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04.3
Geschichten
Stefan Zweig
Brennendes Geheimnis
Der
Überfall
Edgar
trat atmend zurück
vom Fenster. Das Grauen schüttelte ihn. Noch nie war er in seinem Leben
ähnlich
Geheimnisvollem so nah gewesen. Die Welt der Aufregungen, der
spannenden
Abenteuer, jene Welt von Mord und Betrug aus seinen Büchern war in
seiner
Anschauung immer dort gewesen, wo die Märchen waren, hart hinter den
Träumen,
im Unwirklichen und Unerreichbaren. Jetzt auf einmal aber schien er
mitten
hineingeraten in diese grauenhafte Welt, und sein ganzes Wesen wurde
fieberhaft
geschüttelt durch so unverhoffte Begegnung. Wer war dieser Mensch, der
geheimnisvolle, der plötzlich in ihr ruhiges Leben getreten war? War er
wirklich ein Mörder, daß er immer das Entlegene suchte und seine Mutter
hinschleppen wollte, wo es dunkel war? Furchtbares schien
bevorzustehen. Er
wußte nicht, was zu tun. Morgen, das war er sicher, wollte er dem Vater
schreiben oder telegraphieren. Aber konnte es nicht noch jetzt
geschehen, heute
abend? Noch war ja seine Mutter nicht in ihrem Zimmer, noch war sie mit
diesem
verhaßten, fremden Menschen. Zwischen der inneren Tür und der äußeren,
leicht
beweglichen Tapetentür war ein schmaler Zwischenraum, nicht größer als
das
Innere eines Kleiderschrankes. Dort in diese Handbreit Dunkel preßte er
sich
hinein, um auf ihre Schritte im Gang zu lauern. Denn nicht einen
Augenblick, so
hatte er beschlossen, wollte er sie allein lassen. Der Gang lag jetzt
um
Mitternacht leer, matt nur beleuchtet von einer einzelnen Flamme.
Endlich –
die Minuten
dehnten sich ihm fürchterlich – hörte er behutsame Schritte
heraufkommen.
Er horchte angestrengt. Es war nicht ein rasches Losschreiten, wie wenn
jemand
gerade in sein Zimmer will, sondern schleifende, zögernde, sehr
verlangsamte
Schritte, wie einen unendlich schweren und steilen Weg empor.
Dazwischen immer
wieder Geflüster und ein Innehalten. Edgar zitterte vor Erregung. Waren
es am
Ende die beiden, blieb er noch immer mit ihr? Das Flüstern war zu
entfernt.
Aber die Schritte, wenn auch noch zögernd, kamen immer näher. Und jetzt
hörte
er auf einmal die verhaßte Stimme des Barons leise und heiser etwas
sagen, das
er nicht verstand, und dann gleich die seiner Mutter in rascher Abwehr:
„Nein,
nicht heute! Nein.“
Edgar
zitterte, sie kamen
näher, und er mußte alles hören. Jeder Schritt, so leise er auch war,
tat ihm
weh in der Brust. Und die Stimme, wie häßlich schien sie ihm, diese
gierig
werbende, widerliche Stimme des Verhaßten! „Seien Sie nicht grausam.
Sie waren
so schön heute abend.“
Und die andere wieder: „Nein, ich darf nicht, ich kann
nicht, lassen Sie mich los.“
Es
ist so viel Angst in der
Stimme seiner Mutter, daß das Kind erschrickt. Was will er denn noch
von ihr?
Warum fürchtet sie sich? Sie sind immer näher gekommen und müssen jetzt
schon
ganz vor seiner Tür sein. Knapp hinter ihnen steht er, zitternd und
unsichtbar,
eine Hand weit, geschützt nur durch die dünne Scheibe Tuch. Die Stimmen
sind
jetzt atemnah.
„Kommen
Sie, Mathilde,
kommen Sie!“ Wieder hört er seine Mutter stöhnen, schwächer jetzt, in
erlahmendem Widerstand.
Aber
was ist dies? Sie sind
ja weiter gegangen im Dunkeln. Seine Mutter ist nicht in ihr Zimmer,
sondern
daran vorbeigegangen! Wohin schleppt er sie? Warum spricht sie nicht
mehr? Hat
er ihr einen Knebel in den Mund gestopft, preßt er ihr die Kehle zu?
Die
Gedanken machen ihn
wild. Mit zitternder Hand stößt er die Türe eine Spannweite auf. Jetzt
sieht er
im dunkelnden Gang die beiden. Der Baron hat seiner Mutter den Arm um
die Hüfte
geschlungen und führt sie, die schon nachzugeben scheint, leise fort.
Jetzt
macht er halt vor seinem Zimmer. „Er will sie wegschleppen,“ erschrickt
das
Kind, „jetzt will er das Furchtbare tun.“
Ein
wilder Ruck, er schlägt
die Türe zu und stürzt hinaus, den beiden nach. Seine Mutter schreit
auf, wie
jetzt da aus dem Dunkel plötzlich etwas auf sie losstürzt, scheint in
eine
Ohnmacht gesunken, vom Baron nur mühsam gehalten. Der aber fühlt in
dieser
Sekunde eine kleine, schwache Faust in seinem Gesicht, die ihm die
Lippe hart
an die Zähne schlägt, etwas, was sich katzenhaft an seinen Körper
krallt. Er
läßt die Erschreckte los, die rasch entflieht, und schlägt blind, ehe
er noch
weiß, gegen wen er sich wehrt, mit der Faust zurück.
Das
Kind weiß, daß es der
Schwächere ist, aber es gibt nicht nach. Endlich, endlich ist der
Augenblick
da, der lang ersehnte, all die verratene Liebe, den aufgestapelten Haß
leidenschaftlich zu entladen. Er hämmert mit seinen kleinen Fäusten
blind drauflos,
die Lippen verbissen in einer fiebrigen, sinnlosen Gereiztheit. Auch
der Baron
hat ihn jetzt erkannt, auch er steckt voll Haß gegen diesen heimlichen
Spion,
der ihm die letzten Tage vergällte und das Spiel verdarb; er schlägt
derb
zurück, wohin es eben trifft. Edgar stöhnt auf, läßt aber nicht los und
schreit
nicht um Hilfe. Sie ringen eine Minute stumm und verbissen in dem
mitternächtigen Gang. Allmählich wird dem Baron das Lächerliche seines
Kampfes
mit einem halbwüchsigen Buben bewußt, er packt ihn fest an, um ihn
wegzuschleudern. Aber das Kind, wie es jetzt seine Muskeln nachlassen
spürt und
weiß, daß es in der nächsten Sekunde der Besiegte, der Geprügelte sein
wird,
schnappt in wilder Wut nach dieser starken, festen Hand, die ihn im
Nacken fassen
will. Unwillkürlich stößt der Gebissene einen dumpfen Schrei aus und
läßt
frei – eine Sekunde, die das Kind benützt, um in sein Zimmer zu
flüchten
und den Riegel vorzuschieben.
Eine
Minute nur hat dieser
mitternächtige Kampf gedauert. Niemand rechts und links hat ihn gehört.
Alles
ist still, alles scheint in Schlaf ertrunken. Der Baron wischt sich die
blutende Hand mit dem Taschentuch, späht beunruhigt in das Dunkel.
Niemand hat
gelauscht. Nur oben flimmert – ihm dünkt: höhnisch – ein
letztes,
unruhiges Licht.
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