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04.3
CHITRA
RABINDRANATH
TAGORE
*
EIN SPIEL
IN EINEM AUFZUG
Personen
Götter:
Madana (Eros)
Vasanta (Lycoris)
Sterbliche:
Chitra
Tochter
des Königs von
Manipur
Arjuna
ein
Prinz aus dem Hause
der Kuru. Er ist aus der Kshatriya oder Kriegerkaste und
lebt während
der
Handlung als Eremit einsam im Wald.
Dorfleute
aus einer
abgelegenen
Gegend in Manipur.
_________________________________________
Zweite
Szene - Im Wald
Arjuna
Träumte
mir oder war Wirklichkeit, was ich am See sah?
Im sinkenden Schatten des Abends saß ich auf moosigem Grund und dachte
vergangener Jahre, als aus dem bergenden Dunkel der Blätter langsam
eine
Erscheinung trat in der vollkommenen Gestalt eines Weibes. Sie stand
auf einem
weißen, flachen Stein am Rande des Wassers. Es schien, als müsse das
Herz der
Erde sich weiten vor Freude unter ihren nackten weißen Füßen. Mir
deuchte, die
zarte Umhüllung ihres Körpers wollte sich in Verzückung auflösen in
Luft, wie
der goldene Frühnebel vom schneeigen Gipfel des
östlichen Berges schmilzt. Sie beugte sich über den schimmernden
Spiegel des
Teiches und erblickte ihr Antlitz darin. Sie schrak zurück und stand
still,
dann lächelte sie, löste mit einer nachlässigen Bewegung des linken
Arms ihr
Haar, das bis zu ihren Füßen zur Erde niederglitt. Sie entblößte ihre
Brust und
betrachtete ihre makellos geformten Arme erfüllt von Zärtlichkeit für
ihren
Körper. Sie neigte den Kopf und sah ihre süße, blühende Jugend und das
zarte
Erröten ihrer flaumigen Haut. Sie strahlte in freudiger Überraschung.
So würde
die weiße Lotosblume den ganzen Tag über sich staunen, könnte sie des
Morgens
beim Erwachen, ihren Hals beugen und ihr Abbild im Wasser sehn. Aber
einen Augenblick später wich das Lächeln von ihrem
Antlitz, und ein Schatten von Trauer stieg in ihren Augen auf. Sie band
ihre
Haarflechten auf, zog den Schleier um ihre Schultern und schritt leise
seufzend
hinweg, wie ein schöner Abend, der in Nacht versinkt. Die erhabene
Erfüllung
aller Sehnsucht schien sich mir in einem Blitz geoffenbart zu haben und
verlosch
dann ... Aber wer bewegt die Türe?
(Chitra
tritt ein, in Frauenkleidern.)
Ah!
sie ist's! Stille mein Herz!. . .
Fürchte
nichts, Herrin! Ich bin ein Kshatriya.
Chitra
Edler
Herr, Du bist mein Gast. Ich wohne in diesem
Tempel. Ich weiß nicht, wie ich Dir Gastfreundschaft
erzeigen kann.
Arjuna
Schöne
Frau, Dein Anblick allein ist die höchste
Gastfreundschaft. Wenn Du mir's nicht verdenken willst, möchte ich Dich
etwas
fragen.
Chitra
Es
sei Dir gewährt.
Arjuna
Welch
strenges Gelübde hält Dich in diesen einsamen
Tempelmauern gefangen und beraubt die Sterblichen Deines lieblichen
Anblickes?
Chitra
Ich
hege einen geheimen Wunsch in meinem
Herzen, für dessen Erfüllung ich täglich Gebete zu Shiva sende.
Arjuna
Ach,
was kannst Du verlangen, die Du das Verlangen der
ganzen Welt bist? Von dem östlichen Hügel, auf dessen Gipfel die
Morgensonne
zuerst ihren feurigen Fuß setzt, bis ans Ende des Abendlands bin ich
gewandert.
