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04.3
Inhalt Stefan Zweig
Amok - Novellen einer Leidenschaft
Die Frau und die Landschaft
Die
Frau und die Landschaft 1
Es
war in jenem heißen Sommer, der durch Regennot und
Dürre verhängnisvolle Mißernte im ganzen Lande verschuldete und noch
für lange
Jahre im Andenken der Bevölkerung gefürchtet blieb. Schon in den
Monaten Juni
und Juli waren nur vereinzelte flüchtige Schauer über die dürstenden
Felder
hingestreift, aber seit der Kalender zum August übergeschlagen, fiel
überhaupt
kein Tropfen mehr, und selbst hier oben, in dem Hochtale Tirols, wo
ich, wie
viele andere, Kühlung zu finden gewähnt hatte, glühte die Luft
safranfarben von
Feuer und Staub. Frühmorgens schon starrte die Sonne gelb und stumpf
wie das
Auge eines Fiebernden vom leeren Himmel auf die erloschene Landschaft,
und mit
den steigenden Stunden quoll dann mählich ein weißlicher drückender
Dampf aus
dem messingenen Kessel des Mittags und überschwülte das Tal. Irgendwo
freilich
in der Ferne hoben sich die Dolomiten mächtig auf, und Schnee glänzte
von
ihnen, rein und klar, aber nur das Auge fühlte erinnernd diesen
Schimmer der
Kühle, und es tat weh, sie schmachtend anzusehen und an den Wind zu
denken, der
sie vielleicht zur gleichen Stunde
rauschend umflog, indes hier im Talkessel eine gierige Wärme nachts und
tags
sich zudrängte und mit tausend Lippen einem die Feuchte entsog.
Allmählich
erstarb in dieser sinkenden Welt welkender Pflanzen, hinschmachtenden
Laubes
und versiegender Bäche auch innen alle lebendige Bewegungen, müßig und
träge
wurden die Stunden. Ich, wie die andern, verbrachte diese endlosen Tage
fast
nur mehr im Zimmer, halb entkleidet, bei verdunkelten Fenstern, in
einem
willenlosen Warten auf Veränderung, auf Kühlung, in einem stumpfen,
machtlosen
Träumen von Regen und Gewitter. Und bald wurde auch dieser Wunsch welk,
ein
Brüten, dumpf und willenlos wie das der lechzenden Gräser und der
schwüle Traum
des reglosen, dunstumwölkten Waldes.
Aber
es wurde nur noch heißer von Tag zu Tag, und der
Regen wollte noch immer nicht kommen. Von früh bis abends brannte die
Sonne
nieder, und ihr gelber, quälender Blick bekam allmählich etwas von der
stumpfen
Beharrlichkeit eines Wahnsinnigen. Es war, als ob das ganze Leben
aufhören
wollte, alles stand stille, die Tiere lärmten nicht mehr, von weißen
Feldern
kam keine andere Stimme als der leise singende Ton der schwingenden
Hitze, das
surrende Brodeln der siedenden Welt. Ich hatte hinausgehen wollen in
den Wald,
wo Schatten blau zwischen den Bäumen zitterten, um dort zu liegen, um
nur
diesem gelben, beharrlichen Blick der Sonne zu entgehen; aber auch
diese
wenigen Schritte schon wurden mir zu viel. So blieb ich sitzen auf
einem
Rohrsessel vor dem Eingang des Hotels, eine Stunde oder zwei,
eingepreßt in den
schmalen Schatten, den der schirmende Dachrand in den Kies zog. Einmal
rückte
ich weiter, als das dünne Viereck Schatten sich verkürzte und die Sonne
schon
heran an meine Hände kroch, dann blieb ich wieder hingelehnt, stumpf
brütend
ins stumpfe Licht, ohne Gefühl von Zeit, ohne Wunsch, ohne Willen. Die
Zeit war
zerschmolzen in dieser furchtbaren Schwüle, die Stunden zerkocht,
zergangen in
heißer, sinnloser Träumerei. Ich fühlte nichts als den brennenden
Andrang der
Luft außen an meinen Poren und innen den hastigen Hammerschlag des
fiebrig
pochenden Blutes.
