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Literatur


04.3

CHITRA
RABINDRANATH TAGORE

*
EIN SPIEL
IN EINEM AUFZUG





Personen

Götter:
Madana (Eros)
Vasanta (Lycoris)

Sterbliche:
Chitra
Tochter des Königs von Manipur
 
Arjuna
ein Prinz aus dem Hause der Kuru. Er ist aus der Kshatriya oder Kriegerkaste und
lebt während der Handlung als Eremit einsam im Wald.

Dorfleute
aus einer abgelegenen Gegend in Manipur.
_________________________________________


Dritte Szene - Im Tempel

Chitra
 
Nein, unmöglich ist's den brennenden Blick der hungrigen Seele auszuhalten, der mit Händen dich umklammert, zu fühlen, wie das Herz sich müht, die Fesseln zu sprengen, und den wilden Schrei, der sich ihm entringen will — und den Liebenden dann hinweg zu senden wie einen Bettler! Unmöglich ist's!
(Madana und Vasanta treten auf.)
Ach, Gott der Liebe, welch furchtbares Feuer hast Du in mich gesenkt! Ich verbrenne, versenge, was ich berühre.

Madana
Ich wünsche zu wissen, was in vergangener Nacht geschah.

Chitra
Auf ein Lager von Gras, übersät mit Frühlingsblüten, legte ich mich am Abend nieder und gedachte des wunderbaren Lobgesangs meiner Schönheit, den ich von Arjuna gehört. Tropfen nach Tropfen trank ich den Honig, den ich am Tage gesammelt, Vergangenes und Zukünftiges war vergessen. Ich fühlte mich der Blume verwandt: ihr sind nur flüchtige Stunden vergönnt, dem summenden Schmeicheln, dem Flüstern und Murmeln der Wälder zu lauschen. Dann muß sie die Augen vom Himmel wenden, ihr Haupt beugen und ihren Atem aushauchen im Staub, klaglos den kurzen Traum eines vollkommenen Augenblicks beenden, der nicht Vergangenheit noch Zukunft kennt.

Vasanta
Ein grenzenloses Leben voller Ruhm kann blühen und sich erschöpfen an einem Morgen.
Madana
Wie Ewigkeits-Sinn im kleinsten Bruchteil eines Liedes sein kann.
 

Chitra
Die südliche Brise wiegte mich in Schlaf. Von dem blühenden [2] über mir tropften schweigend Küsse auf mich nieder. Jede Blume wählte sich ein Lager zum Sterben, in meinem Haar, auf meiner Brust oder meinen Füßen. Ich schlief. Und in der Tiefe meines Schlafes war mir plötzlich, als ob ein durchdringender, gieriger Blick meinen Körper berühre, wie der spitzige, stechende Finger der Flamme. Ich sprang auf und sah den Einsiedler vor mir stehen. Der Mond war westwärts gewandert und lugte durch die Blätter, um das Wunder zu sehen, das durch göttliche Kunst in zerbrechlicher Menschlichkeit erstanden war. Die Luft war schwer, duftgeschwängert, die Stille der Nacht klang vom Grillengezirp, regungslos lag das Spiegelbild der Bäume auf dem See. Und mit seinem Stab in der Hand stand der Einsiedler groß, aufrecht und schweigend wie ein Baum des Waldes. Mir war, da ich die Augen aufschlug, als sei ich abgeschieden von aller Wirklichkeit des Lebens, und es vollziehe sich an mir eine Wiedergeburt im Land der Träume. Scham fiel von mir und glitt wie ein gelöstes Gewand auf meine Füße nieder. Ich hörte seinen Schrei — »Geliebte, einzig Geliebte!« Und all' meine vergangenen, vergessenen Leben schmolzen zu einem und riefen ihm Antwort zu: »Nimm mich, nimm mich ganz zu eigen!« Und ich breitete meine Arme nach ihm aus. Der Mond sank hinter den Bäumen. Ein dunkler Vorhang bedeckte alles, Himmel und Erde, Zeit und Raum, Lust und Schmerz, Leben und Tod schmolzen in Eins in unsagbarer Verzückung.... Mit dem ersten Morgenstrahl, dem ersten Vogelzwitschern richtete ich mich auf und blieb, auf den linken Arm gestützt, sitzen. Der Einsiedler lag schlafend, ein unbekümmertes Lächeln krümmte sich um seine Lippen, wie der wachsende Mond am Morgen. Der Dämmerung rosiges Glühen fiel auf seine edle Stirn. Ich seufzte, stand auf und zog die breitblättrigen Lianen zusammen, um sein Gesicht vor der flutenden Sonne zu schützen. Ich schaute umher und sah die gleiche alte Erde. Ich erinnerte mich, was ich gewesen und rannte, rannte wie ein Reh, das seinen eigenen Schatten fürchtet, den Waldpfad entlang, den   [3] Stephali-Blumen bedeckten. Ich fand einen einsamen Winkel, setzte mich nieder, barg mein Gesicht in beiden Händen, um zu weinen und zu klagen. Doch meine Augen blieben tränenlos.
 