Ich habe das Köstlichste, Schönste und Größte der Erde gesehen. Mein
Wissen
soll Dein sein, nur sage mir, was oder wen Du suchst.
Chitra
Ihn,
den ich suche, ihn kennen alle.
Arjuna
Wer
mag dieser Liebling der Götter sein, der Dein Herz
gefangen nahm?
Chitra
Er
ist der Größte aller Helden, ein Sproß des höchsten
Herrscherhauses.
Arjuna
Herrin,
opfere nicht diesen Schatz von Schönheit, der
Dein ist, auf dem Altar eines falschen Ruhmes. Unwahres Gerücht
verbreitet sich
von Mund zu Mund, wie der Nebel im frühen Morgendämmer ehe die Sonne
aufgeht.
Sage mir, wer ist der erhabene Held aus höchstem königlichem Stamm?
Chitra
Einsiedler,
der Ruhm andrer Männer erfüllt Dich mit
Neid. Weißt Du nicht, daß der Ruhm des königlichen Hauses der Kuru über
die
ganze Welt verbreitet ist?
Arjuna
Das
Haus der Kuru!
Chitra
Und
hast Du nie den größten Namen dieses weitgerühmten
Hauses gehört?
Arjuna
Laß
ihn mich von Deinen eigenen Lippen hören.
Chitra
Arjuna,
der Welteroberer. Ich habe diesen
unsterblichen Namen von den Lippen der Menge abgelesen und ihn
sorgfältig in
meinem Herzen verborgen. Einsiedler, was blickst Du so verwirrt drein?
Trägt
dieser Name nur trügerischen Glanz? Sag es, und ich will nicht zögern,
den
Schrein meines Herzens aufzubrechen und den falschen
Edelstein in den Staub zu werfen.
Arjuna
Ob
auch sein Name und Ruhm, sein Mut und seine
Tapferkeit wahr oder falsch sind, um des Mitleids willen verbanne ihn
nicht aus
Deinem Herzen, denn er kniet zu Deinen Füßen — in diesem Augenblick.
Chitra
Du,
Arjuna!
Arjuna
Ja,
der bin ich, ein vor Liebe verschmachteter Bettler
an deiner Tür.
Chitra
So
ist es nicht wahr, daß Arjuna das Gelübde zwölf
Jahre langer Keuschheit getan hat?
Arjuna
Du
hast meinen Schwur gelöst wie der Mond den
nächtlichen Schwur der Dunkelheit.
Chitra
Scham
über Dich! Was sahst du in mir, das Dich Deinem
eigenen Ich untreu werden ließ? Wen suchst du in diesen dunklen Augen,
in
diesen milchweißen Armen, wenn Du sie mit dem Preis Deiner Ehre zu
bezahlen
bereit bist? Nicht mein wahres Selbst, das weiß ich. Wahrlich das kann
nicht
Liebe sein, nicht des Mannes tiefste Ehrfurcht vor dem Weib! Wehe, daß
der
Körper, diese zerbrechliche Hülle, uns blendet, das Licht der
unsterblichen
Seele zu schauen! Ja, Arjuna, nun weiß ich gewiß,
falsch ist der Ruhm Deines Heldentums.
Arjuna
O,
ich fühle wie eitel der Ruhm ist und der Stolz der
Tapferkeit! Alles scheint Traum. Du allein bist vollkommen, Du bist der
Reichtum der Welt, das Ende aller Armut, das Ziel alles Strebens, das
Weib!
Andere Frauen gibt's, langsam und schwer zu erkennen, aber Dich einen
Augenblick lang zu sehn, heißt höchste Vollendung schauen, jetzt und in
Ewigkeit.
Chitra
Ach
nicht ich bin's, nicht ich, Arjuna! Es ist das
Trugbild eines Gottes. Geh', geh' mein Held, geh'. Frei' nicht die
Lüge, opfre
dein großes Herz nicht einer Täuschung. Geh'.
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