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04.3
Geschichten
Stefan Zweig
Brennendes
Geheimnis
Gewitter
War
das Traum, ein böser,
gefährlicher Traum?“ fragte sich Edgar am nächsten Morgen, als er mit
versträhntem Haar aus einer Wirrnis von Angst erwachte. Den Kopf quälte
dumpfes
Dröhnen, die Gelenke ein erstarrtes, hölzernes Gefühl, und jetzt, wie
er an
sich hinabsah, merkte er erschreckt, daß er noch in den Kleidern stak.
Er
sprang auf, taumelte an den Spiegel und schauerte zurück vor seinem
eigenen
blassen, verzerrten Gesicht, das über der Stirne zu einem rötlichen
Striemen
verschwollen war. Mühsam raffte er seine Gedanken zusammen und
erinnerte sich
jetzt beängstigt an alles, an den nächtigen Kampf draußen im Gang, sein
Zurückstürzen ins Zimmer, und daß er dann, zitternd im Fieber,
angezogen und
fluchtbereit sich auf das Bett geworfen habe. Dort mußte er
eingeschlafen sein,
hinabgestürzt in diesen dumpfen, verhangenen Schlaf, in dessen Träumen
dann all
dies noch einmal wiedergekehrt war, nur anders und noch furchtbarer,
mit einem
feuchten Geruch von frischem, fließendem Blut.
Unten
gingen Schritte
knirschend über den Kies, Stimmen flogen wie unsichtbare Vögel herauf,
und die
Sonne griff tief ins Zimmer hinein. Es mußte schon spät am Vormittag
sein, aber
die Uhr, die er erschreckt befragte, deutete auf Mitternacht, er hatte
in
seiner Aufregung vergessen, sie gestern aufzuziehen. Und diese
Ungewißheit,
irgendwo lose in der Zeit zu hängen, beunruhigte ihn, verstärkt durch
das
Gefühl der Unkenntnis, was eigentlich geschehen war. Er richtete sich
rasch
zusammen und ging hinab, Unruhe und ein leises Schuldgefühl im Herzen.
Im
Frühstückszimmer saß
seine Mama allein am gewohnten Tisch. Edgar atmete auf, daß sein Feind
nicht
zugegen war, daß er sein verhaßtes Gesicht nicht sehen mußte, in das er
gestern
im Zorn seine Faust geschlagen hatte. Und doch, wie er nun an den Tisch
herantrat, fühlte er sich unsicher.
„Guten
Morgen“, grüßte er.
Seine
Mutter antwortete
nicht. Sie blickte nicht einmal auf, sondern betrachtete mit merkwürdig
starren
Pupillen in der Ferne die Landschaft. Sie sah sehr blaß aus, hatte die
Augen
leicht umrändert und um die Nasenflügel jenes nervöse Zucken, das so
verräterisch für ihre Erregung war. Edgar verbiß die Lippen. Dieses
Schweigen
verwirrte ihn. Er wußte eigentlich nicht, ob er den Baron gestern
schwer
verletzt hatte und ob sie überhaupt um diesen nächtigen Zusammenstoß
wissen
konnte. Und diese Unsicherheit quälte ihn. Aber ihr Gesicht blieb so
starr, daß
er gar nicht versuchte, zu ihr aufzublicken, aus Angst, die jetzt
gesenkten
Augen möchten plötzlich hinter den verhangenen Lidern aufspringen und
ihn
fassen. Er wurde ganz still, wagte nicht einmal, Lärm zu machen, ganz
vorsichtig hob er die Tasse und stellte sie wieder zurück, verstohlen
hinblickend auf die Finger seiner Mutter, die sehr nervös mit dem
Löffel
spielten und in ihrer Gekrümmtheit geheimen Zorn zu verraten schienen.
Eine
Viertelstunde saß er so in dem schwülen Gefühl der Erwartung auf etwas,
das
nicht kam. Kein Wort, kein einziges erlöste ihn. Und jetzt, da seine
Mutter
aufstand, noch immer, ohne seine Gegenwart bemerkt zu haben, wußte er
nicht,
was er tun sollte: allein hier beim Tisch sitzen bleiben oder ihr
folgen.
Schließlich erhob er sich doch, ging demütig hinter ihr her, die ihn
geflissentlich übersah, und spürte immer dabei, wie lächerlich sein
Nachschleichen war. Immer kleiner machte er seine Schritte, um mehr und
mehr
hinter ihr zurückzubleiben, die, ohne ihn zu beachten, in ihr Zimmer
ging. Als
Edgar endlich nachkam, stand er vor einer hart geschlossenen Türe.
