|
|
|
|
|
lifedays-seite
moment
in time
|
|
|
04.3
Am Kamin
Paul Rosenhaym
01 Grünes Licht
______________________________
Grünes Licht
(Berlin)
Der
Fremde, der
mit dem Abendzuge von Kopenhagen angekommen war, trat in das Vestibül
des
vornehmen Hotels „Unter den Linden“. Der Hoteldirektor
ließ einen prüfenden Blick über das glattrasierte hagere Gesicht und
die
hochgewachsene Gestalt des Angekommenen gleiten und
konstatierte bei sich: Ein Amerikaner! Als er aufsah, blickte er in
zwei kühle
graublaue Augen, und eine ruhige Stimme sagte mit leicht amerikanischem
Akzent:
„Ich bin Mr. Sanderson aus Newyork. Sind meine Zimmer reserviert?“
„Jawohl, Mr.
Sanderson“, mischte sich diensteifrig der Portier ein. „Nummer 45 und
46. Ihr
Telegramm aus Kopenhagen haben wir gestern abend erhalten.“Sanderson
nickte.
„Übrigens ist
auch ein Brief für Sie da. Ich bitte sehr.“
Damit
überreichte er dem Amerikaner ein längliches Kuvert, das dieser
betrachtete und
in die Tasche steckte.
„Ich möchte
gleich auf mein Zimmer gehen.“
„Sehr wohl, Mr.
Sanderson. Ich werde die Ehre haben, Sie persönlich hinaufzugeleiten.“
Der Direktor
schritt dem Amerikaner voran, öffnete die Tür zum Lift und ließ ihn
einsteigen.
Gleich darauf entschwand der Fahrstuhl in die obere Etage. —
In einem der
Klubsessel, die die Halle flankierten, hatte ein älterer Herr im
Smoking
gesessen, der das unverkennbare Gehaben des ehemaligen Offiziers zur
Schau
trug. Er hatte eifrig in einer großen Zeitung gelesen. Als Mr.
Sanderson seinen
Namen nannte, hatte der alte Herr einen schnellen Blick auf den
Ankömmling geworfen.
Darauf hatte er unmerklich das Zeitungsblatt zur Seite geneigt und den
Angekommenen mit den Blicken verfolgt, bis ihn der Fahrstuhl entführte.
Dann
war er ausgestanden, war langsam zur Treppe geschritten, die neben dem
Lift
emporführte, und war in den ersten Stock hinaufgegangen. Als er oben
anlangte, begegnete
er dem Direktor, der ins Parterre zurückkehrte. Der alte Herr nickte
jenem mit
einer leichten Kopfbewegung zu und schlenderte gemächlich den Korridor
hinunter,
den Blick auf die Nummern der Zimmer geheftet, die in endloser Reihe an
ihm
vorüberglitten. Bei Nummer 45 machte er halt, sah sich einen Augenblick
um
und klopfte an.
„Come in“
Der alte Herr
öffnete die Tür und stand im nächsten Augenblick vor Mr. Sanderson, dem
Amerikaner.
„Mr. Sanderson
aus Newyork?“
„Ja.“
„Seht wohl. Ich
möchte Ihnen melden, daß Herr Wendland in einer Viertelstunde hier sein
wird.“
„Ich danke
Ihnen, Inspektor. Etwas Weiteres?“
„Ja. Das Hotel
ist umstellt. Ich selbst sitze unten in der Halle. Im zweiten
Klubsessel vom Lift.
Ich habe Befehl, Ihnen zur Verfügung zu stehen, falls Sie meiner
bedürfen.“
„Ich danke
Ihnen, Inspektor.“ Damit ging der Besucher hinaus.
