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04.3
Geschichten
Stefan Zweig
Brennendes
Geheimnis
Verwirrende
Finsternis
Fenster
waren verschlossen,
offenbar waren alle mit Gästen rückwärts im Garten. Schon berührte er
die kühle
Klinke, als ein Seltsames geschah: mit einem Male schien ihm das, was
er sich
jetzt seit zwei Stunden so leicht, so selbstverständlich Aber dann in
Baden,
als der Zug hielt und Edgar sich allein auf dem Perron befand, wo schon
die
Lichter entflammt waren, die Signale grün und rot in die Ferne
glänzten,
verband sich unversehens mit diesem bunten Anblick eine plötzliche
Bangnis vor
der nahen Nacht. Bei Tag hatte er sich noch sicher gefühlt, denn
ringsum waren
ja Menschen, man konnte sich ausruhen, auf eine Bank setzen oder vor
den Läden
in die Fenster starren. Wie aber würde er dies ertragen können, wenn
die
Menschen sich wieder in die Häuser verloren, jeder ein Bett hatte, ein
Gespräch
und dann eine beruhigte Nacht, während er im Gefühl seiner Schuld
allein
herumirren mußte, in einer fremden Einsamkeit. Oh, nur bald ein Dach
über sich
haben, nicht eine Minute mehr unter freiem fremden Himmel stehen, das
war sein
einziges klares Gefühl.
Hastig
ging er den
wohlbekannten Weg, ohne nach rechts und links zu blicken, bis er
endlich vor
die Villa kam, die seine Großmutter bewohnte. Sie lag schön an einer
breiten
Straße, aber nicht frei den Blicken dargeboten, sondern hinter Ranken
und Efeu
eines wohlbehüteten Gartens, ein Glanz hinter einer Wolke von Grün, ein
weißes,
altväterisch freundliches Haus. Edgar spähte durch das Gitter wie ein
Fremder.
Innen regte sich nichts, die gedacht hatte, unmöglich. Wie sollte er
eintreten,
wie sie begrüßen, wie diese Fragen ertragen und wie beantworten? Wie
diesen
ersten Blick aushalten, wenn er berichten mußte, daß er heimlich seiner
Mutter
entflohen sei? Und wie gar das Ungeheuerliche seiner Tat erklären, die
er
selbst schon nicht mehr begriff! Innen ging jetzt eine Tür. Mit einem
Male
befiel ihn eine törichte Angst, es möchte jemand kommen, und er lief
weiter,
ohne zu wissen wohin.
Vor
dem Kurpark hielt er
an, weil er dort Dunkel sah und keine Menschen vermutete. Dort konnte
er sich
vielleicht niedersetzen und endlich, endlich ruhig denken, ausruhen und
über
sein Schicksal klar werden. Schüchtern trat er ein. Vorne brannten ein
paar
Laternen und gaben den noch jungen Blättern einen gespenstigen
Wasserglanz von
durchsichtigem Grün; weiter rückwärts aber, wo er den Hügel
niedersteigen
mußte, lag alles wie eine einzige, dumpfe, schwarze, gärende Masse in
der
wirren Finsternis einer verfrühten Frühlingsnacht. Edgar schlich scheu
an den
paar Menschen vorbei, die hier unter dem Lichtkreis der Laternen
plaudernd oder
lesend saßen: er wollte allein sein. Aber auch droben in der
schattenden
Finsternis der unbeleuchteten Gänge war keine Ruhe. Alles war da
erfüllt von
einem leisen, lichtscheuen Rieseln und Reden, das vielfach gemischt war
mit dem
Atem des Windes zwischen den biegsamen Blättern, dem Schlürfen ferner
Schritte,
dem Flüstern verhaltener Stimmen, mit irgendeinem wollüstigen,
seufzenden,
angstvoll stöhnenden Getön, das von Menschen und Tieren und der unruhig
schlafenden Natur gleichzeitig ausgehen mochte. Es war eine gefährliche
Unruhe,
eine geduckte, versteckte und beängstigende rätselhafte, die hier
atmete,
irgendein unterirdisches Wühlen im Wald, das vielleicht nur mit dem
Frühling
zusammenhing, das ratlose Kind aber seltsam verängstigte.
