Geschichten
Kurt
Tucholsky
Die
Katze spielt mit der
Maus
von Peter
Panter
Sie stehen alle im Kreis,
die Soldaten, und blicken alle auf einen Punkt. Ich trete hinzu.
Die schwarz-weiße Katze
hat eine Maus gefangen. Die schwarz-weiße Katze, unser Kompanie-Peter
(eine
Dame, allerdings), Peter der Erste; ein junges Tier, noch nicht völlig
ausgewachsen, aber auch nicht mehr niedlich genug, um in die Hand
genommen zu
werden. Die Maus ist noch springlebendig – Peter muss sie eben erst
gefangen
haben. Peter ist tagelang auf dem Kriegsschauplatz herumgelaufen, Peter
hat
sich eigenmächtig von der Truppe entfernt, also hat sie Hunger, also
wird sie
die Maus gleich fressen.
Die Katze lässt die Maus
laufen. Die Maus flitzt, wie an einer Schnur gezogen, davon – die Katze
mit
einem genau abgeschätzten Sprung nach. Mit der letzten Spitze der
ausgestreckten Pfote hält sie die Maus. Die Maus zappelt. Die Pfote
schiebt
sich langsam hin und her; die Pfote prüft die Maus. Die Katze liegt
dahinter
und dirigiert das Ganze. Aber das ist nicht mehr ihre Pfote – das ist
ein neues
Tier, das nur für den Zweck erschaffen ist, ein wenig, so grausam wenig
schneller als die Maus zu sein. Die Pfote hebt sich, die Maus stürzt
davon –
sie darf stürzen, ja, das ist gradezu vorgesehen. Die Pfote waltet ihr
zu
Häupten und schlägt sie im letzten Augenblick nieder. Die Maus quiekt.
Jetzt
wird das Tempo lebhafter.
Hurr – die Maus läuft, ein
weites Stück. Satz. Hat. Und wieder – und wieder. Manchmal sieht die
Katze mit
ihren grünen, regungslosen Augen erschreckt ins Weite, als habe sie ein
böses
Gewissen und befürchte, dass jemand kommt. Jemand – wer sollte kommen?
Jetzt
läuft die Maus langsamer. Wie eine „laufende Maus“, die man kaufen
kann; sie
wackelt etwas, als ob das Uhrwerk da drinnen schon ein bisschen
klapprig wäre.
Und wieder hat sie die Katze. Diesmal lässt sie sie nicht los. Sie
streichelt
sie mit der steifen Pfote; die streckt sich wohlig aus und schnurrt. Du
meine
kleine Gefährtin! Es ist fast, als bedaure sie, dass die dumme Maus
nicht auch
mitspielt. Sie soll irgendetwas tun, die Maus. Die Katze dehnt sich …
Ich habe
sie! ich habe sie! Ach – das ist schön – die Macht, die süße, starke
Macht! Ich
habe die Oberhand – und sie wird ganz lang vor Behagen, so lang, dass
vorn die
Kralle abrutscht und Maus entwischt. Es ist nicht mehr viel mit ihr –
sie
humpelt, fällt auf die Seite, quietscht leise. Wieder hat sie die
Katze, aber
als sie jetzt losgelassen wird, regt sie sich nicht. Sie ist tot.
Das bringt die Katze außer
sich. Wie? Die Maus will nicht mehr? Sie ist nicht mehr lebendig, nicht
mehr
bei der Sache, kein halb widerwilliges Spielzeug, bei dem der Hauptreiz
darin
bestand, dass es sich sträubte? Hopp – dann machen wir sie
lebendig! Hopp – der Tod hat mir in mein Spiel nichts hereinzuspielen,
das sage
ich, die Katze! Und packt die Maus mit den Zähnen, schüttelt sie und
wirft sie
sich über den Kopf und springt hoch in die Luft und fängt sie wieder
auf. Die
Katze ist toll. Sie rast, sie tobt mit dem kleinen grauen Bündel herum,
das
sich nicht mehr bewegt, sie tanzt und wälzt sich über die Maus. Dann
gibt es
einen kleinen Knack; der Höhepunkt ist überschritten, die Katze beginnt
erregt,
doch schon gedämpft, zu knabbern. Knochen knistern – die Maus wird im
Querschnitt dunkelrot.
