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04.3
Geschichten
Stefan Zweig
Brennendes
Geheimnis
Geplänkel
Der
Baron hatte schlecht
geschlafen. Es ist immer gefährlich, nach einem abgebrochenen Abenteuer
zu
Bette zu gehen: eine unruhige, von schwülen Träumen gefährdete Nacht
ließ es
ihn bald bereuen, die Minute nicht mit hartem Griff gepackt zu haben.
Als er
morgens, noch von Schlaf und Mißmut umwölkt, hinunterkam, sprang ihm
der Knabe
aus einem Versteck entgegen, schloß ihn begeistert in die Arme und
begann ihn
mit tausend Fragen zu quälen. Er war glücklich, seinen großen Freund
wieder
eine Minute für sich zu haben und nicht mit der Mama teilen zu müssen.
Nur ihm
sollte er erzählen, nicht mehr Mama, bestürmte er ihn, denn die hätte,
trotz
ihres Versprechens, ihm nichts von all den wunderbaren Dingen
wiedergesagt. Er
überschüttete den unangenehm Aufgeschreckten, der seine Mißlaune nur
schlecht
verbarg, mit hundert kindischen Belästigungen. In diese Fragen mengte
er
überdies stürmische Bezeugungen seiner Liebe, glückselig, wieder mit
dem
Langgesuchten und seit frühmorgens Erwarteten allein zu sein.
Der
Baron antwortete
unwirsch. Dieses ewige Auflauern des Kindes, die Läppischkeit der
Fragen, wie
überhaupt die unbegehrte Leidenschaft begann ihn zu langweilen. Er war
müde,
nun tagaus, tagein mit einem zwölfjährigen Buben herumzuziehen und mit
ihm Unsinn
zu schwatzen. Ihm lag jetzt nur daran, die Mutter allein zu fassen, was
eben
durch des Kindes unerwünschte Anwesenheit zum Problem wurde. Ein erstes
Unbehagen vor dieser unvorsichtig geweckten Zärtlichkeit bemächtigte
sich
seiner, denn vorläufig sah er keine Möglichkeit, den allzu anhänglichen
Freund
loszuwerden.
Immerhin:
es kam auf den
Versuch an. Bis zehn Uhr, der Stunde, die er mit der Mutter zum
Spaziergang
verabredet hatte, ließ er das eifrige Gerede des Buben achtlos über
sich
hinplätschern, warf manchmal einen Brocken Gespräch hin, um ihn nicht
zu
beleidigen, durchblätterte aber gleichzeitig die Zeitung. Endlich, als
der
Zeiger fast senkrecht stand, bat er Edgar, wie sich plötzlich
erinnernd, für
ihn ins andere Hotel bloß einen Augenblick hinüberzugehen, um dort
nachzufragen, ob der Graf Grundheim, sein Vetter, schon angekommen sei.
Das
arglose Kind,
glückselig, endlich einmal seinem Freund mit etwas dienlich sein zu
können,
stolz auf seine Würde als Bote, sprang sofort weg und stürmte so toll
den Weg
hin, daß die Leute ihm verwundert nachstarrten. Aber ihm war gelegen,
zu
zeigen, wie flink er war, wenn man ihm Botschaften vertraute. Der Graf
war, so
sagte man ihm dort, noch nicht eingetroffen, ja zur Stunde gar nicht
angemeldet. Diese Nachricht brachte er in neuerlichem Sturmschritt
zurück.
Aber
in der Halle war der Baron nicht mehr zu finden. So klopfte er an seine
Zimmertür, – vergeblich! Beunruhigt rannte er alle Räume ab, das
Musikzimmer und das Kaffeehaus, stürmte aufgeregt zu seiner Mama, um
Erkundigungen
einzuziehen: auch sie war fort. Der Portier, an den er sich schließlich
ganz
verzweifelt wandte, sagte ihm zu seiner Verblüffung, sie seien beide
vor
einigen Minuten gemeinsam weggegangen!
