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04.3
Geschichten Stefan Zweig
Die Gouvernante
aus
Vier
Geschichten aus Kinderland
Die
Gouvernante
Lauernd
und beobachtend, nichts außer acht lassend,
was sich im Umkreis ihrer Blicke rührt, hat eine in diesen Tagen,
plötzlich ins
Zimmer tretend, ein Wort aufgefangen. Gerade ein Satz war es nur, denn
die
Eltern haben sofort das Gespräch abgebrochen, aber jedes Wort entzündet
in
ihnen jetzt tausend
Vermutungen. »Mir ist auch schon so
etwas aufgefallen«, hat die Mutter gesagt. »Ich werde sie mir dann ins
Verhör
nehmen.« Das Kind hat es zuerst auf sich bezogen und ist, fast
ängstlich, zur
Schwester geeilt, um Rat, um Hilfe. Aber mittags merken sie, wie die
Blicke
ihrer Eltern prüfend auf dem unachtsam verträumten Gesicht des
Fräuleins ruhen
und sich dann begegnen.
Nach
Tisch sagt die Mutter leichthin zum Fräulein:
»Bitte, kommen Sie dann in mein Zimmer. Ich habe mit Ihnen zu
sprechen.« Das
Fräulein neigt leise den Kopf. Die Mädchen zittern heftig, sie spüren,
jetzt
wird etwas geschehen.
Und
sofort, wie das Fräulein hineingeht, stürzen sie
nach. Dieses An-den-Türen-kleben, das Durchstöbern der Ecken, das
Lauschen und
Belauern ist für sie ganz selbstverständlich geworden. Sie spüren gar
nicht
mehr das Häßliche und Verwegene daran, sie haben nur einen Gedanken,
sich aller
Geheimnisse zu bemächtigen, mit denen man ihnen den Blick verhängt.
Sie
horchen. Aber nur ein leises Zischeln von
geflüsterten Worten hören sie. Ihr Körper zittert nervös. Sie haben
Angst,
alles könnte ihnen entgehen.
Da
wird drin eine Stimme lauter. Es ist die ihrer
Mutter. Bös und zänkisch klingt sie:
»Haben
Sie geglaubt, daß alle Leute blind sind, daß man
so etwas nicht bemerkt? Ich kann mir denken, wie Sie Ihre Pflicht
erfüllt haben
mit solchen Gedanken und solcher Moral. Und so jemandem habe ich die
Erziehung
meiner Kinder anvertraut, meiner Töchter, die Sie, weiß Gott wie,
vernachlässigt haben . . .
Das
Fräulein scheint etwas zu erwidern. Aber zu leise
spricht sie, als daß die Kinder verstehen könnten.
»Ausreden,
Ausreden! Jede leichtfertige Person hat
ihre Ausrede. Das gibt sich dem ersten besten hin und denkt an nichts.
Der
liebe Gott wird schon weiterhelfen. Und so jemand will Erzieherin sein,
Mädchen
heranbilden. Eine Frechheit ist das. Sie glauben doch nicht, daß ich
Sie in
diesem Zustande noch länger im Hause behalten werde?«
Die
Kinder horchen draußen. Schauer rinnen über ihren
Körper. Sie verstehen das alles nicht, aber es ist ihnen furchtbar, die
Stimme
ihrer Mutter so zornig zu hören, und jetzt als einzige Antwort das
leise wilde
Schluchzen des Fräuleins. Tränen quellen auf in ihren Augen. Aber ihre
Mutter
scheint nur erregter zu werden.
»Das
ist das einzige, was Sie wissen, jetzt zu weinen.
Das rührt mich nicht. Mit solchen Personen hab ich kein Mitleid. Was
aus Ihnen
jetzt wird, geht mich
gar nichts an. Sie werden ja
wissen, an wen Sie sich zu wenden haben, ich frag Sie gar nicht danach.
Ich
weiß nur, daß ich jemanden, der so niederträchtig seine Pflicht
vernachlässigt
hat, nicht einen Tag mehr in meinem Hause dulde.«
Nur
Schluchzen antwortet, dieses verzweifelte,
tierisch wilde Schluchzen, das die Kinder draußen schüttelt wie ein
Fieber. Nie
haben sie so weinen hören. Und dumpf fühlen sie, wer so weint, kann
nicht
unrecht haben. Ihre Mutter schweigt jetzt und wartet. Dann sagt sie
plötzlich
schroff: »So, das habe ich Ihnen nur sagen wollen. Richten Sie heute
Ihre
Sachen und kommen Sie morgen früh um Ihren Lohn. Adieu!«
Die
Kinder springen weg von der Tür und retten sich
hinein in ihr Zimmer. Was war das? Wie ein Blitz ist es vor ihnen
niedergefahren. Bleich und schauernd stehen sie da. Zum erstenmal ahnen
sie
irgendwie die Wirklichkeit. Und zum erstenmal wagen sie etwas wie
Auflehnung
gegen ihre Eltern zu empfinden.
»Das
war gemein von Mama, so mit ihr zu reden«, sagt
die Ältere mit verbissenen Lippen.
Die
Kleine schrickt noch zurück vor dem verwegenen
Wort. »Aber wir wissen doch gar nicht, was sie getan hat«, stottert sie
klagend.
