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04.3
Geschichten
Stefan Zweig
Brennendes
Geheimnis
Schweigen
Edgars
Unruhe war nun vorbei. Endlich
genoß er ein reines, klares Gefühl: Haß und offene Feindschaft. Jetzt,
da er
gewiß war, ihnen im Weg zu sein, wurde das Zusammensein für ihn zu
einer
grausam komplizierten Wollust. Er weidete sich im Gedanken, sie zu
stören,
ihnen nun endlich mit der ganzen geballten Kraft seiner Feindseligkeit
entgegenzutreten. Dem Baron wies er zuerst die Zähne. Als der morgens
herabkam
und ihn im Vorübergehen herzlich mit einem „Servus, Edi“ begrüßte,
knurrte Edgar,
der, ohne aufzuschauen, im Fauteuil sitzen blieb, ihm nur ein hartes
„Morgen“
zurück. „Ist die Mama schon unten?“ Edgar blickte in die Zeitung: „Ich
weiß
nicht.“ Der Baron stutzte. Was war das auf einmal? „Schlecht
geschlafen, Edi,
was?“ Ein Scherz sollte wie immer hinüberhelfen. Aber Edgar warf ihm
nur wieder
verächtlich ein „Nein“ hin und vertiefte sich neuerdings in die
Zeitung.
„Dummer Bub“, murmelte der Baron vor sich hin, zuckte die Achseln und
ging
weiter. Die Feindschaft war erklärt.
Auch
gegen seine Mama war Edgar kühl und
höflich. Einen ungeschickten Versuch, ihn auf den Tennisplatz zu
schicken, wies
er ruhig zurück. Sein Lächeln, knapp an den Lippen aufgerollt und leise
von
Erbitterung gekräuselt, zeigte, daß er sich nicht mehr betrügen lasse.
„Ich
gehe lieber mit euch spazieren, Mama“, sagte er mit falscher
Freundlichkeit und
blickte ihr in die Augen. Die Antwort war ihr sichtlich ungelegen. Sie
zögerte
und schien etwas zu suchen. „Warte hier auf mich“, entschied sie
endlich und
ging zum Frühstück.
Edgar
wartete. Aber sein Mißtrauen war
rege. Ein unruhiger Instinkt arbeitete nun zwischen jedem Wort dieser
beiden
eine geheime feindselige Absicht heraus. Der Argwohn gab ihm jetzt
manchmal
eine merkwürdige Hellsichtigkeit der Entschlüsse. Und statt, wie ihm
angewiesen
war, in der Hall zu warten, zog Edgar es vor, sich auf der Straße zu
postieren,
wo er nicht nur den einen Hauptausgang, sondern alle Türen überwachen
konnte.
Irgend etwas in ihm witterte Betrug. Aber sie sollten ihm nicht mehr
entwischen. Auf der Straße drückte er sich, wie er es in seinen
Indianerbüchern
gelernt hatte, hinter einen Holzstoß. Und lachte nur zufrieden, als er
nach
etwa einer halben Stunde seine Mutter tatsächlich aus der Seitentür
treten sah,
einen Busch prachtvoller Rosen in der Hand und gefolgt vom Baron, dem
Verräter.
Beide
schienen sie sehr übermütig.
Atmeten sie schon auf, ihm entgangen zu sein, allein für ihr Geheimnis?
Sie
lachten im Gespräch und schickten sich an, den Waldweg hinabzugehen.
Jetzt
war der Augenblick gekommen. Edgar
schlenderte gemächlich, als hätte ein Zufall ihn hergeführt, hinter dem
Holzstoß hervor. Ganz, ganz gelassen ging er auf sie zu, ließ sich
Zeit, sehr
viel Zeit, um sich ausgiebig an ihrer Überraschung zu weiden. Die
beiden waren
verblüfft und tauschten einen befremdeten Blick. Langsam, mit
gespielter
Selbstverständlichkeit kam das Kind heran und ließ seinen höhnischen
Blick
nicht von ihnen. „Ah, da bist du, Edi, wir haben dich schon drin
gesucht“,
sagte endlich die Mutter. Wie frech sie lügt, dachte das Kind. Aber die
Lippen
blieben hart. Sie hielten das Geheimnis des Hasses hinter den Zähnen.
