I
Nachdem
Tara den andern Frauen des Dorfes ausführlich
berichtet, welch bösen, tyrannischen Gatten ihre unglückliche Nachbarin
habe,
und alle seine Missetaten aufgezählt hatte, sprach sie ihm kurz und
bündig das
Urteil: „Möge Feuer solchem Manne die Zunge verbrennen!“
Diese
Worte verletzten Dschoygopal Babus Frau; es
geziemte einem Weibe unter keinen Umständen, ein anderes Feuer als das
einer
Zigarre in eines Gatten Mund zu wünschen.
Als
sie daher jenem Urteil sanft widersprach, rief die
hartherzige Tara mit doppelter Heftigkeit: „Ich wollte lieber in sieben
Leben
nacheinander Witwe werden als die Frau eines solchen Mannes.“ Und damit
hob sie
die Versammlung auf und ging fort.
Sasi
dachte bei sich: Ich kann mir keine Kränkung von
seiten eines Gatten vorstellen, die das Herz
so
verhärten könnte. Und wie sie darüber nachdachte, wallte all die
Zärtlichkeit
ihres liebenden Herzens für ihren eigenen Gatten, der jetzt fern war,
in ihr
auf. Sie warf sich mit ausgestreckten Armen auf die Seite des Bettes,
wo ihr
Gatte zu liegen pflegte, sie küßte das leere Kissen und sog den Duft
seines
Hauptes ein.
Dann
schloß sie die Tür, holte aus einem hölzernen
Kästchen eine alte, fast ganz verblichene Photographie mit seinen
Schriftzügen
und saß lange da, in Anschaun versunken. So verbrachte sie die stille
Mittagszeit, allein in ihrem Zimmer, alten Erinnerungen hingegeben, und
manch
heiße Sehnsuchtsträne rann über ihr Antlitz.
Die
Ehe zwischen Sasikala und Dschoygopal war nicht
mehr jung. Sie waren früh verheiratet und hatten Kinder. Die lange
Gewohnheit
des Umgangs hatte ihr Leben in gemächlicher Alltäglichkeit dahinfließen
lassen.
Auf keiner Seite hatte sich je eine Spur großer Leidenschaft gezeigt.
Sie
hatten sechzehn Jahre ununterbrochen zusammen gelebt, als ihr Gatte
plötzlich
aus geschäftlichen Gründen von Hause abgerufen wurde, und nun erwachte
ein
starkes Liebesbedürfnis in Sasis Herzen. Da die Trennung das
Band zwischen ihnen straffer spannte, zog sich der Knoten noch fester,
und die
Leidenschaft, die Sasi bisher gar nicht in sich gespürt hatte, preßte
ihr das
Herz jetzt schmerzhaft zusammen.
So
geschah es, daß Sasi nach so vielen langen Jahren,
in ihrem Alter und obgleich sie längst Mutter von Kindern war, an
diesem
Frühlingsmittag auf ihrem vereinsamten Ehebett liegend, den süßen Traum
bräutlicher Jugend zu träumen begann; die Musik jener Liebe, die sie
bisher nie
vernommen hatte, drang plötzlich an ihr Ohr und spann sie in ihren
Zauber ein
wie der murmelnde Sang eines Flusses. Sie wanderte den Fluß hinauf und
sah an
beiden Ufern manch goldenen Palast und manchen schattigen Hain; aber
ihr Fuß
fand unter den entschwundenen Glückshoffnungen keinen Halt mehr. Da
sagte sie
sich, daß, wenn ihr Gatte erst zurückkäme, ihr Leben nicht wieder so
leer
dahinrinnen, daß der Frühling nicht wieder vergeblich an ihre Tür
klopfen
sollte. Wie oft hatte sie mit müßigem Streit und kleinlichem Zank ihren
Gatten
gequält! Mit der ganzen Einfalt eines reuigen Herzens gelobte sie sich,
ihm nie
wieder Ungeduld zu
zeigen, niemals sich seinen
Wünschen zu widersetzen, alle seine Befehle gehorsam hinzunehmen und in
allem,
im Guten wie im Bösen, mit liebevollem Herzen seinen Willen zu tun;
denn für
sie war der Gatte das Ein und Alles, der höchste Gegenstand der Liebe,
ja, ein
Gott.
Sasikala
war die einzige Tochter und das Schoßkind
ihrer Eltern. Darum machte Dschoygopal, der selbst nur ein kleines
Vermögen
hatte, sich keine Sorgen um die Zukunft. Sein Schwiegervater hatte
genug, daß
sie in einem Dorfe mit fürstlichem Aufwand leben konnten.
Da
wurde Sasikalas Vater noch in seinem Alter ein Sohn
geboren. Man muß gestehen, daß Sasi von diesem unerwarteten
unschicklichen und
ungerechten Benehmen ihrer Eltern sehr schmerzlich berührt war, und
auch
Dschoygopal war nicht gerade erfreut darüber.