Edgar
wartete geduldig.
Seine Arglosigkeit vermutete nichts Böses. Sie konnten ja nur eine
kurze Weile
wegbleiben, dessen war er sicher, denn der Baron brauchte ja seinen
Bescheid.
Aber die Zeit streckte breit ihre Stunden, Unruhe schlich sich an ihn
heran.
Überhaupt, seit dem Tage, da sich dieser fremde, verführerische Mensch
in sein
kleines, argloses Leben gemengt hatte, war das Kind den ganzen Tag
angespannt,
gehetzt und verwirrt. In einen so feinen Organismus, wie den der
Kinder, drückt
jede Leidenschaft wie in weiches Wachs ihre Spuren. Das nervöse Zittern
der
Augenlider trat wieder auf, schon sah er blässer aus. Edgar wartete und
wartete, geduldig zuerst, dann wild erregt und schließlich schon dem
Weinen
nah. Aber argwöhnisch war er noch immer nicht. Sein blindes Vertrauen
in diesen
wundervollen Freund vermutete ein Mißverständnis, und geheime Angst
quälte ihn,
er möchte vielleicht den Auftrag falsch verstanden haben.
Wie
seltsam aber war erst
dies, daß sie jetzt, da sie endlich zurückkamen, heiter plaudernd
blieben und
gar keine Verwunderung bezeigten. Es schien, als hätten sie ihn gar
nicht
sonderlich vermißt: „Wir sind dir entgegengegangen, weil wir hofften,
dich am
Weg zu treffen, Edi“, sagte der Baron, ohne sich nach dem Auftrag zu
erkundigen. Und als das Kind, ganz erschrocken, sie könnten ihn
vergebens
gesucht haben, zu beteuern begann, er sei nur auf dem geraden Wege der
Hochstraße gelaufen, und wissen wollte, welche Richtung sie gewählt
hätten, da
schnitt die Mama kurz das Gespräch ab. „Schon gut, schon gut! Kinder
sollen
nicht soviel reden.“
Edgar
wurde rot vor Ärger.
Das war nun schon das zweite Mal so ein niederträchtiger Versuch, ihn
vor
seinem Freund herabzusetzen. Warum tat sie das, warum versuchte sie
immer, ihn
als Kind darzustellen, das er doch – er war davon überzeugt –
nicht
mehr war? Offenbar war sie ihm neidisch auf seinen Freund und plante,
ihn zu
sich herüberzuziehen. Ja, und sicherlich war sie es auch, die den Baron
mit
Absicht den falschen Weg geführt hatte. Aber er ließ sich nicht von ihr
mißhandeln, das sollte sie sehen. Er wollte ihr schon Trotz bieten. Und
Edgar
beschloß, heute bei Tisch kein Wort mit ihr zu reden, nur mit seinem
Freund
allein.
Doch
das wurde ihm hart.
Was er am wenigsten erwartet hatte, trat ein: man bemerkte seinen Trotz
nicht.
Ja, sogar ihn selber schienen sie nicht zu sehen, ihn, der doch gestern
Mittelpunkt ihres Beisammenseins gewesen war! Sie sprachen beide über
ihn
hinweg, scherzten zusammen und lachten, als ob er unter den Tisch
gesunken
wäre. Das Blut stieg ihm zu den Wangen, in der Kehle saß ein Knollen,
der ihm
den Atem erwürgte. Mit Schauern wurde er seiner entsetzlichen
Machtlosigkeit
bewußt. Er sollte also hier ruhig sitzen und zusehen, wie seine Mutter
ihm den
Freund wegnahm, den einzigen Menschen, den er liebte, und sollte sich
nicht
wehren können, nicht anders als durch Schweigen? Ihm war, als müßte er
aufstehen und plötzlich mit beiden Fäusten auf den Tisch losschlagen.