Unschlüssig
standen sie alle drei. Einer
lauerte auf den andern. „Also gehen wir“, sagte resigniert die
verärgerte Frau
und zerpflückte eine der schönen Rosen. Wieder dieses leichte Zittern
um die
Nasenflügel, das bei ihr Zorn verriet. Edgar blieb stehen, als ginge
ihn das
nichts an, sah ins Blaue, wartete, bis sie gingen, dann schickte er
sich an,
ihnen zu folgen. Der Baron machte noch einen Versuch. „Heute ist
Tennisturnier,
hast du das schon einmal gesehen?“ Edgar blickte ihn nur verächtlich
an. Er
antwortete ihm gar nicht mehr, zog nur die Lippen krumm, als ob er
pfeifen
wollte. Das war sein Bescheid. Sein Haß wies die blanken Zähne.
Wie
ein Alp lastete nun seine unerbetene
Gegenwart auf den beiden. Sträflinge gehen so hinter dem Wärter, mit
heimlich
geballten Fäusten. Das Kind tat eigentlich gar nichts und wurde ihnen
doch in
jeder Minute mehr unerträglich mit seinen lauernden Blicken, die feucht
waren
von verbissenen Tränen, seiner gereizten Mürrischkeit, die alle
Annäherungsversuche wegknurrte.
„Geh voraus“, sagte
plötzlich wütend die
Mutter, beunruhigt durch sein fortwährendes Lauschen. „Tanz mir
nicht immer vor den
Füßen, das macht mich nervös!“ Edgar gehorchte, aber immer nach ein
paar
Schritten wandte er sich um, blieb wartend stehen, wenn sie
zurückgeblieben
waren, sie mit seinem Blick wie der schwarze Pudel mephistophelisch
umkreisend
und einspinnend in dieses feurige Netz von Haß, in dem sie sich
unentrinnbar gefangen
fühlten.
Sein
böses Schweigen zerriß wie eine
Säure ihre gute Laune, sein Blick vergällte ihnen das Gespräch. Der
Baron wagte
kein einziges werbendes Wort mehr, er spürte, mit Zorn, diese Frau ihm
wieder
entgleiten, ihre mühsam angefachte Leidenschaftlichkeit jetzt auskühlen
in der
Furcht vor diesem lästigen, widerlichen Kind. Immer versuchten sie
wieder zu
reden, immer brach ihre Konversation zusammen. Schließlich trotteten
sie alle
drei schweigend über den Weg, hörten nur mehr die Bäume flüsternd
gegeneinander
schlagen und ihren eigenen verdrossenen Schritt. Das Kind hatte ihr
Gespräch
erdrosselt.
Jetzt
war in allen dreien die gereizte
Feindseligkeit. Mit Wollust spürte das verratene Kind, wie sich ihre
Wut
wehrlos gegen seine mißachtete Existenz ballte. Mit zwinkernd
höhnischem Blick
streifte er ab und zu das verbissene Gesicht des Barons. Er sah, wie
der
zwischen den Zähnen Schimpfworte knirschte und an sich halten mußte, um
sie
nicht gegen ihn zu speien, merkte zugleich auch mit diabolischer Lust
den
aufsteigenden Zorn seiner Mutter, und daß beide nur einen Anlaß
ersehnten, sich
auf ihn zu stürzen, ihn wegzuschieben oder unschädlich zu machen. Aber
er bot
keine Gelegenheit, sein Haß war in langen Stunden berechnet und gab
sich keine
Blößen. „Gehen wir zurück!“ sagte plötzlich die Mutter. Sie fühlte, daß
sie
nicht länger an sich halten könnte, daß sie etwas tun müßte,
aufschreien
zumindest unter dieser Folter. „Wie schade,“ sagte Edgar ruhig, „es ist
so
schön.“
Beide
merkten, daß das Kind sie verhöhnte.
Aber sie wagten nichts zu sagen, dieser Tyrann hatte in zwei Tagen zu
wundervoll gelernt, sich zu beherrschen. Kein Zucken im Gesicht verriet
die
schneidende Ironie. Ohne Wort gingen sie den langen Weg wieder heim. In
ihr
flackerte die Erregung noch nach, als sie dann beide allein im Zimmer
waren.
Sie warf den Sonnenschirm und ihre Handschuhe ärgerlich weg. Edgar
merkte
sofort, daß ihre Nerven erregt waren und nach Entladung verlangten,
aber er
wollte einen Ausbruch und blieb mit Absicht im Zimmer, um sie zu
reizen. Sie
ging auf und ab, setzte sich wieder hin, ihre Finger trommelten auf dem
Tisch,
dann sprang sie wieder auf. „Wie zerrauft du bist, wie schmutzig du
umhergehst!