Die
ganze Liebe der Eltern richtete sich jetzt auf
diese späte Frucht ihres Alters, und als der neuangekommene, winzige,
schläfrige Schwager mit seinen beiden schwachen kleinen Fäustchen alle
Hoffnungen und Erwartungen Dschoygopals an sich riß, da nahm dieser
eine Stelle
in einem Teegarten in Assam an.
Seine
Freunde rieten ihm
dringend, doch mehr in der Nähe Beschäftigung zu suchen, aber sei es
nun aus
einem allgemeinen Gefühl des Grolls oder weil er die guten Aussichten
auf
schnelles Emporkommen in einem Teegarten kannte, Dschoygopal wollte auf
niemanden hören. Er schickte Frau und Kinder zu seinem Schwiegervater
und
reiste nach Assam. Es war die erste Trennung der Gatten, seit sie
verheiratet
waren.
Dies
Ereignis machte Sasikala sehr zornig auf ihren
kleinen Bruder. Der Groll, der nicht über die Lippen kommen darf, frißt
um so
mehr am Herzen. Wenn der kleine Bursche nach Herzenslust sog und
schlief, fand
seine große Schwester hundert Gründe zur Unzufriedenheit. Bald war der
Reis
kalt, oder die Knaben kamen zu spät zur Schule, oder was es sonst war.
Tag und
Nacht plagte sie sich und andere mit ihren ärgerlichen Launen.
Aber
nach kurzer Zeit starb die Mutter des Kindes. Vor
ihrem Tode übergab sie den kleinen Sohn der Sorge ihrer Tochter.
Da
eroberte das mutterlose Kind schnell das Herz
seiner Schwester. Laut schreiend streckte er seine Ärmchen nach ihr aus
und
versuchte mit
aller Anstrengung ihren Mund, Nase
und Augen in sein eigenes kleines Mäulchen zu bekommen; er packte mit
seinen
kleinen Fäustchen ihr Haar und wollte es nicht wieder loslassen; wenn
er vor
Tagesanbruch erwachte, wälzte er sich zu ihr hinüber, und sie fühlte
die
wohlige Wärme seines Körperchens und hörte seinem Lallen wie dem
Plätschern
eines Bächleins zu; später nannte er sie Dschidschi und Dschidschima
und
tyrannisierte sie ganz regelrecht, indem er bald verbotene Dinge tat,
bald von
verbotenen Speisen naschte, bald an verbotene Orte lief. Da konnte Sasi
ihm
nicht länger widerstehen. Sie ergab sich bedingungslos diesem
eigenwilligen
kleinen Tyrannen. Seit das Kind keine Mutter mehr hatte, hatte es Macht
über
sie bekommen.
II
Der
Name des Knaben war Nilmani. Als er zwei Jahre alt
war, wurde sein Vater ernstlich krank. Dschoygopal erhielt einen Brief
mit der
Bitte, so schnell wie möglich zu kommen. Als er mit viel Mühe Urlaub
erhalten
hatte und ankam, lag Kaliprasanna schon im Sterben.
Vor
seinem Tode übergab er
seinen Sohn der Sorge Dschoygopals und vermachte seiner Tochter den
vierten
Teil seines Besitzes.
Nun
gab Dschoygopal seine Stellung auf und kam nach
Hause, um nach seinem Eigentum zu sehen.
Nach
langer Trennung sahen sich die Gatten wieder.
Wenn irgendein Ding zerbricht, so kann man die Teile wieder
zusammenfügen. Aber
wenn zwei Menschen getrennt werden, so fügen sie sich nach langer
Trennung nie
wieder an derselben Stelle und zur gleichen Zeit zusammen; denn die
Seele ist
ein lebendes Wesen und wächst und wandelt sich jeden Augenblick.
In
Sasi weckte die Wiedervereinigung neue Gefühle. Die
Erstarrung jahrelanger Gewohnheit in der früheren Zeit ihrer Ehe war
durch die
Sehnsucht der Trennungszeit gänzlich gelöst, und es war ihr jetzt, als
ob ihr
der Gatte enger als je wieder verbunden würde. Hatte sie sich doch im
Herzen
gelobt: was für Tage auch kommen und wie lange sie auch dauern möchten,
nie
sollte der Glanz dieser Liebe zu ihrem Gatten sich trüben.
Dschoygopal
jedoch empfand
anders bei dieser Wiedervereinigung. Als sie früher beständig
zusammengewesen
waren, hatten ihn seine Interessen und Eigenheiten an sein Weib
gebunden. Sie
war damals eine lebendige Wahrheit in seinem Leben, und das Gewebe
seiner
täglichen Gewohnheiten hätte einen großen Riß bekommen, wenn sie
plötzlich
gefehlt hätte. Daher fühlte er sich, als er zuerst sein Heim verließ,
ganz
verloren. Aber mit der Zeit wurde dieser Riß in seiner Gewohnheit durch
eine
neue Gewohnheit wieder zugeflickt.