Da
auf einmal war mir, als ob durch die Natur ein Atem
ginge, leise, ganz leise, als ob ein heißer sehnsüchtiger Seufzer sich
aufhübe
von irgendwo. Ich raffte mich empor. War das nicht Wind? Ich hatte
schon
vergessen, wie das war, zu lange hatten die verdorrenden Lungen dies
Kühle nicht
getrunken, und noch fühlte ich ihn nicht bis an mich heranziehen,
eingepreßt in
meinen Winkel Dachschatten; aber die Bäume dort drüben am Hang mußten
eine
fremde Gegenwart geahnt haben, denn mit einem Male begannen sie ganz
leise zu
schwanken, als neigten sie sich flüsternd einander zu. Die Schatten
zwischen
ihnen wurden unruhig. Wie ein Lebendiges und Erregtes huschten sie hin
und her,
und plötzlich hob es sich auf, irgendwo fern, ein tiefer, schwingender
Ton.
Wirklich: Wind kam über die Welt, ein Flüstern, ein Wehen und Weben,
ein
tiefes, orgelndes Brausen und jetzt ein stärkerer, mächtiger Stoß. Wie
von
einer jähen Angst getrieben, liefen plötzlich qualmige Wolken von Staub
über
die Straße, alle in gleicher Richtung, die Vögel, die irgendwo im
Dunkel gelagert
hatten, zischten auf einmal schwarz durch die Luft, die Pferde
schnupperten
sich den Schaum von den Nüstern, und fern im Tale blökte das Vieh.
Irgend etwas
Gewaltiges war aufgewacht und mußte nahe sein, die Erde wußte es schon,
der
Wald und die Tiere, und auch über dem Himmel schob sich jetzt ein
leichter Flor
von Grau.
Ich
zitterte vor Erregung. Mein Blut war von den
feinen Stacheln der Hitze aufgereizt, meine Nerven knisterten und
spannten
sich, nie hatte ich so wie jetzt die Wollust des Windes geahnt, die
selige Lust
des Gewitters. Und es kam, es zog heran, es schwoll und kündete sich.
Langsam
schob der Wind weiche Knäuel von Wollen herüber, es keuchte und
schnaubte
hinter den Bergen, als rollte jemand eine ungeheure Last. Manchmal
hielten diese
schnaubenden, keuchenden Stöße wie ermüdet wieder inne. Dann zitterten
sich die
Tannen langsam still, als ob sie horchen wollten, und mein Herz
zitterte mit.
Wo überall ich hinblickte, war die gleiche Erwartung wie in mir, die
Erde hatte
ihre Sprünge gedehnt: wie kleine, durstige Mäuler waren sie
aufgerissen, und so
fühlte ich es auch am eigenen Leibe, daß Pore an Pore sich auftat und
spannte,
Kühle zu suchen und die kalte, schauernde Lust des Regens.
Unwillkürlich
krampften sich meine Finger, als könnten sie die Wolken fassen und sie
rascher
herreißen in die schmachtende Welt.
Aber
schon kamen sie, von unsichtbarer Hand geschoben,
träge herangedunkelt, runde, wulstige Säcke, und man sah: sie waren
schwer und
schwarz von Regen, denn sie polterten murrend wie feste, wuchtige
Dinge, wenn
sie aneinander stießen, und manchmal fuhr ein leiser Blitz über ihre
schwarze
Fläche wie ein knisterndes Streichholz. Blau flammten sie dann auf und
gefährlich, und immer dichter drängte es sich heran, immer schwärzer
wurden sie
an ihrer eigenen Fülle. Wie der eiserne Vorhang eines Theaters senkte
sich
allmählich bleierner Himmel nieder und nieder. Jetzt war schon der
ganze Raum
schwarz überspannt, zusammengepreßt die warme, verhaltene Lust, und nun
setzte
noch ein letztes Innehalten der Erwartung ein, stumm und grauenhaft.
Erwürgt
war alles von dem schwarzen Gewicht, das sich über die Tiefe senkte,
die Vögel
zirpten nicht mehr, atemlos standen die Bäume, und selbst die kleinen
Gräser
wagten nicht mehr zu zittern, ein metallener Sarg, umschloß der Himmel
die
heiße Welt, in der alles erstarrt war vor Erwartung nach dem ersten
Blitz.