Es ist eine Schande vor den Leuten. Schämst du dich nicht in deinem
Alter?“ Ohne
ein Wort der Gegenrede ging das Kind hin und kämmte sich. Dieses
Schweigen,
dieses obstinate kalte Schweigen mit dem Zittern von Hohn auf den
Lippen machte
sie rasend. Am liebsten hätte sie ihn geprügelt. „Geh auf dein Zimmer“,
schrie
sie ihn an. Sie konnte seine Gegenwart nicht mehr ertragen. Edgar
lächelte und
ging.
Wie
sie jetzt beide zitterten vor ihm,
wie sie Angst hatten, der Baron und sie, vor jeder Stunde des
Zusammenseins,
dem unbarmherzig harten Griff seiner Augen! Je unbehaglicher sie sich
fühlten,
in um so satterem Wohlbehagen beglänzte sich sein Blick, um so
herausfordernder
wurde seine Freude. Edgar quälte die Wehrlosen jetzt mit der ganzen,
fast noch
tierischen Grausamkeit der Kinder. Der Baron konnte seinen Zorn noch
dämmen,
weil er immer hoffte, dem Buben noch einen Streich spielen zu können,
und nur
an sein Ziel dachte. Aber sie, die Mutter, verlor immer wieder die
Beherrschung. Für sie war es eine Erleichterung, ihn anschreien zu
können.
„Spiel nicht mit der Gabel“, fuhr sie ihn bei Tisch an. „Du bist ein
unerzogener Fratz, verdienst noch gar nicht unter Erwachsenen zu
sitzen.“ Edgar
lächelte nur immer, lächelte, den Kopf ein wenig schief zur Seite
gelegt. Er
wußte, daß dieses Schreien Verzweiflung war, und empfand Stolz, daß sie
sich so
verrieten. Er hatte jetzt einen ganz ruhigen Blick, wie den eines
Arztes.
Früher wäre er vielleicht boshaft gewesen, um sie zu ärgern, aber man
lernt
viel und rasch im Haß. Jetzt schwieg er nur, schwieg und schwieg, bis
sie zu
schreien begann unter dem Druck seines Schweigens.
Seine
Mutter konnte es nicht länger
ertragen. Als sie jetzt vom Essen aufstanden und Edgar wieder mit
dieser
selbstverständlichen Anhänglichkeit ihnen folgen wollte, brach es
plötzlich los
aus ihr. Sie vergaß alle Rücksicht und spie die Wahrheit aus. Gepeinigt
von
seiner schleichenden Gegenwart, bäumte sie sich wie ein von Fliegen
gefoltertes
Pferd. „Was rennst du mir immer nach wie ein dreijähriges Kind. Ich
will dich
nicht immer in der Nähe haben. Kinder gehören nicht zu Erwachsenen.
Merk dir
das! Beschäftige dich doch einmal eine Stunde mit dir selbst. Lies
etwas oder
tu, was du willst. Laß mich in Ruh! Du machst mich nervös mit deinem
Herumschleichen, deiner widerlichen Verdrossenheit.“
Endlich
hatte er es ihr entrissen, das
Geständnis! Edgar lächelte, während der Baron und sie jetzt verlegen
schienen.
Sie wandte sich ab und wollte weiter, wütend über sich selbst, daß sie
ihr
Unbehagen dem Kind eingestanden hatte. Aber Edgar sagte nur kühl: „Papa
will
nicht, daß ich allein hier herumgehe. Papa hat mir das Versprechen
abgenommen,
daß ich nicht unvorsichtig bin und bei dir bleibe.“
Er
betonte das Wort „Papa“, weil er
damals bemerkt hatte, daß es eine gewisse lähmende Wirkung auf die
beiden übte.
Auch sein Vater mußte also irgendwie verstrickt sein in dieses heiße
Geheimnis.
Papa mußte irgendeine geheime Macht über die beiden haben, die er nicht
kannte,
denn schon die Erwähnung seines Namens schien ihnen Angst
und Unbehagen zu bereiten. Auch diesmal entgegneten sie nichts. Sie
streckten
die Waffen. Die Mutter ging voran, der Baron mit ihr. Hinter ihnen kam
Edgar,
aber nicht demütig wie ein Diener, sondern hart, streng und
unerbittlich wie
ein Wächter. Unsichtbar klirrte er mit der Kette, an der sie rüttelten
und die
nicht zu zersprengen war. Der Haß hatte seine kindische Kraft gestählt,
er, der
Unwissende, war stärker als sie beide, denen das Geheimnis die Hände
band.
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