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04.3
Geschichten
Stefan Zweig
Brennendes
Geheimnis
Die
Elefanten
Die
Mutter blieb noch eine
Zeitlang unten mit dem Baron bei Tisch, aber sie sprachen nicht von
Elefanten
und Jagden mehr. Eine leise Schwüle, eine rasch auffliegende
Verlegenheit kam
in ihr Gespräch, seit der Bub sie verlassen hatte. Schließlich gingen
sie
hinüber in die Hall und setzten sich in eine Ecke. Der Baron war
blendender als
je, sie selbst leicht befeuert durch die paar Glas Champagner, und so
nahm die
Konversation rasch einen gefährlichen Charakter an. Der Baron war
eigentlich
nicht hübsch zu nennen, er war nur jung und blickte sehr männlich aus
seinem
dunkelbraunen energischen Bubengesicht mit dem kurz geschorenen Haar
und
entzückte sie durch die frischen, fast ungezogenen Bewegungen. Sie sah
ihn gern
jetzt von der Nähe und fürchtete auch nicht mehr seinen Blick. Doch
allmählich
schlich sich in seine Reden eine Kühnheit, die sie leicht verwirrte,
etwas, das
wie Greifen an ihrem Körper war, ein Betasten und wieder Lassen,
irgendein
unfaßbar Begehrliches, das ihr das Blut in die Wangen trieb. Aber dann
lachte
er wieder leicht, ungezwungen, knabenhaft, und das gab all den kleinen
Begehrlichkeiten den losen Schein kindlicher Scherze. Manchmal war ihr,
als
müßte sie ein Wort schroff zurückweisen, aber kokett von Natur, wurde
sie durch
diese kleinen Lüsternheiten nur gereizt, mehr abzuwarten. Und
hingerissen von
dem verwegenen Spiel versuchte sie am Ende sogar, ihm nachzutun. Sie
warf
kleine, flatternde Versprechungen auf den Blicken hinüber, gab sich in
Worten
und Bewegungen schon hin, duldete sogar sein Heranrücken, die Nähe
seiner Stimme,
deren Atem sie manchmal warm und zuckend an den Schultern spürte. Wie
alle
Spieler vergaßen sie die Zeit und verloren sich so gänzlich in dem
heißen
Gespräch, daß sie erst aufschreckten, als die Hall sich um Mitternacht
abzudunkeln begann.
Sie
sprang sofort empor,
dem ersten Erschrecken gehorchend, und fühlte mit einem Male, wie
verwegen weit
sie sich vorgewagt hatte. Ihr war sonst das Spiel mit dem Feuer nicht
fremd,
aber jetzt spürte ihr aufgereizter Instinkt, wie nahe dieses Spiel
schon dem
Ernste war. Mit Schauern entdeckte sie, daß sie sich nicht mehr ganz
sicher
fühlte, daß irgend etwas in ihr zu gleiten begann und sich beängstigend
dem
Wirbel zudrehte. Im Kopf wogte alles in einem Wirbel von Angst, von
Wein und
heißen Reden, eine dumme, sinnlose Angst überfiel sie, jene Angst, die
sie
schon einige Male in ihrem Leben in solchen gefährlichen Sekunden
gekannt
hatte, aber nie so schwindelnd und gewalttätig. „Gute Nacht, gute
Nacht. Auf
morgen früh“, sagte sie hastig und wollte entlaufen. Entlaufen nicht
ihm so
sehr, wie der Gefahr dieser Minute und einer neuen, fremdartigen
Unsicherheit
in sich selbst. Aber der Baron hielt die dargebotene Abschiedshand mit
sanfter
Gewalt, küßte sie, und nicht nur in Korrektheit ein einziges Mal,
sondern vier-
oder fünfmal mit den Lippen von den feinen Fingerspitzen bis hinauf zum
Handgelenk, zitternd, wobei sie mit einem leichten Frösteln seinen
rauhen
Schnurrbart über den Handrücken kitzeln fühlte.
Irgendein warmes und
beklemmendes Gefühl flog von dort mit dem Blut durch den ganzen Körper,
Angst
schoß heiß empor, hämmerte drohend an die Schläfen, ihr Kopf glühte,
die Angst,
die sinnlose Angst zuckte jetzt durch ihren ganzen Körper, und sie
entzog ihm
rasch die Hand.
„Bleiben
Sie doch noch“,
flüsterte der Baron. Aber schon eilte sie fort mit einer Ungelenkigkeit
der
Hast, die ihre Angst und Verwirrung augenfällig machte. In ihr war
jetzt die
Erregtheit, die der andere wollte, sie fühlte, wie alles in ihr
verworren war.