Und
dies war nicht alles. Früher hatte er ganz sorglos
und träge dahingelebt. In den letzten beiden Jahren war der Trieb,
seine Lage
zu verbessern, in ihm so mächtig geworden, daß er an nichts anders
dachte. In
der Heftigkeit dieser neuen Leidenschaft schien ihm sein früheres Leben
wie ein
wesenloser Schatten. In der Natur der Frau werden die größten
Veränderungen
durch die Liebe bewirkt, in der des Mannes durch den Ehrgeiz.
Als
Dschoygopal nach zwei Jahren zurückkehrte, fand
er, daß seine Frau nicht ganz dieselbe geblieben war. Ihr Leben hatte
durch
seinen kleinen
Schwager an Umfang gewonnen. Dieser
Teil ihres Lebens war ihm ganz fremd – hier hatte er keine
Gemeinschaft
mit seinem Weibe. Sie gab sich alle Mühe, ihn an ihrer Liebe für das
Kind
teilnehmen zu lassen, aber man kann nicht sagen, daß es ihr gelang.
Sasi kam
wohl mit dem Kinde auf dem Arm zu ihm und hielt es ihm lächelnd
entgegen –
aber Nilmani umklammerte Sasis Nacken und verbarg sein Gesicht an ihrer
Schulter und wollte von der andern Verwandtschaft nichts wissen. Sasi
wollte,
daß ihr kleiner Bruder Dschoygopal all die Künste vormachte, womit er
die
Herzen zu gewinnen pflegte. Aber Dschoygopal lag gar nichts daran. Wie
konnte
das Kind dann Lust dazu haben? Dschoygopal konnte gar nicht begreifen,
was an
diesem dickköpfigen Kinde mit dem ernsten, bräunlichen Gesicht sei, daß
man so
viel Liebe an ihn verschwenden solle.
Frauen
verstehen solche Dinge schnell. Sasi verstand
sofort, daß Dschoygopal Nilmani nicht leiden mochte. Und von nun an
hielt sie
ihren Bruder sorgfältig im Hintergrund, um ihn vor dem lieblosen,
abweisenden
Blick ihres Mannes zu schützen. So wurde das Kind für sie ein heimlich
gehüteter Schatz, der Gegenstand ihrer einsamen
Liebe.
Dschoygopal
war sehr ärgerlich, wenn Nilmani schrie;
daher suchte Sasi das Kind immer schnell zu beruhigen, indem sie es
zärtlich an
sich drückte und ihm liebkosend zusprach. Und wenn Nilmanis Schreien
des Nachts
Dschoygopal einmal im Schlafe störte und Dschoygopal gefoltert
aufbegehrte und
über das Kind schalt, so zitterte Sasi innerlich und fühlte sich
gedemütigt und
schuldig. Dann nahm sie das Kind auf ihren Schoß und setzte sich mit
ihm in die
entfernteste Ecke und schmeichelte es mit tausend zärtlich geflüsterten
Liebesworten wie: „mein goldiger Schatz, mein Augenlicht, mein holdes
Kleinod“
wieder in Schlaf.
Kinder
zanken sich um hundert Kleinigkeiten. Sonst
pflegte Sasi in solchen Fällen ihre Kinder zu bestrafen und ihres
Bruders
Partei zu nehmen, da er ja keine Mutter hatte. Jetzt veränderte sich
mit dem
Richter auch das Gesetz. Nilmani mußte oft unschuldig schwere Strafe
erleiden,
ohne daß Dschoygopal untersuchte, wer der Schuldige war. Dies Unrecht
traf Sasi
wie ein Dolch ins Herz; sie nahm ihren bestraften Bruder
in ihr Zimmer und suchte, so gut sie konnte, mit Süßigkeiten und
Spielsachen
und durch Küsse und Liebkosungen sein gekränktes Herz zu trösten.
Je
mehr Sasi Nilmani liebte, desto mehr ärgerte sich
Dschoygopal über ihn. Und wiederum, je mehr Dschoygopal seine Abneigung
gegen
Nilmani zeigte, desto mehr badete Sasi das Kind in dem Nektar ihrer
Liebe.
Und
wenn Dschoygopal seine Frau rauh behandelte, so
diente sie ihm mit schweigender Sanftmut und liebevoller Güte. Aber
innerlich
verletzten sie sich jeden Augenblick Nilmanis wegen.
Dies
heimliche Aneinanderreiben bei einem solchen
Konflikt ist viel schwerer zu ertragen als ein offener Zusammenstoß.