Der Amerikaner
hatte sich warmes Wasser bringen lassen und eben seinen Handkoffer
ausgepackt,
als das Zimmertelephon klingelte. „Ein Herr Wendland ist hier“, meldete
der
Portier. „Er habe einen Brief erhalten, ein Mr. Sanderson wünsche ihn
zu
sprechen. Ist es richtig?“
„Allright, Portier, lassen Sie ihn
heraufkommen.“
Man hörte das
feine Summen des Fahrstuhls, ein kurzes Türenschlagen, und in der
nächsten Minute
klopfte der Zimmerkellner an die Tür Nummer 45 und ließ den Fremden
eintreten. Der
wohlbeleibte breitschultrige Herr mochte Mitte der Vierziger sein. In
seinen
Gesichtszügen machte sich eine gewisse Erregung bemerkbar; in den Augen
lag
unverkennbare Gereiztheit.
„Ich kenne Sie
nicht, Mr. Sanderson“, begann er, ohne sich vorzustellen.
„ Ich weiß
eigentlich selbst nicht recht, was mich dazu bewogen hat, dem Rufe
eines
Unbekannten so ganz einfach Folge zu leisten. Ich bekomme da
heute mittag einen
Brief, darin steht, ich solle heute abend um acht Uhr hier im Hotel bei
Herrn
Sanderson vorsprechen. Ob dieser Brief von Ihnen oder von einem Dritten
herrührt, weiß ich nicht. Jedenfalls verstehe ich nicht, wie man so
einfach
über mich verfügen kann, und ich muß Sie bitten, mir dies zu erklären,
Mr.
Sanderson. Was wünschen Sie von mir? Wer sind Sie? Und schließlich —
woher
kennen Sie meinen Namen?“
Mr. Sanderson
verzog keine Miene. Er sah sein erregtes Gegenüber mit einem
freundlichen Lächeln
an und sagte, indem er höflich auf einen Sessel wies: „Wollen Sie nicht
Platz
nehmen?“
Halb
widerwillig ließ sich der Besucher in den Sessel nieder und blickte dem
Amerikaner erwartungsvoll ins Gesicht.
„Sie betreiben“,
so begann dieser mit ruhiger Stimme, „ein Pensionat in der
Viktoriastraße?“
„Ja“,
antwortete der Gefragte mit unwirschem Gesicht.
„Sehr gut. Vor
einiger Zeit hat bei Ihnen ein Herr gewohnt —„
„Bei mir haben
sehr viele Herren gewohnt“, unterbrach ihn der Pensionsbesitzer
unhöflich.
„Ich spreche von
einem bestimmten Herrn. Von dem Militärattaché Sanno.“
Der
Pensionatsbesitzer, der gerade wieder zu einer groben Erwiderung
ausholte, sah
den Amerikaner mit offenem Munde an. In der nächsten Sekunde wollte er
aufspringen, als ihm Mr. Sanderson die Hand auf die Schulter legte und
ruhig
sagte: „Bleiben Sie nur sitzen, Herr Wendland. Ich möchte Sie noch
einiges Weitere
fragen.“
Der
Aufgeforderte sah den Amerikaner mit einem Blick an, in dem ein Gemisch
von
Furcht und Staunen lag. Dann sagte er schließlich mit unsicherer
Stimme: „Ich
weiß nicht, wer Sie sind, Mr. Sanderson. Und ich weiß nicht, was Sie
wollen.
Aber — da Sie den Namen des Militärattachés Sanno erwähnen,
so sehe ich, daß Sie etwas über Dinge wissen, die in meine eigensten
Privatverhältnisse
eingreifen. Wie das möglich ist — das verstehe ich nicht. Ich verstehe
auch
nicht, wohin diese Unterredung führen wird. Bevor ich Ihnen daher eine
weitere Antwort
gebe, bitte ich Sie, mir zu erklären, was Sie mit diesem Verhör — denn
es ist
nichts weiter als ein Verhör — beabsichtigen. Anders sage ich nicht ein
Wort
weiter. Wer sind Sie, Mr.