Aber das ist keine
Allegorie. Eine Allegorie ist ein Sinnbild, eine rednerische Form des
Vergleichs, ein, wie es heißt, veraltetes Hilfsmittel. Das aber ist
Leben – ist
nichts andres als unser menschliches Tun auch. Es ist kein Unterschied:
Das war
eine Katze, und wir sind Menschen – aber es war doch dasselbe.
Die arme Maus! Vielleicht
hätte sie fleißig turnen sollen und allerhand Sport treiben – dann wäre
das
wohl nicht so schlimm für sie abgelaufen. Oder vielleicht haben ihre
Vorfahren
gesündigt, die auch einmal Katzen waren und sich dann in
Nachdenklichkeit und
Milde so langsam zur Maus herunter degenerierten. Wer weiß.
Die Katze ist eine
Sadistin. Aber das ist ein dummes Wort; man denkt dann gleich an eine
rothaarige Zirkusgräfin mit hohen Juchtenstiefeln und an verwelkte
Mummelgreise
im Frack, die ihr die Füße küssen und blödsinnige Komplimente lallen.
Nein, so
war das gar nicht; das mit der Zirkusgräfin ist nur der letzte
Grenzfall.
Natürlich ist die Katze
ein Tier wie andre auch. Und sie ist stärker als die Maus, und das hat
sie
ausgenutzt weit über die Nahrungsfrage hinaus. Sie hatte die Kraft. Und
die
Maus litt.
Und
dieser Schnitt klafft
durch alles, dieser Riss spaltet alles – da gibt es keine Brücke. Immer
werden sich
die zwei gegenüberstehen: Die Katze und die Maus.
Die
braunen kleinen Adler saßen lebendig, aber die Füße zusammengeschnürt,
auf
halbhohen Klötzen und blickten still, wie ausgestopft, vor sich hin.
Hinter
jedem saß das Ding. Es war ausgemacht, dass das Ding das Gehirn der
Adler
ausfraß, während sie noch lebten – das sah man aber nicht, ich wusste
das nur.
Auch hatte in den Büchern gestanden, dass die Augen ausgepickt würden.
Der
Traumverstand seinerseits hielt dafür, dass die Adler es waren, die
fraßen und
pickten.
Jedenfalls
blieb während des Fressens dies von den Tieren übrig:
Eine
schwankende und zuckende fleisch-helle Banane, eine konische Form, in
die das
noch bestehende Leben hineingepresst war – es lebte noch, aber selbst,
wenn man
jetzt dazwischenträte und das noch retten wollte, wäre nie wieder ein
Tier
daraus herzustellen gewesen. Das war vorbei. Aber es lebte. Es litt,
blutete
unsichtbar und lebte.
Und
es war so entsetzlich nah, und der wehrlose Zuschauer sah, wie es litt,
und wie
es zuckte – und dass das tierische Opfer noch, während es gefressen
wird, eine
Verbindung mit dem Fresser eingeht, es tut mit, es spielt das Spiel
mit, auf
dem Blutgrund ist noch so etwas wie Liebe. So schwankten die
fleisch-hellen
Stangen, so standen sie, so sahen sie dich blind an. Noch vor einer
halben
Stunde waren wir unversehrt, Tiere wie wir alle – jetzt sind wir das.
Es ist
unwiderruflich, was da mit uns geschehen ist. Zurück geht es nicht mehr.
Die
nächste Ration Adler saß schon auf ihren Klötzen, sah starr grade aus
und war
in fünf Minuten dran.
oben
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