Atemlos stand ich da, die Hände ineinandergeklammt, und spannte mich
zusammen
in einer wundervollen süßen Angst, die mich reglos machte. Ich hörte
hinter mir
die Menschen herumeilen, aus dem Walde kamen sie, aus der Tür des
Hotels, von
allen Seiten flüchteten sie, die Dienstmädchen ließen Rolläden herunter
und
schlossen krachend die Fenster. Alles war plötzlich tätig und
aufgeregt, rührte
sich, bereitete sich, drängte sich. Nur ich stand reglos, fiebernd,
stumm, denn
in mir war alles zusammengepreßt zu dem Schrei, den ich schon in der
Kehle
fühlte, den Schrei der Lust bei dem ersten Blitz.
Da
hörte ich auf einmal knapp hinter mir einen
Seufzer, stark aufbrechend aus gequälter Brust und noch mit ihm
flehendlich
verschmolzen das sehnsüchtige Wort: „Wenn es doch nur schon regnen
wollte!“ So
wild, so elementar war diese Stimme, war dieser Stoß aus einem
bedrückten
Gefühl, als hätte es die dürstende Erde selbst gesagt mit ihren
aufgesprungenen
Lippen, die gequälte, erdrosselte Landschaft unter dem Bleidruck des
Himmels.
Ich wendete mich um. Hinter mir stand ein Mädchen, das offenbar die
Worte
gesagt, denn ihre Lippen, die blassen und fein geschwungenen, waren
noch im
Lechzen aufgetan, und ihr Arm, der sich an der Tür hielt, zitterte
leise. Nicht
zu mir hatte sie gesprochen und zu niemandem. Wie über einen Abgrund
bog sie
sich in die Landschaft hinein, und ihr Blick starrte spiegellos hinaus
in das
Dunkel, das über den Tannen hing. Er war schwarz und leer, dieser
Blick, starr
als eine grundlose Tiefe gegen den tiefen Himmel gewandt. Nur nach oben
griff
seine Gier, griff tief in die geballten Wolken, in das überhängende
Gewitter,
und an mich rührte er nicht. So konnte ich ungestört die Fremde
betrachten und
sah, wie ihre Brust sich hob, wie etwas würgend nach oben schütterte,
wie jetzt
um die Kehle, die zartknochig aus dem offenen Kleide sich löste, ein
Zittern
ging, bis endlich auch die Lippen bebten, dürstend sich auftaten und
wieder
sagten: „Wenn es doch nur schon regnen würde.“ Und wieder war es mir
Seufzer
der ganzen verschwülten Welt. Etwas Nachtwandlerisches und Traumhaftes
war in
ihrer statuenhaften Gestalt, in ihrem gelösten Blick. Und wie sie so
dastand,
weiß in ihrem lichten Kleide gegen den bleifarbnen Himmel, schien sie
mir der
Durst, die Erwartung der ganzen schmachtenden Natur.
Etwas
zischte leise neben mir ins Gras. Etwas pickte
hart auf dem Gesims. Etwas knirschte leise im heißen Kies. Überall war
plötzlich
dieser leise surrende Ton. Und plötzlich begriff ichs, fühlte ichs, daß
dies
Tropfen waren, die schwer niederfielen, die ersten verdampfenden
Tropfen, die
seligen Boten des großen, rauschenden, kühlenden Regens. Oh, es begann!
Es
hatte begonnen. Eine Vergessenheit, eine selige Trunkenheit kam über
mich. Ich
war wach wie nie. Ich sprang vor und fing einen Tropfen in der Hand.
Schwer und
kalt klatschte er mir an die Finger. Ich riß die Mütze ab, stärker die
nasse
Lust im Haar und Stirn zu fühlen, ich zitterte schon vor Ungeduld, mich
ganz
umrauschen zu lassen vom Regen, ihn an mir zu fühlen, an der warmen
knisternden
Haut, in den offenen Poren, bis tief hinein in das aufgeregte Blut.
