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Literatur


04.3

CHITRA
RABINDRANATH TAGORE

*
EIN SPIEL
IN EINEM AUFZUG





Personen

Götter:
Madana (Eros)
Vasanta (Lycoris)

Sterbliche:
Chitra
Tochter des Königs von Manipur
 
Arjuna
ein Prinz aus dem Hause der Kuru. Er ist aus der Kshatriya oder Kriegerkaste und
lebt während der Handlung als Eremit einsam im Wald.

Dorfleute
aus einer abgelegenen Gegend in Manipur.
_________________________________________


Sechste Szene - Im Wald


 
Arjuna
Ich erwachte am Morgen und fand meine Träume in einen Edelstein verschmolzen. Ich hatte keinen Schrein, ihn darin zu verschließen, keine Königskrone, in die ich den Stein hätte fassen können, keine Kette hatte ich, ihn daran zu hängen, und doch brachte ich's nicht übers Herz, ihn wegzuweisen. So halte ich ihn, und mein Arm, der Arm eines Kshatriya, vergißt über müßigem Tun seine Pflicht.

(Chitra tritt ein.)
 

Chitra
Sage mir Deine Gedanken, Herr!

Arjuna
Meine Gedanken sind heute auf die Jagd gerichtet. Sieh, wie der Regen in Strömen herniederstürzt und wild gegen den Berghang schlägt. Dunkle Wolkenschatten hängen schwer über dem Wald, und gleich der sorglosen Jugend überspringt der geschwollene Strom mit spöttischem Lachen alle Schranken. Stets gingen wir fünf Brüder an solchen Regentagen in den Wald von Chitraka, wilde Tiere zu jagen. Das waren schöne Zeiten. Unsre Herzen tanzten zum Trommelwirbel der grollenden Wolken. Der Wald hallte wider von den Schreien der Pfauen. Durch das Klatschen des Regens und das Rauschen des Wasserfalles konnte das ängstliche Wild unsre Schritte nicht hören. Die Leoparden ließen ihre Spuren in der nassen Erde zurück und verrieten so ihr Lager. War die Jagd vorüber, so forderten wir uns auf dem Heimweg gegenseitig heraus, reißende Ströme zu durchschwimmen. Ein ruheloser Geist wohnt in mir, ich habe Sehnsucht nach der Jagd.
 

Chitra
Erst erlege das Wild, das Du jetzt verfolgst. Bist Du gewiß, daß das verzauberte Tier, das Du jagst, unbedingt gefangen werden muß? Nein, noch nicht. Wie ein Traum entgleitet Dir das wilde Geschöpf, wenn es Dir am nächsten scheint. Sieh, wie der rasende Regen den Wind jagt und tausend Pfeile hinter ihm her sendet. Und doch bleibt der Wind frei und unbesiegt. So ist auch unser Waidwerk, Geliebter! Du jagst nach der schnellschreitenden Schönheit und versendest all Deine Pfeile nach ihr, und doch flieht dies zaubrische Wild stets frei und unberührt davon.

Arjuna
Hast Du kein Heim, Geliebte, wo liebende Herzen Deiner Rückkehr harren? Ein Heim, dem Du durch sanftes Dienen Lieblichkeit verliehst, und dessen Licht erlosch, als Du es für diese Wildnis verließest?

Chitra
Was fragst Du? Sind die Stunden der Lust vorbei, in denen es kein Denken gab? Weißt Du nicht, daß ich nur die bin, die Du vor Dir siehst? Mein Blick geht nicht über das Jetzt hinaus. Der Tau auf den Blättern der [4] Kinsuka-Blüte hat weder Namen noch Schicksal, und gewährt keiner Frage Antwort. Sie, die Du liebst, gleicht jener vollkommenen Tauperle.

Arjuna
Verbindet sie kein Band mit der Welt? Ist sie nur ein Stück Himmel, das ein lustspendender Gott unachtsam zur Erde fallen ließ?

Chitra
Ja.

Arjuna
Ach, darum ist mir immer, als müßte ich Dich verlieren. Mein Herz ist unbefriedigt, meine Gedanken friedlos. Komm näher zu mir, Unerreichbare! Ergib Dich und dulde die Fesseln, die da heißen: Name, Heim, Sippe. Laß mein Herz Dich ganz umschließen, und mit Dir leben in der ruhigen Sicherheit der Liebe.

Chitra
Warum mühst Du Dich vergebens, die Farben der Wolken, den Tanz der Wellen, den Duft der Blumen zu haschen und zu halten?

Arjuna
Herrin mein, glaube nicht, daß Du mit Luftgebilden die Liebe befriedigen kannst. Gib mir etwas, woran ich Halt finde, etwas, das die Lust überdauert, das sich im Leid bewährt.

Chitra
Mein Held, noch ist das Jahr nicht zu Ende, und schon bist Du müde! Ja, nun erkenne ich die himmlische Güte, die den Blumen ein kurzes Leben gab. Wäre ich mit den Blumen des letzten Frühlings verwelkt und gestorben, ich wäre mit Ehren dahingegangen. Doch meine Tage sind gezählt, Geliebter. Schone mich nicht, saug allen Honig aus mir, da Du voller Angst bist, daß Dein armes Herz wieder und wieder zurückkommt voll unerfüllter Wünsche und Begierden, gleich der durstigen Biene, wenn die Sommerblumen welk im Staub liegen.







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