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04.3
Geschichten
Stefan Zweig
Brennendes
Geheimnis
Spuren
im Mondlicht
Der
Kellner, der Edgar das
Essen in seinen Stubenarrest gebracht hatte, schloß die Türe. Hinter
ihm
knackte das Schloß. Das Kind fuhr wütend auf: das war offenbar im
Auftrag
seiner Mutter geschehen, daß man ihn einsperrte wie ein bösartiges
Tier.
Finster rang es sich aus ihm.
„Was
geschieht nun da
drunten, während ich hier eingeschlossen bin? Was mögen die beiden
jetzt
bereden? Geschieht am Ende jetzt dort das Geheime, und ich muß es
versäumen?
Oh, dieses Geheimnis, das ich immer und überall spüre, wenn ich unter
Erwachsenen bin, vor dem sie die Türe zuschließen in der Nacht, das sie
in
leises Gespräch versenken, trete ich unversehens herein, dieses große
Geheimnis, das mir jetzt seit Tagen nahe ist, hart vor den Händen, und
das ich
noch immer nicht greifen kann! Was habe ich nicht schon getan, um es zu
fassen!
Ich habe Papa damals Bücher aus dem Schreibtisch gestohlen und sie
gelesen, und
alle diese merkwürdigen Dinge waren darin, nur daß ich sie nicht
verstand. Es
muß irgendwie ein Siegel daran sein, das erst abzulösen ist, um es zu
finden,
vielleicht in mir, vielleicht in den anderen. Ich habe das
Dienstmädchen
gefragt, sie gebeten, mir diese Stellen in den Büchern zu erklären,
aber sie
hat mich ausgelacht. Furchtbar, Kind zu sein, voll von Neugier, und
doch
niemand fragen zu dürfen, immer lächerlich zu sein vor diesen Großen,
als ob
man etwas Dummes oder Nutzloses wäre.
Aber ich werde es
erfahren, ich
fühle,
ich werde es jetzt bald wissen. Ein Teil ist schon in meinen Händen,
und ich
will nicht früher ablassen, ehe ich das Ganze besitze!“
Er
horchte, ob niemand
käme. Ein leichter Wind flog draußen durch die Bäume und brach den
starren
Spiegel des Mondlichtes zwischen dem Geäste in hundert schwanke
Splitter.
„Es
kann nichts Gutes sein,
was die beiden vorhaben, sonst hätten sie nicht solche erbärmliche
Lügen
gesucht, um mich fortzukriegen. Gewiß, sie lachen jetzt über mich, die
Verfluchten,
daß sich mich endlich los sind, aber ich werde zuletzt lachen. Wie dumm
von
mir, mich hier einsperren zu lassen, ihnen eine Sekunde Freiheit zu
geben,
statt an ihnen zu kleben und jede ihrer Bewegungen zu belauschen. Ich
weiß, die
Großen sind ja immer unvorsichtig, und auch sie werden sich verraten.
Sie
glauben immer von uns, daß wir noch ganz klein sind und abends immer
schlafen,
sie vergessen, daß man sich auch schlafend stellen kann und lauschen,
daß man
sich dumm geben kann und sehr klug sein. Jüngst, wie meine Tante ein
Kind
bekam, haben sie es lange vorausgewußt und sich nur vor mir verwundert
gestellt, als seien sie überrascht worden.
Aber ich habe es auch
gewußt, denn
ich habe sie reden gehört, vor Wochen am Abend, als sie glaubten, ich
schliefe.
Und so werde ich auch diesmal sie überraschen, diese Niederträchtigen.
Oh, wenn
ich durch die Türe spähen könnte, sie heimlich jetzt beobachten,
während sie
sich sicher wähnen. Sollte ich nicht vielleicht läuten jetzt, dann käme
das
Mädchen, sperrte die Tür auf und fragte, was ich wollte. Oder ich
könnte
poltern, könnte Geschirr zerschlagen, dann sperrte man auch auf. Und in
dieser
Sekunde könnte ich hinausschlüpfen und sie belauschen. Aber nein, das
will ich
nicht. Niemand soll sehen, wie niederträchtig sie mich behandeln. Ich
bin zu
stolz dazu. Morgen will ich es ihnen schon heimzahlen.“
Unten
lachte eine
Frauenstimme. Edgar schrak zusammen: das könnte seine Mutter sein. Die
hatte ja
Grund zu lachen, ihn zu verhöhnen, den Kleinen, Hilflosen, hinter dem
man den
Schlüssel abdrehte, wenn er lästig war, den man in den Winkel warf wie
ein
Bündel nasser Kleider.
Vorsichtig beugte er sich
zum Fenster hinaus.
Nein, sie
war es nicht, sondern fremde, übermütige Mädchen, die einen Burschen
neckten.
Da,
in dieser Minute
bemerkte er, wie wenig hoch sich eigentlich sein Fenster über die Erde
erhob.