Madana
Weh über Dich, Tochter der Sterblichen! Ich stahl aus den göttlichen Speichern den duftenden Wein des Himmels, gab ihn, eine irdische Nacht gefüllt bis zum Rande, in Deine Hände, auf daß Du tränkest — und immer hör' ich noch diesen Schrei der Qual!

Chitra
(bitter)
Wer trank ihn? Des Lebens seltenste Erfüllung, erste Liebesumarmung bot man mir dar und entriß sie wieder meiner Sehnsucht? Diese erborgte Schönheit, die Falschheit, die mich umhüllt, sie werden von mir gleiten, wie Blüten im Wind entblättern, und die einzig sichtbare Erinnerung jener süßen Vereinigung mitnehmen, und voll Scham über seine Armut wird das Weib weinend sitzen — Tag und Nacht. Gott der Liebe, diese verfluchte äußere Gestalt begleitet mich Tag und Nacht, wie ein Dämon, und beraubt mich allen Liebeslohnes — all der Küsse, nach denen ich verschmachte.

Madana
Ach, umsonst war Deine einzige Nacht! Die Barke der Erfüllung kam in Sicht, aber die Wellen ließen sie das Ufer nicht berühren.
 

Chitra
Der Himmel war meinem Griff ganz nahe und ich vergaß für Augenblicke, daß ich ihn noch nicht erreicht hatte. Aber als ich des Morgens aus meinem Traum erwachte, fand ich im eigenen Körper die Rivalin. Nun ward mir die verhaßte Pflicht, sie täglich zu schmücken, zum Geliebten zu schicken und zu sehen, wie er sie liebkoste. O Gott, nimm Dein Geschenk zurück!

Madana
Aber wie willst Du vor Deinen Geliebten treten, wenn ich es von Dir nehme? Ist es nicht grausam, den Becher von seinen Lippen zu reißen, nachdem er kaum einen Zug der Lust getan? Wie ärgerlich wirst Du ihm sein?

Chitra
Und doch wäre es besser so. Ich will ihm meine wahrhaftige Gestalt zu erkennen geben, eine edlere Tat, als in dieser Maske zu leben. Wenn er mich auch verstößt und verschmäht, wenn er mein Herz auch bricht — schweigend will ich's tragen.

Vasanta
Hör' meinen Rat. Wenn die blumenerfüllte Jahreszeit vergangen, kommt der Herbst und mit ihm der Triumphzug der Früchte. Die Zeit wird kommen, da die überreife Blume des Leibes sich vergehend neigt. Dann wird Arjuna die bleibende fruchtgewordene Wahrheit aus Dir voll Glück hinnehmen. O Kind, geh' zurück zu Deiner rasenden Feier.







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