Nur damit
sie ihn bemerkten. Aber er hielt sich zusammen, legte bloß Gabel und
Messer
nieder und rührte keinen Bissen mehr an. Aber auch dies hartnäckige
Fasten
merkten sie lange nicht, erst beim letzten Gang fiel es der Mutter auf,
und sie
fragte, ob er sich nicht wohl fühle. Widerlich, dachte er sich, immer
denkt sie
nur das eine, ob ich nicht krank bin, sonst ist ihr alles einerlei. Er
antwortete kurz, er habe keine Lust, und damit gab sie sich zufrieden.
Nichts,
gar nichts erzwang ihm Beachtung. Der Baron schien ihn vergessen zu
haben,
wenigstens richtete er nicht ein einziges Mal das Wort an ihn. Heißer
und
heißer quoll es ihm in die Augen, und er mußte die kindische List
anwenden,
rasch die Serviette zu heben, ehe es jemand sehen konnte, daß Tränen
über seine
Wangen sprangen und ihm salzig die Lippen näßten. Er atmete auf, wie
das Essen
zu Ende war.
Während
des Diners hatte
seine Mutter eine gemeinsame Wagenfahrt nach Maria-Schutz
vorgeschlagen. Edgar
hatte es gehört, die Lippe zwischen den Zähnen. Nicht eine Minute
wollte sie
ihn also mehr mit seinem Freunde allein lassen. Aber sein Haß stieg
erst wild
auf, als sie ihm jetzt beim Aufstehen sagte: „Edgar, du wirst noch
alles für
die Schule vergessen, du solltest doch einmal zu Hause bleiben, ein
bißchen
nachlernen!“ Wieder ballte er die kleine Kinderfaust. Immer wollte sie
ihn vor
seinem Freund demütigen, immer daran öffentlich erinnern, daß er noch
ein Kind
war, daß er in die Schule gehen mußte und nur geduldet unter
Erwachsenen war.
Diesmal war ihm die Absicht aber doch zu durchsichtig. Er gab gar keine
Antwort, sondern drehte sich kurzweg um.
„Aha,
wieder beleidigt“,
sagte sie lächelnd, und dann zum Baron: „Wäre das wirklich so arg, wenn
er
einmal eine Stunde arbeiten möchte?“
Und
da – im Herzen des
Kindes wurde etwas kalt und starr – sagte der Baron, er, der sich
seinen
Freund nannte, er, der ihn als Stubenhocker verhöhnt hatte: „Na, eine
Stunde
oder zwei könnten wirklich nicht schaden.“
War
das ein Einverständnis?
Hatten sie sich wirklich beide gegen ihn verbündet? In dem Blick des
Kindes
flammte der Zorn. „Mein Papa hat verboten, daß ich hier lerne, Papa
will, daß
ich mich hier erhole“, schleuderte er heraus mit dem ganzen Stolz auf
seine
Krankheit, verzweifelt sich an das Wort, an die Autorität seines Vaters
anklammernd. Wie eine Drohung stieß er es heraus. Und was das
merkwürdigste
war: das Wort schien tatsächlich in den beiden ein Mißbehagen zu
erwecken. Die
Mutter sah weg und trommelte nur nervös mit den Fingern auf den Tisch.
Ein
peinliches Schweigen stand breit zwischen ihnen. „Wie du meinst, Edi“,
sagte
schließlich der Baron mit einem erzwungenen Lächeln. „Ich muß ja keine
Prüfung
machen, ich bin schon längst bei allen durchgefallen.“
Aber
Edgar lächelte nicht
zu dem Scherz, sondern sah ihn nur an mit einem prüfenden, sehnsüchtig
eindringenden Blick, als wollte er ihm bis in die Seele greifen. Was
ging da
vor?
Etwas war verändert zwischen ihnen, und das Kind wußte nicht warum.
Unruhig ließ es die Augen wandern. In seinem Herzen hämmerte ein
kleiner,
hastiger Hammer: der erste Verdacht.
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