Und schon, kaum daß ers merkte, war der Gedanke da: hinausspringen,
jetzt, wo
sie sich ganz sicher wähnten, sie belauschen. Er fieberte vor Freude
über
seinen Entschluß. Ihm war, als hielt er damit das große, das funkelnde
Geheimnis der Kindheit in den Händen. „Hinaus, hinaus“, zitterte es in
ihm.
Gefahr war keine. Menschen gingen nicht vorüber, und schon sprang er.
Es gab
ein leises Geräusch von knirschendem Kies, das keiner vernahm.
In
diesen zwei Tagen war
ihm das Beschleichen, das Lauern zur Lust seines Lebens geworden. Und
Wollust
fühlte er jetzt gemengt mit einem leisen Schauer von Angst, als er auf
ganz
leisen Sohlen um das Hotel schlich, sorgsam den stark ausstrahlenden
Widerschein der Lichter vermeidend. Zunächst blickte er, die Wange
vorsichtig
an die Scheiben pressend, in den Speisesaal. Ihr gewohnter Platz war
leer. Er
spähte dann weiter, von Fenster zu Fenster. Ins Hotel selbst wagte er
sich
nicht hinein, aus Furcht, er könnte ihnen zwischen den Gängen
unversehens in
den Weg laufen. Nirgends waren sie zu finden. Schon wollte er
verzweifeln, da
sah er zwei Schatten aus der Türe vorfallen und – er zuckte zurück und
duckte
sich in das Dunkel – seine Mutter mit ihrem nun unvermeidlichen
Begleiter
heraustreten. Gerade war er also zurecht gekommen. Was sprachen sie? Er
konnte
es nicht verstehen. Sie redeten leise, und der Wind rumorte zu unruhig
in den
Bäumen. Jetzt aber zog deutlich ein Lachen vorüber, die Stimme seiner
Mutter.
Es war ein Lachen, das er an ihr gar nicht kannte, ein seltsam
scharfes, wie
gekitzeltes, gereiztes nervöses Lachen, das ihn fremd anmutete und vor
dem er
erschrak. Sie lachte. Also konnte es nichts Gefährliches sein, nicht
etwas ganz
Großes und Gewaltiges, das man vor ihm verbarg. Edgar war ein wenig
enttäuscht.
Aber
warum verließen sie
das Hotel? Wohin gingen sie jetzt allein in der Nacht? Hoch oben mußten
mit
riesigen Flügeln Winde dahinstreifen, denn der Himmel, eben noch rein
und
mondklar, wurde jetzt dunkel. Schwarze Tücher, von unsichtbaren Händen
geworfen, wickelten manchmal den Mond ein, und die Nacht wurde dann so
undurchdringlich, daß man kaum den Weg sehen konnte, um bald wieder
hell zu
glänzen, wenn sich der Mond befreite. Silber floß kühl über die
Landschaft.
Geheimnisvoll war dieses Spiel zwischen Licht und Schatten und
aufreizend wie
das Spiel einer Frau mit Blöße und Verhüllungen. Gerade jetzt
entkleidete die
Landschaft wieder ihren blanken Leib: Edgar sah schräg über dem Weg die
wandelnden
Silhouetten, oder vielmehr die eine, denn so aneinander gepreßt gingen
sie, als
drängte sie eine innere Furcht zusammen. Aber wohin gingen sie jetzt,
die
beiden? Die Föhren ächzten, es war eine unheimliche Geschäftigkeit im
Wald, als
wühlte die wilde Jagd darin. „Ich folge ihnen,“ dachte Edgar, „sie
können
meinen Schritt nicht hören in diesem Aufruhr von Wind und Wald.“ Und er
sprang,
indes die unten auf der breiten, hellen Straße gingen, oben im Gehölz
von einem
Baum zum anderen leise weiter, von Schatten zu Schatten. Er folgte
ihnen zäh
und unerbittlich, segnete den Wind, der seine Schritte unhörbar machte,
und
verfluchte ihn, weil er ihm immer die Worte von drüben wegtrug. Nur
einmal,
wenn er hätte ihr Gespräch hören können, war er sicher, das Geheimnis
zu
halten.
Die
beiden unten gingen
ahnungslos. Sie fühlten sich selig allein in dieser weiten verwirrten
Nacht und
verloren sich in ihrer wachsenden Erregung. Keine Ahnung warnte sie,
daß oben
im vielverzweigten Dunkel jedem ihrer Schritte gefolgt wurde und zwei
Augen sie
mit der ganzen Kraft von Haß und Neugier umkrallt hielten.
Plötzlich
blieben sie
stehen. Auch Edgar hielt sofort inne und preßte sich enge an einen
Baum. Ihn
befiel eine stürmische Angst. Wie, wenn sie jetzt umkehrten und vor ihm
das
Hotel erreichten, wenn er sich nicht retten konnte in sein Zimmer und
die
Mutter es leer fand? Dann war alles verloren, dann wußten sie, daß er
sie
heimlich belauerte, und er durfte nie mehr hoffen, ihnen das Geheimnis
zu
entreißen. Aber die beiden zögerten, offenbar in einer
Meinungsverschiedenheit.