Sanderson?“
Der Amerikaner
sah den Besucher mit einem ruhigen Blick aus seinen kühlen grauen Augen
an und
sagte langsam: „Was ich will, das werden
Sie im Laufe
dieser Unterredung erfahren. Sie fragen weiter, wer ich bin. Die Frage
beweist mir
eins: Sie zweifeln daran, daß ich Mr. Sanderson heiße. Ihr Zweifel ist
nicht
unberechtigt. Ich will Ihnen meinen wirklichen Namen nennen;
vielleicht, daß er Ihnen bekannt erscheint.“
Herr Wendland
stieß ein leises Lachen aus. „Ich wüßte nicht,“ entgegnete er schroff,
„woher ich
Sie kennen sollte. Ich habe keinerlei Beziehungen zu Amerika. Und wenn
Sie
nicht gerade Woodrow Wilson oder Thomas Edison heißen, so kann ich
Ihnen vorher
versichern, daß mir Ihr Name wahrscheinlich nicht bekannt vorkommen
wird.“
Der Amerikaner
lächelte unmerklich und sagte mit ruhiger Stimme: „Mein Name ist Joe
Jenkins.“
Der
Pensionatsbesitzer fuhr empor, starrte den Amerikaner halb ungläubig an
und
wiederholte, fast mechanisch: „Mr. Joe Jenkins? Der berühmte Detektiv?“
„Ganz richtig“,
bestätigte „Mr. Sanderson“ lächelnd. „Es freut mich, daß Sie doch noch
mehr
Leute in Amerika kennen als unseren Präsidenten und unseren Elektriker.
Und da
ich diese Unterhaltung nicht zum Vergnügen mit Ihnen führe, so
möchte ich Sie bitten, wieder Platz zu nehmen.“
Der
Pensionatsbesitzer sank wie willenlos in seinen Sessel zurück. „Ich
weiß zwar
nicht,“ so begann er zögernd, „mit welchem Recht . . . Aber immerhin .
. . wenn
ich Ihnen in irgendeiner Weise dienlich sein kann . . . bitte fragen
Sie.“
„Ich danke
Ihnen. Ich werde Sie einiges fragen und ich bitte um kurze, knappe und
unzweideutige Antwort.“ Mr. Jenkins lehnte sich in seinen Sessel
zurück, der so
stand, daß der darin Sitzende sich im tiefsten Schatten befand, während
das
Gesicht seines Gegenübers hell vom Licht der Bronzekrone bestrahlt
wurde. Er
legte die Beine übereinander und begann:
„Also, bei
Ihnen hat bis vor einiger Zeit der Gesandschaftsattaché Herr Sanno
gewohnt. Er steht
in den Diensten eines neutralen europäischen Staates. Der Name dieses
Staates
tut nichts zur Sache. Ist er Ihnen bekannt?“
„Ja, Mr.
Jenkins.“
„Um so besser.
Herr Sanno hatte für seine Regierung ein wichtiges Dokument
auszuarbeiten. Ein
Exposé, zu dem ihm der Gesandte die Direktiven
persönlich erteilt hatte. Auch das wissen Sie wohl?“
— „Ja.“
„Dieses
Schriftstück sollte Herr Sanno eigentlich in der Gesandtschaft
ausarbeiten.
Anscheinend aus Bequemlichkeit hat er es mit in seine Wohnung genommen,
um die
Arbeit — ich wiederhole, entgegen seiner Instruktion — zu Hause, d. h.
also in
Ihrem Pensionat, auszuführen. Stimmt das?“
„Jawohl.“
„Die Arbeit war
ziemlich lang und wohl recht schwierig. Sei es infolge der
allnächtlichen
Arbeit, sei es aus anderen Gründen — am Tage, an dem das Dokument
fertig war,
ist Herr Sanno schwer erkrankt. So schwer, daß er sofort in ein
Sanatorium
geschafft werden mußte.“ —
„Jawohl, Mr.
Jenkins.“
„In der letzten
Minute war er so hinfällig und auch wohl nicht mehr ganz im Besitze
seiner geistigen
Frische, daß er Ihnen kurzerhand das Schriftstück übergeben hat. Mit
der
Weisung, es bis zu seiner Rückkehr aufzubewahren und zu keinem Menschen
darüber
zu sprechen?“
„Ja, Mr.