Er
preßte sich ganz klein
auf eine Bank hin in dieses abgründige Dunkel und versuchte nun zu
überlegen,
was er zu Hause erzählen sollte. Aber die Gedanken glitten ihm
glitschig weg,
ehe er sie fassen konnte, gegen seinen eigenen Willen mußte er immer
nur
lauschen und lauschen auf das gedämpfte Tönen, die mystischen Stimmen
des
Dunkels. Wie furchtbar diese Finsternis war, wie verwirrend und doch
wie
geheimnisvoll schön! Waren es Tiere oder Menschen oder nur die
gespenstige Hand
des Windes, die all dieses Rauschen und Knistern, dieses Surren und
Locken
ineinanderwebte? Er lauschte. Es war der Wind, der unruhig durch die
Bäume
schlich, aber – jetzt sah er es deutlich – auch Menschen, verschlungene
Paare,
die von unten, von der hellen Stadt heraufkamen und die Finsternis mit
ihrer
rätselhaften Gegenwart belebten. Was wollten sie? Er konnte es nicht
begreifen.
Sie sprachen nicht miteinander, denn er hörte keine Stimmen, nur die
Schritte
knirschten unruhig im Kies, und hie und da sah er in der Lichtung ihre
Gestalten flüchtig wie Schatten vorüberschweben, immer aber so in eins
verschlungen, wie er damals seine Mutter mit dem Baron gesehen hatte.
Dieses
Geheimnis, das große, funkelnde und verhängnisvolle, es war also auch
hier.
Immer näher hörte er jetzt Schritte herankommen und nun auch ein
gedämpftes
Lachen. Angst befiel ihn, die Nahenden möchten ihn hier finden, und
noch tiefer
ins Dunkel drückte er sich hinein. Aber die beiden, die jetzt durch die
undurchdringliche Finsternis den Weg herauftasteten, sahen ihn nicht.
Verschlungen gingen sie vorbei, schon atmete Edgar auf, da stockte
plötzlich
ihr Schritt, knapp vor seiner Bank. Sie preßten die Gesichter
aneinander, Edgar
konnte nichts deutlich sehen, er hörte nur, wie ein Stöhnen aus dem
Munde der
Frau brach, der Mann heiße, wahnsinnige Worte stammelte, und irgendein
schwüles
Vorgefühl durchdrang seine Angst mit einem wollüstigen Schauer. Eine
Minute
blieben sie so, dann knirschte wieder der Kies unter ihren
weiterwandernden
Schritten, die dann bald in der Finsternis verklangen.
Edgar
schauerte zusammen.
Das Blut stürzte ihm jetzt wieder in die Adern zurück, heißer und
wärmer als
zuvor. Und mit einem Male fühlte er sich unerträglich einsam in dieser
verwirrenden Finsternis, urmächtig kam das Bedürfnis über ihn nach
irgendeiner
befreundeten Stimme, einer Umarmung, nach einem hellen Zimmer, nach
Menschen,
die er liebte. Ihm war, als wäre die ganze ratlose Dunkelheit dieser
wirren
Nacht nun in ihn gesunken und zersprenge ihm die Brust.
Er
sprang auf. Nur heim, heim,
irgendwo zu Hause sein im warmen, im hellen Zimmer, in irgendeinem
Zusammenhang
mit Menschen. Was konnte ihm denn geschehen? Sollte man ihn schlagen
und
beschimpfen, er fürchtete nichts mehr, seit er dieses Dunkel gespürt
hatte und
die Angst vor der Einsamkeit.
Es
trieb ihn vorwärts, ohne
daß er sich spürte, und plötzlich stand er neuerdings vor der Villa,
die Hand
wieder an der kühlen Klinke. Er sah, wie jetzt die Fenster erleuchtet
durch das
Grün glimmerten, sah in Gedanken hinter jeder hellen Scheibe den
vertrauten
Raum mit seinen Menschen darin. Schon dieses Nahsein gab ihm Glück,
schon
dieses erste, beruhigende Gefühl, daß er nah sei zu Menschen, von denen
er sich
geliebt wußte. Und wenn er noch zögerte, so war es nur, um dieses
Vorgefühl
inniger zu genießen.
Da
schrie hinter ihm eine
Stimme mit gellem Erschrecken:
„Edgar,
da ist er ja!“
Das
Dienstmädchen seiner
Großmama hatte ihn gesehen, stürzte auf ihn los und faßte ihn bei der
Hand. Die
Türe wurde innen aufgerissen, bellend sprang ein Hund an ihm empor, aus
dem
Hause kam man mit Lichtern, er hörte Stimmen mit Jubel und Schreck
rufen, einen
freudigen Tumult von Schreien und Schritten, die sich näherten,
Gestalten, die
er jetzt erkannte. Vorerst seine Großmutter mit ausgestrecktem Arm und
hinter ihr
– er glaubte zu träumen – seine Mutter. Mit verweinten Augen, zitternd
und
verschüchtert, stand er selbst inmitten dieses heißen Ausbruchs
überschwenglicher Gefühle, unschlüssig, was er tun, was er sagen
sollte, und
selber unklar, was er fühlte: Angst oder Glück.
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