Noch waren
sie spärlich, die platschenden Tropfen, aber ich fühlte ihre sinkende
Fülle
schon voraus, ich hörte sie schon strömen und rauschen, die aufgetanen
Schleusen, ich spürte schon das selige Niederbrechen des Himmels über
dem
Walde, über das Schwüle der verbrennenden Welt.
Aber
seltsam: die Tropfen fielen nicht schneller. Man
konnte sie zählen. Einer, einer, einer, einer fielen sie nieder, es
knisterte,
es zischte, aber es wollte nicht zusammenklingen zur großen rauschenden
Musik
des Regens. Zaghaft tropfte es herab, und statt schneller zu werden,
ward der
Takt langsam und immer langsamer und stand dann plötzlich still. Es
war, wie
wenn das Ticken eines Minutenzeigers in einer Uhr plötzlich aufhört und
die
Zeit erstarrt. Mein Herz, das schon glühte vor Ungeduld, wurde
plötzlich kalt.
Ich wartete, wartete, aber es geschah nichts. Der Himmel blickte
schwarz und
starr nieder mit umdüsterter Stirn, totenstill blieb es minutenlang,
dann aber
schien es, als ob ein leises, höhnisches Leuchten über sein Antlitz
ginge. Von
Westen her hellte sich die Höhe auf, die Wand der Wolken löste sich
mählich,
leise polternd rollten sie weiter. Seichter und seichter ward ihre
schwarze
Unergründlichkeit, und in ohnmächtiger, unbefriedigter Enttäuschung lag
unter
dem erglänzenden Horizont die lauschende Landschaft. Wie von Wut lief
noch ein
leises, letztes Zittern durch die Bäume, sie beugten und krümmten sich,
dann
aber fielen die Laubhände, die schon gierig aufgereckt waren, schlaff
zurück,
wie tot. Immer durchsichtiger ward der Wolkenflor, eine böse,
gefährliche Helle
stand über der wehrlosen Welt. Es war nichts geschehen. Das Gewitter
hatte sich
verzogen.
Ich
zitterte am ganzen Körper, Wut war es, was ich
fühlte, eine sinnlose Empörung der Ohnmacht, der Enttäuschung des
Verrats. Ich
hätte schreien können oder rasen, eine Lust kam mich an, etwas zu
zerschlagen,
eine Lust am Bösen und Gefährlichen, ein sinnloses Bedürfnis nach
Rache. Ich
fühlte in mir die Qual der ganzen verratenen Natur, das Lechzen der
kleinen
Gräser war in mir, die Hitze der Straßen, der Qualm des Waldes, die
spitze Glut
des Kalksteines, der Durst der ganzen betrogenen Welt. Meine Nerven
brannten
wie Drähte: ich fühlte sie zucken von elektrischer Spannung weit hinaus
in die
geladene Luft, wie viele feine Flammen glühten sie mir unter der
gespannten
Haut. Alles tat mir weh, alle Geräusche hatten Spitzen, alles war wie
umzüngelt
von kleinen Flammen, und der Blick, was immer er faßte, verbrannte
sich. Das
tiefste Wesen in mir war aufgereizt, ich spürte, wie viele Sinne, die
sonst
stumm und tot im dumpfen Hirne schliefen, sich auftaten wie viele
kleine
Nüstern, und mit jeder spürte ich Glut. Ich wußte nicht mehr, was davon
meine
Erregung war, und was die der Welt; die dünne Membran des Fühlens
zwischen ihr
und mir war zerrissen, alles einzig erregte Gemeinschaft der
Enttäuschung, und
wie ich fiebernd hinabstarrte in das Tal, das sich allmählich mit
Lichtern
füllte, spürte ich, daß jedes einzelne kleine Licht in mich
hineinflimmerte,
jeder Stern brannte bis in mein Blut. Es war die gleiche maßlose ,
fiebernde
Erregung außen und innen, und in einer schmerzhaften Magie empfand ich
alles,
was um mich schwoll, gleichsam in mich gepreßt und dort wachsend und
glühend.