Jenkins.“
„Wie war das
Schriftstück verpackt?“
„Das Dokument
mochte 80 bis 90 Seiten stark sein“, antwortete Herr Wendland. „Es lag
in einem
großen versiegelten Kuvert in einer Aktentasche. Diese Aktentasche hat
mir Herr
Sanno übergeben.“
„Wo haben Sie
sie untergebracht?“
„Ich habe sie
in meinen Geldschrank gelegt.“
„Sehr schön.
Und nun muß ich Sie etwas fragen, was scheinbar von dieser Sache
abweicht, in
Wirklichkeit aber eng damit zusammenhängt. Ist in letzter Zeit in Ihrem
Hause
irgend etwas passiert? Etwas, das ungewöhnlich war und das Ihnen aus
diesem
Grunde aufgefallen ist? Um es Ihnen gleich zu sagen: ich weiß, daß
etwas
passiert ist. Ich bitte Sie, mir die Ereignisse der Reihe nach, also
chronologisch, zu erzählen, so, wie sie sich nacheinander zugetragen
haben.
Vergessen Sie nichts, lassen Sie nichts aus. Und damit Sie die
Wichtigkeit
Ihres Berichtes von vornherein richtig ermessen können, so bemerke ich
Ihnen
eins: es handelt sich um Ihre persönliche Freiheit. Vielleicht um Ihr
Leben.“
Der Besucher
war den Worten des Detektivs mit atemloser Spannung gefolgt. Mehr und
mehr
hatten sich seine Blicke umdüstert; seine Augen senkten sich langsam zu
Boden,
endlich stand er auf, ging ein paarmal im Zimmer auf und ab,
murmelte etwas vor sich hin und hielt auf einmal mitten in seiner
Wanderung
inne.
„Mr. Jenkins,“
begann er, „ich begreife nicht, woher Sie von diesen Dingen auch nur
ein
Sterbenswörtchen wissen können, denn ich habe zu niemandem über meine
Erlebnisse auch nur andeutungsweise gesprochen. Aber — Sie haben recht.
Es ist
etwas vorgekommen. Dinge, die mir unverständlich sind, ja, die mir von
Tag zu
Tag rätselhafter werden. Dabei muß ich Ihnen gestehen: einen
Zusammenhang mit
dem Dokument haben die Ereignisse nach meiner Überzeugung nicht. Denn
das
Dokument liegt wohlverwahrt in
meinem Geldschrank, und ich habe es noch vor einer Stunde in der Hand
gehabt .
. . Ich komme schon zur Sache“, unterbrach er sich, als er
die abwehrende Handbewegung des Amerikaners sah. „Sie gestatten wohl,
daß ich
wieder Platz nehme.“
„Es war vor
zehn Tagen,“ so begann Herr Wendland, nachdem er sich wieder in seinem
Sessel
niedergelassen hatte, „als mir Herr Sanno das Dokument in der
Aktentasche übergab.
Ich habe die Aktentasche in meinen Geldschrank gelegt, den Geldschrank
verschlossen und den Schlüssel in die Tasche gesteckt. Das war an einem
Montag.
Am Abend desselben Tages hatte ich eine Vereinssitzung — ich bin
Mitglied des
Vereins der Hoteliers — und die Sitzung hat sich ziemlich ausgedehnt.
Denn
meine Kollegen können meist erst sehr spät erscheinen, und dadurch
ziehen sich
die Sitzungen oft bis in den Morgen hinein. Es mag also halb vier Uhr
morgens
gewesen sein, als ich nach Hause
kam. Wie Sie wissen, Mr. Jenkins, wohne ich in der Viktoriastraße, in
einem vornehmen,
stillen Villenviertel. Als ich um die Ecke meiner Straße biege, fällt
mein Blick
auf mein Haus, das drüben in tiefem Schatten liegt, und plötzlich
bemerke ich
etwas, was mich mit Staunen, ich kann wohl sagen, mit Furcht erfüllt.