Was
war geschehen? Er
kannte sich nicht mehr aus. Das sichere Bewußtsein von gestern hatte
ihn
verlassen. War er am Ende gestern im Unrecht gewesen mit diesem
Überfall? Und bereiteten
sie gegen ihn eine Strafe vor oder eine neue Demütigung? Etwas mußte
geschehen,
das fühlte er, etwas Furchtbares mußte sehr bald geschehen. Zwischen
ihnen war
die Schwüle eines aufziehenden Gewitters, die elektrische Spannung
zweier
geladener Pole, die sich im Blitz erlösen mußte. Und diese Last des
Vorgefühls
schleppte er durch vier einsame Stunden mit sich herum, von Zimmer zu
Zimmer,
bis sein schmaler Kindernacken niederbrach von unsichtbarem Gewicht und
er
mittags, nun schon ganz demütig, an den Tisch trat.
„Guten
Tag“, sagte er
wieder. Er mußte dieses Schweigen zerreißen, dieses furchtbar drohende,
das
über ihm als schwarze Wolke hing.
Wieder
antwortete die
Mutter nicht, wieder sah sie an ihm vorbei. Und mit neuem Erschrecken
fühlte
sich Edgar jetzt einem besonnenen, geballten Zorn gegenüber, wie er ihn
bisher
in seinem Leben noch nicht gekannt hatte. Bisher waren ihre
Streitigkeiten
immer nur Wutausbrüche mehr der Nerven als des Gefühls gewesen, rasch
verflüchtigt in ein Lächeln der Begütigung. Diesmal aber hatte er, das
wurde
ihm deutlich bewußt, ein wildes Gefühl aus dem untersten Grund ihres
Wesens
aufgewühlt, und er erschrak vor dieser unvorsichtig beschworenen
Gewalt. Kaum
vermochte er zu essen. In seiner Kehle quoll etwas Trockenes auf, das
ihn zu
erwürgen drohte. Seine Mutter schien von alldem nichts zu merken. Nur
jetzt,
beim Aufstehen, wandte sie sich wie gelegentlich zurück und sagte:
„Komm
dann hinauf, Edgar,
ich habe mit dir zu reden.“
Es
klang nicht drohend,
aber doch so eisig kalt, daß Edgar die Worte schauernd fühlte, als
hätte man
ihm eine eiserne Kette plötzlich um den Hals gelegt. Sein Trotz war
zertreten.
Schweigend, wie ein geprügelter Hund, folgte er ihr hinauf in das
Zimmer.
Sie
verlängerte ihm die
Qual, indem sie einige Minuten schwieg. Minuten, in denen er die Uhr
schlagen
hörte und draußen ein Kind lachen und in sich selbst das Herz an die
Brust
hämmern. Aber auch in ihr mußte eine große Unsicherheit sein, denn sie
sah ihn nicht
an, während sie jetzt zu ihm sprach, sondern wandte ihm den Rücken.
„Ich
will nicht mehr über
dein Betragen von gestern reden. Es war unerhört, und ich schäme mich
jetzt,
wenn ich daran denke. Du hast dir die Folgen selber zuzuschreiben. Ich
will dir
jetzt nur sagen, es war das letztemal, daß du allein unter Erwachsenen
sein
durftest. Ich habe eben an deinen Papa geschrieben, daß du einen
Hofmeister
bekommst oder in ein Pensionat geschickt wirst, um Manieren zu lernen.
Ich
werde mich nicht mehr mit dir ärgern.“
Edgar
stand mit gesenktem
Kopf da. Er spürte, daß dies nur eine Einleitung, eine Drohung war, und
wartete
beunruhigt auf das Eigentliche.
„Du
wirst dich jetzt sofort
beim Baron entschuldigen.“
Edgar
zuckte auf, aber sie
ließ sich nicht unterbrechen.
„Der
Baron ist heute
abgereist, und du wirst ihm einen Brief schreiben, den ich dir
diktieren
werde.“
Edgar
rührte sich wieder,
aber seine Mutter war fest.
„Keine
Widerrede. Da ist
Papier und Tinte, setze dich hin.“
Edgar
sah auf. Ihre Augen
waren gehärtet von einem unbeugsamen Entschluß. So hatte er seine
Mutter nie
gekannt, so hart und gelassen. Furcht überkam ihn. Er setzte sich hin,
nahm die
Feder, duckte aber das Gesicht tief auf den Tisch.
„Oben
das Datum. Hast du?
Vor der Überschrift eine Zeile leer lassen. So! Sehr geehrter Herr
Baron!
Rufzeichen. Wieder eine Zeile freilassen. Ich erfahre soeben zu meinem
Bedauern – hast du? – zu meinem Bedauern, daß Sie den
Semmering schon
verlassen haben, – Semmering mit zwei m – und so muß ich brieflich
tun, was
ich persönlich beabsichtigt hatte, nämlich – etwas rascher, es muß
nicht
kalligraphiert sein! – Sie um Entschuldigung bitten für mein
gestriges
Betragen. Wie Ihnen meine Mama gesagt haben wird, bin ich noch
Rekonvaleszent
von einer schweren Erkrankung und sehr reizbar. Ich sehe dann oft
Dinge, die
übertrieben sind und die ich im nächsten Augenblick bereue …“
Der
gekrümmte Rücken über
dem Tisch schnellte auf. Edgar drehte sich um: sein Trotz war wieder
wach.
