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04.3
Geschichten
Stefan
Zweig
Brennendes
Geheimnis
Angriff
Nun
schien es dem
ungeduldigen Jäger an der Zeit, sein Wild anzuschleichen. Das
Familiäre, der
Dreiklang in dieser Angelegenheit mißfiel ihm. Es war ja ganz nett, so
zu dritt
zu plaudern, aber schließlich, Plaudern war nicht seine Absicht. Und er
wußte,
daß das Gesellschaftliche mit dem Maskenspiel seiner Begehrlichkeit das
Erotische zwischen Mann und Frau immer retardiert, den Worten die Glut,
dem
Angriff sein Feuer nimmt. Sie sollte über der Konversation nie seine
eigentliche Absicht vergessen, die er – dessen war er
sicher – von
ihr bereits verstanden wußte.
Daß
sein Bemühen bei dieser
Frau nicht vergeblich sein würde, hatte viel Wahrscheinlichkeiten. Sie
war in
jenen entscheidenden Jahren, wo eine Frau zu bereuen beginnt, einem
eigentlich
nie geliebten Gatten treu geblieben zu sein, und wo der purpurne
Sonnenuntergang ihrer Schönheit ihr noch eine letzte dringlichste Wahl
zwischen
dem Mütterlichen und dem Weiblichen gewährt.
Das Leben, das schon
längst
beantwortet schien, wird in dieser Minute noch einmal zur Frage, zum
letzten
Male zittert die magnetische Nadel des Willens zwischen der Hoffnung
auf
erotisches Erleben und der endgültigen Resignation. Eine Frau hat dann
die
gefährliche Entscheidung, ihr eigenes Schicksal oder das ihrer Kinder
zu leben,
Frau oder Mutter zu sein. Und der Baron, scharfsichtig in diesen
Dingen,
glaubte bei ihr gerade dieses gefährliche Schwanken zwischen Lebensglut
und
Aufopferung zu bemerken. Sie vergaß beständig im Gespräch, ihren Gatten
zu
erwähnen, der offenbar nur ihren äußeren Bedürfnissen, nicht aber ihren
durch
vornehme Lebensführung gereizten Snobismus zu befriedigen schien, und
wußte
innerlich eigentlich herzlich wenig von ihrem Kinde. Ein Schatten von
Langeweile, als Melancholie in den dunklen Augen verschleiert, lag über
ihrem
Leben und verdunkelte ihre Sinnlichkeit.
Der
Baron beschloß rasch
vorzugehen, aber gleichzeitig jeden Anschein von Eile zu vermeiden. Im
Gegenteil, er wollte, wie der Angler den Haken lockend zurückzieht,
dieser
neuen Freundschaft seinerseits äußerliche Gleichgültigkeit
entgegensetzen,
wollte um sich werben lassen, während er doch in Wahrheit der Werbende
war. Er
nahm sich vor, einen gewissen Hochmut zu outrieren, den Unterschied
ihres
sozialen Standes scharf herauszukehren, und der Gedanke reizte ihn, nur
durch
das Betonen seines Hochmutes, durch ein Äußeres, durch einen klingenden
aristokratischen Namen und kalte Manieren diesen üppigen, vollen
schönen Körper
gewinnen zu können.
Das
heiße Spiel begann ihn
schon zu erregen, und darum zwang er sich zur Vorsicht. Den Nachmittag
verblieb
er in seinem Zimmer mit dem angenehmen Bewußtsein, gesucht und vermißt
zu werden.
Aber diese Abwesenheit wurde nicht so sehr von ihr bemerkt, gegen die
sie
eigentlich gezielt war, sondern gestaltete sich für den armen Buben zur
Qual.
Edgar fühlte sich den ganzen Nachmittag unendlich hilflos und verloren;
mit der
Knaben eigenen hartnäckigen Treue wartete er die ganzen langen Stunden
unablässig auf seinen Freund. Es wäre ihm wie ein Vergehen gegen die
Freundschaft erschienen, wegzugehen oder irgend etwas allein zu tun.
Unnütz
trollte er sich in den Gängen herum, und je später es wurde, um so mehr
füllte
sich sein Herz mit Unglück an. In der Unruhe seiner Phantasie träumte
er schon
von einem Unfall oder einer unbewußt zugefügten Beleidigung und war
schon nahe
daran, zu weinen vor Ungeduld und Angst.
Als
der Baron dann abends
zu Tisch kam, wurde er glänzend empfangen. Edgar sprang, ohne auf den
abmahnenden Ruf seiner Mutter und das Erstaunen der anderen Leute zu
achten,
ihm entgegen, umfaßte stürmisch seine Brust mit den mageren Ärmchen.
„Wo waren
Sie? Wo sind Sie gewesen?“ rief er hastig. „Wir haben Sie überall
gesucht.“ Die
Mutter errötete bei dieser unwillkommenen Einbeziehung und sagte
ziemlich hart:
„Sois sage, Edgar!
Assieds toi!“ (Sie sprach
nämlich immer Französisch mit ihm, obwohl ihr diese Sprache gar nicht
so sehr
selbstverständlich war und sie bei umständlichen Erläuterungen leicht
auf Sand
geriet.) Edgar gehorchte, ließ aber nicht ab, den Baron auszufragen.