Aus dem
Erkerfenster meines
Arbeitszimmers dringt heller Lichtschein. Was konnte das zu bedeuten
haben? Sollte
meine Frau krank geworden sein? Aber es kam noch etwas anderes hinzu:
das war
ja gar kein eigentliches Licht, was dort strahlte, jedenfalls nicht das
schöne,
sonnenscheinähnliche Licht der Lampen in meinem Arbeitszimmer; das war
ein
geisterhaftes und dabei eigentümlich durchdringendes Licht von
smaragdgrüner Farbe!
Ich kenne doch natürlich meine Lampen: eine solche Lampe habe ich in
meinem Zimmer nicht.“
„Vielleicht
eine Schreibtischlampe mit einem grünen Schirm?“ warf Mr. Jenkins ein.
„Nein. Eine
solche Lampe besitze ich nicht . . . Ich stand wie gebannt und starrte
auf diesen
seltsamen, grünlichen Schimmer, der in dieser totenstillen Straße und
in der
nachtdunklen Häuserreihe einen geradezu unheimlichen Eindruck machte.
Ich bin nicht abergläubisch, Mr. Jenkins, aber in dieser Stunde hatte
ich das
bestimmte Gefühl, daß dieses grüne Licht der Vorbote eines drohenden
Unheils
sei, eine Ankündigung —vielleicht eine Warnung aus einer
anderen Welt. Schließlich raffte ich mich auf und stürzte die Treppen
hinauf.
Mein erster Weg geht ins Arbeitszimmer. Ich trete ein und fahre zurück:
das
Zimmer ist dunkel und leer. Ich suche alles ab: nichts ist zu sehen.“
„Untersuchten
Sie den Geldschrank?“ fragte Mr. Jenkins.
„Natürlich. Sofort.
Alles war unversehrt, und das Dokument lag an der alten Stelle in der
Aktentasche. Darauf gehe ich zu meiner Frau ins Schlafzimmer — sie hat
ihr
eigenes Zimmer — sie liegt in tiefem Schlaf. Mein hastiger Tritt weckt
sie. Ich
erzähle ihr mit einigen fliegenden Worten, was ich beobachtet, frage,
ob sie nichts
gesehen oder gehört habe? Nichts!
Meine Frau
hatte nicht das geringste bemerkt. Sie betonte mit Recht, wenn irgend
jemand die
Wohnung betreten haben würde, so hätte sie es vor allen Dingen bemerken
müssen.
Schließlich meinte meine Frau lächelnd, ich müsse wohl ein Gläschen
über den
Durst getrunken haben. Ich verteidigte meine Beobachtung, um
schließlich,
Zweifel im Herzen, schlafen zu gehen. Am andern Morgen war ich schon
geneigt,
meine Beobachtungen meiner erhitzten Phantasie zuzuschreiben —
vielleicht auch den
zwei Flaschen Wein, die ich im Laufe der Nacht getrunken hatte — als
mich am
nächsten Mittag ein
Freund antelephoniert und mich fragt, was eigentlich in der letzten
Nacht bei mir
vorgegangen sei. Er sei um zwei Uhr durch die Viktoriastraße gegangen
und habe
einen grünen Lichtschein in meinem Arbeitszimmer bemerkt . . . Jetzt
wußte ich,
daß ich mich nicht geirrt hatte, Mr. Jenkins.“
„Erzählten Sie
ihrer Frau von der Beobachtung Ihres Freundes?“ fragte der Detektiv.
„Ja. Meine Frau
schüttelte skeptisch den Kopf und meinte schließlich, mein Freund sei
wahrscheinlich ebenso angeheitert gewesen wie ich. — Nun, ich bin
überzeugt,
wir haben uns nicht geirrt. Ich nicht und mein Freund nicht. Auch ist
es
unwahrscheinlich, daß zwei Menschen unabhängig voneinander und zu
verschiedenen
Zeiten genau die gleiche Halluzination gehabt haben sollten.