»Sicher
nichts Schlechtes. Das Fräulein kann nichts
Schlechtes getan haben. Mama kennt sie nicht.«
»Und
dann, wie sie geweint hat. Angst hat es mir
gemacht.«
»Ja,
das war furchtbar. Aber wie auch Mama mit ihr
geschrien hat. Das war gemein, ich sage dir, das war gemein.«
Sie
stampft auf mit dem Fuß. Tränen verhüllen ihr die
Augen. Da kommt das Fräulein herein. Sie sieht sehr müde aus.
»Kinder,
ich habe heute nachmittag zu tun. Nicht wahr,
ihr bleibt allein, ich kann mich auf euch verlassen? Ich sehe dann
abends nach
euch.«
Sie
geht, ohne die Erregung der Kinder zu merken.
»Hast
du gesehen, ihre Augen waren ganz verweint. Ich
verstehe nicht, daß Mama mit ihr so umgehen konnte.«
»Das
arme Fräulein!«
Es
klingt wieder auf, mitleidig und tränentief.
Verstört stehn sie da. Da kommt ihre Mutter herein und fragt, ob sie
mit ihr
spazieren fahren wollen. Die Kinder weichen aus. Sie haben Angst vor
Mama. Und
dann empört es sie, daß ihnen nichts über die Verabschiedung des
Fräuleins gesagt
wird. Sie bleiben lieber allein. Wie zwei Schwalben in einem
engen Käfig schießen sie hin und her, erdrückt von dieser Atmosphäre
der Lüge
und des Verschweigens. Sie überlegen, ob sie nicht hinein zum Fräulein
sollen
und sie fragen, mit ihr reden über alles, daß sie dableiben solle und
daß Mama
unrecht hat. Aber sie haben Angst, sie zu kränken. Und dann schämen sie
sich:
alles, was sie wissen, haben sie ja erhorcht und erschlichen. Sie
müssen sich
dumm stellen, dumm, wie sie es waren bis vor zwei, drei Wochen. So
bleiben sie
allein, einen endlosen langen Nachmittag, grübelnd und weinend und
immer diese
schreckhaften Stimmen im Ohr, den bösen, herzlosen Zorn ihrer Mutter
und das
verzweifelte Schluchzen des Fräuleins.
Abends
sieht das Fräulein flüchtig zu ihnen herein und
sagt ihnen Gute Nacht. Die Kinder zittern, da sie sie hinausgehen
sehen, sie
möchten ihr gerne noch etwas sagen. Aber jetzt, da das Fräulein schon
bei der
Tür ist, wendet sie sich selbst plötzlich – wie von diesem stummen
Wunsch
zurückgerissen – noch einmal um. Etwas glänzt in ihren Augen, feucht
und trüb.
Sie umarmt beide Kinder, die wild zu schluchzen anfangen, küßt sie noch
einmal
und geht dann hastig hinaus.
In
Tränen stehen die Kinder da. Sie fühlen, das war
ein Abschied.
»Wir
werden sie nicht mehr sehen!« weint die eine.
»Paß auf, wenn wir morgen von der Schule zurückkommen, ist sie nicht
mehr da.«
»Vielleicht
können wir sie später besuchen. Dann zeigt
sie uns auch sicher ihr Kind.«
»Ja,
sie ist so gut.«
»Das
arme Fräulein!« Es ist schon wieder ein Seufzer
ihres eigenen Schicksals.
»Kannst
du dir denken, wie das jetzt werden wird ohne
sie?«
»Ich
werde nie ein anderes Fräulein leiden können.«
»Ich
auch nicht.«
»Keine
wird so gut mit uns sein. Und dann . . .«
Sie
wagt es nicht zu sagen. Aber ein unbewußtes Gefühl
der Weiblichkeit macht sie ihnen ehrfürchtig, seit sie wissen, daß sie
ein Kind
hat. Beide denken immer daran, und jetzt schon nicht mehr mit dieser
kindischen
Neugier, sondern im tiefsten ergriffen und mitleidig.
»Du,«
sagt die eine, »hör zu!«
»Ja.«
»Weißt
du, ich möchte dem Fräulein noch gern eine
Freude machen, ehe sie weggeht. Damit sie weiß, daß wir sie gern haben
und
nicht so sind wie Mama. Willst du?«
»Wie
kannst du noch fragen!«
»Ich
hab mir gedacht, sie hatte doch weiße Rosen so
gern, und da denk ich, weißt du, wir könnten ihr morgen früh, ehe wir
in die
Schule gehen, ein paar kaufen, und die stellen wir ihr dann ins
Zimmer.«
»Wann
aber?«
»Zu
Mittag.«
»Da
ist sie sicher schon fort. Weißt du, da lauf ich
lieber ganz in der Früh hinunter und hole sie rasch, ohne daß es jemand
merkt.
Und die bringen wir ihr dann hinein ins Zimmer.«
»Ja,
und wir stehen ganz früh auf.«
Sie
nehmen ihre Sparbüchsen, schütten redlich ihr
ganzes Geld zusammen. Nun sind sie wieder froher, seit sie wissen, daß
sie dem
Fräulein ihre stumme, hingebungsvolle Liebe noch werden zeigen können.
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