„Aber
vergiß doch nicht, daß der Herr Baron tun kann, was er will. Vielleicht
langweilt ihn unsere Gesellschaft.“ Diesmal bezog sie sich selber ein,
und der
Baron fühlte mit Freude, wie dieser Vorwurf um ein Kompliment warb.
Der
Jäger in ihm wachte
auf. Er war berauscht, erregt, so rasch hier die richtige Fährte
gefunden zu
haben, das Wild ganz nahe vor dem Schuß nun zu fühlen. Seine Augen
glänzten,
das Blut flog ihm leicht durch die Adern, die Rede sprudelte ihm, er
wußte
selbst nicht wie, von den Lippen. Er war, wie jeder stark erotisch
veranlagte
Mensch doppelt so gut, doppelt er selbst, wenn er wußte, daß er Frauen
gefiel,
so wie manche Schauspieler erst feurig werden, wenn sie die Hörer, die
atmende
Masse vor ihnen ganz im Bann spüren. Er war immer ein guter, mit
sinnlichen
Bildern begabter Erzähler gewesen, aber heute – er trank ein paar
Gläser
Champagner dazwischen, den er zu Ehren der neuen Freundschaft bestellt
hatte – übertraf er sich selbst. Er erzählte von indischen Jagden,
denen
er als Gastfreund eines hohen aristokratischen englischen Freundes
beigewohnt
hatte, klug dies Thema wählend, weil es indifferent war und er
anderseits
spürte, wie alles Exotische und für sie Unerreichbare diese Frau
erregte. Wen
er aber damit bezauberte, das war vor allem Edgar, dessen Augen vor
Begeisterung flammten. Er vergaß zu essen, zu trinken und starrte dem
Erzähler
die Worte von den Lippen weg. Nie hatte er gehofft, einen Menschen
wirklich zu
sehen, der diese ungeheuren Dinge erlebt hatte, von denen er in seinen
Büchern
las, die Tigerjagden, die braunen Menschen, die Hindus und das
Dschaggernat,
das furchtbare Rad, das tausend Menschen unter seinen Speichen begrub.
Bisher
hatte er nie daran gedacht, daß es solche Menschen wirklich gäbe, so
wenig wie
er die Länder der Märchen glaubte, und diese Sekunde sprengte in ihm
irgendein
großes Gefühl zum ersten Male auf. Er konnte den Blick von seinem
Freunde nicht
wenden, starrte mit gepreßtem Atem auf die Hände da hart vor ihm, die
einen
Tiger getötet hatten. Kaum wagte er etwas zu fragen, und dann klang
seine
Stimme fieberig erregt. Seine rasche Phantasie zauberte ihm immer das
Bild zu
den Erzählungen herauf, er sah den Freund hoch auf einem Elefanten mit
purpurner Schabracke, braune Männer rechts und links mit kostbaren
Turbans und
dann plötzlich den Tiger, der mit seinen gebleckten Zähnen aus dem
Dschungel
vorsprang und dem Elefanten die Pranke in den Rüssel schlug. Jetzt
erzählte der
Baron noch Interessanteres, wie listig man Elefanten fing, indem man
durch
alte, gezähmte Tiere die jungen, wilden und übermütigen in die
Verschläge
locken ließ: die Augen des Kindes sprühten Feuer. Da sagte – ihm
war, als
fiele blitzend ein Messer vor ihm nieder – die Mama plötzlich, mit
einem
Blick auf die Uhr: „Neuf heures! Au lit!“
Edgar
wurde blaß vor
Schreck. Für alle Kinder ist das Zu-Bette-geschickt-werden ein
furchtbares
Wort, weil es für sie die offenkundigste Demütigung vor den Erwachsenen
ist,
das Eingeständnis, das Stigma der Kindheit, des Kleinseins, der
kindischen
Schlafbedürftigkeit. Aber wie furchtbar war solche Schmach in diesem
interessantesten Augenblick, da sie ihn solche unerhörte Dinge
versäumen ließ.
„Nur
das eine noch, Mama,
das von den Elefanten, nur das laß mich hören!“
Er
wollte zu betteln
beginnen, besann sich aber rasch auf seine neue Würde als Erwachsener.
Einen
einzigen Versuch wagte er bloß. Aber seine Mutter war heute merkwürdig
streng.
„Nein, es ist schon spät. Geh nur hinauf! Sois sage, Edgar. Ich erzähl
dir schon alle die Geschichten des Herrn Barons genau wieder.“
Edgar
zögerte. Sonst
begleitete ihn seine Mutter immer zu Bette. Aber er wollte nicht
betteln vor
dem Freunde. Sein kindischer Stolz wollte diesem kläglichen Abgang noch
einen
Schein von Freiwilligkeit retten.
„Aber
wirklich, Mama, du
erzählst mir alles, alles! Das von den Elefanten und alles andere!“
„Ja,
mein Kind.“
„Und
sofort! Noch heute!“
„Ja,
ja, aber jetzt geh nur
schlafen. Geh!“
Edgar
bewunderte sich
selbst, daß es ihm gelang, dem Baron und seiner Mama die Hand zu
reichen, ohne
zu erröten, obschon das Schluchzen ihm schon ganz hoch in der Kehle
saß. Der
Baron beutelte ihm freundschaftlich den Schopf, das zwang noch ein
Lächeln über
sein gespanntes Gesicht. Aber dann mußte er rasch zur Türe eilen, sonst
hätten
sie gesehen, wie ihm die dicken Tränen über die Wangen liefen.
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