Das Erlebnis
hat mich nachdenklich gemacht. Ich untersuchte am nächsten Tage
aufmerksam die
ganze Wohnung — vergeblich. Ich fand nichts Verdächtiges. Dann kamen
geschäftliche Dinge dazwischen. Ich habe in der nächsten Nacht noch ein
bißchen
aufgepaßt, aber nichts hat sich gerührt. Bis sich in der Nacht darauf
etwas
Neues ereignete.
Ich sagte Ihnen
schon, Mr. Jenkins, daß wir, meine Frau und ich, getrennte Schlafzimmer
haben.
Das hängt damit zusammen, daß ich etwas herzleidend bin und daher
besser
schlafe, wenn ich allein bin. Meine Frau hat ein Vorderzimmer; ich
schlafe in
einem Raum, der nach hinten auf die Gärten hinausblickt. Es mochte um
halb drei
Uhr in der Nacht vom Mittwoch auf den Donnerstag sein, als ich davon
erwachte, daß
in meinem Hause eine Tür ging. Gleich darauf höre ich leise
schleichende Schritte
auf dem Korridor. In Friedenszeiten würde ich mich um ein derartiges
Vorkommnis
nicht viel kümmern, Mr. Jenkins; einer meiner Pensionäre konnte die
späte
Störung verursachen — vielleicht, daß er einen galanten Besuch entließ,
oder
etwas Ähnliches.
Jetzt, im
Kriege, steht mein Haus leer, denn alle meine Pensionäre, größtenteils
Ausländer, sind abgereist. Ich gehe leise an meine Zimmertür und öffne
sie; in
diesem Moment wird die Etagentür von außen geschlossen. Kein Zweifel —
jemand
verließ das Haus.
Und da tappten
auch schon knarrende Schritte die Treppe hinunter. Ich stürzte an die
Haustür;
der Schlüssel steckt von außen im Schloß — ohne Zweifel mit Absicht, um
mich am
schnellen Verlassen des Hauses zu hindern.
Ich eile nach
vorn und reiße das Fenster auf; leise wird unten die Tür geöffnet und
jemand verläßt
das Haus. Mit meinen Blicken durchbohre ich die
Finsternis, und nach einigen Sekunden kann ich die Gegenstände
unterscheiden. Zu
meinem Erstaunen ist es eine Dame, die aus dem Hause tritt. Und mit
grenzenloser Bestürzung erkenne ich in der Dame meine Frau. — Meine
Frau!
Was bedeutete das? Ich konnte es noch immer nicht glauben. Darum eilte
ich zu
ihrem Zimmer hinüber: es war verschlossen. Nach einiger Zeit gelingt es
mir,
die Tür zu öffnen — das Bett war leer. Ich versuchte nun,
meiner Frau
nachzueilen; von vornherein ein ziemlich aussichtsloses Beginnen bei
ihrem großen
Vorsprung. Mit einigem Zeitverlust gelang es mir, das Haus zu
verlassen, ich
stürzte in der Richtung davon, in der meine Frau verschwunden war. Aber
nichts
war von ihr zu sehen. Nur in der Ferne hörte ich das Rattern eines
Automobils,
das sich schnell entfernte.
Nun ging ich
nachdenklich und niedergeschlagen wieder nach Hause und grübelte und
zermarterte
mir den Kopf über das Unerhörte, das ich gesehen und gehört hatte. Was
lag
diesen unbegreiflichen Dingen zugrunde? Ich dachte und dachte und
konnte nicht
einschlafen.
„Eine Frage“,
unterbrach Jenkins den Erzähler.