Glücklicherweise war Mondlicht, und er konnte alles deutlich sehen. Der
Baron
deutete auf einen dunklen schmalen Seitenweg, der in das Tal
hinabführte, wo
das Mondlicht nicht wie hier auf der Straße einen weiten vollen Strom
rauschte,
sondern nur in Tropfen und seltsamen Strahlen durchs Dickicht sickerte.
„Warum
will er dort hinab?“ zuckte es in Edgar. Seine Mutter schien „nein“ zu
sagen,
er aber, der andere, sprach ihr zu. Edgar konnte an der Art seiner
Gestikulation
merken, wie eindringlich er sprach. Angst befiel das Kind. Was wollte
dieser
Mensch von seiner Mutter? Warum versuchte er, dieser Schurke, sie ins
Dunkel zu
schleppen? Aus seinen Büchern, die für ihn die Welt waren, kamen
plötzlich
lebendige Erinnerungen von Mord und Entführung, von finsteren
Verbrechen.
Sicherlich, er wollte sie ermorden, und dazu hatte er ihn weggehalten,
sie
einsam hierher gelockt. Sollte er Hilfe schreien? Mörder! Der Ruf saß
ihm schon
ganz oben in der Kehle, aber die Lippen waren vertrocknet und brachten
keinen
Laut heraus. Seine Nerven spannten sich vor Aufregung, kaum konnte er
sich
gerade halten, erschreckt vor Angst griff er nach einem Halt – da
knackte ihm
ein Zweig unter den Händen.
Die
beiden wandten sich
erschreckt um und starrten ins Dunkel. Edgar blieb stumm an den Baum
gelehnt
mit angepreßten Armen, den kleinen Körper tief in den Schatten geduckt.
Es
blieb Totenstille. Aber doch, sie schienen erschreckt. „Kehren wir um“,
hörte
er seine Mutter sagen. Es klang geängstigt von ihren Lippen. Der Baron,
offenbar selbst beunruhigt, willigte ein. Die beiden gingen langsam und
eng
aneinander geschmiegt zurück. Ihre innere Befangenheit war Edgars
Glück. Auf
allen vieren, ganz unten im Holz, kroch er, die Hände sich blutig
reißend, bis
zur Wendung des Waldes, von dort lief er mit aller Geschwindigkeit, daß
ihm der
Atem stockte, bis zum Hotel und da mit ein paar Sprüngen hinauf. Der
Schlüssel,
der ihn eingesperrt hatte, steckte glücklicherweise von außen, er
drehte ihn
um, stürzte ins Zimmer und schon hin aufs Bett. Ein paar Minuten mußte
er
rasten, denn das Herz schlug ungestüm an seine Brust, wie ein Klöppel
an die
klingende Glockenwand.
Dann
wagte er sich auf,
lehnte am Fenster und wartete, bis sie kamen. Es dauerte lange. Sie
mußten
sehr, sehr langsam gegangen sein. Vorsichtig spähte er aus dem
umschatteten
Rahmen. Jetzt kamen sie langsam daher, Mondlicht auf den Kleidern.
Gespensterhaft sahen sie aus in diesem grünen Licht, und wieder
überfiel ihn
das süße Grauen, ob das wirklich ein Mörder sei und welch furchtbares
Geschehen
er durch seine Gegenwart verhindert hatte. Deutlich sah er in die
kreidehellen
Gesichter. In dem seiner Mutter war ein Ausdruck von Verzücktheit, den
er an
ihr nicht kannte, er hingegen schien hart und verdrossen. Offenbar,
weil ihm
seine Absicht mißlungen war.
Ganz
nahe waren sie schon.
Erst knapp vor dem Hotel lösten sich ihre Gestalten voneinander. Ob sie
heraufsehen würden? Nein, keiner blickte herauf. „Sie haben mich
vergessen“,
dachte der Knabe mit einem wilden Ingrimm, mit einem heimlichen
Triumph, „aber
ich nicht euch. Ihr denkt wohl, daß ich schlafe oder nicht auf der Welt
bin,
aber ihr sollt eueren Irrtum sehen. Jeden Schritt will ich euch
überwachen, bis
ich ihm, dem Schurken, das Geheimnis entrissen habe, das furchtbare,
das mich
nicht schlafen läßt. Ich werde euer Bündnis schon zerreißen. Ich
schlafe
nicht.“
Langsam
traten die beiden
in die Türe. Und als sie jetzt, einer hinter dem anderen, hineingingen,
umschlangen sich wieder für eine Sekunde die fallenden Silhouetten, als
einziger schwarzer Streif schwand ihr Schatten in die erhellte Tür.
Dann lag
der Platz im Mondlicht wieder blank vor dem Hause, wie eine weite Wiese
von
Schnee.
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