„Das
schreibe ich nicht,
das ist nicht wahr!“
„Edgar!“
Sie
drohte mit der Stimme.
„Es
ist nicht wahr. Ich
habe nichts getan, was ich zu bereuen habe. Ich habe nichts Schlechtes
getan,
wofür ich mich zu entschuldigen hätte. Ich bin dir nur zu Hilfe
gekommen, wie
du gerufen hast!“
Ihre
Lippen wurden blutlos,
die Nasenflügel spannten sich.
„Ich
habe um Hilfe gerufen?
Du bist toll!“
Edgar
wurde zornig, mit
einem Ruck sprang er auf.
„Ja,
du hast um Hilfe
gerufen, da draußen im Gang, gestern nacht, wie er dich angefaßt hat.
‚Lassen
Sie mich, lassen Sie mich‘, hast du gerufen. So laut, daß ichs bis ins
Zimmer
hinein gehört habe.“
„Du
lügst, ich war nie mit
dem Baron im Gang hier. Er hat mich nur bis zur Treppe
begleitet …“
In
Edgar stockte das Herz
bei dieser kühnen Lüge. Die Stimme verschlug sich ihm, er starrte sie
an mit
gläsernen Augensternen.
„Du …
warst
nicht … im Gang? Und er … er hat dich nicht gehalten? Nicht
mit
Gewalt herumgefaßt?“
Sie
lachte. Ein kaltes,
trockenes Lachen.
„Du
hast geträumt.“
Das
war zuviel für das
Kind. Er wußte jetzt ja schon, daß die Erwachsenen logen, daß sie
kleine, kecke
Ausreden hatten, Lügen, die durch enge Maschen schlüpften, und listige
Zweideutigkeiten. Aber dies freche, kalte Ableugnen, Stirn gegen Stirn,
machte
ihn rasend.
„Und
da diese Striemen habe
ich auch geträumt?“
„Wer
weiß, mit wem du dich
herumgeschlagen hast. Aber ich brauche ja mit dir keine Diskussion zu
führen,
du hast zu parieren, und damit Schluß. Setze dich hin und schreib!“
Sie
war sehr blaß und
suchte mit letzter Kraft ihre Anspannung aufrecht zu halten.
Aber
in Edgar brach
irgendwie etwas jetzt zusammen, irgendeine letzte Flamme von
Gläubigkeit. Daß
man die Wahrheit so einfach mit dem Fuß ausstampfen konnte wie ein
brennendes
Zündholz, das ging ihm nicht ein. Eisig zogs sich in ihm zusammen,
alles wurde
spitz, boshaft, ungefaßt, was er sagte:
„So,
das habe ich geträumt?
Das im Gang und den Striemen da? Und daß ihr beide gestern dort im
Mondschein
promeniert seid, und daß er dich den Weg hinabführen wollte, das
vielleicht
auch? Glaubst du, ich lasse mich einsperren im Zimmer wie ein kleines
Kind!
Nein, ich bin nicht so dumm, wie ihr glaubt. Ich weiß, was ich weiß.“
Frech
starrte er ihr in das
Gesicht, und das brach ihre Kraft: das Gesicht ihres eigenen Kindes zu
sehen,
knapp vor sich und verzerrt von Haß. Ungestüm brach ihr Zorn heraus.
„Vorwärts,
du wirst sofort
schreiben! Oder …“
„Oder
was …?“
Herausfordernd frech war jetzt seine Stimme geworden.
„Oder
ich prügel dich wie
ein kleines Kind.“
Edgar
trat einen Schritt
näher, höhnisch, und lachte nur.
Da
fuhr ihm schon ihre Hand
ins Gesicht. Edgar schrie auf. Und wie ein Ertrinkender, der mit den
Händen um
sich schlägt, nur ein dumpfes Brausen in den Ohren, rotes Flirren vor
den
Augen, so hieb er blind mit den Fäusten zurück. Er spürte, daß er in
etwas
Weiches schlug, jetzt gegen das Gesicht, hörte einen Schrei …
Dieser
Schrei brachte ihn
zu sich. Plötzlich sah er sich selbst, und das Ungeheure wurde ihm
bewußt: daß
er seine Mutter schlug. Eine Angst überfiel ihn, Scham und Entsetzen,
das
ungestüme Bedürfnis, jetzt weg zu sein, in den Boden zu sinken, fort zu
sein,
fort, nur nicht mehr unter diesen Blicken. Er stürzte zur Türe und die
Treppe
rasch hinab, durch das Haus auf die Straße, fort, nur fort, als hetzte
hinter
ihm eine rasende Meute.
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