnen ins Herz getroffen wurde.
Chitra
Auf
der Suche nach Wild wanderte ich eines Tages
einsam durch den Wald am Ufer des Purna-Flusses. Mein Roß band ich an
einen
Stamm und drang in's dichte Gestrüpp, der Spur eines Wildes folgend.
Ich fand
einen schmalen, gewundenen Pfad, der sich durch das
Dämmer verschlungener Zweige schlang. Die Blätter erzitterten vom
Grillengezirp. Plötzlich erspähte ich auf meinem Weg einen Mann, der
auf einem
Lager trockenen Laubes ruhte. Hochmütig befahl ich ihm, mir Platz zu
machen,
aber es kümmerte ihn nicht. Da stach ich ihn verächtlich mit der
scharfen
Spitze meines Pfeils. Er sprang auf, stark und ebenmäßig an Wuchs,
gleich einer
Flamme, die plötzlich aus einem Aschenhaufen züngelt. Ein belustigtes
Lächeln
zuckte um seine Mundwinkel, vielleicht ob meines knabenhaften Anblicks.
Da —
zum erstenmal in meinem Leben fühlte ich mich Weib und wußte, daß ein
Mann vor
mir stand.
Madana
In
glückbegünstigter Stunde verkünde ich Mann und Weib
die erhabene Lehre: Erkennet einander. — Was geschah dann?
Chitra
Voll
Angst und Staunen fragte ich ihn: »Wer bist Du?«
»Ich bin Arjuna«, sagte er, »aus dem großen Stamme der Kuru«. Ich stand
wie
versteinert und vergaß mich zu verneigen. War das wirklich Arjuna, der
Abgott
meiner Träume, der Einzige, Große! Schon lange kannte ich sein
Gelöbnis, zwölf
Jahre in Keuschheit zu leben. Mein junger Ehrgeiz hatte mich manchen
Tag
angestachelt, mit ihm eine Lanze zu brechen, ihn verkappt zum Zweikampf
zu
fordern und ihm meine Waffenkunst zu beweisen. Ach
töricht Herz, wohin entfloh Dein Stolz? Könnt' ich meine Jugend mit
ihren
Sehnsüchten hingeben, um Staub zu sein unter Deinen Füßen, wahrlich
eine
köstliche Gnade dünkte mir das. Ich weiß nicht, in welchem Strudel der
Empfindung ich mich verlor, als ich ihn plötzlich zwischen den Bäumen
entschwinden sah! — Du töricht Weib, du grüßtest ihn nicht und
sprachest kein
Wort, noch batest du ihn um Verzeihung, sondern standest wie ein
ungeschickter
Tölpel, während er verächtlich hinwegschritt!... Am nächsten Morgen
legte ich
meine Männerkleidung ab und schmückte mich mit Armbändern, Fußringen,
einer
Gürtelkette und einem Gewand aus purpurner Seide. Das ungewohnte Kleid
schmiegte sich fest um meinen bebenden Leib; aber ich
beschleunigte mein Suchen und fand Arjuna in Shiva's Waldtempel.
Madana
Vollende
Deine Erzählung. Ich bin der herzgeborene
Gott, und ich verstehe das Geheimnis dieser Triebe.
Chitra
Nur
undeutlich vermag ich mich zu erinnern, was ich
sagte, und was ich zur Antwort bekam. Heiß' mich nicht alles erzählen.
Scham
überwältigte mich wie ein Donnerschlag und konnte mich doch nicht
zerschmettern, so durchaus hart bin ich, so männlich. Als ich heimwärts
schritt, stachen mich seine letzten Worte wie
glühende Nadeln ins Ohr: »Ich habe Keuschheit gelobt. Ich kann Dein
Gemahl
nicht sein!« O, um das Gelübde eines Mannes! Sicherlich weißt Du, o
Gott der
Liebe, daß zahllose Heilige und Weise den Preis ihrer lebenslangen Buße
hingegeben haben um eines Weibes willen. Ich brach meinen Bogen entzwei
und
verbrannte meine Pfeile im Feuer. Ich haßte meinen starken,
geschmeidigen Arm,
gezeichnet vom Spannen des Bogens. O Liebe, Liebe, Du hast tief in den
Staub
gebeugt den nichtigen Stolz meiner männlichen Stärke, und all meine
Manneszucht
liegt zermalmt zu Deinen Füßen. Nun lehre mich Deine Gebote. Gib mir
die Kraft
der Schwachen und die Waffe der wehrlosen Hand.
Madana
Ich
will Dein Freund sein. Ich will den
weltenbezwingenden Arjuna vor Dein Angesicht bringen, ein Gefangener,
der den
Richtspruch seiner Empörung aus Deiner Hand empfangen soll.
Chitra
Stünde
mir nur die Zeit zu Gebot, ich könnte
allmählich sein Herz gewinnen und brauchte der Götter Hilfe nicht. Zur
Seite
würde ich ihm stehen als Gefährte, die wilden Rosse seines Kriegswagens
lenken,
die Freuden der Jagd mit ihm teilen. Zur Nacht hielt ich Wache am
Eingang seines
Zeltes und hülfe ihm, die großen Pflichten eines Kshatriya erfüllen,
die
Schwachen zu befreien und Recht zu sprechen, wo es
not tut. Sicherlich käme der Tag, an dem er mich erblicken und
verwundert
fragen würde: »Wer ist dieser Knabe? Ist einer meiner Sklaven aus einem
früheren Leben, meinen guten Taten gleich, mir gefolgt ins Diesseits?«
Ich bin
nicht das Weib, das seine Verzweiflung mit nächtlichen Tränen in
einsamer
Stille nährt, sie täglich hinter geduldigen Lächeln verbirgt, als Witwe
geboren. Die Blüte meines Verlangens soll nicht in den Staub sinken,
ehe sie
zur Frucht gereift ist. Aber es ist die Arbeit eines Lebens,
Verständnis zu
finden und Ehre zu erlangen für sein eigenstes Ich. Darum bin ich an
Deine Tür
gekommen, Du, weltenüberwindende Liebe, und Du, Vasanta, jugendlicher
Gott der
Jahreszeiten, nimm von meinem jungen Körper die
angeborene Ungerechtigkeit der Häßlichkeit. Für einen einzigen Tag
mache mich
wunderbar schön, so schön wie die mit einem Mal in meinem Herzen
erblühte
Liebe. Gib mir nur einen einzigen Tag makelloser Schönheit, und ich
will
einstehen für die Tage, die da kommen.
Madana
Prinzessin,
Dein Gebet sei erhört!
Vasanta
Nicht
nur für einen kurzen Tag, sondern für ein ganzes
langes Jahr soll der Frühlingsblüten Lieblichkeit sich um Deine Glieder
schmiegen.
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