„Drängte sich
Ihnen ein Gefühl der . . . der Eifersucht auf?“
Herr Wendland
lächelte traurig und sagte leise: „Nein, Mr. Jenkins. Meine Frau ist 43
Jahre
alt — 43 Jahre! Und sie ist mir immer eine treue und aufopfernde
Kameradin
gewesen, der jede Falschheit fernlag. Eine Untreue war das letzte,
woran ich
dachte.
Als ich am
anderen Morgen um neun Uhr am Kaffeetisch erschien, saß meine Frau
schon wie immer
an ihrem Platz und begrüßte mich mit einem Lächeln. Ich beobachtete sie
heimlich von der Seite. Da sah ich, daß ihr Gesicht bleich und
eingefallen
war. Und in ihren Augen lag der Ausdruck eines furchtbaren Kummers. Ich
habe
gewartet, Mr. Jenkins, und habe gehofft, meine Frau würde reden. Aber
sie
schweig beharrlich und starrte in den scheinbar unbewachten
Augenblicken vor
sich hin, immer mit dem gleichen Ausdruck des grenzenlosen Jammers in
den
Zügen. Gewiß, ich hätte sie einfach fragen können. Ein paarmal war ich
drauf
und dran, es zu tun. Aber immer wieder, wenn ich in das blasse Gesicht
und in
diese trostlosen, verzweifelten Augen blickte, dann ist mir das Wort in
der
Kehle erstorben. Und schließlich —
wollte sie nicht reden, nicht die Wahrheit reden — dann würde sie
mir auch auf meine Fragen
nicht mit der Wahrheit geantwortet haben.
Aber — mein Mißtrauen war erwacht. Es traf sich
zufällig, daß ein Klub, dem ich angehöre, am letzten Sonnabend seinen
Ball
abhielt. Ich habe zwei Jahre hintereinander diesen Ball in Gesellschaft
meiner
Frau besucht und wir haben uns jedesmal gut unterhalten. Nichts war
daher
natürlicher, als daß ich sie auch diesmal wieder aufforderte, mit mir
hinzugehen. Sie lehnte ab, Sie fühle
sich nicht wohl. Als ich darauf die Absicht aussprach, ebenfalls nicht
hinzugehen, drängte sie mich, es doch zu tun. „Geh‘ nur,“ sagte sie,
und es kam
mir vor, als ob ein Ausdruck der Unruhe in ihre Augen trat, „ich wäre
untröstlich, wenn du dir meinetwegen das Vergnügen versagen würdest.
Amüsiere dich
gut.“ Abends legte sie mir selbst meinen Frack zurecht. Und ich ging.
Ich fuhr auch
tatsächlich zum Ball, um auf alle Fälle dort gewesen zu sein, verließ
ihn aber schon
um ein Uhr wieder, während ich zu Hause meine Rückkehr auf drei Uhr in
der Nacht
angesagt hatte.
Um ein Uhr nahm
ich mir ein Automobil und fuhr in die Viktoriastraße. An der Ecke stieg
ich aus.
Das Haus lag in
tiefem Schatten. Ich ging ein paarmal daran vorüber, schwang mich über
das Gitter
eines der Vorgärten und drückte mich gegen die Mauer der Villa, die
meinem
Hause gegenüberliegt.
Die Straße war
menschenleer. Am Himmel ballten sich schwarze Wolken, und kein Stern
war zu
sehen. In der Ferne hallte von Zeit zu Zeit der einsame Schritt eines
nächtlichen Wandrers. Sonst war alles totenstill. Ich beobachtete
unausgesetzt
die Fenster meines Hauses, die in schweigendem Dunkel dalagen.
Plötzlich hatte
ich das Gefühl, als ob an den Fenstern meines Arbeitszimmers eine
Veränderung vor
sich gegangen sei. Einen Augenblick dachte ich
vergeblich darüber nach, worin diese Veränderung wohl bestehe, dann
wurde es
mir in der nächsten Sekunde klar — die Vorhänge! Irgend jemand hatte
soeben die
Vorhänge zugezogen! Und als ich noch mit fiebernden Augen auf meine
Fenster
starrte — da — da — da flammte es plötzlich auf . . .“
„Das grüne
Licht?“ fragte der Detektiv ruhig.