Mir war, als brenne der geheimnisvolle, lebendige Kern, der in alle
Vielfalt
einzeln eingetan ist, aus meinem innersten Wesen, alles spürte ich, in
magischer Wachheit der Sinne den Zorn jedes einzelnen Blattes, den
stumpfen
Blick des Hundes, der mit gesenktem Schweife jetzt um die Türen
schlich, alles
fühlte ich, und alles, was ich spürte, tat mir weh. Fast körperlich
begann dieser
Brand in mir zu werden, und als ich jetzt mit den Fingern nach dem Holz
der Tür
griff, knisterte es leise unter ihnen wie Zunder, brenzlig und trocken.
Der
Gong lärmte zur Abendmahlzeit. Tief in mich schlug
der kupferne Klang hinein, schmerzhaft auch er. Ich wendete mich um. Wo
waren
die Menschen hin, die früher hier in Angst und Erregung vorbeigeeilt?
Wo war
sie, die hier gestanden als lechzende Welt und der ich ganz vergessen
in den
wirren Minuten der Enttäuschung? Alles war verschwunden. Ich stand
allein in
der schweigenden Natur. Noch einmal umgriff ich Höhe und Ferne mit dem
Blick.
Der Himmel war jetzt ganz leer, aber nicht rein. Über den Sternen lag
ein
Schleier, ein grünlich gespannter, und aus dem aufsteigenden Mond
glitzerte der
böse Glanz eines Katzenauges. Fahl war alles da oben, höhnisch und
gefährlich,
tief drunten aber unter dieser unsicheren Sphäre dämmerte dunkel die
Nacht,
phosphoreszierend wie ein tropisches Meer und mit dem gequälten
wollüstigen
Atem einer enttäuschten Frau. Oben stand noch hell und höhnisch eine
letzte
Helle, unten müde und lastend eine schwüle Dunkelheit, feindlich war
eines dem
andern, unheimlich stummer Kampf zwischen Himmel und Erde. Ich atmete
tief und
trank nur Erregung. Ich griff ins Gras. Es war trocken wie Holz und
knisterte
blau in meinen Fingern.
Wieder
rief der Gong. Widerlich war mir der tote
Klang. Ich hatte keinen Hunger, kein Verlangen nach Menschen, aber
diese
einsame Schwüle hier draußen war zu fürchterlich. Der ganze schwere
Himmel
lastete stumm auf meiner Brust, und ich fühlte, ich könnte seinen
bleiernen
Druck nicht länger mehr tragen. Ich ging hinein in den Speisesaal. Die
Leute
saßen schon an ihren kleinen Tischen. Sie sprachen leise, aber doch,
mir war es
zu laut. Denn mir ward alles zur Qual, was an meine ausgereizten Nerven
rührte:
das leise Lispeln der Lippen, das Klirren der Bestecke, das Rasseln der
Teller,
jede einzelne Geste, jeder Atem, jeder Blick. Alles zuckte in mich
hinein und
tat mir weh. Ich mußte mich bemeistern, um nicht etwas Sinnloses zu
tun, denn
ich fühlte es an meinem Pulse: alle meine Sinne hatten Fieber. Jeden
einzelnen
dieser Menschen mußte ich ansehen, und gegen jeden fühlte ich Haß, als
ich sie
so friedlich dasitzen sah, gefräßig und gemächlich, indessen ich
glühte. Irgendein
Neid überkam mich, daß sie so satt und sicher in sich ruhten, anteillos
an der
Qual einer Welt, fühllos für die stille Raserei, die in der Brust der
verdurstenden Erde sich regte. Alle griff ich an mit dem Blick, ob
nicht einer
wäre, der sie mitfühlte, aber alle schienen stumpf und unbesorgt. Nur
Ruhende
und Atmende, Gemächliche waren hier, Wache , Fühllose, Gesunde, und ich
der
einzige Kranke, der Einzige im Fieber der Welt. Der Kellner brachte mir
das
Essen. Ich versuchte einen Bissen, vermochte aber nicht, ihn
hinabzuwürgen.
Alles widerstrebte mir, was Berührung war. Zu voll war ich von der
Schwüle, dem
Dunst, dem Brodem der leidenden, kranken, zerquälten Natur.
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