Die grausam brennende Angst jagte sie, der Mann hinter ihr möchte ihr
folgen
und sie fassen, gleichzeitig aber, noch im Entspringen, spürte sie
schon ein
Bedauern, daß er es nicht tat. In dieser Stunde hätte das geschehen
können, was
sie seit Jahren unbewußt ersehnte, das Abenteuer, dessen nahen Hauch
sie wollüstig
liebte, um ihm bisher immer im letzten Augenblick zu entweichen, das
große und
gefährliche, nicht nur der flüchtige, aufreizende Flirt. Aber der Baron
war zu
stolz, einer günstigen Sekunde nachzulaufen. Er war seines Sieges zu
gewiß, um
diese Frau räuberisch in einer schwachen, weintrunkenen Minute zu
nehmen, im
Gegenteil, den fairen Spieler reizte nur der Kampf und die Hingabe bei
vollem
Bewußtsein. Entrinnen konnte sie ihm nicht. Ihr zuckte, das merkte er,
das
heiße Gift schon in den Adern.
Oben
auf der Treppe blieb
sie stehen, die Hand an das keuchende Herz gepreßt. Sie mußte ausruhen
eine
Sekunde. Ihre Nerven versagten. Ein Seufzer brach aus der Brust, halb
Beruhigung, einer Gefahr entronnen zu sein, halb Bedauern; aber das
alles war
verworren und wirrte im Blut nur als leises Schwindligsein weiter. Mit
halbgeschlossenen Augen, wie eine Betrunkene, tappte sie weiter zu
ihrer Türe
und atmete auf, da sie jetzt die kühle Klinke faßte. Jetzt empfand sie
sich
erst in Sicherheit!
Leise
bog sie die Türe ins
Zimmer. Und schrak schon zurück in der nächsten Sekunde. Irgend etwas
hatte
sich gerührt in dem Zimmer, ganz rückwärts im Dunkeln. Ihre erregten
Nerven
zuckten grell, schon wollte sie um Hilfe schreien, da kam es leise von
drinnen,
mit ganz schlaftrunkener Stimme: „Bist du es, Mama?“
„Um
Gottes willen, was
machst du da?“ Sie stürzte hin zum Diwan, wo Edgar zusammengeknüllt lag
und
sich eben vom Schlafe aufraffte. Ihr erster Gedanke war, das Kind müsse
krank
sein oder Hilfe bedürftig.
Aber
Edgar sagte, ganz
verschlafen noch und mit leisem Vorwurf: „Ich habe so lange auf dich
gewartet,
und dann bin ich eingeschlafen.“
„Warum
denn?“
„Wegen
der Elefanten.“
„Was
für Elefanten?“
Jetzt
erst begriff sie. Sie
hatte ja dem Kinde versprochen, alles zu erzählen, heute noch, von der
Jagd und
den Abenteuern. Und da hatte sich dieser Bub auf ihr Zimmer
geschlichen, dieser
einfältige, kindische Bub, und im sicheren Vertrauen gewartet, bis sie
kam, und
war darüber eingeschlafen. Die Extravaganz empörte sie. Oder
eigentlich, sie
fühlte Zorn gegen sich selbst, ein leises Raunen von Schuld und Scham,
das sie
überschreien wollte. „Geh sofort zu Bett, du ungezogener Fratz“, schrie
sie ihn
an. Edgar staunte ihr entgegen. Warum war sie so zornig mit ihm, er
hatte doch
nichts getan? Aber diese Verwunderung reizte die schon Aufgeregte noch
mehr.
„Geh sofort in dein Zimmer“, schrie sie wütend, weil sie fühlte, daß
sie ihm
unrecht tat.
Edgar ging ohne ein Wort. Er war eigentlich furchtbar müde und
spürte nur verworren durch den drückenden Nebel von Schlaf, daß seine
Mutter
ein Versprechen nicht gehalten hatte und daß man in irgendeiner Weise
gegen ihn
schlecht war. Aber er revoltierte nicht. In ihm war alles stumpf durch
die
Müdigkeit; und dann, er ärgerte sich sehr, hier oben eingeschlafen zu
sein,
statt wach zu warten. „Ganz wie ein kleines Kind“, sagte er empört zu
sich
selber, ehe er wieder in Schlaf fiel.
Denn
seit gestern haßte er
seine eigene Kindheit.
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