„Das grüne
Licht. Ich stand wie gelähmt, Mr. Jenkins. Meine Augen irrten an der
Front
entlang und suchten vergeblich nach einer Lösung des Rätsels. Dann
starrte ich
wieder wie hypnotisiert auf die grüne Lichtflut, die da zu mir
herniederdrang. Das
Licht war nicht von gleicher Intensität. Manchmal schwoll es an, und
ich glaubte,
einen leise singenden Ton zu hören. Dann verminderte sich plötzlich die
Leuchtkraft der Strahlen, und der Schein wurde ganz schwach und fahl,
als ob in
dem Zimmer eine winzige Nachtlampe brannte.
Um die Ecke kam
in langsamer Fahrt eine Automobildroschke. Die hellen
Azetylenscheinwerfer erleuchteten
im Vorüberfahren die beiden Häuserreihen mit einem blitzschnellen
Reflex, und
als sie an meinem Hause vorüberfuhr, fiel ein blendendheller,
zitternder
Lichtkegel über die Fenster meiner Wohnung. Und da stieß ich einen
Schrei aus.
Aus einem der Vorderfenster schaute der Kopf meiner Frau, die Blicke
mit dem
Ausdruck des Grauens auf die grünlich schimmernden Erkerfenster
gerichtet. Auf
das grüne Licht!“
„Wissen Sie
genau, daß es der Kopf Ihrer Frau war?“
„Ganz genau,
Mr. Jenkins. Und nie habe ich ein entsetzteres Gesicht gesehen, als das
meiner Frau
in diesem Augenblick. Einen Moment war ich dem Zusammensinken nahe,
dann
beschloß ich, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich schüttelte meine
Gedanken
ab, stürzte zum Hause hinüber, schloß auf und ging leise die Treppen
hinauf.
Dann eilte ich mit ein paar Sätzen in mein Arbeitszimmer. Ich stieß es
auf und
faßte mich an den Kopf: das Zimmer war dunkel und leer. War das der
beginnende
Wahnsinn?
Ich ging zu
meiner Frau hinüber. Sie lag im Bett und schlief fest. Anscheinend.
„Hast du nicht
eben das grüne Licht gesehen?“ schrie ich und rüttelte
sie am Arm. Sie schien aus tiefem Schlaf zu erwachen, lächelte und
sagte
schlaftrunken: „Was hast du mit dem grünen Licht? Ich weiß nichts von
einem
grünen Licht!“
Und da wußte
ich, daß sie mich belog.“
Der Erzähler hatte
geendet und starrte gedankenverloren vor sich hin.
„Wann war das?“
fragte der Detektiv.
„Vorgestern
abend.“
„Hat sich
inzwischen noch etwas ereignet?“
„Nein, Mr.
Jenkins.“
„Haben Sie sich“,
begann der Detektiv nach einer Pause, „irgendeine Meinung darüber
gebildet, was
das grüne Licht zu bedeuten hat? Und haben Sie versucht, einen Grund
für das Verhalten
Ihrer Frau zu finden?“
„Ich habe
nachgegrübelt, bis ich überhaupt nicht mehr fähig war, irgendeinen
Gedanken zu
fassen. Ich finde keine Erklärung. Keinen Anhalt. Nichts“
„Nun,“ sagte
Mr. Jenkins nach einer Weile und stand auf, „ich denke, einiges kann
ich Ihnen immerhin
zur Erklärung sagen.“
Der
Pensionatsbesitzer warf einen erstaunten Blick auf Mr. Jenkins und
schüttelte
ungläubig den Kopf.“Ich wüßte nicht, Mr. Jenkins,“ sagte er endlich,
„wie Sie
zu einer Erklärung dieser Dinge kommen sollten. Kennen Sie doch weder
mich noch
meine Frau.“
oben
|
lifedays-seite
- moment in time |
|
|
|
|
|
|
|